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Der dritte Roman von Bestsellerautorin Dörte Hansen.Woher kommt unsere Liebe zum Meer und die ewige Sehnsucht nach einer Insel?Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Wit...
Der dritte Roman von Bestsellerautorin Dörte Hansen.
Woher kommt unsere Liebe zum Meer und die ewige Sehnsucht nach einer Insel?
Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.
Klug und mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Wandel einer Inselwelt, von alten Gesetzen, die ihre Gültigkeit verlieren, und von Aufbruch und Befreiung.
Woher kommt unsere Liebe zum Meer und die ewige Sehnsucht nach einer Insel?
Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.
Klug und mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Wandel einer Inselwelt, von alten Gesetzen, die ihre Gültigkeit verlieren, und von Aufbruch und Befreiung.
Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik als NDR-Redakteurin und Autorin für Hörfunk und Print. Ihr Debüt 'Altes Land' wurde 2015 zum 'Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels'. Ihr zweiter Roman 'Mittagsstunde' (2018) wurde mit dem Rheingau Literatur Preis sowie dem Grimmelshausen Literaturpreis ausgezeichnet. 2022 erschien ihr hochgelobter Roman 'Zur See'. Von Publikum und Kritik gleichermaßen gefeiert, wurden alle ihre Bücher zur SPIEGEL-Jahresbestsellern. Dörte Hansen lebt mit ihrer Familie in Nordfriesland.
© Sven Jaax
Produktdetails
- Verlag: Penguin Verlag München
- Originalausgabe
- Seitenzahl: 256
- Erscheinungstermin: 28. September 2022
- Deutsch
- Abmessung: 143mm x 216mm x 29mm
- Gewicht: 415g
- ISBN-13: 9783328602224
- ISBN-10: 3328602224
- Artikelnr.: 63702198
Herstellerkennzeichnung
Penguin Verlag
Neumarkter Straße 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
Möglichkeiten einer Insel
Kann Dörte Hansen das Niveau ihres überragenden nordfriesischen Bestsellers "Mittagsstunde" halten? Diesmal geht es richtig zur See. Ein stürmisches Buch.
Beim ersten Durchgang ist man verwundert, vielleicht auch ein wenig enttäuscht: Was? Das soll jetzt der Nachfolger von "Mittagsstunde" sein, einem der besten, kürzlich auch noch verfilmten Romane der vergangenen zwanzig Jahre? Die Geschichte und der Ton, in dem sie vorgetragen wird, stammen eindeutig wieder von Dörte Hansen: das karge, insbesondere den Fährnissen des Trinkens, des Ertrinkens und des Frierens ausgesetzte Leben einer auf einer Nordseeinsel sesshaften Familie, in der Geschwätzigkeit nicht gerade Trumpf ist. Aber sonst? Etwas
Kann Dörte Hansen das Niveau ihres überragenden nordfriesischen Bestsellers "Mittagsstunde" halten? Diesmal geht es richtig zur See. Ein stürmisches Buch.
Beim ersten Durchgang ist man verwundert, vielleicht auch ein wenig enttäuscht: Was? Das soll jetzt der Nachfolger von "Mittagsstunde" sein, einem der besten, kürzlich auch noch verfilmten Romane der vergangenen zwanzig Jahre? Die Geschichte und der Ton, in dem sie vorgetragen wird, stammen eindeutig wieder von Dörte Hansen: das karge, insbesondere den Fährnissen des Trinkens, des Ertrinkens und des Frierens ausgesetzte Leben einer auf einer Nordseeinsel sesshaften Familie, in der Geschwätzigkeit nicht gerade Trumpf ist. Aber sonst? Etwas
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merkwürdig Rhapsodisches eignet "Zur See", zweifellos auch wieder ein Roman, dem aber die düster lastende Konzentration auf das Seelenleben der Protagonisten fehlt und an dessen Sprunghaftigkeit man sich erst gewöhnen muss.
Beim zweiten Durchgang merkt und bewundert man dann aber, wie genau auch dieses Buch gearbeitet ist, vom schlackenlos-knappen Stil über die subtilen, erst im Nachhinein in ihrer Bedrohlichkeit erkennbaren Vorausdeutungen auf kommendes Unglück bis hin zu den leitmotivisch wiederholten Alltagsbeschreibungen, wie sie eine maritime Existenz nahelegt. Mehrmals hebt die Erzählerin an und belässt das Geschehen doch im örtlich Ungefähren: "Auf einer Nordseeinsel irgendwo in Jütland, Friesland oder Zeeland." Es ist müßig, hier lange zu rätseln. Zwischen Holland und Dänemark ist viel Wasser, aber die Nordseeinseln sind ja nicht die Philippinen. Die Intensität der Stürme lässt eher an die Hochsee denken und nicht an Norderney, wobei andererseits von einer kleinen Stadt auf der Insel die Rede ist. So verleiht die relative Unbestimmtheit dem Geschehen etwas Gleichnishaftes.
Die Sanders - Mutter Hanne, Vater Jens und die Kinder Ryckmer, Eske und Henrik - bewohnen dort das schönste Haus, niedrige Decken unterm Reetdach, "malerisch" ist gar kein Ausdruck; die, wie man damals sagte, "Badegäste", die seit den Siebzigerjahren den Lebensunterhalt sichern, kommen jedes Jahr wieder. Dörte Hansen hat ein scharfes Auge für Vorgänge, die man landläufig unter "Strukturwandel" verbucht. In "Mittagsstunde" war es die Flurbereinigung, hier ist es der Fremdenverkehr, der dem auch diesmal wieder zur Statik neigenden Geschehen Dynamik verleiht.
Dass Hanne Sander sich mit ihren Feriengästen, die sie zwischen Ostern und Sommerende bei sich einquartiert, mehr Mühe gibt als mit ihrer eigenen Familie, wird seine Gründe haben; dass die Familie ihrerseits Anstoß an dieser Katzenfreundlichkeit nimmt, ist genauso begreiflich. Die Matriarchin scheint moralisch Oberwasser zu haben - über ihren Mann Jens sowieso, der einst Knall auf Fall ausgezogen ist und sich als Eremit dem Vogelschutz widmet; aber auch über die Kinder. Ryckmer, der Älteste, bekommt als abgetakelter Kapitän auf einem Fährschiff sein Gnadenbrot, wohnt wieder zu Hause, die Mutter holt ihn jeden Abend wortlos vom Hafen ab und teilt ihm seine tägliche Ration zu: "Sechs Flaschen Bier sind ein Witz für einen Mann, der sich betrinken will. Sie reichen allenfalls für eine Halbbetäubung zwischen Feierabend und dem frühen Morgen." Das stimmt natürlich, aber mehr gibt es nun mal nicht, es reicht, wenn der Kapitän a. D. an den Wochenenden im Delirium vor dem Elternhaus liegt. Eske, die Zweite, ist als Altenpflegerin mit ganzem Herzen dabei, bei ihrer blauhaarigen Festlandsfreundin Freya, von der sie sich Tattoos stechen lässt, aber nur mit halbem. An ihr wird die Steigerung des erzählerischen Härtegrades im Vergleich zur "Mittagsstunde", die auch nicht gerade verzärtelt war, sinnfällig: Sie drängt Touristen von der Straße und gibt sich nicht mit Neil-Young-Folkrock zufrieden, sondern lässt den Kopf zu knüppelharter Musik kreisen. Henrik schließlich, der Jüngste, hat das Sammeln von Strandgut zum Beruf gemacht und genießt als Produzent einer "Arte povera der Nordsee" achselzuckend die Wertschätzung kunstsinniger Insel-Gäste, eine vergleichsweise unbeschwerte Existenz unter lauter von Wind und Wetter gegerbten - "Liebling der See".
Dörte Hansen ist auch deshalb ein erzählerisches Schwergewicht, weil ihr Blick grundsätzlich auf Desillusion aus ist. Unerbittlich, zuweilen nur stichwortartig protokolliert sie Lebensenttäuschungen und sieht hinter alle Fassaden. Es ist ein nicht nur von Wortkargheit geprägtes Dasein, in dem es wenig zu lachen gibt und dessen Vorstellungen und Gewohnheiten tief in die Grönlandfahrer- und Walfängervergangenheit der Vorfahren zurückreichen. Dass das Leben nicht immer so verläuft, wie man sich das vorstellt, ist freilich keine insulare Spezialität. Aber hier, in unaufhebbarer Einsamkeit, herrschen noch andere Fatalitäten. Der Schutz vor den Elementen kann genauso überlebenswichtig sein wie die Frage, ob man dableibt oder wegzieht und, wenn man dableibt, ob man auch zur See fährt. Letzteres war einstmals fast so riskant, wie wenn man in den Krieg zog, und das Bewusstsein davon steckt den Menschen immer noch in den Knochen.
"Moby-Dick"- und Storm-Anspielungen verdichten sich zu einem See- und Seelendrama, in dem die Inselbewohner gleichsam von langer Hand mit einer eigentümlichen Naturfrömmigkeit imprägniert wurden, die sich aus Sehnsucht und Angst speist und in der die Grenze zwischen dem Belebten und dem Unbelebten durchlässig wird. Die Nordsee türmt sich in immer neuen Anläufen auf zur Metapher des Lebens an sich und bleibt ungerührt und mitleidlos. Einmal zu weit rausgeschwommen, es ist nicht wieder gutzumachen. Man könnte fast an den Beach Boy Dennis Wilson denken, wenn ausgerechnet der beste Schwimmer unter den Sanders am Ende ertrinkt.
Vor diesem Hintergrund entfaltet die schon die "Mittagsstunde" prägende Zivilisationskritik oder wenigstens -skepsis ihre Wucht. Wenn Festlandsbewohner, die hier generell unter latentem Feigheitsverdacht stehen, auf die Idee kommen, auf der Insel könnte man während einer Stippvisite irgendwie zur Ruhe kommen, wird selbst Dörte Hansen spöttisch, die Einfühlung ins Allgemeinmenschliche bekommt einen Stich ins Sarkastische: "Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut." Pustekuchen, kann man da nur sagen, die See richtet vielmehr über die Lebendigen und die Toten. Einer aus der seltsamen Sander-Familie opfert sich und vollendet ein "Schimmelreiter"-Schicksal: "Herr Gott, nimm mich; verschon' die Andern!"
Thomas Mann hat einst zu bedenken gegeben, dass die Theodor-Storm-Gegend nur oberflächlich christianisiert wurde; das merkt man hier. Anhand der wichtigen Nebenfigur des heuchlerisch-haltlosen Pastors Lehmann tritt das Brüchige der Glaubenswelt zutage, wobei der sonst so sicheren Erzählerin offenbar ein logischer Fehler unterlaufen ist: Lehmann macht sich Vorwürfe, das Winken eines Ertrinkenden aus großer Entfernung nicht richtig gedeutet zu haben. Viel näher dran war aber eine Gruppe Weißgekleideter, die bemerkt haben müssten, wenn jemand in Not ist. Das Unglück muss sich also anders zugetragen haben.
Abermals ist das Geschehen vor der Folie eines echten, unverfälschten, "authentischen" Lebens angesiedelt, in dem Sprache und Gebräuche aufbewahrt sind. Man kann das "Heimatliteratur" nennen, aber das heißt nicht viel. Jede gelungene Literatur ist Heimatliteratur, indem sie von dem handelt, wo der Erzähler sich am besten auskennt. Ein ganz so großer Wurf wie "Mittagsstunde" ist "Zur See" nicht geworden; aber ein Wurf allemal. EDO REENTS
Dörte Hansen: "Zur See". Roman.
Penguin Verlag, München 2022. 255 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beim zweiten Durchgang merkt und bewundert man dann aber, wie genau auch dieses Buch gearbeitet ist, vom schlackenlos-knappen Stil über die subtilen, erst im Nachhinein in ihrer Bedrohlichkeit erkennbaren Vorausdeutungen auf kommendes Unglück bis hin zu den leitmotivisch wiederholten Alltagsbeschreibungen, wie sie eine maritime Existenz nahelegt. Mehrmals hebt die Erzählerin an und belässt das Geschehen doch im örtlich Ungefähren: "Auf einer Nordseeinsel irgendwo in Jütland, Friesland oder Zeeland." Es ist müßig, hier lange zu rätseln. Zwischen Holland und Dänemark ist viel Wasser, aber die Nordseeinseln sind ja nicht die Philippinen. Die Intensität der Stürme lässt eher an die Hochsee denken und nicht an Norderney, wobei andererseits von einer kleinen Stadt auf der Insel die Rede ist. So verleiht die relative Unbestimmtheit dem Geschehen etwas Gleichnishaftes.
Die Sanders - Mutter Hanne, Vater Jens und die Kinder Ryckmer, Eske und Henrik - bewohnen dort das schönste Haus, niedrige Decken unterm Reetdach, "malerisch" ist gar kein Ausdruck; die, wie man damals sagte, "Badegäste", die seit den Siebzigerjahren den Lebensunterhalt sichern, kommen jedes Jahr wieder. Dörte Hansen hat ein scharfes Auge für Vorgänge, die man landläufig unter "Strukturwandel" verbucht. In "Mittagsstunde" war es die Flurbereinigung, hier ist es der Fremdenverkehr, der dem auch diesmal wieder zur Statik neigenden Geschehen Dynamik verleiht.
Dass Hanne Sander sich mit ihren Feriengästen, die sie zwischen Ostern und Sommerende bei sich einquartiert, mehr Mühe gibt als mit ihrer eigenen Familie, wird seine Gründe haben; dass die Familie ihrerseits Anstoß an dieser Katzenfreundlichkeit nimmt, ist genauso begreiflich. Die Matriarchin scheint moralisch Oberwasser zu haben - über ihren Mann Jens sowieso, der einst Knall auf Fall ausgezogen ist und sich als Eremit dem Vogelschutz widmet; aber auch über die Kinder. Ryckmer, der Älteste, bekommt als abgetakelter Kapitän auf einem Fährschiff sein Gnadenbrot, wohnt wieder zu Hause, die Mutter holt ihn jeden Abend wortlos vom Hafen ab und teilt ihm seine tägliche Ration zu: "Sechs Flaschen Bier sind ein Witz für einen Mann, der sich betrinken will. Sie reichen allenfalls für eine Halbbetäubung zwischen Feierabend und dem frühen Morgen." Das stimmt natürlich, aber mehr gibt es nun mal nicht, es reicht, wenn der Kapitän a. D. an den Wochenenden im Delirium vor dem Elternhaus liegt. Eske, die Zweite, ist als Altenpflegerin mit ganzem Herzen dabei, bei ihrer blauhaarigen Festlandsfreundin Freya, von der sie sich Tattoos stechen lässt, aber nur mit halbem. An ihr wird die Steigerung des erzählerischen Härtegrades im Vergleich zur "Mittagsstunde", die auch nicht gerade verzärtelt war, sinnfällig: Sie drängt Touristen von der Straße und gibt sich nicht mit Neil-Young-Folkrock zufrieden, sondern lässt den Kopf zu knüppelharter Musik kreisen. Henrik schließlich, der Jüngste, hat das Sammeln von Strandgut zum Beruf gemacht und genießt als Produzent einer "Arte povera der Nordsee" achselzuckend die Wertschätzung kunstsinniger Insel-Gäste, eine vergleichsweise unbeschwerte Existenz unter lauter von Wind und Wetter gegerbten - "Liebling der See".
Dörte Hansen ist auch deshalb ein erzählerisches Schwergewicht, weil ihr Blick grundsätzlich auf Desillusion aus ist. Unerbittlich, zuweilen nur stichwortartig protokolliert sie Lebensenttäuschungen und sieht hinter alle Fassaden. Es ist ein nicht nur von Wortkargheit geprägtes Dasein, in dem es wenig zu lachen gibt und dessen Vorstellungen und Gewohnheiten tief in die Grönlandfahrer- und Walfängervergangenheit der Vorfahren zurückreichen. Dass das Leben nicht immer so verläuft, wie man sich das vorstellt, ist freilich keine insulare Spezialität. Aber hier, in unaufhebbarer Einsamkeit, herrschen noch andere Fatalitäten. Der Schutz vor den Elementen kann genauso überlebenswichtig sein wie die Frage, ob man dableibt oder wegzieht und, wenn man dableibt, ob man auch zur See fährt. Letzteres war einstmals fast so riskant, wie wenn man in den Krieg zog, und das Bewusstsein davon steckt den Menschen immer noch in den Knochen.
"Moby-Dick"- und Storm-Anspielungen verdichten sich zu einem See- und Seelendrama, in dem die Inselbewohner gleichsam von langer Hand mit einer eigentümlichen Naturfrömmigkeit imprägniert wurden, die sich aus Sehnsucht und Angst speist und in der die Grenze zwischen dem Belebten und dem Unbelebten durchlässig wird. Die Nordsee türmt sich in immer neuen Anläufen auf zur Metapher des Lebens an sich und bleibt ungerührt und mitleidlos. Einmal zu weit rausgeschwommen, es ist nicht wieder gutzumachen. Man könnte fast an den Beach Boy Dennis Wilson denken, wenn ausgerechnet der beste Schwimmer unter den Sanders am Ende ertrinkt.
Vor diesem Hintergrund entfaltet die schon die "Mittagsstunde" prägende Zivilisationskritik oder wenigstens -skepsis ihre Wucht. Wenn Festlandsbewohner, die hier generell unter latentem Feigheitsverdacht stehen, auf die Idee kommen, auf der Insel könnte man während einer Stippvisite irgendwie zur Ruhe kommen, wird selbst Dörte Hansen spöttisch, die Einfühlung ins Allgemeinmenschliche bekommt einen Stich ins Sarkastische: "Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut." Pustekuchen, kann man da nur sagen, die See richtet vielmehr über die Lebendigen und die Toten. Einer aus der seltsamen Sander-Familie opfert sich und vollendet ein "Schimmelreiter"-Schicksal: "Herr Gott, nimm mich; verschon' die Andern!"
Thomas Mann hat einst zu bedenken gegeben, dass die Theodor-Storm-Gegend nur oberflächlich christianisiert wurde; das merkt man hier. Anhand der wichtigen Nebenfigur des heuchlerisch-haltlosen Pastors Lehmann tritt das Brüchige der Glaubenswelt zutage, wobei der sonst so sicheren Erzählerin offenbar ein logischer Fehler unterlaufen ist: Lehmann macht sich Vorwürfe, das Winken eines Ertrinkenden aus großer Entfernung nicht richtig gedeutet zu haben. Viel näher dran war aber eine Gruppe Weißgekleideter, die bemerkt haben müssten, wenn jemand in Not ist. Das Unglück muss sich also anders zugetragen haben.
Abermals ist das Geschehen vor der Folie eines echten, unverfälschten, "authentischen" Lebens angesiedelt, in dem Sprache und Gebräuche aufbewahrt sind. Man kann das "Heimatliteratur" nennen, aber das heißt nicht viel. Jede gelungene Literatur ist Heimatliteratur, indem sie von dem handelt, wo der Erzähler sich am besten auskennt. Ein ganz so großer Wurf wie "Mittagsstunde" ist "Zur See" nicht geworden; aber ein Wurf allemal. EDO REENTS
Dörte Hansen: "Zur See". Roman.
Penguin Verlag, München 2022. 255 S., geb., 24,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Praktisch seit Anbeginn lebt Familie Sander auf einer kleinen Nordseeinsel, verrät Katharina Granzin. Was auf den ersten Blick nach Ferien-Idyll aussieht, werde für die fünf Sanders aber zunehmend zur Belastung. Alle Charaktere tragen ihre individuellen Sorgen und Nöte mit sich, von Alkoholismus über ausbleibende Touristen bis hin zur Perspektivlosigkeit des Insellebens sei alles dabei, erklärt die Rezensentin, (fast) alle Perspektiven dürften von den Leser*innen im Laufe des Romans nachvollzogen werden. Manchmal ist das für Granzin etwas zu holzschnittartig, die Charaktere zu typenhaft. Doch das kann sie verschmerzen, geht es doch eigentlich um das sich verändernde Leben auf der Insel. Trotz der atmosphärischen Dichte, die dabei geschaffen werde, ist der Roman der Rezensentin manchmal zu klischeehaft pessimistisch. Die Insel sei schließlich nicht der einzige Ort, an dem die Probleme des modernen Zeitalters auftauchten.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Dörte Hansen versteht es, so zu schreiben, dass thematischer Anspruch und literarische Zugänglichkeit Hand in Hand gehen. Das ist ein Glücksfall für die deutsche Literatur.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Platthaus
»Gedruckt genauso wie von Nina Hoss gesprochen ist ›Zur See‹ von Dörte Hansen ein absolutes Wunderwerk«
Die Familie Sander lebt seit fast 300 Jahren von der Seefahrt, weit in die Vergangenheit reicht ihre Spur. Hanne Sander arbeitet im Insel-Museum, das sich im ehemaligen Haus der Großeltern befindet, Jens Sander ist seit zwanzig Jahren nicht da. Die Kinder könnten nicht unterschiedlicher …
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Die Familie Sander lebt seit fast 300 Jahren von der Seefahrt, weit in die Vergangenheit reicht ihre Spur. Hanne Sander arbeitet im Insel-Museum, das sich im ehemaligen Haus der Großeltern befindet, Jens Sander ist seit zwanzig Jahren nicht da. Die Kinder könnten nicht unterschiedlicher sein, zwei Söhne und eine Tochter und nur der Älteste hat die Tradition fortgesetzt.
Aus verschiedenen Blickwinkeln näherte sich die Autorin dem Inselleben an. Im Vordergrund stand die Familie Sander, aber auch der Pfarrer, andere Fischer und die ein oder andere Person auf der Insel wurden vorgestellt. Durch die beiläufige, manchmal etwas lakonische Erzählweise entstand eine ungeheure Nähe zu den Charakteren, fast schon einer Intimität gleich. Ich habe bald schon die meisten Personen ins Herz geschlossen, fand es ungeheuer spannend, einem voyeuristischen Zuschauer gleich, durch ihr Leben zu wühlen und zu entdecken, welche Geheimnisse sich verbergen hinter den Fassaden und Mauern. Hierbei gab es oft keine Chronologie, manchmal ergab sich erst durch einen Hinweis, ob ein Ereignis in der Vergangenheit lag, oder es sich um die Gegenwart handelte. Dies klingt verwirrend, war es aber nicht. Es passte gut zu der Art und Weise der Erzählung und hat eine Spannung erzeugt, die mich ganz wunderbar unterhalten hat.
Familie, Tradition, Fortschritt und Wandel, zusammengefasst in einem großartigen Roman über die Liebe zur See. Wieder einmal hat die Autorin mich eintauchen lassen in eine mir fremde Welt, hat mit meinen Emotionen gespielt und mich gedanklich entführt auf eine Insel in der Nordsee. Dafür gibt es fünf Sterne mit Sternchen und eine Leseempfehlung von mir.
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einfach wunderbar - eine klare Sprache wie norddeutsche Luft und ins Herz gehende Geschichten
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Zur See
Manchmal ist die See still. Zurückgezogen. Als hätte sie mit all dem Leben außer sich nichts zu tun. Wie ein Vater, der sich von seiner Familie entfernt. Manchmal ist sie wild und aufbrausend. Eine rebellierende Tochter, die ihren einzigen Ausweg im Tosen findet. Manchmal …
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Zur See
Manchmal ist die See still. Zurückgezogen. Als hätte sie mit all dem Leben außer sich nichts zu tun. Wie ein Vater, der sich von seiner Familie entfernt. Manchmal ist sie wild und aufbrausend. Eine rebellierende Tochter, die ihren einzigen Ausweg im Tosen findet. Manchmal fügt sie sich harmonisch ins Bild ein, ohne wirklich dazuzugehören. Der jüngste Sohn. Künstler des Schaffens neuer Gebilde. Manchmal begehrt sie auf und verhält sich wider aller Erwartungen. Prophezeiungen ausspeiend. Und immer kommt sie einer Mutter gleich. Tröstend in ihrem Anblick. Zuverlässig in ihrer Existenz. Mahnend. Immer da.
Dörte Hansen begleitet in ihrem langersehnten Roman "Zur See" die Biografien der Familie Sander, die seit 300 Jahren auf einer kleinen Nordseeinsel lebt. Einfühlsam zeigt sie auf, wie die See das Leben der Inselbewohner*innen beeinflusst und wie sich dieses vor dem Kontext wirtschaftlicher Veränderungen wandelt.
Hansens Sprache ist getragen von einer außerordentlichen Ästhetik, die ihren Ausdruck in überschäumender Metaphorik findet. Ihre Sätze wollen langsam gelesen und wie ein kostbarer Wein genossen werden. Typisch für die Autorin ist die sprachliche Ruhe im Sturm. Während das Geschehen menschliche Dramen und Tragödien durchläuft, lässt sie sich niemals von der thematischen Dynamik irritieren und folgt ihrem Erzählstil wie die See ihrem stetigen Ablauf von Ebbe und Flut.
Dörte Hansen gehört für mich zu den talentiertesten deutschen Autor*innen der Gegenwart. Ihre Fähigkeit der Mikroperspektive von Menschen in sterbenden Gemeinschaften ermöglicht den Leser*innen einen Einblick, der Außenstehenden verwehrt bliebe.
Unbedingte Leseempfehlung!
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Nordseebuch
Wir lesen die Geschichte einer Seemannsfamilie über ein Jahr auf einer Nordseefamilie. Es fängt an mit einem Sohn der Familie, der alkoholabhängig auf der Fähre das Halteseil im Hafen auswirft. Die Mutter, die früher auf den zur See fahrenden Mann hätte …
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Nordseebuch
Wir lesen die Geschichte einer Seemannsfamilie über ein Jahr auf einer Nordseefamilie. Es fängt an mit einem Sohn der Familie, der alkoholabhängig auf der Fähre das Halteseil im Hafen auswirft. Die Mutter, die früher auf den zur See fahrenden Mann hätte warten müssen, unterhält unterdessen die Gäste. Mehr als ein Jahr wird beschrieben durch Rückblenden, denn wir erfahren, dass die Frau keine Gäste mehr im Haus aufnimmt, weil die Ansprüche der Touristen wuchs und sie nicht mehr mit dem einen selbstgekochten Gericht zufrieden waren.
Wir hören vom zweiten Sohn, einem Vogelfreund, der die Fremden verjagen muss und deswegen kein Menschenfreund sein kann und von der Tochter, die auf dem Festland eine Ausbildung in der Pflege gemacht und nun auf die Insel zurückgekehrt ist.
Auch den Inselpfarrer lernen wir kennen, der den Sommer nur dank eines festen Tagesrhythmus überlebt und erst im Winter zur Ruhe kommt, wenn die Gäste die Insel verlassen haben. Wir erfahren aber auch, dass es um seine Ehe nicht gut steht. Seine Frau geht in der Woche aufs Festland und kehrt nur am Wochenende zum Pfarrer zurück.
Mir gefällt an diesem Buch, dass ich mir alle Personen wirklich vorstellen kann und ja, so ist das Leben auf einer Nordseeinsel. 5 Sterne
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Die Familie Sander lebt seit fast 300 Jahren auf einer Nordseeinsel. Immer sind die Männer zur See gefahren. Doch nun ist alles anders: Hanne Sanders Mann lebt als Vogelwart auf einer Vogelschutzinsel, ihr Sohn Ryckmer hat sein Kapitänspatent verloren und den zweiten Sohn Henrik hat es nie …
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Die Familie Sander lebt seit fast 300 Jahren auf einer Nordseeinsel. Immer sind die Männer zur See gefahren. Doch nun ist alles anders: Hanne Sanders Mann lebt als Vogelwart auf einer Vogelschutzinsel, ihr Sohn Ryckmer hat sein Kapitänspatent verloren und den zweiten Sohn Henrik hat es nie aufs Meer gezogen. Ihre Tochter Eske pflegt im Insel-Seniorenheim alte Seefahrer. Sie liebt laute Musik und hasst die Touristen, die die Insel in Beschlag nehmen. Doch dann dauert es nur ein Jahr und das Leben der Familie Sander gerät total aus den Fugen. Alles ändert sich und nichts wird wieder so, wie es einmal war.
Dörte Hansen räumt in ihrem Buch "Zur See" gründlich mit den Illusionen vom idyllischen Leben auf einer Nordseeinsel auf. Sie erzählt von einer Familie, in der rein gar nichts so ist, wie man sich die heile Welt dort vorstellt. Zudem geht sie mit dem Tourismus und besonders mit den Touristen hart ins Gericht. Es ist manchmal zum Lachen, wenn sie die Menschen beschreibt, die wie Heuschrecken über die Insel herfallen. Ich habe mir fest vorgenommen, nie so zu sein wie diese Typen.
Zuerst mußte ich mich an den etwas ungewöhnlichen Schreibstil gewöhnen. Die Sprache steckt voller Poesie - ich habe zu Beginn beinahe erwartet, daß sich die Zeilen reimen. Doch dann war ich von diesem Buch total begeistert. Die beschriebenen Personen wirken mit ihren Macken so lebendig, daß man glaubt, sie schon lange zu kennen und sich gut in sie hineinversetzen kann
Dieses Buch wird mir lange im Gedächtnis bleiben, so wie es besondere Bücher immer tun.
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Ein außergewöhnliches Buch. Es kommt völlig ohne Dialoge aus. Die verschiedenen Protagonisten werden lediglich beschrieben aber das mit sehr gut gewählten Worten. Traditionen spielen eine Rolle aber auch der Fortschritt, der auch auf der kleinen Insel nicht aufzuhalten ist. …
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Ein außergewöhnliches Buch. Es kommt völlig ohne Dialoge aus. Die verschiedenen Protagonisten werden lediglich beschrieben aber das mit sehr gut gewählten Worten. Traditionen spielen eine Rolle aber auch der Fortschritt, der auch auf der kleinen Insel nicht aufzuhalten ist.
Der norddeutsche Menschentyp wird - aus meiner Sicht - zwar manchmal etwas überzogen dargestellt aber den Lesern dadurch vielleicht noch mehr nahe gebracht. Ebenso wie die Naturgewalten, mit denen man auf den Nordseeinseln zu kämpfen hat.
Mich hat die Lektüre begeistert.
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!ein Lesehighlight 2022!
Wow! Was für ein Buch! Was für Geschichten! Ich muss wirklich zugeben, es war erschreckend und faszinierend zugleich zu lesen was Dörte Hansen hier niedergeschrieben hat. Diese Frau schafft es so gekonnt mit ihren Protagonisten die Menschen an der See zu …
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!ein Lesehighlight 2022!
Wow! Was für ein Buch! Was für Geschichten! Ich muss wirklich zugeben, es war erschreckend und faszinierend zugleich zu lesen was Dörte Hansen hier niedergeschrieben hat. Diese Frau schafft es so gekonnt mit ihren Protagonisten die Menschen an der See zu charakterisieren, das man nur so staunt. Wie ich darauf komme? Ich wohne hier direkt an der Nordseeküste, kenne die alten und neuen Geschichten, kenne das Wetter, kenne die See da sie lange Zeit mein Arbeitsplatz war und der meines Mannes. Die See formt sie Menschen und nicht umgedreht. Die See ist unberechenbar.
In ihrem Buch „Zur See“ spricht Hansen in der dritten Person. Macht das Sinn? Und wie! Denn nur so bleibt eine gewisse Distanz zwischen uns Lesern und den Figuren erhalten die es auch braucht. Wenn wir alle Seelen in diesem Buch an unser Herz lassen würden, kämen wir bei den ganzen Geschichten nicht weit. Sie würden uns zu sehr belasten. Hansen erzählt von Ryckmer Sanders, seiner Mutter Hanne, seinem Vater Jens, Schwester Eske kommt darin vor und auch Bruder Henrik. Kurzum: die ganze Sanders-Familie wird hier beleuchtet, aber auch der Inselpfarrer kommt zu Wort und seine Frau und am Rande auch noch so einige andere Charaktere. Hansen erzählt uns aus deren Leben und was die See immer wieder damit zu tun hat. Jeder der Figuren hat seinen Seelenrucksack zu tragen, jeder hat sein Päckchen zu schleppen. Schlussendlich ist alles hausgemacht, außer das was die See anrichtet. Der gestrandete Wal ist einerseits Naturereignis aber auch eine Metapher zugleich. Keine Angst, religiös wird es nicht aber die Gedanken kommen einem beim lesen automatisch auch wenn man damit nichts am Hut hat. Unsere namenlose Nordseeinsel wird von Touristen belagert (auch das kenne ich nur zu gut, denn ich wohne selbst in einem Ferienort an der Küste) und schlussendlich ist es Fluch und Segen zugleich. Das Wasser schwemmt sie an und nimmt sie wieder mit wenn die Saison vorbei ist und die Insulaner wieder ihre Insel für sich haben. Sie leben davon aber wollen es eigentlich nicht. Trauriges Spiel welches heute leider ganz ernste Realität geworden ist. Wenn man die großen Inseln in Nord- und Ostsee ansieht, weiß man was Hansen hier im Buch damit meint. Vieles Altes geht und Neues kommt - nicht immer gut austariert. Es ist nicht alles Gold was glänzt und die alten Häuser und Geschichten über die Seefahrer und die Nachkommen bekommen eine gewisse blasse Note. Dörte Hansen verurteilt nicht in diesem Buch, sie fügt zusammen was zusammen gehört und was entstanden ist. All das ist Realität und keine Fiktion! Es gibt hier solche Typen wie Henrik oder Ryckmer! Wirklich! Ihre fein akzentuierten Erzählungen, ihre raue und kurz-angebundene Sprache zeigen perfekt, fast erschreckend perfekt, das Bild hier an der See auf. Es könnte überall spielen. Hier an der Nordseeküste, auf Sylt oder Rügen. Die Menschen sind so unberechenbar wie die See selbst aber sie hat immer noch die Überhand. Die See ist der rote Faden. Die Naturereignisse stellt Hansen ebenfalls als Metapher aber auch als eben jene Naturgewalt dar. Beides passt und ist stimmig, genau wie der Rest der Geschichte. Hier stimmt alles! Egal ob die Charaktere (Hansen muss ein feine Beobachtungsgabe haben diese so zu analysieren), die Örtlichkeit, die See selbst und die Geschichten hinter allem. Ja, ich war erschrocken über so manche Erzählung und Beschreibung. Hansen trifft ganz tief ins Mark und sagt das, was wir Bewohner der Küste hier nicht wirklich laut in die Welt hinaus posaunen würden - dafür sind wir zu still. Die Autorin poppelt hier in Wunden herum die weh tun, aber das muss manchmal sein. Egal, ob gewollt oder Nebeneffekt. Sie nennt Themen die eigentlich niemand gern hören will, die ein wenig schmerzen in den nordsichen Ohren aber es muss sein. Hansen streut Salz in die Wunden und zeigt dadurch das wahre Gesicht. Besser und eindrucksvoller hätte sie es nicht schreiben können. Dieser Roman ist ein Kracher und ich kann ihn nur
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Ein melancholischer Roman, der den Wandel vom Inselleben aufzeigt
Der Roman "Zur See" von Dörte Hansen erscheint im Penguinverlag.
Familie Sander lebt seit Generationen auf der kleinen Nordseeinsel, ihre Vorfahren fuhren alle zur See, einige waren Walfänger. Aus dieser Zeit …
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Ein melancholischer Roman, der den Wandel vom Inselleben aufzeigt
Der Roman "Zur See" von Dörte Hansen erscheint im Penguinverlag.
Familie Sander lebt seit Generationen auf der kleinen Nordseeinsel, ihre Vorfahren fuhren alle zur See, einige waren Walfänger. Aus dieser Zeit stammt noch der typische Walknochen-Zaun, der das hübsche reetgedeckte Haus für Touristen zum beliebten Fotomotiv macht. Im Sommer bevölkern die Touristen die Insel, sie kommen zum Entspannen hierher, wollen mal von ihrem Alltagstrott ausspannen. Die Insulaner müssen sich die sommerliche Idylle der übervollen Insel nun mit den Touristen teilen, dabei verbringen sie die meiste Zeit am Meer mit seinen Launen, den Stürmen und Hochwasserfluten und den persönlichen Schicksalen, die das Meer über Jahre formte, furchte und verbog.
Dörte Hansen begleitet in ihrem Roman ein Jahr im Leben der zerrissenen Familie Sander, die mit Traumata und menschlichen Problemen zu kämpfen hat, viel Arbeit im Sommer durch die Touristen und eine einsame Stille in den dunklen Wintermonaten. Sprachlos ist die Familie geworden, die Probleme stecken tief und als Norddeutsche fügen sie sich in ihr Schicksal und reden nicht lange drumherum.
So wie Jens Sander, der vor Seefahrt und Familie in die Einsamkeit als Vogelwart floh. Oder Ryckmer, der älteste Sohn der Sanders, der dem Alkohol nicht entkommen konnte, sein Kapitänspatent verlor und nun hilflos nach seinem Platz im Leben sucht. Mutter Hanne fügt sich in ihre Aufgaben, sprachlos und ohne Freude am Leben. Tochter Eske kümmert sich im Altenheim um alte Seeleute und hegt einen tiefen Groll gegenüber den Touristen, die sie am liebsten von der Insel verbannen möchte. Der jüngste Sohn Henrik konnte sich als Kind nie einfügen, doch als Erwachsener hat er seinen Platz im Leben gefunden, er fühlt sich dem Meer eng verbunden, sammelt Treibholz und fertigt daraus Kunstwerke, die ihm sein Auskommen sichern.
Es ist ein tief bewegender Roman, weil er uns in die Seele der Menschen schauen lässt und ihre Nöte und Sorgen zeigt, und das ohne große Dialoge oder Erklärungen. Nur durch die leisen Zwischentöne im Handeln der Figuren erkennt man, welche Probleme die Menschen umgibt und wie Sucht, fehlende Zuwendung, Einsamkeit und Auseinanderleben ihr Leben formte.
Gleichzeitig wird die Auswirkung des ausufernden Fremdenverkehrs deutlich, wo viele Menschen in die Idylle einer Insel einfallen, ist die Ruhe schnell vorbei. In ihren ersten Jahren waren noch viele Gäste im Haus der Sanders, die eigenen Kinder zogen dann auf den zugigen Dachboden. Doch die Verwurzelung mit ihrer Heimat merkt man ihnen allen noch an. Geblieben ist die Sehnsucht nach dem Meer und die Verbundenheit mit den Ortsansässigen.
Dörte Hansen versteht es mit teilweise poetischen Sätzen ganz wunderbar mit ihren sperrigen Figuren den Wandel des Lebens an der See darzustellen. Ihr kantiger rauer Erzählstil beschreibt eindrucksvoll wie die Insulaner miteinander umgehen. Sie erzählt eine individuelle Story, die solche aktuellen Themen beherbergt wie Glaubensverlust, Klimaveränderung und Tourismusboom. Man fühlt in ein Inselleben hinein, wo die Seele nicht entspannen kann, weil die Veränderungen so deutliche Spuren hinterlassen.
Ein melancholischer Roman, der in die Seele der Menschen schauen lässt und den Wandel vom Inselleben aufzeigt
Ein melancholisches Buch, das den Wandel des Lebens an der See aufzeigt und durch seine Eindrücklichkeit noch lange in mir nachhallen wird. Meine Buchempfehlung des Monats!
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Wind, Wetter, Schicksal
Klappe die dritte für Dörte Hansen. Dieses Mal nimmt sie uns mit auf eine fiktive friesische Nordseeinsel und erkunden das Innenleben und die Verletzungen der Familie Sander. Eine alteingesessene Familie, die Jahrhunderte zur See gefahren ist und nun wie so viele …
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Wind, Wetter, Schicksal
Klappe die dritte für Dörte Hansen. Dieses Mal nimmt sie uns mit auf eine fiktive friesische Nordseeinsel und erkunden das Innenleben und die Verletzungen der Familie Sander. Eine alteingesessene Familie, die Jahrhunderte zur See gefahren ist und nun wie so viele andere die Richtung ihres Lebens wechseln müssen. Brüche, Veränderungen, genau das zeigt uns Dörte Hansen und was eine Heimat und deren Prägung mit uns macht. Wenn da die Tochter der Familie zwar eine Liebschaft auf dem Festland hat, aber die Insel nicht loslassen kann. Verlust an Identität und wie man mit Traumata umgeht, so schauen wir beim ältesten in die Seele, der „nur noch“ die Fähre zum Festland betreut. Der kleinste im Bunde Henrik ist nie so recht erwachsen geworden, aber mit seiner Kunst aus Treibgut hat er sich einen Namen und eine Nische erfunden. Tja und dann sind da natürlich auch die Eltern Hanne und Jens. Er mittlerweile Vogelwart um sich zu beschäftigen. Dörte Hansen lässt tief blicken.
Es ist unglaublich sprachgewaltig was Dörte Hansen hier wieder zu Papier gebracht hat. Beeindruckend wie jeder Satz am rechten Fleck sitzt, alles passt genau. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Schon alleine der Sprache wegen ein lesenswerter Roman. Das einzige was fehlt: Plattdeutsch. Aber da ist ja so viel mehr, wenn sie das Leben und deren Veränderungen in den Blick nimmt wie die immer stärkeren und zahlreichen Stürme, der Tourismus der einige auf der Insel ernährt und auch die Fangquoten. Alles drin und doch passiert oberflächlich nicht all zu viel. Wobei, es strandet ein Wal und auch hier wieder sehr metaphorisch, wenn die alten Walfängerfamilien das Wissen verloren haben wie man solch ein Tier nutzbar auseinander nimmt.
Fazit: Ein klingender Roman, der nachhallt.
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Auf einer nicht näher bezeichneten Nordseeinsel lebt die Familie Sander in stiller Einsamkeit nebeneinander her. Vater Jens hat seine Frau Hanne und die Kinder vor langer Zeit verlassen, um als Vogelwart ein Eremitendasein zu führen. Sohn Ryckmer verliert als Trunkenbold eine Anstellung …
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Auf einer nicht näher bezeichneten Nordseeinsel lebt die Familie Sander in stiller Einsamkeit nebeneinander her. Vater Jens hat seine Frau Hanne und die Kinder vor langer Zeit verlassen, um als Vogelwart ein Eremitendasein zu führen. Sohn Ryckmer verliert als Trunkenbold eine Anstellung nach der anderen, Tochter Eske denkt schon länger darüber nach, der Insel den Rücken zu kehren. Lediglich der jüngste Sohn Henrik, ein nie erwachsen werdender Künstler, scheint mit sich und seiner Umgebung im Reinen. Als innerhalb eines Jahres nicht nur ein sterbender Wal angespült wird, sondern auch Inselpastor Matthias Lehmann den Glauben an Gott verliert, sieht sich die Familie plötzlich mit den ganz großen Fragen des Lebens konfrontiert.
In Dörte Hansens neuestem Roman "Zur See", der jetzt bei Penguin erschienen ist, erzählt die Autorin sprachlich brillant, voller Wärme und Empathie und durchaus mit feinem Humor von dieser Familie Sander und blickt dabei nur scheinbar beiläufig auf das, was ein Inselleben überhaupt ausmacht. Dabei spart sie auch gesellschaftskritische Themen nicht aus. Sei es der Klimawandel, der auch vor der Insel keinen Halt macht, sei es der immer größer werdende Tourismusstrom oder auch der Verlust typischer Berufe wie Seefahrer oder Fischer. Dörte Hansen legt ihren Finger auf schmerzende Wunden und stellt sich dabei doch ausnahmslos hinter ihre einsamen Figuren.
Schon der erste Satz des Romans gibt die Richtung der gut 250 Seiten vor. "Auf einer Inselfähre, irgendwo in Jütland, Friesland oder Zeeland, gibt es einen, der die Leinen los- und festmacht, und immer ist er zu dünn angezogen für die Salz- und Eisenkälte eines Nordseehafens", heißt es dort, und ein jeder, der schon einmal eine Insel in der Nordsee besucht hat, wird sich darin wiederfinden. In der Melancholie des vagen Ortes einerseits, in der Begegnung mit diesen Figuren, diesen "Typen" oder "Originalen" andererseits. Dabei spielt Hansen gekonnt mit den Klischees und Vorurteilen und setzt diesen Erwartungen auch die ein oder andere lakonische Spitze genau entgegen.
"Zur See" ist ein außerordentlich leiser und langsamer Roman, der dennoch mit großer Eindringlichkeit aufwartet. Wer braucht einen aufregenden Handlungsbogen, wenn er einer so wunderbaren Erzählweise folgen darf. Hansen findet für ihre Figuren genau die richtigen Worte und spielt mit der Perspektive, wenn sie beispielsweise ein auf den ersten Blick so unscheinbar wirkendes nächtliches Vorlesen des großen Bruders Ryckmer zunächst aus Eskes Sicht schildert und die Bedeutung des Ganzen ein paar Kapitel später völlig über den Haufen wirft, wenn sie sich Ryckmer nähert. Dieses Vorgehen sorgt nicht nur für Abwechslung, sondern auch für ein großes Verständnis der Figuren und für eine hohe Empathie der Leserschaft.
Bemerkenswert ist auch, dass der Roman auf eine klassische Hauptfigur verzichtet. Die einzelnen Mitglieder der Familie Sander sind ebenso wichtig wie Pastor Lehmann. Keiner von ihnen steht ständig im Mittelpunkt, doch scheinen alle durch das dichte Handlungsnetzwerk stets miteinander verwoben zu sein. Wenn man so will, ist die eigentliche Protagonistin die Insel - oder vielleicht sogar die Nordsee.
Für mich persönlich war "Zur See" der erste Roman, den ich von Dörte Hansen gelesen habe. Nach der Lektüre kann ich die außerordentliche Beliebtheit ihres Werkes sehr gut nachvollziehen, auch wenn es schwer zu definieren ist, was diesen Zauber eigentlich ausmacht. Vielleicht ist es die Fähigkeit, sprachlich einerseits zugänglich zu schreiben, dabei andererseits aber so tief unter die Haut zu gehen, dass ich mich bei der Lektüre mehrfach einer Gänsehaut ausgesetzt sah. Vielleicht ist es die Wahl des Ortes, die einerseits eine Art Sehnsucht bedient - und diese trotz einer gewissen Dekonstruktion nicht zerstört. Vielleicht ist es aber auch einfach das Geheimnis Dörte Hansens, was einen guten Roman ausmacht. "Zur See" ist jedenfalls ein ganz hervorragender geworden.
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