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Juti
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Insgesamt 700 Bewertungen
Bewertung vom 15.03.2025
Aufbruch des Gewissens
Trentmann, Frank

Aufbruch des Gewissens


schlecht

zu ausführlich

Bücher können auch zu ausfühtlich sein.
Und zu dick. Diesen Ziegelstein kannst du nirgendwo mitnehmen.
Und du fragst dich: "Willst du wirklich ein ganze Woche opfern, um in diesem Randthema klüger zu werden?"

Ich habe mich dagegen entschieden und vergebe 1 Stern für abgebrochene Bücher.

Tipp für den Verlag. Vielleicht mal das Werk auf 3 Bände verteilen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.03.2025
Hoffnung
Blom, Philipp

Hoffnung


sehr gut

Trost in schweren Zeiten

Ich kann mir richtig vorstellen, wie der Autor gebeten wird, mal was Positives zu schreiben. Das gelingt, auch wenn er zunächst mit Kolumbien anfängt, wo er sich kaum aus dem Hotel traut. Aber die einheimischen Müllsammler haben trotzdem Hoffnung und setzen Kinder in die Welt. Andere produzieren wegen des enormen Gewinns Drogen. In allem Leid ist es hier nach dem Waffenstillstand immerhin besser als erwartet. Erst dann folgt eine Definition.

Hoffnung ist Religion, „Opium fürs Volk“ (37), andererseits „Hoffnung bedeutet immer auch Unsicherheit“ (37). Dann wird es juristisch: „Du hast kein Recht auf irgendwas“ (38), andererseits „Menschen sind die einzigen Tiere, die Rechte innerhalb der Gruppe auf alle Mitglieder [..] ausgedehnt haben“ (38).

Auch Rechte sind zeitabhängig. Wenn Blom Schülerinnen fragt, ob sie gegen Russland in den Krieg ziehen würde, es herrscht entsetztes Schweigen. Die Urgroßeltern sind noch begeistert in den 1. Weltkrieg gezogen.

Blom wird sehr persönlich. Er erzählt von seinem Freund Jon, der die Lust am Leben verliert und einen Tumor nicht behandeln lässt, was ihn wütend macht. Zusätzlich berichtet er von einem Chief „( früher hätte man gesagt: der Häuptling)“ der Ureinwohner „( früher hätte man gesagt: Indianern)“ (beides 53), der seine Erinnerungen aufgeschrieben hat, um seinem Volk Hoffnung zu geben, ähnlich funktioniert die Bibel. Ähnlich wie die Träume der Indianer geplatzt sind, folgt: „Der Siegeszug der liberalen Demokratien ist zusammengebrochen. [...]Marktes und einer rechtsbasierten Ordnung sind, hat sich als Illusion erwiesen.“ (63)

In der Büchse der Pandora bleibt die Hoffnung auf dem Boden liegen. Aus Pandora wird Prometheus, gedichtet von Goethe. Aus Goethe wird Nawalny. Und wieder theologische Gemeinheiten: „Paulus, der eigentliche Erfinder des Christentums“ (74) hätte die Hoffnung auf das Jenseits verlegt. Aber Religion gibt auch Sinn. „Dieser Sinn kommt in Form von Geschichten […] Diese Geschichten verbinden uns mit einer gemeinsamen Erinnerung und einer möglichen Zukunft“ (84). Doch der Mensch der Moderne leidet: „Unsere Sehnsucht nach Sinn hat kein Objekt, deswegen schaffen wir dauernd Ersatz für das fehlende Zentrum. (88)

Utrecht muss ein neues Zentrum am Bahnhof haben. Dort schnorren Bettler mit Geschichten. Und dann erzählt er von der Landkarte, die genau die Größe des Landes hat, also zu gut ist. „Woher weiß ich, dass es die Antarktis gibt?“ (108) ist eine berechtigte Frage. Letztlich muss ich daran Glauben, aber Bildung kann den Glauben klüger machen. (109) Er verweist auf David Hume: „Wir glauben alles Mögliche, das wir nicht überprüfen [..] können, und wenn wir [..] darüber nachdenken […], kommen wir bald zum Schluss, dass […] unsere Überzeugungen über die Welt [...] nur ein Resultat von Erfahrung sind, von Gewohnheit, von den Überzeugungen und Haltungen, mit denen wir aufwachsen.“ (112)

Auf Seite 139 will er Boden gut machen. Er vergleicht das Tempo der Veränderung mit „Schach in drei oder vier Dimensionen“. Und er zitiert Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“
Neben dem Wirklichkeitssinn sollte es auch einen Möglichkeitssinn geben. (161)


Lange Zusammenfassung, kurzes Urteil. Ich habe das Buch bis auf die Religionsbeschimpfungen wie „vermeiden wir das Missverständnis, dass das Leben in Gesellschaften mit starker Transzendenz besser sei“ (175) gern gelesen. Man kann auch die Religion mit Vernunft durchdenken, Theologie nennt man das. 4 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.03.2025
Friedrich Ebert
Mühlhausen, Walter

Friedrich Ebert


ausgezeichnet

der überzeugte Demokrat

1864 heirateten seine Eltern, die aus dem Odenwald kamen. Vater Karl war Schneider und starb 1892 mit 57, Mutter Katharina wurde auch nur 63. Sie starb 1897. Sie hatten 9 Kindern, 2 starben als Säugling, 1 mit 3, Friedrich überlebten nur 2 Geschwister.

Friedrich, *4.2. 1871, besuchte die Volksschule in der Sandgasse und wurde in der Chorkirche getauft.
Nach badischem Gemeindewahlrecht wählten 1/6 in der Höchstbesteuertenklasse, 1/3 in der Mittelbesteuerte, Eberts Vater trbei den Niederbesteuerten.

Nach seiner Gesellenwanderung ließ er sich in Bremen nieder und führte von 1894 bis 1900 eine Wirtschaft, in denen die Arbeiter ihre Versammlungen abhielten. Ohne Wirtschaft gab es für die Arbeiter kein geselliges und kein politisches. Ebert erwähnt seine Wirtskarriere selten, weil sie Anlass für Verleumdungen bot.

Mit dem Einkommen konnte Ebert heiraten. Er hatte 4 Söhne und 1 Tochter. 2 Söhne starben im 1. Weltkrieg. Seit 1900 gehörte er der Bremer Bürgerschaft an, weil ein SPD-Kandidat in zwei Wahl­kreisen antrat und dann zurückzog, damit Ebert antreten konnte, der 3 Jahre Bürgerrecht haben musste. Gleichzeitig war er Arbeitersekretär und verdiente 2.000 Mark im Jahr. Nach einer Inspektionsreise bekam er einen Schreibtisch mit Telefon.
Am 6.2. 1919 hielt er bei der Gründung Weimarer Republik eine Rede: „Das deutsche Volk ist frei!“ Ebert wollte das Amt des Reichspräsidenten, um den Sozialdemokraten wichtigen Einfluss zu sichern. Das Staatsoberhaupt war Hetze wegen Landesverrat ausgesetzt, vor allem von der DNVP.

Er starb am 28. Februar 1925 an einer verschleppten. Blinddarmentzündung. Eberts Nachlass verbrannte beim Bombenangriff auf Berlin 1944. Seit 1962 ist im Geburtshaus Eberts in der Pfaffengasse in Heidelberg eine Gedenkstätte, zunächst vom Kurpfälzischem Museum gestaltet. 1983 kaufte die Stadt Heidelberg das ganze Anwesen im Rahmen auch der Altstadtsanierung für1,35 Mio Mark. 1986 wurde ein Verein zur Gründung der Gedenkstätte gebildet. Am 11.2. kamen sowohl Johannes Rau als auch Präsident von Weizsäcker zur Eröffnung. 1990 Willy Brandt, 1996 Roman Herzog.

5 Sterne für ein überzeugendes Buch.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.03.2025
Lange lieb' ich dich schon, Heidelberg
M. Grassl, Anton, Rolf Verres und Wolfgang Gensheimer

Lange lieb' ich dich schon, Heidelberg


sehr gut

Wohltat mit Mängeln

Diese Sammlung von literarische Texten über Heidelberg verbindet wunderschöne Gedichte, Erzählungen und Briefe.

Sie hat aber einen Mangel: Die Quellen werden nicht richtig zitiert. So musste ich lange suchen, um den Text von Mark Twain im Anhang B von „Ein Bummel durch Europa“ zu finden.

Auch bei Brentanos zauberhaften „Ankunft eines Studenten“ macht der Herausgeber nicht kenntlich, wo er gekürzt hat. Dies ist aber wesentlich, da so die Zusammenhänge nicht mehr so klar werden, wie sie der Autor gemeint hat.

Da aber jede Heidelbergerin sich freuen sollte, dass es dieses Bändchen gibt, vergebe ich trotz der Kritik noch 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.03.2025
Halle und Heidelberg (eBook, ePUB)
Eichendorff, Joseph Von

Halle und Heidelberg (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

kurz und knackig

Dieser Eichendorff hat doch glatt in Heidelberg mit einer Bäckerstochter rumgemacht und als es ernst werden sollte, also heiraten, da ist er verduftet. So mag es nicht wundern, dass er mit dem Ausruf endet: "sei nur vor allen Dingen jung! Denn ohne Blüte keine Frucht."

Dann lobt er noch den Katholizismus als neuen Zeitgeist, aber das schönste sind die Schmähungen, die er schreibt. "In Heidelberg selbst aber saß der alte Voß, der sich bereits überlebt hatte und darüber ganz grämlich geworden war. Mitten in dem staubigen Gewebe seiner Gelehrsamkeit lauerte er wie eine ungesellige Spinne, auf alles Junge und Neue zufahrend, das sich unvorsichtig dem Gespinste zu nähern unterfing. Besonders waren ihm, nebst dem Katholizismus, die Sonette verhaßt." Mich würde es nicht wundern, wenn hier eigene Lebenserfahrungen verarbeitet werden.

Eichendorff schreibt über die Romantik. Seltsam, dass er nicht Jena anstatt Halle gewählt hat. Aber in Halle wurde die Universität von Napoleon sogar aufgelöst.

Die Romantik umfasst nicht nur die Literatur. Malerei kommt wenig vor, aber Musik mit Beethoven und Mozart und andere Wissenschaften wie die Mittelalterforschung sind eindeutig romantisch.

Ein kurzer Text, der viel bietet und trotz seines Alters noch aktuell ist, also 5 Sterne.

Zitat: Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen und erzählen Burgen und Wälder ein wunderbares Märchen der Vorzeit, als gäbe es nichts Gemeines auf der Welt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2025
Was du kriegen kannst
Böckmann, Clemens

Was du kriegen kannst


schlecht

Stasi-Prosa

Erste Überraschung: Das Buch beginnt mit Teil 2. Hinten im Buch finde ich daraufhin ein Inhaltsverzeichnis und bin beruhigt: Teil 1 folgt später.

Recht schnell merke ich aber, dass ich nicht viel mehr als Stasi-Akten lese. Die Protagonistin Uta wird als Sexarbeiterin auf reiche Wessis angesetzt und anstatt intime Beschreibungen geht es viel mehr um Geschenke und um Wohnungen,wo man das Handwerk ausüben kann. Anstatt Namen und Orte gibt es dauernd schwarze Balken. Das muss man mögen.

Schlimmer noch ist, dass ich dauernd zurückblicken muss, ob ich nicht Wichtiges übersehen habe, weil ich den Satz nicht sofort verstehe. Je länger ich lese, desto mehr merke ich: Es liegt am Text, der unverständlich geschrieben ist.

Also hoffe ich auf Teil 1, der die Herkunft von Utas Eltern behandelt. Und obwohl wir in der Nazi-Zeit sind, ändert sich der Ton nicht. Ich habe weiterhin das Gefühl, als lese ich Stasi-Akten.
Teil 2 (2) folgt. Nach zwei Seiten wird es immer noch nicht besser.

Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Text auf S.142 beiseite zu legen. Mein erster Verriss in diesem Jahr. 1 Stern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.02.2025
Die Achse der Autokraten
Applebaum, Anne

Die Achse der Autokraten


ausgezeichnet

Rettet die Demokratie!

Erst im Epilog auf Seite 157 fordert der frühere Schachweltmeister Kasparow, dass wir die Demokraten der Welt zusammenstehen. Er wird im Dank auch nochmal erwähnt. Wer einen Schachweltmeister erwähnt, kann ja nur ein gutes Buch schreiben.

Auf Seite 33 beschreibt die Autorin die Vorstellung in den 90er Jahren, als Russland und China ihre Märkte öffneten: „Man ging wie selbstverständlich davon aus, dass sich Demokratie und freiheitliches Gedankengut in einer offeneren und vernetzteren Welt einfach in den autokratischen Staaten verbreiten würde. Niemand konnte sich vorstellen, dass stattdessen die Autokratie und ihr Gedankengut in die demokratische Welt vordringen könnte.“

Putin wusste nämlich, dass die Wirtschaft im Ausland gerne „nichtfreiheitliche Systeme“ aufbaut (39), weil sich so mehr Geld verdienen lässt. Letzteres ist das Hauptziel Nummer eins der Autokraten. Nicht nur Russland und Putin, auch Chavez im ölreichen Venezuela gelten als Beispiel. Demokratische Kontrollen wurden beseitigt, Bestechung und Diebstahl wird Tür und Tor geöffnet.

Ferner wird die öffentliche Meinung beeinflusst. Fake News werden über Nachrichtenagenturen oder im Internet verbreitet, wie es gerade passt. Und selbst wenn der Faktencheck etwas richtig stellt, irgendetwas bleibt immer hängen.

Im nächsten Kapitel, das „ein neues Betriebssystem“ heißt, geht es um den Kampf gegen die Menschenrechte. Anstatt auf deren universelle Einhaltung zu pochen, vereinbaren die Autokraten eine Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. China kann also die Uiguren verfolgen, die – obwohl türkischstämmig – selbst im Exil in der Türkei vor chinesischer Verfolger nicht sicher sind.
Und wenn es doch einmal eine Opposition im Land gibt, werden deren Anführer nicht wie früher ermordet, sondern ihre Glaubwürdigkeit wird untergraben. Haltlose Behauptungen wie Bestechungen werden geschürt und etwas bleibt schon hängen.

Wie für ein gutes Buch üblich entlässt es uns nicht ohne Handlungsempfehlungen. Eine Art Zusammenfassung findet sich auf S.162: [Es] „suchen einige Autokratien – zum Beispiel VAE, Saudi-Arabien, Singapur oder Vietnam – die Zusammenarbeit mit der demokratischen Welt. […] Dagegen haben einige Demokratien – die Türkei, Israel, Ungarn, Indien oder die Philippinen – gewählte Oberhäupter, die kein besonderes Interesse am Schutz der Menschenrechte zeigen.“

Ein kluges Buch, das volle 5 Sterne verdient hat.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.02.2025
Die Gleichzeitigkeit der Dinge
Josten, Husch

Die Gleichzeitigkeit der Dinge


gut

dem Sensenmann auf der Spur

Vorweg: Lieber Verlag, Schriftgröße 11 wäre schön gewesen. So wurde ich verleitet, den eng aneinandergereihten Text in entsprechender Schnelligkeit zu lesen. Das passte deswegen gut, weil der Roman sich zwar durchgehend mit dem Tod beschäftigt, aber eine Rahmenerzählung fehlt.

Der Roman beginnt vielversprechend mit Sourie, der immer über den Tod spricht und seiner Freundin Tessa, die sich im Restaurant des Ich-Erzählers befinden.
So philosophiert Sourie auf Seite 17: „Nun, der Tod lächelt uns an […] Er ist das unlösbare Rätsel, das Wissen, das es nicht gibt. Eine grandiose Zumutung, denn er ist auch die absolute Gewissheit. Niemand kommt an ihm vorbei, doch wir wissen nichts über ihn. Wir wissen vieles über das Sterben, aber nichts über den Tod.“

Neben diese Bemerkungen landen wir schnell im Augustinusheim, wo die Pflegebedürftigen auf den Tod warten. Dabei denken sie über ihr Leben nach. In Erinnerung ist mir der Zoodirektor geblieben, der jeden Tag Sex haben musste. Und hier frage ich die Autorin, ob es nicht noch andere Formulierungen für Sex haben gibt.
Immer wieder tauchen Sinnsprüche auf, nicht immer sind sie gelungen. Doch auf S.137 wird über Demenzkranke Personen gesagt: „Im Idealfall vergessen sie irgendwann, dass sie vergessen.“

Doch nicht nur der Tod im Alter, auch der Tod durch Terror wird behandelt, da über einen Mann berichtet wird, der beim Konzert im Bataclom in Paris ums Leben kam. Aus meiner Sicht hat sich die Autorin über das Thema Tod umfassend gebildet, ja es kommt schon einem Sachbuch nahe.
Auch unsere Hauptfigur Sourie hat mehr mit dem Tod zu tun, als wir anfangs glauben. Ich will aber nicht spoilern.


Wie ich schon oft geschrieben habe, aber lange nicht mehr: Ein Buch mit Licht und Schatten, 3 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.02.2025
Vienna
Cockett, Richard

Vienna


sehr gut

Wie eine Stadt die moderne Welt entstehen ließ

Hätten Sie gewusst, dass fast alles, was wir heute bewundern, in Wien den Ursprung hatte? Sei es die großen Schriftsteller Alfred Polgar und Stefan Zweig, sei es der Fußball. 1931 gelang ein 6:0 Sieg über Deutschland.

Im ausgehenden Habsburgerreich war das Bildungssystem zwischen 1867 und 1914 eins der besten der Welt. Nach dem Ersten Weltkrieg verließen die Bewohner der nun unabhängigen Staaten die ehemalige Hauptstadt. Dafür zogen zahlreiche Juden nach, die ein Zehntel der Stadtbevölkerung ausmachten, während sie im Rest der Alpenrepublik gerade einmal 0,16% ausmachten.So waren 1861 noch 62% der Gymnasiallehrer Katholiken. Ihr Anteil schmolz bis 1871 auf 36 %.

Wir könnten mit Freud und Adler viel über den Ursprung der Psychologie in Wien reden, wir könnten aber auch an Biologen wie den Verhaltensforscher Konrad Lorenz erinnern. Kein Wunder, dass es das Aquarium zum ersten Mal in Wien gab.

Weitere berühmte Namen waren der Mathematiker Kurt Gödel oder der Physiker Ernst Mach, über die Musik müssen wir in Österreich erst gar nicht sprechen. Dann eben über die Philosophen Karl Popper (schöner Name) und Wittgenstein oder die Kunst der Sezession wie Klimt.

Auch der Populismus und der politische Arm des Antisemitismus hatte mit Karl Luger in Wien seinen Ursprung. Bekannter ist die Donaumetropole für die Erfindung der Sozialdemokratie, wieso man bis heute auch vom „Roten Wien“ spricht. Sozialen Wohnungsbau wie der Karl-Marx-Hof, der so lang ist, dass er 4 Tramhaltestellen hat, führen bis heute für eine Großstadt zu niedrigen Mieten. Weitere Gemeindebauten waren Winarsk-Hof, Wiedenhofer-Hof und der Reumannshof. (88)

Die Vorgehensweise des Buches erschließt sich mir nicht ganz. Auf S.112 wir das Werk „Sexualität im Kulturkampf“ vom Psychologen Reich erwähnt, um dann wieder über Mozart und Beethoven zu sprechen und schließlich mit dem Looshaus in der Architektur zu landen.

Ich habe gesehen, dass es eine deutsche Ausgabe gibt, so dass ich meine Lektüre nach 4 Kapiteln mit 4 Sternen beenden kann.

Bewertung vom 18.02.2025
Reichskanzlerplatz
Bossong, Nora

Reichskanzlerplatz


ausgezeichnet

die Lebensgeschichte eines Liebenden

Eigentlich könnte es ein harmloses Buch sein, eine Geschichte, die wir unendlich oft gehört haben, eine Dreiecksbeziehung. Doch selten ist zum einen, dass der Liebende schwul ist und dies in der Nazi-Zeit verbergen will und zum anderen ist es außergewöhnlich, dass die Geliebte Magda Quandt heißt.
Quandt ist bis heute eine der reichsten Unternehmerfamilien Deutschlands, was auch problematisiert wird, da das Unternehmen während der Nazi-Zeit von Zwangsarbeitern profitierte.

Noch viel brisanter wird die Geschichte, wenn man weiß, dass Magda Quandt sich scheiden ließ und Josef Goebbels heiratete. Die beiden waren die Vorzeigefamilie der Nazis, obwohl der Mann etliche Seitensprünge machte. Da zählt der eine Liebhaber Magdas ja nur als Vergeltung. In Wikipedia steht das der Führer selbst die Ehe retten musste, hier wird das eher am Rande erwähnt, weil in den Kriegsjahren die Hauptfigur in der italienischen Botschaft arbeitet und den direkten Kontakt zu Marta verliert.

Ein Buch über die existentiellen Dinge des Lebens, auch weil Magdas und Quandts Sohn Helmut stirbt, was historisch nicht stimmt. Dieser Sohn leitete mit seinem Halbbruder die Firma. Ich habe das Buch schnell und gerne gelesen. Selbst wenn, wie die Zeit schreibt, der Wikipedia- Artikel von Magda Quandt ausreichen würde, man muss ihn erstmal finden. Und dieses Werk ist viel emotionaler.
5 Sterne für ein Buch der Longlist, die im letzten Jahr viele gute Bücher hatte. Ich hoffe, dass ich die drei von mir noch nicht gelesenen Bücher der Shortlist genauso gut finde.

Zitate: Haben Sie schon Charlotte gesehen? […] In ihrem Dekolleté könnte man Fledermäuse verstecken! (76)
Die Weimarer Republik mit ihren kleinteiligen Parteien und Anliegen hatte sich nicht bewährt in dieser Zeit, in der eine Wirtschaftskrise auf die nächste folgte und die Menschen sich am Abend ins Bett legten, das schon verpfändet war, ehe sie wieder aufwachten. Weimar war etwas Gutes, solange die Suppenküche nur die drei, vier Verlorenen des Viertels bediente, die die Köchin beim Vornamen kannte, und nicht die Massen, die straßauf, straßab anstanden, Großfamilien, Kleinfamilien, einsame Alte, zuversichtliche Junge, die jeden Morgen auf die Straße traten, dass es auch wieder besser werden würde. (146)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.