Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis, und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint. Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist? Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.
Juli Zehs neuer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.
Juli Zehs neuer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.
Der Roman „Über Menschen“ ist unmittelbar aus der Gegenwart gegriffen. Sorgen, Ängste und Probleme unserer Zeit fasst Juli Zeh in authentische Worte.
Über Menschen, Juli Zeh
Dora hat die Schnauze voll vom Lockdown in der Großstadt. Sie will nur noch eines: weg von einer Welt, in der täglich neue Begriffe zur Beschreibung des Virus erfunden werden. Weg vom Homeoffice in ihrer Kreuzberger Wohnung, in der die Räume um sie herum zu schrumpfen scheinen. Und weg von Robert. Robert, ihr einst so nachdenklicher und sanfter Freund, der Dora nach und nach zur verweigerten Gefolgschaft seines perfektionistischen Klimaaktivismus macht. Kurzerhand kauft sie ein sanierungsbedürftiges Gutsverwalterhaus fernab aller Speckgürtel im ostdeutschen Straßendorf Bracken.Über Menschen: Großstadtflucht ins Nirgendwo
In der ehemaligen slawischen Siedlung ist Dora die 285. Einwohnerin. Was sie im brandenburgischen Nirgendwo will? Zunächst einmal den riesigen Flurgrund in einen Landhausgarten verwandeln. Denn ein wenig Landhausromantik inmitten der bröckelnden Straßen und halb eingestürzten Scheunen soll ihr eine Pause verschaffen. Ein Ende für das ewige Nicht-mehr-Mitkommen der Großstadt. Doch ist dieser Ort, wo ihr Nachbar mit kahlrasiertem Kopf rechte Parolen über die Gartenmauer brüllt, wirklich das, wonach Dora sucht?Juli Zeh und das Leben auf dem Land
„Über Menschen“ ist nicht der erste Roman von Juli Zeh, dessen Hauptschauplatz ein Dorf ist. Die Schriftstellerin selbst hat der Großstadthektik ebenfalls ein Leben auf dem Land vorgezogen. In einem kleinen Dorf in Brandenburg lebt sie seit Jahren abgeschnitten vom Kulturbetrieb. Denn dort hat sie Zeit für das, was sie wirklich will: am „normalen“ Leben mitsamt der Gerüchteküche teilhaben und schreiben. Weitere Infos und Bücher von Juli Zeh finden Sie in ihrem Autorenporträt.Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Erst haben alle vom Großstadtleben geschrieben, jetzt sind Dorfromane das große Ding, meint Rezensentin Julia Encke mit Blick auf Juli Zeh, Judith Hermann und Angelika Klüssendorf. Doch egal ob Stadt oder Land, es scheint dabei immer um das eigene Leben zu gehen: von den Mittelstandsoasen in der Stadt zu den Mittelstandsoasen in der Provinz ist es ja eigentlich auch nur ein kleiner Schritt, denkt sich die Rezensentin und gähnt. Die Ur-Dorfbewohner sind dabei oft nur Staffage, klagt sie, wie bei Juli Zeh, die sie als herzerwärmende Exoten beschreibt. Die großstadtflüchtigen Protagonisten wiederum flüchten in die reine Innerlichkeit, wie bei Judith Hermann. Der Rest versinkt in "Dorfliteraturtopoi" wie bei Angelika Klüssendorf, so die angeödete Rezensentin, die sich endlich wieder mehr Welt wünscht in der deutschen Literatur. Vielleicht mal eine Reise?
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2021Bei den Edlen Wilden vom Lande
Wenn einem der böse Nachbar gefällt: Juli Zehs neuer Roman "Über Menschen" bedient sich erzähltechnisch bei sentimentalen Filmen
Der Topos von Edlen Wilden bezeichnet seit etwa dem sechzehnten Jahrhundert eine spezifische Sicht auf außereuropäische Völker als naturverbundene Wesen, unter deren wüst anzuschauendem Äußeren - Federn, Lendenschurz und so weiter - sich eine unverdorbene, reine, ja kindliche Seele befinden sollte. Für Autoren besonders im achtzehnten Jahrhundert war der Edle Wilde eine willkommene Gelegenheit, die eigene Zivilisation als zwar überlegen, aber auch korrumpiert, dekadent und unnatürlich darzustellen. So wurden Naturvölker zum Vehikel der Zivilisationskritik, im allerbesten Fall ließ sich diese Verklärung wenigstens noch gegen Konzepte wie Sklaverei und Ausbeutung der Kolonien in Stellung bringen. Manchmal, wenn man Juli Zehs neuen brandenburgischen Dorfroman liest, kommt einem dieses Motiv wieder in den Sinn.
"Über Menschen" handelt von Dora, einer Berliner Werbetexterin, die vor Corona und ihrem in vielerlei Hinsicht fanatischen Lebensgefährten aufs platte Land flieht. Hinter ihr liegt das Berliner Agenturleben mit dem Fahrrad "Gustav" - ja, das Fahrrad hat einen Namen -, dem Partner Robert (der Karikatur eines Gutmenschen, der Greta Thunbergs Reden mit religiösem Eifer folgt), dem üblichen Gewese um laktosefreie Kaffeespezialitäten und der Hündin "Jochen" in einer Kreuzberger Altbauwohnung. Also das, was einem als Erstes einfällt, wenn man an Berlin denkt. Vor ihr liegt ein verwilderter Garten, in dem ein Gemüsebeet entstehen soll, denn noch besser als Bio ist selbst angebaut. Nun stellt sich aber heraus: Das ist gar nicht so einfach, das mit dem Garten.
Und dann ist da natürlich die wunderbare Natur. Ach, der Wald! Den hat Dora schon immer geliebt: "Dieses riesige, atmende Wesen, voller Leben und Betriebsamkeit und zugleich von unerschütterlicher Ruhe. Der Wald will nichts von ihr. Er braucht keine Unterstützung. Er kümmert sich mit großem Erfolg um sich selbst. Zwischen Bäumen, die größer und älter sind als ein Mensch, kommt sich Dora auf erleichternde Weise unbedeutend vor." Endlich einmal nicht darüber nachdenken, ob man beim Einkaufen den Leinenbeutel vergessen hat, es könnte so schön sein, wäre da nicht diese plattitüdenhafte Sprache. Aber gehen wir mal davon aus, es hier mit einem Unterhaltungsroman zu tun zu haben und nicht mit Literatur, und konzentrieren uns auf die Handlung.
Das Gutsverwalterhaus in dem Ort namens Bracken, das zwischenzeitlich als Dorfkindergarten fungierte und dann lange leerstand, ist groß und billig. Dort richtet sich Dora ein, so gut es geht, Platz ist genug da für Hund und Laptop. Bald lernt sie ihre Nachbarn kennen: Gote, den Dorfnazi, der nebenan wohnt und ihr ab und zu ungefragt Möbel hinstellt, weil sie keine hat. Das Paar Tom und Steffen, der eine Florist, der andere Kabarettist. Die alleinerziehende Mutter Sadie, die Nachtschichten schiebt, um über die Runden zu kommen. Die Nachbarn bringen Saatkartoffeln für das frisch angelegte Gemüsebeet vorbei oder nehmen Dora mal mit zum Einkaufen. Knorrige Menschen, das Herz am rechten Fleck. Also das, was einem als Erstes einfällt, wenn man an Brandenburg denkt - oder wenn man auch schon Zehs früheren Roman "Unterleuten" gelesen hat.
Dorfnazi Gote, der direkt hinter dem Gartenzaun in einem Bauwagen samt Geranien vor dem Fenster haust, ist ein typischer Vertreter seiner Art. Er wählt AfD, singt gelegentlich im Garten mit seinen Kumpeln das Horst-Wessel-Lied, säuft und stach früher auch mal einen Linken ab, aber was soll man auch machen, so abgehängt und ohne öffentlichen Nahverkehr. Und den Diesel will man diesen wackeren Leutchen auch noch wegnehmen. Dora schwankt zwischen Abneigung und, ja, "Ehrfurcht" vor diesen Dörflern. Einerseits sind sie so nett und fleißig, andererseits halt auch Rassisten, aber dann streichen sie einem wieder die Wand. Der Roman zeichnet die recht schlichten Gedankengänge Doras angesichts dieser Umstände nach, geht aber nicht sonderlich weit über die üblichen Reportagen hinaus, die man nach jeder Wahl regelmäßig über ostdeutsche Problemzonen lesen kann.
Allerdings legt Zeh bei aller politischen Positionierung sehr viel Wert darauf, dass es am Ende alles heftig menschelt. Man hilft einander, man hört sich zu, man schafft es zu trauern, auch wenn man sich nie mochte oder das Gegenüber etwas müffelt. Man ist sich Nachbar. Dieser Gote stand mal etwas zu nah daneben, als ein Linker abgestochen wurde, aber vielleicht war er's ja doch nicht, Rostock ist lange her, außerdem baut er Holzbänke für den nahen Wald, hat seine Tochter lieb und ist schwer krank im Kopf. Was soll man da machen?
Natürlich bleiben Menschen Menschen, auch wenn sie rechtsradikale Ekel sind. Und rechte Ekel bleiben rechte Ekel, auch wenn sie Möbel bauen und ihre Töchter lieb haben. Und wenn man es ganz genau nimmt, könnte man noch einwenden, dass auch in der Stadt nicht nur Schablonen leben, die ein eindeutiges Gutmenschendasein oder eine reinrassige Agenturmaus-Existenz leben, und auf dem Land nicht nur widerständige Schubladenverweigerer. Die Dichotomie vom Edlen Wilden einerseits und dem zivilisatorisch kurz vor den Dekadenz-Kipppunkt hochverzärtelten Kulturmenschen aus der Großstadt andererseits geht eventuell schon seit dem sechzehnten Jahrhundert so nicht ganz hundertprozentig auf.
Warum Dora nun ein brandenburgisches Dorf für die Erkenntnis braucht, dass Menschen nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen, ist eher einer dieser Erzähltricks, die man aus vielen sentimentalen Filmen kennt. Menschen lernen erst angesichts des Todes ihr Leben zu schätzen, entdecken angesichts von Dorfnazis ihre Menschenliebe, so etwas.
Man kann das machen, es ist ja auch ganz unterhaltsam, man sollte am Ende nur nicht allzu viel bundesrepublikanische Gegenwartspolitik hineinprojizieren. Es liest sich flott, die Sätze sind kurz. Und auch sonst wird dieses Buch Juli-Zeh-Leser nicht enttäuschen, Juli-Zeh-Verächter und Freunde der nichtschiefen Metapher aber auch diesmal nicht bekehren. Wir warten jedenfalls gespannt auf die ZDF-Verfilmung - für einen Mehrteiler wie bei "Unterleuten" ist das Material diesmal zu dünn.
ANDREA DIENER
Juli Zeh: "Über Menschen". Roman.
Luchterhand Verlag, München 2021.
416 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn einem der böse Nachbar gefällt: Juli Zehs neuer Roman "Über Menschen" bedient sich erzähltechnisch bei sentimentalen Filmen
Der Topos von Edlen Wilden bezeichnet seit etwa dem sechzehnten Jahrhundert eine spezifische Sicht auf außereuropäische Völker als naturverbundene Wesen, unter deren wüst anzuschauendem Äußeren - Federn, Lendenschurz und so weiter - sich eine unverdorbene, reine, ja kindliche Seele befinden sollte. Für Autoren besonders im achtzehnten Jahrhundert war der Edle Wilde eine willkommene Gelegenheit, die eigene Zivilisation als zwar überlegen, aber auch korrumpiert, dekadent und unnatürlich darzustellen. So wurden Naturvölker zum Vehikel der Zivilisationskritik, im allerbesten Fall ließ sich diese Verklärung wenigstens noch gegen Konzepte wie Sklaverei und Ausbeutung der Kolonien in Stellung bringen. Manchmal, wenn man Juli Zehs neuen brandenburgischen Dorfroman liest, kommt einem dieses Motiv wieder in den Sinn.
"Über Menschen" handelt von Dora, einer Berliner Werbetexterin, die vor Corona und ihrem in vielerlei Hinsicht fanatischen Lebensgefährten aufs platte Land flieht. Hinter ihr liegt das Berliner Agenturleben mit dem Fahrrad "Gustav" - ja, das Fahrrad hat einen Namen -, dem Partner Robert (der Karikatur eines Gutmenschen, der Greta Thunbergs Reden mit religiösem Eifer folgt), dem üblichen Gewese um laktosefreie Kaffeespezialitäten und der Hündin "Jochen" in einer Kreuzberger Altbauwohnung. Also das, was einem als Erstes einfällt, wenn man an Berlin denkt. Vor ihr liegt ein verwilderter Garten, in dem ein Gemüsebeet entstehen soll, denn noch besser als Bio ist selbst angebaut. Nun stellt sich aber heraus: Das ist gar nicht so einfach, das mit dem Garten.
Und dann ist da natürlich die wunderbare Natur. Ach, der Wald! Den hat Dora schon immer geliebt: "Dieses riesige, atmende Wesen, voller Leben und Betriebsamkeit und zugleich von unerschütterlicher Ruhe. Der Wald will nichts von ihr. Er braucht keine Unterstützung. Er kümmert sich mit großem Erfolg um sich selbst. Zwischen Bäumen, die größer und älter sind als ein Mensch, kommt sich Dora auf erleichternde Weise unbedeutend vor." Endlich einmal nicht darüber nachdenken, ob man beim Einkaufen den Leinenbeutel vergessen hat, es könnte so schön sein, wäre da nicht diese plattitüdenhafte Sprache. Aber gehen wir mal davon aus, es hier mit einem Unterhaltungsroman zu tun zu haben und nicht mit Literatur, und konzentrieren uns auf die Handlung.
Das Gutsverwalterhaus in dem Ort namens Bracken, das zwischenzeitlich als Dorfkindergarten fungierte und dann lange leerstand, ist groß und billig. Dort richtet sich Dora ein, so gut es geht, Platz ist genug da für Hund und Laptop. Bald lernt sie ihre Nachbarn kennen: Gote, den Dorfnazi, der nebenan wohnt und ihr ab und zu ungefragt Möbel hinstellt, weil sie keine hat. Das Paar Tom und Steffen, der eine Florist, der andere Kabarettist. Die alleinerziehende Mutter Sadie, die Nachtschichten schiebt, um über die Runden zu kommen. Die Nachbarn bringen Saatkartoffeln für das frisch angelegte Gemüsebeet vorbei oder nehmen Dora mal mit zum Einkaufen. Knorrige Menschen, das Herz am rechten Fleck. Also das, was einem als Erstes einfällt, wenn man an Brandenburg denkt - oder wenn man auch schon Zehs früheren Roman "Unterleuten" gelesen hat.
Dorfnazi Gote, der direkt hinter dem Gartenzaun in einem Bauwagen samt Geranien vor dem Fenster haust, ist ein typischer Vertreter seiner Art. Er wählt AfD, singt gelegentlich im Garten mit seinen Kumpeln das Horst-Wessel-Lied, säuft und stach früher auch mal einen Linken ab, aber was soll man auch machen, so abgehängt und ohne öffentlichen Nahverkehr. Und den Diesel will man diesen wackeren Leutchen auch noch wegnehmen. Dora schwankt zwischen Abneigung und, ja, "Ehrfurcht" vor diesen Dörflern. Einerseits sind sie so nett und fleißig, andererseits halt auch Rassisten, aber dann streichen sie einem wieder die Wand. Der Roman zeichnet die recht schlichten Gedankengänge Doras angesichts dieser Umstände nach, geht aber nicht sonderlich weit über die üblichen Reportagen hinaus, die man nach jeder Wahl regelmäßig über ostdeutsche Problemzonen lesen kann.
Allerdings legt Zeh bei aller politischen Positionierung sehr viel Wert darauf, dass es am Ende alles heftig menschelt. Man hilft einander, man hört sich zu, man schafft es zu trauern, auch wenn man sich nie mochte oder das Gegenüber etwas müffelt. Man ist sich Nachbar. Dieser Gote stand mal etwas zu nah daneben, als ein Linker abgestochen wurde, aber vielleicht war er's ja doch nicht, Rostock ist lange her, außerdem baut er Holzbänke für den nahen Wald, hat seine Tochter lieb und ist schwer krank im Kopf. Was soll man da machen?
Natürlich bleiben Menschen Menschen, auch wenn sie rechtsradikale Ekel sind. Und rechte Ekel bleiben rechte Ekel, auch wenn sie Möbel bauen und ihre Töchter lieb haben. Und wenn man es ganz genau nimmt, könnte man noch einwenden, dass auch in der Stadt nicht nur Schablonen leben, die ein eindeutiges Gutmenschendasein oder eine reinrassige Agenturmaus-Existenz leben, und auf dem Land nicht nur widerständige Schubladenverweigerer. Die Dichotomie vom Edlen Wilden einerseits und dem zivilisatorisch kurz vor den Dekadenz-Kipppunkt hochverzärtelten Kulturmenschen aus der Großstadt andererseits geht eventuell schon seit dem sechzehnten Jahrhundert so nicht ganz hundertprozentig auf.
Warum Dora nun ein brandenburgisches Dorf für die Erkenntnis braucht, dass Menschen nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen, ist eher einer dieser Erzähltricks, die man aus vielen sentimentalen Filmen kennt. Menschen lernen erst angesichts des Todes ihr Leben zu schätzen, entdecken angesichts von Dorfnazis ihre Menschenliebe, so etwas.
Man kann das machen, es ist ja auch ganz unterhaltsam, man sollte am Ende nur nicht allzu viel bundesrepublikanische Gegenwartspolitik hineinprojizieren. Es liest sich flott, die Sätze sind kurz. Und auch sonst wird dieses Buch Juli-Zeh-Leser nicht enttäuschen, Juli-Zeh-Verächter und Freunde der nichtschiefen Metapher aber auch diesmal nicht bekehren. Wir warten jedenfalls gespannt auf die ZDF-Verfilmung - für einen Mehrteiler wie bei "Unterleuten" ist das Material diesmal zu dünn.
ANDREA DIENER
Juli Zeh: "Über Menschen". Roman.
Luchterhand Verlag, München 2021.
416 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein Buch, das einem die Augen öffnet für unsere bundesrepublikanische Wirklichkeit.« Denis Scheck / SWR Fernsehen lesenswert