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Frankfurt

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Insgesamt 751 Bewertungen
Bewertung vom 21.05.2025
Sommer ohne Plan
Swanberg, Johanna

Sommer ohne Plan


ausgezeichnet

Sommer ohne Plan ist genau das Gegenteil von planlos – Johanna Swanberg gelingt mit ihrem Debütroman ein durchkomponierter, pointierter und zugleich tief berührender Sommerroman, der Witz und Wärme gekonnt verbindet. Ein klarer, lebendiger Stil, schräge, aber glaubwürdige Figuren und ein feines Gespür für zwischenmenschliche Zwischentöne.
Swanbergs Stil ist leicht, dialogreich und gespickt mit liebevollen Details. Sie schreibt mit Augenzwinkern, aber ohne ihre Figuren bloßzustellen. Vielmehr begegnet sie ihnen mit Wärme und Verständnis. Ihre Sprache ist alltagstauglich und direkt, aber immer wieder überraschend – sei es durch eine absurde Wendung oder eine scharf beobachtete Pointe. Dabei wirkt der Ton nie bemüht humorvoll, sondern fließt natürlich aus den Eigenheiten der Figuren.
Ich muss auch die tolle Übertragung aus dem Schwedischen loben von Nina Hoyer. Sie hat den Text toll in ein lesbares Deutsch übertragen und man könnte meinen es ist auf Deutsch erschiene!
Im Mittelpunkt steht Cassie, die sich – urplötzlich Alleinerbin eines Hauses – in einem kleinen, sehr eigenwilligen Dorf wiederfindet. Die Begegnungen mit den Dorfbewohnern sind herrlich skurril: Da ist die Nachbarin, die zu viel weiß, ein Bürgermeister mit Mission und ein charmant-schrulliger Handwerker. Aus dem Kontrast zwischen Cassies anfänglicher Überforderung und dem seltsamen Charme der Dorfgemeinschaft entsteht ein fein gezeichneter, tragikomischer Sog.

Fazit:
Sommer ohne Plan ist ein klug erzählter Wohlfühlroman mit eigenem Ton, der nicht ins Kitschige abgleitet, sondern mit einer sympathisch schrägen Erzählwelt überzeugt. Ideal für Leserinnen und Leser, die humorvolle Romane mit Herz suchen.

Bewertung vom 21.05.2025
Das Haus der Türen
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen


ausgezeichnet

Als jemand, der asiatische Literatur sehr schätzt, war Das Haus der Türen von Tan Twan Eng für mich eine rundum gelungene Lektüre. Der Roman überzeugt mit einer durchdachten Struktur, vielschichtigen Figuren und einer Sprache, die ruhig und atmosphärisch ist, ohne je ins Pathetische zu kippen. Wirklich gut!
Die Handlung spielt vor der Kulisse des kolonialen Malaysia der 1920er Jahre. In den Mittelpunkt stellt der Autor Lesley Hamlyn, eine Frau der britischen Kolonialgesellschaft, deren Leben durch den Besuch des bekannten Schriftstellers W. Somerset Maugham eine unerwartete Wendung nimmt. Zwischen ihr und Maugham entsteht ein vorsichtiges Vertrauensverhältnis, in dem sie beginnt, über persönliche Erlebnisse und ihre Vergangenheit zu sprechen – darunter eine Beziehung die etwas heikel ist sowie eine Verwicklung in einen Mordfall (der wohl auf realen historischen Ereignissen basiert).
Tan Twan Eng gelingt es, historische Fakten, politische Umbrüche und persönliche Schicksale sehr präzise miteinander zu verknüpfen. Besonders interessant fand ich, wie das koloniale Machtgefüge, gesellschaftliche Rollenbilder und die eingeschränkten Handlungsspielräume von Frauen thematisiert werden. Geschichtlich spannend für mich.
Auch stilistisch hat der Roman überzeugt: Die Sprache ist klar, stellenweise poetisch, aber nie überladen. Die Beschreibungen der tropischen Landschaft, des Lichts, der Geräusche – all das schafft eine stimmige Atmosphäre, die sich gut mit der inneren Welt der Figuren verbindet. WOW! Lesley ist keine idealisierte Figur, sondern glaubwürdig gezeichnet – mit inneren Widersprüchen, Unsicherheiten und leisen Formen von Widerstand.
Erwähnenswert ist auch der literarische Kunstgriff, Somerset Maugham als Figur einzubauen. Er bleibt distanziert, aber aufmerksam, und dient gewissermaßen als Katalysator für die Erzählung – auch das sehr gelungen umgesetzt.
Nicht alle Handlungsstränge fand ich gleich spannend, manche Themen hätten für meinen Geschmack etwas gestraffter sein können. Dennoch überwiegt am Ende ein sehr positives Gesamtbild: ein Roman mit Tiefe, guter Beobachtungsgabe und einer historischen wie emotional glaubwürdigen Erzählweise.
Fazit: Das Haus der Türen ist ein ruhiger, intelligenter Roman mit gesellschaftlichem und politischem Hintergrund, gut eingebettet in eine persönliche Geschichte. Für Leserinnen und Leser mit Interesse an südostasiatischer Geschichte, britischer Kolonialzeit und fein erzählten Figurenbeziehungen absolut empfehlenswert.

Uneingeschränkte Empfehlung.

Bewertung vom 20.05.2025
Wut und Liebe
Suter, Martin

Wut und Liebe


ausgezeichnet

Was haben ein mittelloser Künstler, eine karrierebewusste Buchhalterin und eine wohlhabende, alte Dame gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts – doch in Martin Suters neuem Roman Wut und Liebe kreuzen sich ihre Lebenswege in einer Geschichte über emotionale Abhängigkeiten, moralische Abgründe und die verzweifelte Suche nach Kontrolle über das eigene Leben.
Noah ist Anfang dreißig, ein Maler mit Talent, aber ohne wirtschaftlichen Erfolg. Seine Freundin Camilla – Buchhalterin, rational, zukunftsorientiert – trägt die finanzielle Last der Beziehung. Als sie sich trennt, wirkt es wie eine kluge Entscheidung: „Ich liebe dich, aber nicht das Leben mit dir.“ Eine nüchterne Trennung – oder doch eine Flucht vor einem Leben, das nicht den Erwartungen entspricht?
Was folgt, ist keine klassische Liebesgeschichte. Es ist vielmehr ein Roman über das, was nach dem Liebes-Aus bleibt: Wut, Leere, der Drang, sich zu beweisen – und eine fast groteske Hoffnung, durch materielle Sicherheit die Liebe zurückzugewinnen. Genau an diesem Punkt tritt Betty Hasler auf den Plan. Alt, scharfzüngig und reich, bietet sie Noah einen „Deal“ an, der auf Rache basiert – und auf ein Millionenvermögen. Moralisch fragwürdig? Absolut. Doch Suter macht deutlich: In der Grauzone zwischen verletzter Würde und menschlichem Verlangen gibt es selten eindeutige Entscheidungen.
Was Suter in diesem Roman wieder mal gelingt, ist die Balance zwischen psychologischer Tiefe und leichter, eleganter Erzählweise. Die Figuren wirken nie wie Stereotype – oft verwirrend, manchmal töricht, aber immer nachvollziehbar in ihren Widersprüchen. Besonders Noah, der zwischen Hilflosigkeit, kreativer Sehnsucht und wachsender Wut schwankt, entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einer tragischen Figur – nicht, weil er scheitert, sondern weil er glaubt, mit dem richtigen Einsatz die Liebe zurückkaufen zu können.
Auch Camilla ist mehr als nur die „kalte Berechnende“. Im zweiten Handlungsstrang gewinnt sie an Profil, versucht sich selbst zu behaupten – und verfängt sich dabei in einer eigenen Spirale aus Täuschung, Ernüchterung und Selbstinszenierung. Das Besondere: Auch sie wird von ihrer Version der Liebe angetrieben, aber in einer ganz anderen Tonlage als Noah.
Zwischen den Kapiteln entfaltet sich allmählich ein Beziehungs- und Gesellschaftsdrama, das sich gegen Ende zu einem fast thrillermäßigen Wirtschaftskrimi zuspitzt. Mit einem Gespür für Tempo und Timing lässt Suter die Handlung Fahrt aufnehmen, verwebt Kunstwelt mit Finanzskandalen, persönliche Niederlagen mit struktureller Ungerechtigkeit. Und dabei bleibt stets die titelgebende Ambivalenz: Wut und Liebe – beide Gefühle bedingen einander, nähren sich gegenseitig, fließen ineinander über.

Bewertung vom 20.05.2025
Erdbeeren und Zigarettenqualm (eBook, ePUB)
Docherty, Madeline

Erdbeeren und Zigarettenqualm (eBook, ePUB)


gut

Du bist jung, studierst in Glasgow, küsst zum ersten Mal ein Mädchen, verliebst dich in deine beste Freundin – und liegst plötzlich in der Notaufnahme. So beginnt Madeline Dochertys Debüt Erdbeeren und Zigarettenqualm – direkt, intim, verletzlich. Was wie eine Coming-of-Age-Geschichte klingt, entpuppt sich schnell als ein ebenso intensives wie schmerzhaft schönes Porträt über Freundschaft, Krankheit und das Erwachsenwerden in all seiner Widersprüchlichkeit.
Die namenlose Protagonistin erzählt ihre Geschichte in der Du-Perspektive – ein ungewöhnlicher, aber wirkungsvoller Kniff, der sofort Nähe schafft, aber auch anstrengend sein kann. Man wird nicht nur zur Leserin, sondern zur Mitfühlenden, zur Vertrauten, fast zur Beteiligten. Der Stil erinnert an Sally Rooney, auch durch das Fehlen von Anführungszeichen, doch Docherty schafft es, eine ganz eigene Sprache zu finden: roh, direkt, poetisch – mit einem untrüglichen Gespür für Zwischentöne.
Im Zentrum steht die Freundschaft zur charismatischen, lebenshungrigen Ella. Sie ist Stütze und Schwachstelle zugleich, Rettungsanker und Abgrund. Während sich die Ich-Erzählerin durch ein unstetes Leben voller Partys, Jobs, Affären und innerer Unruhe treiben lässt, bleibt Ella der Fixpunkt – bis das Ungleichgewicht ihrer Beziehung zu kippen droht.
Besonders eindringlich ist die Darstellung der chronischen Krankheit Endometriose: Schonungslos, ehrlich und ohne falsches Pathos zeigt Docherty, wie diese Diagnose das Leben der Protagonistin durchzieht – körperlich, psychisch, sozial. Wer selbst betroffen ist oder Betroffene kennt, wird sich gesehen fühlen. Wer davon noch nie gehört hat, wird es nach diesem Buch nicht mehr vergessen.
Was bleibt, ist eine Geschichte voller Widersprüche: wild und traurig, zart und laut, vertraut und fremd. Ein Roman, der nicht nur erzählt, sondern spüren lässt – den Schmerz, die Sehnsucht, die Leere, die Hoffnung. Und die Liebe, die manchmal nicht reicht.

Bewertung vom 20.05.2025
Die Garnett Girls
Moore, Georgina

Die Garnett Girls


sehr gut

Manchmal sind es die leisesten Romane, die am lautesten nachhallen. Die Garnett Girls ist genau so ein Buch: kein krachendes Drama, kein atemloser Plot – sondern ein fein gewobenes Familienporträt, das sich behutsam, aber mit Nachdruck ins Herz der Leser:innen schreibt.
Der Sommer auf der Isle of Wight scheint golden, die salzige Luft flimmert über dem alten Cottage am Meer – und doch brodelt es unter der Oberfläche. Hier lebt Margo Garnett, einst wild und glamourös, heute charismatisch und unnahbar. Sie schweigt über die Vergangenheit, über Richard, den Mann, der ging. Doch ihr Schweigen ist laut – und es hallt nach in den Leben ihrer drei Töchter.
Rachel, die Älteste, hält alles zusammen. Sie ist das Rückgrat der Familie, und gerade deshalb vergisst sie sich selbst. Imogen, die Mittlere, lebt zwischen den Zeilen ihres eigenen Theaterstücks, verlobt, aber zweifelnd, mit einem Mann, der zu gut scheint, um wahr zu sein. Und Sasha, die Jüngste, rebellisch, wild, in einer Ehe gefangen, die wie ein Käfig aus Samt ist. Jede von ihnen ringt um Freiheit – und trägt doch das Erbe ihrer Mutter wie ein unsichtbares Gewicht.
Georgina Moore gelingt mit ihrem Debüt das Kunststück, vier Frauenstimmen nicht nur hörbar, sondern fühlbar zu machen. Ihre Figuren sind keine glatten Romanheldinnen, sondern lebendige, widersprüchliche Charaktere – mutig, verletzlich, wütend, liebevoll. Sie lieben sich, sie streiten, sie reden (viel) – und trotzdem bleibt so vieles ungesagt. Diese Dichte an inneren Konflikten, an generationsübergreifenden Prägungen und unausgesprochenen Wahrheiten macht das Buch so tiefgründig – ohne je schwer zu wirken.
Besonders stark ist die Atmosphäre: Die Isle of Wight ist nicht nur Kulisse, sie ist ein eigener Charakter – mit ihren Kreideklippen, verwitterten Dielen, zerfallenden Cottages. Hier wird geschwiegen, gestritten, geliebt, getrunken – und sich langsam versöhnt mit dem, was war.
Moores Sprache ist ruhig, sensibel, voller Beobachtungskraft – und in der Übersetzung von Christiane Burkhardt wunderbar nuanciert ins Deutsche übertragen. Kein Satz ist zu viel, kein Bild zu kitschig. Statt lauter Dramatik gibt es hier Tiefe – und das ganz ohne Pathos.
💬 Fazit: Die Garnett Girls ist ein mitreißender, kluger Roman über das, was Familie mit uns macht – und wie schwer es ist, sich davon zu lösen. Ein Buch für alle, die in den kleinen Momenten das Große suchen. Für Sommertage – und lange Nachmittage am Fenster, mit Blick auf die eigene Vergangenheit.

Bewertung vom 20.05.2025
Die Summe unserer Teile
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


ausgezeichnet

Paola Lopez’ Debütroman Die Summe unserer Teile ist mehr als ein feinfühliges Familiendrama – er ist ein vielschichtiger, feministisch geprägter Roman über drei Generationen von Frauen, deren Leben durch familiäre Bande, kulturelle Brüche und eine gemeinsame Leidenschaft für Wissenschaft miteinander verknüpft sind. Die Geschichte spannt sich über acht Jahrzehnte und drei Kontinente – von Polen über den Libanon bis nach Deutschland – und behandelt zentrale Themen wie Selbstbestimmung, Rollenerwartungen, intergenerationale Traumata und das Ringen um Versöhnung.

Drei Frauen, drei Wissenschaften – ein Kampf um Selbstbestimmung
Im Mittelpunkt stehen die Chemikerin Lyudmila, ihre Tochter Daria – eine Medizinerin – und ihre Enkelin Lucy, die Informatik studiert. Alle drei sind in männerdominierten Wissenschaftsfeldern tätig, alle drei müssen sich dort behaupten. Lopez zeigt, wie diese Frauen über Jahrzehnte hinweg mit den Zwängen ihrer Zeit, tradierten Rollenbildern und familiären Altlasten kämpfen.

Lyudmila flieht im Zweiten Weltkrieg aus Polen in den Libanon und widmet sich dort kompromisslos ihrer Karriere als eine der ersten Chemikerinnen des Landes. Daria wächst in Beirut auf, verlässt den Libanon während des Bürgerkriegs, wird Ärztin in Deutschland – und erzieht ihre Tochter Lucy mit strenger Fürsorge und hohen Erwartungen. Lucy wiederum lebt 2014 in Berlin, hat den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen – und wird durch die Lieferung eines alten Klaviers, Symbol ihrer Kindheit, mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

Diese Generationenlinie verknüpft Lopez klug mit einer feministischen Perspektive: Die Wahl der Naturwissenschaften als verbindendes Element ist ein Statement. Die Frauen sind nicht Opfer, sondern Handelnde – wenn auch oft in stummen Kämpfen. Lopez zeigt, wie weibliche Selbstverwirklichung in männlich geprägten Kontexten oft nur unter hohen persönlichen Opfern möglich ist.

Mutterschaft als ambivalente Erfahrung
Ein zentrales Thema des Romans ist Mutterschaft – fern von Idealisierung. Lyudmila erscheint kühl und unnahbar; Daria als überfürsorglich und fordernd. Lucy fühlt sich eingeengt, nicht gesehen, überfordert von den Ansprüchen ihrer Mutter.

Lopez dekonstruiert gängige Mutterbilder und macht die Spannung sichtbar, die zwischen Fürsorge, Kontrolle und Selbstverwirklichung liegt. Keine der drei Frauen ist nur Täterin oder nur Opfer – sie sind geprägt von den Verletzungen ihrer Mütter, geben diese ungewollt weiter und versuchen gleichzeitig, ihren eigenen Weg zu gehen.

Besonders Lucy gelingt eine vorsichtige Annäherung an das, was vorher verdrängt und verschwiegen wurde. Ihre Reise nach Sopot wird zur symbolischen wie tatsächlichen Bewegung auf die eigene Familiengeschichte zu – ein tastender Versuch, den Zyklus der Sprachlosigkeit zu durchbrechen.

Das Schweigen zwischen den Generationen
Ein weiteres starkes Motiv ist das Schweigen – das Unausgesprochene, das zwischen den Generationen steht. Konflikte werden nicht benannt, sondern ausgesessen oder verdrängt. Die Figuren leiden nicht nur unter äußeren Umständen, sondern auch unter emotionaler Distanz, unausgesprochenen Erwartungen und familiären Missverständnissen.

Lopez zeigt eindrucksvoll, wie sich dieses Schweigen vererbt – und wie schwer es ist, es zu brechen. Dabei gelingt ihr eine feinfühlige Figurenzeichnung: Keine der drei Frauen wird idealisiert, doch jede erhält ihre eigene Stimme, ihre eigene Perspektive, ihre eigene innere Wahrheit. Die Wechsel der Zeitebenen sind fließend, die Übergänge zwischen den Lebensgeschichten der Frauen subtil und stimmig gestaltet.

Stil und Erzählweise
Lopez’ Sprache ist klar und atmosphärisch, mit einem Gespür für emotionale Zwischentöne. Besonders gelungen ist der Aufbau des Romans, der zwischen Zeitebenen und Perspektiven wechselt, dabei aber stets die emotionale Linie beibehält. Die narrative Struktur spiegelt das Fragmentarische der Familiengeschichte – manche Leerstellen bleiben bewusst offen und fordern die Leser*innen zur eigenen Reflexion auf.

Die wissenschaftliche Ebene – Chemie, Medizin, Informatik – dient nicht nur als Hintergrund, sondern als Ausdruck weiblicher Autonomie. Gleichzeitig thematisiert der Roman die strukturellen und persönlichen Hürden, denen Frauen in diesen Bereichen begegnen. Die Wissenschaft wird so zum Ort weiblicher Emanzipation, aber auch zur Projektionsfläche für familiäre Entfremdung.

Fazit
Die Summe unserer Teile ist ein bemerkenswerter Debütroman, der mit erzählerischer Kraft und psychologischer Tiefe drei Frauenschicksale über mehrere Generationen hinweg verknüpft. Paola Lopez erzählt von Selbstbehauptung, familiären Verletzungen und dem Versuch, eigene Wege zu gehen, ohne die Verbindung zu den Wurzeln zu verlieren.

Ein bewegender, feministisch fundierter Roman über Mütter, Töchter, Wissenschaft – und über die Frage, wie viel Vergangenheit in uns steckt. Für alle, die Familienromane mit Tiefgang, starken Frauenfiguren und gesellschaftlicher Relevanz schätzen.

Bewertung vom 13.05.2025
Die Inselschwimmerin
Kelly, Lorraine

Die Inselschwimmerin


ausgezeichnet

Mit Die Inselschwimmerin legt Lorraine Kelly – bislang vor allem als britische Fernsehjournalistin bekannt – ihr Romandebüt vor. Entstanden ist ein gefühlvoller, zeitweise sehr bewegender Roman über Familie, Schuld, Vergebung und das Finden von innerem Frieden – angesiedelt vor der rauen, atmosphärisch dichten Kulisse der schottischen Orkneyinseln.

Inhalt & Handlung
Im Mittelpunkt steht die 38-jährige Evie, die nach zwanzig Jahren in London auf die Orkneys zurückkehrt, um sich von ihrem sterbenden Vater zu verabschieden. Sie kommt zu spät – doch sie beschließt zu bleiben und sich ihrer belasteten Vergangenheit zu stellen. Das Verhältnis zu ihrer jüngeren Schwester Liv ist zerrüttet, ein traumatisches Ereignis liegt wie ein Schatten über der Familie. Während Evie das Elternhaus auflöst, findet sie Anschluss an eine Gruppe von Kaltwasserschwimmerinnen – starke Frauen, die ihr helfen, wieder Boden unter den Füßen zu gewinnen.

Die Handlung wird auf drei Zeitebenen erzählt:
– Evies Kindheit ab den 1960er-Jahren
– Die dramatischen Geschehnisse im Jahr 2004
– Ihre Rückkehr im Jahr 2024

Dieser Aufbau schafft Spannung, lässt Raum für emotionale Tiefe und verleiht der Geschichte Struktur. Die zentrale Frage – welches Geheimnis Evie in die Flucht trieb – wirkt als verbindendes Element zwischen den Zeitebenen und hält die Leserschaft über weite Strecken in Atem.

Sprache & Stil
Angela Koonens Übersetzung ist einfühlsam und klar. Lorraine Kelly schreibt in einem angenehm flüssigen, bildhaften Stil, der manchmal etwas altmodisch wirkt, aber gut zur Atmosphäre der Inselwelt passt. Die wechselnden Perspektiven und Zeitsprünge ermöglichen einen tiefen Einblick in die Seelen der Figuren – vor allem Evies innerer Konflikt, ihre Schuldgefühle und ihr Weg zur Selbstvergebung sind überzeugend und nahbar dargestellt.

Charaktere
Die Figurenzeichnung ist vielschichtig, wenn auch nicht durchweg subtil. Evie wirkt authentisch, ihre Entwicklung glaubwürdig. Besonders gelungen ist auch die Figur von Freya – eine warmherzige Freundin ihres Vaters und eine Art moralischer Kompass im Roman. Liv hingegen bleibt in ihrer Rolle als destruktive Schwester etwas überzeichnet. Auch die Eltern – besonders die Mutter Cara – bedienen eher stereotype Rollenmuster.
Trotzdem gelingt es der Autorin, das Spannungsverhältnis innerhalb dieser zerrütteten Familie nachvollziehbar zu machen – und letztlich eine Geschichte zu erzählen, in der es um das Ringen um Anerkennung, Liebe und Wahrheit geht.

Stärken & Schwächen
Besonders positiv hervorzuheben ist der emotionale Tiefgang des Romans sowie das feine Gespür für zwischenmenschliche Spannungen. Auch die landschaftliche Kulisse der Orkneys bietet ein reizvolles Setting – obwohl hier atmosphärisch noch mehr möglich gewesen wäre.
Weniger überzeugend ist die Vielzahl an gesellschaftlichen Themen (Trauer, psychische Erkrankungen, LGBTQ, Krebs, Gewalt, Alzheimer u.a.), die zum Teil recht konstruiert wirken und nicht immer ausreichend auserzählt werden. Gegen Ende verliert der Roman etwas an Tempo und Stringenz – einige Handlungsstränge werden rasch aufgelöst, manches wirkt überhastet oder zu plakativ. Auch der Titel und die Bewerbung als „Schwimmroman“ sind leicht irreführend – das Schwimmen spielt nur eine symbolische, eher randständige Rolle.

Fazit
Die Inselschwimmerin ist ein gefühlvoller Roman über den Mut zur Versöhnung, die Kraft weiblicher Solidarität und die Suche nach Zugehörigkeit. Lorraine Kelly gelingt ein stimmiges Debüt, das trotz kleiner Schwächen überzeugt. Wer Familiengeschichten mit Tiefe, emotionaler Entwicklung und einer Prise Inselatmosphäre mag, wird hier fündig.

Bewertung vom 08.05.2025
Die Kunst des klugen Streitgesprächs
Schneider, Reto U.

Die Kunst des klugen Streitgesprächs


sehr gut

In einer Welt, in der Diskussionen oft in hitzige Debatten ausarten, bietet Reto U. Schneider mit seinem Buch "Die Kunst des klugen Streitgesprächs" einen erfrischend humorvollen und zugleich tiefgründigen Leitfaden für konstruktive Gespräche. Der Autor, bekannt für seine präzisen Analysen und unterhaltsamen Schreibstil, beleuchtet, warum wir so selten unsere Meinung ändern und wie wir dennoch zu produktiven Dialogen gelangen können.
Schneider erklärt, dass viele Diskussionen scheitern, weil wir uns nicht bewusst sind, ob wir gerade eine Meinung, einen Glauben oder Wissen vertreten. Er führt den Leser durch verschiedene Denkfehler und zeigt auf, wie diese unser Gesprächsverhalten beeinflussen. Mit Beispielen aus der Wissenschaft, Geschichte und Popkultur macht er komplexe Themen zugänglich und regt zum Nachdenken an.
Besonders hervorzuheben ist Schneiders Fähigkeit, trockene Theorie mit lebendigen Beispielen zu verbinden. Er nutzt Anekdoten aus der Bibel, Facebook und der TV-Serie "Big Bang Theory", um seine Argumente zu untermauern und die Leser zu fesseln. Diese Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit macht das Buch sowohl lehrreich als auch unterhaltsam.
Abschließend lässt sich sagen, dass "Die Kunst des klugen Streitgesprächs" nicht nur ein Ratgeber für bessere Diskussionen ist, sondern auch ein Spiegel unserer eigenen Denkmuster. Schneider fordert uns heraus, unsere Überzeugungen zu hinterfragen und offen für andere Perspektiven zu sein. Ein Muss für alle, die in einer pluralistischen Gesellschaft respektvoll und effektiv kommunizieren möchten.

Bewertung vom 08.05.2025
Die Kraft der Wechseljahre
Kirschner-Brouns, Suzann

Die Kraft der Wechseljahre


sehr gut

Neustart statt Krise: Wie die Wechseljahre zur Superkraft werden
Suzann Kirschner-Brouns' Buch Die Kraft der Wechseljahre ist ein erfrischender und ermutigender Leitfaden für Frauen ab 40, die diese Lebensphase nicht als Ende, sondern als kraftvollen Neubeginn sehen möchten. Die Autorin, selbst Ärztin und erfahrene Begleiterin vieler Patientinnen durch die Wechseljahre, beleuchtet nicht nur die körperlichen Veränderungen, sondern legt einen besonderen Fokus auf die oft vernachlässigten psychischen und emotionalen Aspekte dieser Zeit.
Das Buch ist in zehn thematische Abschnitte gegliedert, die von den Chancen der Wechseljahre über Schönheit, Sexualität und Partnerschaft bis hin zu seelischer Gesundheit und Vorsorge reichen. Kirschner-Brouns verfolgt dabei einen ganzheitlichen Ansatz, der weit über medizinische Fakten hinausgeht. Sie ermutigt Frauen, sich selbst neu zu entdecken, alte Rollenbilder zu hinterfragen und die Wechseljahre als Gelegenheit für persönliches Wachstum und Selbstermächtigung zu nutzen.
Besonders hervorzuheben ist der positive Grundton des Buches. Statt die Menopause als Verlust zu betrachten, präsentiert die Autorin sie als Chance für mehr Klarheit, Selbstbewusstsein und Lebensfreude. Mit praktischen Tipps, persönlichen Geschichten und einem einfühlsamen Schreibstil bietet sie Leserinnen Werkzeuge an, um diese Lebensphase
Es gibt auch sehr spezifische Kapitel, wie etwa jene über langjährige Partnerschaften oder "graue Scheidungen", nicht direkt auf ihre Lebenssituation zutreffen. Dennoch bieten diese Abschnitte wertvolle Einblicke und können helfen, das Verständnis für unterschiedliche Lebensrealitäten zu vertiefen oder können überblättert werden.
Fazit: Die Kraft der Wechseljahre ist ein inspirierendes und informatives Buch, das Frauen ermutigt, die Wechseljahre als kraftvolle und transformative Lebensphase zu begreifen. Es ist eine wertvolle Lektüre für alle, die sich mit den Veränderungen dieser Zeit auseinandersetzen und sie als Chance für persönliches Wachstum nutzen möchten.

Bewertung vom 07.05.2025
Zocken, aber gesund!
Kanojia, Alok

Zocken, aber gesund!


sehr gut

In Zocken, aber gesund! liefert Dr. Alok Kanojia – besser bekannt als „Dr. K“ – einen praxisnahen Leitfaden für Eltern, die sich mit dem Thema Gaming bei ihren Kindern auseinandersetzen. Als Psychiater und ehemaliger Videospielsüchtiger bringt er eine einzigartige Perspektive mit, die sowohl wissenschaftlich fundiert als auch persönlich nachvollziehbar ist.
Das Buch beleuchtet, warum Computerspiele für Kinder und Jugendliche so faszinierend sind, und bietet gleichzeitig Strategien, um gesunde Spielgewohnheiten zu fördern. Dr. K geht dabei auf häufige Fragen ein, wie:
• Wie lange sollten Kinder spielen dürfen?
• Wie kann man sie für andere Aktivitäten begeistern?
• Wie erkennt man problematisches Spielverhalten?
Ein besonderer Mehrwert für Eltern liegt in den konkreten Ratschlägen und dem klaren Fahrplan, den Dr. K anbietet. Er ermutigt zu offenen Gesprächen, Verständnis und dem Aufbau einer starken Eltern-Kind-Beziehung, ohne dabei in Alarmismus zu verfallen.
Zocken, aber gesund! ist ein wertvolles Werkzeug für alle, die einen ausgewogenen Umgang mit digitalen Spielen in der Familie suchen. Es bietet nicht nur Einblicke in die Welt der Gamer, sondern auch praktische Lösungen für den Alltag.