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mimitatis_buecherkiste
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Krefeld

Bewertungen

Insgesamt 654 Bewertungen
Bewertung vom 28.04.2025
Drei Tage im Juni
Tyler, Anne

Drei Tage im Juni


ausgezeichnet

Zur Hochzeit der gemeinsamen Tochter Debbie treffen die geschiedenen Eheleute Gail und Max aufeinander und nicht nur das: Weil ihr Ex-Mann mit einer Katze anreist und der Bräutigam allergisch ist, quartiert sich Max für drei Tage bei Gail ein. Ein Problem kurz vor der Hochzeit lässt die kleine Familie zusammenkommen, aber nicht nur da zeigt sich immer wieder, dass die frühere Vertrautheit noch nicht ganz verschwunden ist.

»Man vergisst nämlich, wenn man einige Zeit allein war, dass es sie gibt - diese Gespräche zwischen Eheleuten, die sich mit Unterbrechungen wochenlang hinziehen können, die sich wie eine Häkelarbeit verästeln, Schlaufen legen und alte Gesprächsfäden wieder aufnehmen.« (Seite 190)

Das vorliegende Buch ist mein erstes Werk von Anne Taylor, das ich lesen durfte, und ich bin von der ersten Seite an bereits ein großer Fan der Autorin. Leise und unaufgeregt lässt sie ihre Protagonistin erzählen, lässt sie zurückgehen in der Zeit, sich erinnern, resümieren und Situationen erklären, die sie sich gegenüber ebenfalls in diesem Moment seziert und bewertet. Dabei ergeben sich intime Augenblicke, die ich einem Voyeur gleich mit den Akteuren miterlebe. In einer schönen Sprache legt sie mir ihre Gründe dar, die das Scheitern der Ehe herbeigeführt haben, reflektiert ihr Verhalten und kommt zu einem verblüffenden Ergebnis. Ihr dabei über die Schulter zu schauen, war faszinierend und spannend zugleich, obwohl im Buch gar nicht so viel passiert. Ich bin begeistert und möchte am liebsten sofort ein weiteres Buch der Autorin lesen. Große Leseempfehlung gibt es dafür von mir.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.04.2025
Die Zeit im Sommerlicht
Laestadius, Ann-Helén

Die Zeit im Sommerlicht


gut

In den 1950er Jahren in Schweden muss die erst siebenjährige Sámi Else-Maj ihr Zuhause sowie Familie und Freunde verlassen und wird in ein Nomadeninternat geschickt. Dort wird sie mit anderen Kindern von Rentierhirten unterrichtet, bekommt einen schwedischen Vornamen und darf ihre Muttersprache nicht mehr sprechen. Die furchteinflössende Hausmutter Rita Olsson führt das Internat mit eisernen Hand, Verfehlungen oder andere Ungehorsamkeiten werden strengstens bestraft. Einzig die Erzieherin Anna versucht, die Kinder zu beschützen, verschwindet jedoch eines Tages spurlos. Dreißig Jahre später taucht Anna wieder auf, bringt die Leben ihrer früheren Schützlinge durcheinander, aber auch die Chance auf Heilung der Wunden mit.

Bereits im Jahr 1909 hatte Bischof Olof Bergkvist die Idee zu einer »Lappenschule«, die dazu gegründet wurde, um die samischen Rentierhalter an die schwedische Leitkultur anzupassen. Diese grausame Vorgehensweise wurde fast fünf Jahrzehnte lang praktiziert, Kinder im Alter von sieben Jahren ihren Eltern förmlich entrissen, ihrer Muttersprache beraubt und zur Umerziehung gezwungen. Lange Zeit haben die betroffenen Familien geschwiegen, sich oft geschämt, geschuldet dem Stolz, kein Opfer gewesen zu sein. Die Mutter der Autorin war selbst auf einer Nomadenschule gewesen, dies nahm Ann-Helén Laestadius zum Anlass, darüber ihr zweites Buch für Erwachsene zu schreiben. Vieles habe sie eigener Aussage nach jedoch ausgelassen, weil manche Vorkommnisse schlicht und ergreifend zu grausam gewesen seien, um diese aufzunehmen.

Mehrere Perspektiven bemüht die Autorin, springt zwischen den Zeiten zusätzlich hin und her. Dabei sind die Erlebnisse der Kinder gleich, das Ergebnis jedoch unterschiedlich. Da wäre Marge, die sich ein Kind wünscht, und als das adoptierte Kind endlich da ist, nicht in der Lage ist, sich vernünftig um das kleine Mädchen zu kümmern. Oder Jon-Ante, am liebsten Jonne genannt, der darauf förmlich beleidigt reagiert, wenn man ihn aus Spaß mit dem verächtlichen Begriff „Lappe“ betitelt, und der nicht in der Lage war und ist, eine Beziehung mit einer Frau einzugehen. Da ist aber auch Anne-Risten, die sich Anne nennt und einen Schweden geheiratet hat, die ihre Herkunft gänzlich verleugnet, um anerkannt zu werden und damit fast ihre Identität verliert. Sie, Else-Maj und weitere Erwachsene verbinden ihre Erlebnisse in der Kindheit, gleichzeitig aber geht jeder von ihnen unterschiedlich mit den erlittenen Traumata um.

Der zweite Roman von Ann-Helén Laestadius berührte mich, auch wenn er leider an den großartigen Vorgänger »Das Leuchten der Rentiere« nicht ganz heranreicht. Das Buch ist ruhig, stellenweise zu ruhig, im Leben der beteiligten Menschen passiert einfach nicht viel. Die zurückliegenden Geschehnisse sind grausam, aber auch diese Grausamkeit nutzt sich ein wenig ab, wenn sie sich wiederholt. Die samischen Wörter und Sätze hätte ich mir dabei sofort übersetzt gewünscht, das Glossar hinten zu platzieren, hat meinem Lesefluss eher geschadet als genutzt. Letztlich hielt mich der Umstand bei der Stange, dass es um wahre Schicksale geht und dies erschütterte mich wirklich sehr. Insgesamt ein guter Roman, der durch die nüchterne Sprache ein bisschen an Authentizität einbüßt.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2025
Leb wohl, Schwester
Thiesler, Sabine

Leb wohl, Schwester


ausgezeichnet

In den Hügeln von Toskana verbringt ein frischverliebtes Paar aus Deutschland seinen Urlaub, bis die jungen Menschen eines Nachts von einer unbekannten Person in ihrem Zelt erschossen werden. Commissario Donato Neri, der kurz vor seiner Pensionierung steht, und seine neue Kollegin Romina Roselli stehen vor einem Rätsel, da es keinerlei Spuren und auch kein erkennbares Motiv gibt. Als der Täter kurze Zeit später erneut zuschlägt, kommt Hektik auf, denn anscheinend hat es jemand auf Liebespaare abgesehen, was unschöne Erinnerungen weckt.

Mit »Leb wohl, Schwester« legt Sabine Thiesler einen weiteren Band mit ihrem unvergleichlichen Commissario Neri und seiner Frau Gabriela vor, der für mich persönlich den absoluten Höhepunkt der großartigen Reihe darstellt. Der Titel ist dabei so gut gewählt wie herrlich zweideutig, was ich an dieser Stelle unbedingt beglückwünschen möchte. Obwohl die Person, die die Taten begeht, von vornherein bekannt ist, schafft es die Autorin trotzdem, eine gewisse Spannung aufzubauen, die sich durch das ganze Buch zieht. Hierbei entsteht ein riesiger Nervenkitzel, der zum Ende hin so unerträglich wird, dass ich mehrfach kurz davor war, vorzublättern, um festzustellen, ob die mörderische Person bestraft wird, oder doch noch ein Schlupfloch findet, um ungestraft davonzukommen. Dies habe ich nicht getan und rate, es wie ich auf dem üblichen Wege herauszufinden. Erstklassig und absolut lesenswert!

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.04.2025
Mauthausen
Peidro, Jordi

Mauthausen


ausgezeichnet

»Mindestens 90.000 Menschen verloren in Mauthausen ihr Leben. Von den über 7.000 republikanischen spanischen Häftlingen wurden mehr als 4.200 ermordet. Francisco Aura Boronat war der letzte noch lebende der etwa 2.800 aus Mauthausen befreiten Spaniern. Er verstarb am 27. November 2018, kurz vor seinem 100. Geburtstag.« (Seite 187)

Wenn ich an Konzentrationslager denke, fallen mir in erster Linie Auschwitz und Dachau ein, die Stadt Mauthausen war mir tatsächlich bislang noch nie untergekommen, was ich nach dem Lesen der großartigen Graphic Novel von Jordi Peidro erstaunlich finde angesichts der Gräuel, die dort passiert sind, und der Zahl der getöteten Menschen. Wahrscheinlich liegt dies daran, dass Mauthausen sich in Österreich befindet, gelegen an der Donau. Errichtet wurde das Lager, um politische Gegner, Kriminelle oder als asozial bezeichnete Personen zu inhaftieren, wo sie zu Schwerstarbeit in Granitsteinbrüchen gezwungen werden sollten. Die ersten Gefangenen wurden durch die SS am 08. August 1938 überstellt, dabei handelte es sich anfangs um deutsche und österreichische Häftlinge, was sich nach Kriegsbeginn änderte, als Menschen aus ganz Europa ins KZ Mauthausen verschleppt wurden. Einer von ihnen war der spanische Widerstandskämpfer Francisco Aura Boronat, dessen Geschichte die vorliegende Graphic Novel erzählt.

»Die Erfahrung meines Vaters schwebte immer über unserer Familie. Es ist nicht möglich, ein Erlebnis von solcher Eindringlichkeit abzulegen. Man überlebt eine Deportation, aber sie begleitet einen für den Rest seines Lebens. Doch obwohl wir das so erlebten, weigerte ich mich lange, mich dem Schicksal meines Vaters zu stellen. Ich wollte nichts von seinem Leiden wissen…« (Javier Aura, Seite 191)

Die großartig gezeichneten Bilder und die Geschichte von Francisco Aura Boronat lassen mich tief bewegt zurück. Wieder einmal bin ich entsetzt darüber, was Menschen anderen Menschen antun und wie vielfältig das Böse seine Fratze zeigen kann. Besonders berührend fand ich dabei die Beiträge der Kinder von Francisco Aura Boronat zum Schluss des Buches; diese Worte haben mich buchstäblich zu Tränen gerührt. Hinzukommt der Umstand, dass ich historische Ereignisse und Fakten erfahren habe, die neu für mich waren. Eine bildliche Reise in die Vergangenheit, die großen Eindruck bei mir hinterlässt. Gegen das Vergessen.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.04.2025
Dunkle Momente
Hoven, Elisa

Dunkle Momente


ausgezeichnet

Die Strafverteidigerin Eva Herbergen steht vor einer schwierigen Entscheidung, sie erinnert sich in diesem Moment an die Fälle, die sie während ihrer dreißigjährigen Laufbahn bearbeitet und besonders an die Menschen, die sie vertreten und/oder verteidigt hat. Ein Fehler aus der Vergangenheit verfolgt sie ihr halbes Leben lang und das Gefühl einer Wiedergutmachung treibt sie an.

»Gut und Böse gibt es meist nicht, ein Mensch kann jahrelang das Richtige tun und dann eine falsche Entscheidung treffen, die alles verändert.« (Interview mit Elisa Hoven)

Elisa Hoven ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig und Richterin am Sächsischen Verfassungsgericht. Ihr zusammen mit Thomas Weigend, einem deutschen Rechtswissenschaftler und Autor, bis 2016 Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht und Strafverfahrensrecht sowie Strafrechtsvergleichung an der Universität zu Köln, verfasstes Sachbuch »Strafsachen: Ist unser Recht wirklich gerecht?« hat mich vor einigen Jahren begeistert. Hervorzuheben ist besonders ihr Talent, komplexe und komplizierte Sachverhalte so zu erklären, dass diese nicht nur für Menschen wie mich, die beruflich damit konfrontiert sind, sondern auch für Laien nachvollziehbar und verständlich sind. Das vorliegende Buch bestätigt dies noch einmal in eindrucksvoller Weise.

»Eine Sache, die mich an Verbrechen fasziniert, ist ihre Tragweite. Einen Menschen zu töten, ist meist die Entscheidung einer Sekunde, ein schnell ausgeführter Schlag, ein Messerstich im Kampf. Die Folgen aber trägt der Täter sein ganzes Leben lang.« (Seite 53)

Neun Fälle präsentiert die Juristin und Autorin, zu den Geschichten ließ sie sich dabei von echten Begebenheiten inspirieren. Hier ist die Auswahl so groß wie faszinierend, es geht um Wirtschaftskriminalität, Kannibalismus, Raub, Mord und andere Verbrechen, die mich mal mehr, mal weniger entsetzt und erschüttert haben. Elisa Hoven zeigt eindrucksvoll, wie schnell eine unbedachte Situation eskalieren kann, sie zeigt die Schlupflöcher des Gesetzes, die Täter, aber auch Opfer benachteiligen können, sowie auch, wie schnell die Seiten gewechselt werden können. Es gibt eben nicht nur Schwarz oder Weiß, es gibt unzählige Schattierungen von Grau dazwischen. Großartig und nicht nur für True Crime Liebhaber lesenswert!

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2025
Bis die Sonne scheint
Schünemann, Christian

Bis die Sonne scheint


ausgezeichnet

Es ist das Jahr 1983, Daniel, seine drei Geschwister und die Eltern machen schwere Zeiten durch, denn die Familie Hormanns ist pleite, der Gerichtsvollzieher war da, und ob sie in ihrem Bungalow bleiben können, steht in den Sternen. Der Schein muss dennoch gewahrt werden, nicht nur gegenüber beiden Großmüttern, sondern überhaupt. Eine ganz normale Familie inmitten des ganz normalen Wahnsinns.

»Vieles von dem, was meine Mutter schrieb, war mir neu, manches bekannt, und andere Dinge hatte ich ganz anders in Erinnerung. Manchmal musste ich lachen, manchmal wunderte ich mich, manchmal wurde ich traurig und wehmütig, und einmal brach ich die Lektüre ab.« (Nachwort, Seite 251)

Die großartigen 1980er Jahre, eine modische Revolution oder Entgleisung, je nach Laune und Sichtweise. Eine Zeit mit der besten Musik, wenn man wehmütig zurückblickt, aber auch da darf man geteilter Meinung sein, das ist völlig normal. Der Spruch »früher war alles besser« wird von Generation zu Generation weitergegeben, dies ändert sich nicht und wird immer so sein. Wer zu diesem Zeitpunkt aufgewachsen ist, weiß, was ich meine und wird dieses Buch genießen, aber auch ohne dieses Jahrzehnt zu kennen, ist es wirklich wunderbar.

Mit diesem Buch hat Christian Schünemann genau meinen Geschmack getroffen, die damalige Zeit perfekt wiedergegeben und das Ganze unterhaltsam verpackt. Die Geschichte der Eltern und Großeltern rundete die Erzählung ab, mir hat diese zeitweise sogar besser gefallen als der Hauptteil, wie ich zugeben muss. Danke an den Autor, dass er seine Familiengeschichte mit uns geteilt hat. Großartig und mehr als lesenswert!

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.04.2025
Das Wochenende
Richell, Hannah

Das Wochenende


ausgezeichnet

Max und Annie laden ihre Studienfreunde nebst Partnern und Kindern zur Einweihung ihres demnächst öffnenden Campingplatzes ein. Bereits am ersten Abend eskaliert die Situation, als es zu einem unschönen Streit am Lagerfeuer kommt. Am nächsten Tag ziehen die Kinder alleine los, obwohl ein Sturm vorhergesagt wurde. Eines von ihnen kehrt nicht zurück, was nicht gerade zur Entspannung der mittlerweile erneut aufgekommenen Streitigkeiten führt. Alte Wunden brechen auf, Geheimnisse kommen ans Licht und währenddessen spielt jemand ein böses Spiel.

Holla, die Waldfee, war das ein wilder Ritt, und damit meine ich nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch das Katz- und Maus-Spiel, das sich die Autorin mit mir erlaubt hat. Bröckchenweise fütterte sie mich mit kleinen Informationshäppchen, führte mich in die Irre, präsentierte Verdächtige, die sie kurz danach entlastete, lockte mich wiederholt in eine falsche Richtung und bis zuletzt überraschte sie mit ihrem Einfallsreichtum. Ich dachte mehrfach, dass ich nun den Durchblick hätte, war einige Male sicher, die Person identifiziert zu haben, die der Täter war, so gut passten die einzelnen Teile zusammen. Leider nur bei oberflächlicher Betrachtung, denn nie wäre ich darauf gekommen, was an diesem Wochenende tatsächlich geschah. Die permanent wechselnde Perspektive tat ihr übriges. Dies war großartig, spannend und voller unerwarteter Wendungen, genauso wie ich es mag. Große Leseempfehlung gibt es dafür von mir.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.04.2025
Das Dinner - Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?
Rudolf, Emily

Das Dinner - Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?


ausgezeichnet

Vor fünf Jahren verschwand Maria während eines Festivals spurlos, nun kommt die restliche Clique das erste Mal seit damals zusammen und trifft sich zu einem Krimi-Dinner. Während des Spiels fallen den früheren Freunden frappierende Parallelen zum Verschwinden von Maria auf, dann eskaliert die Situation und verschiedene Geheimnisse kommen ans Licht. Bald wachsen die Zweifel daran, dass die junge Frau freiwillig verschwand und es stellt sich die Frage, ob sie noch am Leben ist oder ein Mörder mit an der gedeckten Tafel sitzt.

»Schien so, als würde ich das Problem noch heute angehen müssen. Na gut. Ich würde dafür sorgen, dass Maria den Mund hielt. Koste es, was es wolle.« (Seite 125)

Der Prolog verriet alles und nichts, stimmte mich aber gut auf die folgende Geschichte ein. Die fünf Freunde schilderten mir die gegenwärtige Situation, schwelgten in Erinnerungen und ließen die Vergangenheit herein. Dabei durfte ich mich genauso wenig auf ihre Ehrlichkeit verlassen, wie sie es untereinander tun konnten; jede Person behielt wesentliche Informationen für sich, fügte Unwahrheiten hinzu oder stellte einzelne Ereignisse ein bisschen anders dar. Erst die einzelnen Puzzleteile, die sich daraus ergaben, formten für mich ein Gesamtbild, und dennoch war ich lange Zeit nicht in der Lage, der Täterperson näher zu kommen. Die Spannung blieb dadurch kontinuierlich hoch, lediglich in der Mitte gab es so viele Überschneidungen und Wiederholungen, dass es mir fast zu viel war. Dies ist aber meckern auf hohem Niveau, denn die Lösung war genial und was folgte einfach wunderbar. Insgesamt ein ausgezeichneter Thriller, der mit vielen Überraschungen verbunden war und mich großartig unterhalten hat.

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.04.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Im August 1975 verschwindet die dreizehnjährige Barbara aus dem Sommercamp, das in einem Naturreservat in den Adirondack Mountains liegt. Das Camp gehört ihren Eltern Alice und Peter Van Laar III., einer reichen Bankiersfamilie, der auch das umliegende Land in den Wäldern gehört. Die Aufregung ist groß, da der Bruder von Barbara, der achtjährige Peter „Bear“ Van Laar, vor vierzehn Jahren ebenfalls spurlos verschwunden ist. Die Umstände seines Verschwindens konnten nie zweifelsfrei aufgeklärt werden, der mutmaßliche Täter starb vor seiner Vernehmung.

Vor fast genau fünf Jahren habe ich »Long Bright River« gelesen, eine großartige Geschichte über zwei Schwestern, die beide einen unterschiedlichen Weg im Leben einschlagen haben, und seitdem ungeduldig auf ein weiteres Werk von Liz Moore gewartet. Die lange Wartezeit hat sich mehr als gelohnt, denn was die Autorin nun vorgelegt hat, ist mehr als nur preiswürdig, es ist ein Roman, der genreübergreifend Drama, Tragödie, Familiengeschichte und Thriller miteinander verknüpft und im Laufe der Erzählung einen Sog entwickelt, dem man sich als Leser kaum bis gar nicht widersetzen kann und dies letztendlich auch nicht will. Für mich persönlich ein großes Highlight, wenn nicht sogar DAS Highlight dieses Jahr schlechthin.

»Manchmal kam ihr jetzt der aufregende Gedanke, dass ihr Mann sich in sie verliebte - strenggenommen zum ersten Mal überhaupt. Ihr jüngeres Ich tat ihr leid, die achtzehnjährige Alice, die noch nichts von der Welt gewusst hatte; aber jetzt, in diesem Moment, war sie sehr mit sich zufrieden. Es war schon komisch, fand sie, wie viele Beziehungen man im Laufe eines gemeinsamen Lebens mit ein und demselben Mann führen konnte.« (Seite 400)

Von den 1950er Jahren bis spät in das Jahr 1975 hinein bemüht die Autorin verschiedene Perspektiven, um zu erzählen, was heute und damals geschah. Dabei werden die Kapitel jeweils mit Datum und Namen versehen, was die Zuordnung erleichtert, die Spannung dabei aber kontinuierlich nach oben schraubt, weil Dinge ausgelassen, neu hinzugefügt oder klargestellt werden, sodass zwar die Richtung vorgegeben, eine Lösung aber trotzdem erst in weiter Ferne erahnt wird. Dabei zeichnet sie ein Bild der Familie, das nicht schmeichelhaft ist, was nicht nur dem Reichtum und dem Status geschuldet ist, sondern auch dem damaligen Geist der Zeit. Die Nebencharaktere entstehen dabei ebenfalls vor meinen Augen, jede Person arbeitet sie akribisch heraus und so entwickelt sich für mich ein perfektes Bild.
🌳
Viele Seiten und Wendungen weiter, einem Chaos der Gefühle, ein paar Tränen und der großen Freude, dass ich dabei gewesen bin, klappe ich das Buch zu. Noch immer kann ich kaum glauben, wie es ausgegangen ist, wälze die Einzelheiten im Kopf hin und her, suche wiederholt nach einem Sinn. Was für ein großartiges Werk, was für ein Meisterstück. Ich merke sogar jetzt beim schreiben, wie aufgewühlt ich immer noch bin, und weiß: das sind Geschichten, für die ich brenne und von denen ich nicht genug bekomme. Phänomenal!

10 von 10 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.03.2025
Wütendes Mädchen auf einer Steinbank
Ovaldé, Véronique

Wütendes Mädchen auf einer Steinbank


ausgezeichnet

Die achtjährige Aïda möchte zum Karneval, es ist der letzte Abend der Festlichkeiten und ein Besuch vom Vater streng verboten, deswegen gibt sie nach, als die sechsjährige Mimi droht, sie zu verraten, wenn sie nicht mitgenommen wird. Auf dem Fest verlieren sich die Schwestern aus den Augen und so kehrt die Ältere alleine nach Hause zurück, aber ohne Alarm zu schlagen. Mimi bleibt unauffindbar und Aïda verlässt mit sechzehn die Familie, die sie seit dem Unglück wie eine Aussätzige behandelt, und kehrt der Insel den Rücken. Fünfzehn Jahre später meldet sich unerwartet ihre Schwester und erzählt vom Tod des Vaters, Aïda kommt daraufhin mit gemischten Gefühlen in die Heimat zurück.

Die ungewöhnliche Erzählweise macht einen großen Reiz der Erzählung aus, an mich persönlich richtet sich die Stimme, erzählt Vergangenes und springt dann in die Gegenwart zurück. Dazwischen die Geschichte des Vaters, das Leben der Mutter, vermischt mit Fakten über die Insel und ihre Bewohner. So ergibt sich nach und nach ein Gesamtbild, das unaufhaltsam darauf zusteuert, mir zu verraten, was in jener verhängnisvollen Nacht geschah. Meine Vermutung entpuppt sich als falsch, es war nämlich noch tragischer, als ich es mir hätte vorstellen können. Was folgt ist ein Meisterstück, das mich verblüfft, aber auch mit einer gewissen Genugtuung erfüllt. Sprachlich anspruchsvoll, lediglich die hier und da fehlenden oder überflüssigen Buchstaben zerstören manchmal das Leseglück. Insgesamt jedoch lesenswert!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.