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In einem geschlossenen Ökosystem unternehmen Wissenschaftler in den neunziger Jahren in den USA den Versuch, das Leben nachzubilden. Zwei Jahre lang darf keiner der acht Bewohner die Glaskuppel von "Ecosphere 2" verlassen. Egal, was passiert. Touristen drängen sich um das Megaterrarium, Fernsehteams filmen, als sei es eine Reality-Show. Eitelkeit, Missgunst, Rivalität - auch in der schönen neuen Welt bleibt der Mensch schließlich doch, was er ist. Und es kommt, wie es kommen muss: Der smarte Ramsay verliebt sich in die hübsche Dawn - und sie wird schwanger. Kann sie das Kind austragen? T.C.…mehr

Produktbeschreibung
In einem geschlossenen Ökosystem unternehmen Wissenschaftler in den neunziger Jahren in den USA den Versuch, das Leben nachzubilden. Zwei Jahre lang darf keiner der acht Bewohner die Glaskuppel von "Ecosphere 2" verlassen. Egal, was passiert. Touristen drängen sich um das Megaterrarium, Fernsehteams filmen, als sei es eine Reality-Show. Eitelkeit, Missgunst, Rivalität - auch in der schönen neuen Welt bleibt der Mensch schließlich doch, was er ist. Und es kommt, wie es kommen muss: Der smarte Ramsay verliebt sich in die hübsche Dawn - und sie wird schwanger. Kann sie das Kind austragen? T.C. Boyles prophetisches und irre komisches Buch, basierend auf einer wahren Geschichte, berührt die großen Fragen der Menschheit.
Autorenporträt
T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, ist der Autor von zahlreichen Romanen und Erzählungen, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Bis 2012 lehrte er Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt Das wilde Kind (Erzählung, 2010), Wenn das Schlachten vorbei ist (Roman, 2012), San Miguel (Roman, 2013), die Neuübersetzung von Wassermusik (Roman, 2014), Hart auf hart (Roman, 2015), die Neuübersetzung von Grün ist die Hoffnung (Roman, 2016), Die Terranauten (Roman, 2017), Good Home (Stories, 2018), Das Licht (Roman, 2019), Sind wir nicht Menschen (Stories, 2020), Sprich mit mir (Roman, 2021) sowie Blue Skies (Roman, 2023).
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Es ist nach x Big Brothers und Dschungelcamps noch immer ein faszinierendes Szenario - das Leben als Show, der Alltag unterm Brennglas: T. C. Boyle greift hier auf ein reales Experiment zurück. 1991 zogen acht Probanden in Arizona für zwei Jahre in ein abgeschlossenes künstliches Ökosystem, die "Biosphere 2". Aber es sind nicht ökologische Erkenntnisse, die Boyle interessieren, sondern soziologische. Insofern ähnelt sein aus drei Ich-Perspektiven geschilderter Roman der "Truman Show" oder Stephen Kings "Under the Dome". Nur ist sein Ansatz weniger ambitioniert. Nicht die großen philosophischen oder medienkritischen Fragen stehen bei ihm im Mittelpunkt, sondern das zwischenmenschliche Zwangs-WG-Chaos. Das könnte erfrischend sein, wenn sich Boyle ganz darauf einließe. Tut er leider nicht. Womit wir wieder bei Big Brother wären, bei Klatsch und Tratsch,  ödem Gefummel. Recht lustlos lesen auch Diehl, Tscharre und Wasserscheid ihre Passagen herunter. Diehl und Tscharre routiniert, sauber, grundsolide und mit angenehmem Sound. Wasserscheids rotziger, schnoddriger Görentonfall kann dagegen ganz schön an den Nerven sägen.

© BÜCHERmagazin, Stefan Volk (smv)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2017

In der Isolation liegt die Kunst

Amerika wird erst in seiner Literatur verständlich: Das ist der Anspruch der Great American Novel. In diesem Monat treten drei Romane an, ihm gerecht zu werden. Heute erscheint der erste davon auf Deutsch.

Es wird ein amerikanisches Jahr, denn vom 20. Januar an, dem ersten Tag der Präsidentschaft von Donald Trump, werden wir genauer als je zuvor beobachten, wie sich die mächtigste Nation der Erde entwickelt. Es wird aber auch in der Literatur ein amerikanisches Jahr, denn schon heute erscheint der erste von mehreren in jeder Hinsicht gewichtigen Romanen, die von uns dieselbe Aufmerksamkeit fordern, weil sie alle den Anspruch haben, ihr Herkunftsland, die mächtigste Nation der Erde, in Worten zu fassen. Für das gelungene Resultat dieses Bestrebens gibt es seit 150 Jahren, also noch bevor Amerika selbst im Weltmaßstab groß wurde, einen Begriff: Great American Novel.

Diese Bezeichnung, geprägt von einer Zeitschrift, die nicht zufällig den Namen "The Nation" trug (und immer noch trägt), sollte zunächst das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit amerikanischer Literatur gegenüber der britischen proklamieren. Dass der Begriff bis heute überlebt, ja an Mythos und Herausforderung immer noch zugelegt hat, verdankt sich ausgerechnet einem amerikanischen Schriftsteller, der von Europa fasziniert und deshalb nach England übergesiedelt war: Henry James. Aus der Ferne nahm er die Herausforderung des "großen amerikanischen Romans" an (auch wenn er die Formulierung verspottete) und füllte dessen Programm erst mit Inhalt. Vor allem James' aus den Vereinigten Staaten nach Europa verschlagene Protagonisten - mustergültig vorgeführt im Spätwerk "Die Gesandten" von 1903 - wurden zu Modellen der amerikanischen Identität, die sich in der literarischen Isolation besser zeigt als im weiten Land selbst. Die Gattung des Romans mit ihrer notwendigen Fokussierung auf ein festes Kernpersonal, aber der Möglichkeit, nach Belieben "Umwelt" zu schaffen, gegen die dieses Kernpersonal zu bestehen hat, bietet die ideale Form für induktive Gesellschaftsanalyse. An den Büchern von Henry James misst sich bis heute, was eine Great American Novel sein will. Und natürlich an dem Buch, das wie kein anderes als deren Archetyp gilt: Herman Melvilles "Moby-Dick", erschienen 1851, also noch bevor der amerikanische Roman groß sein wollte. Ein Isolationsroman reinsten Wassers.

Das amerikanische Jahr 2017 bringt nun gleich in seinem ersten Monat drei ins Deutsche übersetzte neue Bücher, die jedes für sich schon vom Umfang her den Anspruch einer Great American Novel erheben; zwei davon zu Recht. Es sind Bücher von zwei weltbekannten amerikanischen Schriftstellern und einer außerhalb ihres Landes noch unbekannten Autorin: T. C. Boyle, Paul Auster und Hanya Yanagihara. Das mit "nur" knapp mehr als sechshundert Seiten am wenigsten umfangreiche Werk des Trios ist das heute erscheinende: T. C. Boyles Roman "Die Terranauten" (Hanser Verlag), im Original erst vor drei Monaten publiziert. Boyle, geboren 1948, ist bei den deutschen Lesern seit mehr als zwanzig Jahren einer der erfolgreichsten amerikanischen Gegenwartsautoren; auch dieses Buch geht wie seine Vorgänger im letzten Jahrzehnt - und von Boyle kann man im Schnitt alle anderthalb Jahre mit einem neuen Roman rechnen, wenn auch nur selten im Umfang der "Terranauten" - mit einer Startauflage von hunderttausend Exemplaren in den Handel. Bei seiner im Februar anstehenden Lesetour durch sieben deutsche Städte wird es voll sein. Nicht in Buchhandlungen oder Literaturhäusern, sondern in Theatersälen.

"Die Terranauten" ist der zeitlich am engsten fixierte Roman unter den drei Januar-Neuerscheinungen: Boyle erzählt auf der Grundlage eines Anfang der neunziger Jahre in Arizona tatsächlich stattgefundenen Experiments davon, wie acht Menschen, vier Frauen und vier Männer, zwei Jahre lang in einem durch Überkuppelung hermetisch von der Außenwelt abgeschlossenen System von 1,5 Hektar Größe überleben. Pflanzen im Inneren sorgen für Sauerstofferneuerung, alle Lebensmittel müssen selbst produziert werden. Natürlich handelt es sich dabei nicht um eine Creatio ex nihilo: Das ganze Areal und seine Grundausstattung mit Pflanzen, Tieren und Menschen ist sorgsam geplant, damit der Versuch gelingen möge. Hintergrund dieser privat finanzierten "Ecosphere 2", die in Wahrheit "Biosphere 2" hieß, ist die Simulation einer künstlich erschaffenen autonomen Lebenswelt, wie man sie zur Durchführung einer Reise zum Mars und dessen etwaiger Kolonisierung benötigen würde.

In der Wirklichkeit wie im Roman scheiterte das Experiment beim ersten Mal (1991 bis 1993) daran, dass in Bio- beziehungsweise Ecosphere 2 der Sauerstoffgehalt so dramatisch gesunken war, dass von außen Luft zugeführt werden musste. Auch die Lebensmittelselbstversorgung misslang. Trotzdem verblieben die acht Teilnehmer für die vollen zwei Jahre in ihrem System. 1994 wurde dann nach Beseitigung der bislang erkannten technischen und ökologischen Mängel ein zweiter Versuch gestartet, diesmal mit dem Anspruch vollständiger Autarkie. Am 6. März 1994 wurde die Einstiegsluke hinter acht neuen Terranauten ("Erdfahrern"; ein Begriff von Boyle, nicht aus der Wirklichkeit) geschlossen. Hier setzt der Roman ein, und hier löst er sich von dem, was damals tatsächlich geschah.

Boyle lässt die neue Mission, die in Wahrheit nur noch auf zehn Monate angesetzt war und schon nach sechs abgebrochen werden musste, in seinem Buch gelingen - und er benennt den Preis dafür. Zwei Jahre sind deshalb der Handlungszeitraum seines Romans, und das, was in den Berichten über die reale Biosphere 2 neben den objektiven Schwierigkeiten verblasst ist, steht bei ihm im Mittelpunkt: die subjektiven Probleme, die sich aus dem Zusammenleben von acht Menschen auf engem Raum ergeben. Schon deshalb hat "Die Terranauten" den Anspruch einer Great American Novel: Es ist der spezifisch amerikanische Pioniergeist, der die Protagonisten antreibt. Das, was die acht Teilnehmer bei Boyle erleben, gleicht der Situation der ersten Siedler in der Neuen Welt. Die alte, die sie verlassen haben, ist immer noch da, aber nunmehr unerreichbar. Trotzdem hat man alle Werte, Marotten und Empfindlichkeiten aus ihr mitgenommen. Zwar droht in Ecosphere 2 keine äußere Gefahr, aber der schlimmste Feind wartet im Inneren. In den Menschen selbst

Das passt zur gegenwärtigen amerikanischen Selbstwahrnehmung, und es ist typisch für Boyles jüngste Romane: Sie widmen sich winzigen, aber signifikant gewaltsamen Ausschnitten der amerikanischen Gesellschaft. Das können Inseln vor der kalifornischen Küste sein, auf denen Umweltschützer versuchen, das ursprüngliche Ökosystem wiederzuerrichten ("Wenn das Schlachten vorbei ist" und "San Miguel"), oder Systemverweigerer, die einzelne Verfassungzusätze nicht akzeptieren und deshalb nach Art der deutschen "Reichsbürger" der existierenden Obrigkeit das Recht absprechen, über sie zu bestimmen ("Hart auf hart"). Aber auch in Boyles Romanen über prominente amerikanische Persönlichkeiten wie den Architekten Frank Lloyd Wright ("Die Frauen"), den Lebensmittelhersteller John Harvey Kellogg ("Willkommen in Wellville") oder den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey ("Dr. Sex") ist immer wieder deren Selbstisolation das zentrale Thema - und deren Unfähigkeit, von ihnen proklamierte Ideale auch für sich selbst gelten zu lassen. Sie stehen damit für die Vereinigten Staaten, und dadurch, dass Boyle mit diesen Büchern die unterschiedlichsten Phasen des zwanzigsten Jahrhunderts abdeckt, führt er den induktiven Beweis, dass es eine grundlegende amerikanische Hybris gibt, die große Risiken birgt. Nicht notwendig gleich für die ganze Gesellschaft, aber auch im kleinen Scheitern verweist das Geschehen jeweils auf die Gefahr des großen Kollapses.

Warum sind "Die Terranauten" trotzdem kein großer amerikanischer Roman? Weil man als Leser mittlerweile nur zu gut weiß, wie Boyle seine eigene Versuchsanordnung anlegt. Natürlich gibt es amouröse Verwicklungen und Entzweiungen im Mikro-Arrangement von Ecosphere 2. Oder besser Entdreiungen, denn erzählt wird "Die Terranauten" abwechselnd von einer Frau und einem Mann aus Ecosphere 2 sowie einer Frau, die nicht für die Teilnahme ausgewählt wurde, das Experiment aber weiterhin von außen begleitet. Die sich zwischen ihnen und den weiteren Protagonisten entwickelnden Dynamiken bedrohen das Projekt mehr als die mangelhaft manipulierten Rahmenbedingungen. Als die Ich-Erzählerin aus Ecosphere 2 schwanger wird, droht mit der Geburt des Kindes der Zusammenbruch des labilen Systems. Die erhoffte Isolation bleibt aber auch deshalb Wunschdenken, weil die Menschen im Inneren ständig in Sprech- und Bildkontakt mit denen von außen sind. Psychische Konflikte lassen sich von Glas nicht aufhalten. Diese Erkenntnis aber ist, mit Verlaub gesagt, trivial.

Alles andere als trivial sind dagegen die beiden Romane von Hanya Yanagihara und Paul Auster. Sie kommen erst Ende Januar auf Deutsch heraus, Austers "4 3 2 1" im Rowohlt Verlag dann gleichzeitig mit der amerikanischen Ausgabe, während Yanagiharas "Ein wenig Leben" (Hanser Berlin) im Original schon 2015 erschienen ist. Der tausendseitige Roman der 1975 auf Hawaii geborenen, aber in New York lebenden jungen Schriftstellerin hat seitdem in den Vereinigten Staaten Furore gemacht, weil er mit einer emotionalen Intensität erzählt ist, die ihresgleichen in der neueren amerikanischen Literatur nicht hat. Statt dass Yanagihara wie Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides - ihr Buch ist besser als die Romane der beiden Kollegen - eindeutig zeitlich bestimmbare Geschichten erzählte, löst sie ihre vier männlichen Protagonisten aus fast jedem konkreten Zeitzusammenhang. Die Handlung setzt kurz vor unserer Gegenwart ein und erstreckt sich dann über mehr als dreißig Jahre in eine Zukunft, in der sich nichts verändert außer den Schicksalen der vier Männer. Keine politischen Fragen und keine technischen stören die volle Konzentration auf das beklemmende Leben der Hauptperson, des als Waisenkind mit schweren physischen und psychischen Schäden aufgewachsenen Juden St. Francis, und seiner drei Jugendfreunde, die ein Quartett ergeben, das in einer so vielfältigen Anziehungskraft miteinander verbunden ist, dass man keine Außenwelt braucht. Und gerade diese nun wirklich überraschende und perfekt ausgeführte erzählerische Isolation ist das geeignete, ach was: das ideale Mittel, um eine Great American Novel zu schaffen.

Der Großteil der Handlung spielt sich in New York ab, das hat "Ein wenig Leben" mit Austers "4 3 2 1" gemeinsam. Inhaltlich nur das - und die jeweilige Qualität der beiden Romane. Denn Auster, der Anfang Februar siebzig Jahre alt wird, gelingt mit den beinahe 1250 Seiten seines neuen Buchs ein literarisches Comeback, das man nach den Enttäuschungen der letzten Bücher nicht mehr vermutet hätte. Er erfindet sich literarisch neu, obwohl auch dieser Roman stark autobiographisch grundiert ist, aber dem Ambitioniert-Konstruierten hat er adieu gesagt. Umso besser ist "4 3 2 1" nun konstruiert: Die Hauptperson Archie Ferguson (geboren 1947, genau einen Monat nach Auster) wird vierfach beim Aufwachsen begleitet, und jeweils ändert sich etwas in Familien- oder Freundschaftskonstellationen. Bis auf einen Archie Ferguson, den Auster-Ähnlichsten, bleiben die anderen drei in den sich abwechselnden Erzählsträngen auf der Strecke.

Hier ist nun alles aufs Genaueste und Konkreteste mit den amerikanischen Zeitläuften vor allem der sechziger Jahren verquickt, der Zeit großer innerer Krisen, Rebellionen und des Vietnam-Kriegs. Doch auf eine ganz andere Weise als Yanagihara gelingt es auch Auster, seinen Protagonisten, der nicht zur Armee muss und als weißer jüdischer Mittelschichtler in der relativen Geborgenheit der liberalen Metropole lebt, zum Stellvertreter für sein ganzes Land zu machen: zum Entwurf eines idealen Amerikas, das zwar Schattenseiten hat, in dem aber Liebe, Freundschaft und nicht zuletzt die Kunst des Erzählens über alle Herausforderungen triumphieren. Ja, auch das klingt trivial, aber wir alle wissen, dass es das nicht ist. Und wie es hier bei Auster und bei Yanagihara erzählt wird, ist es alles andere als das. Über beide Bücher wird noch viel gesprochen werden. Beide Bücher muss man lesen.

ANDREAS PLATTHAUS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2017

Sandkastenspiele
In seinem neuen Roman „Terranauten“ erzählt T. C. Boyle höchst
unterhaltsam vom Wahn, eine künstliche Biosphäre zu schaffen
VON BERND GRAFF
Nördlich von Tucson, Arizona, nahe dem Städtchen mit dem sprechenden Namen Oracle, befindet sich ein Nullpunkt der Zivilisation, ein Nicht-Lebensort. Die Landschaft wird dominiert vom Mount Lemmon, dem höchsten, im Winter schneebedeckten Berg der „Santa Catalina Mountains“, und einer atemberaubend schönen Wüste. Nur hier und in der angrenzenden mexikanischen Sonora-Wüste gedeihen jene Saguaro-Kandelaberkakteen, die dank der vielen Western, die in dieser Gegend gedreht wurden, oft für das Standardgewächs des Wilden Westens gehalten werden. Eine Landschaft also, die ebenso betörend wie total lebensfeindlich ist. Im Winter zu kalt, ab dem Frühjahr vernichtend heiß.
Doch genau hier, sogar wegen dieser Lebensfeindlichkeit, fand vor 25 Jahren ein Langzeitexperiment statt, bei dem herausgefunden werden sollte, ob Menschen – auf dem Mars oder auch auf der Erde nach einer atomaren oder ökologischen Apokalypse – ein alternatives geschlossenes Ökosystem aufbauen und sich selbst darin dauerhaft erhalten könnten: „Biosphäre 2“ wurde es genannt, weil diese vom Menschen gemachte Biosphäre durch kluge Bewirtschaftung unabhängig von der ersten Biosphäre, dem Leben auf unserem Planeten, ganz aus sich heraus bestehen sollte. Finanziert von einem Milliardär, entstand so auf einem Areal von 1,3 Hektar ein hermetisch abgeschlossener Glasgebäudekomplex, der verschiedene Biotope beherbergte, dazu Pflanzen und Nutztiere, ein Komplex, der von einer achtköpfigen Crew über zwei Jahre hinweg ohne jeden Außenkontakt betrieben wurde.
Die Geschichte dieser Mission erzählt der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle in seinem neuen Roman „Die Terranauten“, der an diesem Montag erscheint, auf mehr als sechshundert Seiten, und er erzählt sie als Groteske. Als eine bitterböse Satire auf menschliche Eitelkeit und Geltungssucht, auf Dummheit und Geschwätzigkeit, als Farce des Publicity-Wahns und der Medienhörigkeit.
Das Buch ist hinreißend komisch, aber auch bitter entlarvend. Boyle gelingt dies, weil er das Geschehen in dem hier „Ecosphere 2“ genannten Glaskomplex über die zwei Jahre andauernde Mission hinweg zwar chronologisch fortlaufend berichtet, aber aus den äußerst subjektiven, daher sehr verschiedenen Perspektiven von drei beteiligten Personen. Sie sind allesamt Knallchargen und in sich selbst verliebte Rundum-Egomanen: Es sind zwei Crew-Mitglieder, die aus dem Innern der Glaswelt berichten, und eine in der Endrunde des Castings knapp gescheiterte Kandidatin, die der Mission nun missgünstig und neidisch, aber verkniffen dauerlächelnd verbunden bleibt, weil sie daran arbeitet, für die Fortsetzungsmission in zwei Jahren nominiert zu werden und so endlich ins Scheinwerferlicht der Medien zu gelangen. Insofern kann Boyle abwechselnd vom entbehrungsreich harten, fast steinzeitlichen und angesichts der ungehemmten Profilneurosen der Crewmitglieder auch gruppendynamisch äußerst anspruchsvollen Leben unter der Glaskuppel berichten wie vom Rummel, der draußen um sie herum gemacht wird. Im Wortsinn „gemacht“. Denn auch wenn seine Erzähler mit dem glühenden Enthusiasmus, den nur unfassbare Blödheit aufzubringen vermag, von der Bedeutung der Mission, der Überwindung ihrer Tücken und ihren wissenschaftlichen Erfolgen künden, wird doch vor allem klar, dass ganz andere als rein wissenschaftliche Interessen das Projekt in Gang gesetzt haben und halten.
Das beginnt schon bei der Auswahl der Crew, vier Männern und vier Frauen in ihren sexuell aktivsten Zwanzigern, die offenkundig nur nach ihren Fernsehqualitäten und der Körbchengröße von dem selbstherrlichen Finanzier, er wird ebenso bewundernd wie verächtlich „GV“ – Gottvater – genannt, zusammengestellt wurde. Denn es ist „sein“ Experiment, angelegt als mediales Dauerspektakel, etwa mit verordneten Nacktbädern im künstlichen Ozean, die hier Forschungsarbeiten im Korallenriff genannt werden, damit die Crew-Mitglieder gegen Eintrittsgeld wie in einem Aquarium besichtigt werden können. Wenn das Medieninteresse abnimmt, schließlich läuft das „Experiment“ ja ganze zwei Jahre lang ununterbrochen, dann müssen Klassiker des absurden Theaters einstudiert und hinter dem Glasvorhang vor den Kameraaugen zu Darbietung gebracht werden. Diese Dauererregung und Publicity – eines der Crew-Mitglieder ist denn auch kein Wissenschaftler, sondern PR-Manager – ist GV auch deshalb so wichtig, weil, wie der Leser recht früh erfährt, die geschilderte Crew bereits die zweite unter Einschluss ist. Eine erste Mission war vorzeitig abgebrochen worden, weil die Medien herausgefunden hatten, dass eines der Mitglieder regelmäßige Arztbesuche in Biosphäre 1 unternommen hat und einmal auf dem „Nachhauseweg“ in die Glaskuppel sogar mit Tüten aus dem Supermarkt in der Luftschleuse erwischt wurde. Dabei lautet doch das Klausur-Versprechen: Zwei Jahre lang kommt hier nichts rein, nichts raus. Anders ergäbe dieses Experiment ja auch keinen Sinn.
Beim zweiten Anlauf gelingt diese Hermetik dann auch zwei Jahre lang. Fast. Und hier zeigt sich eine Stärke von Boyles literarischem Können: Unabhängig davon, dass die einzelnen Crew-Mitglieder in ihrer totalen Verblendung kaum Kontur gewinnen, macht Boyle doch sehr deutlich, dass ein Leben in der Wüste zum Scheitern verurteilt ist. Vor allem, wenn man im Glashaus sitzt. So muss von Beginn an ein erheblicher Energieaufwand von außen betrieben werden, um gegen die Sonnenglut die Temperatur im Innern stabil und die Wellenmaschine des Kunst-Ozeans in Gang zu halten. Jahreszeitlich bedingt sinkt natürlich auch die Sauerstoffproduktion der Pflanzen, weswegen in einem dramatischen Notfall einmal sogar heimlich Frischluft von außen eingeschossen werden muss. Und das sind nicht die einzigen Unvorhersehbarkeiten, die Mission 2 an den Rand des Scheiterns bringen. Man entkommt Biosphäre 1 eben doch nicht.
Unterernährt, ausgemergelt, fast irre vor Hunger und Lagerkoller warten die inzwischen zu Medien-Superstars hochgejazzten Terranauten nach genau zwei Jahren auf den Wiedereintritt in Biosphäre 1. Dann passiert etwas: „Wir standen in einer Reihe. GV zählte ‚… fünf, vier, drei, zwei, eins!‘ Die Luftschleuse wurde geöffnet, und zum ersten Mal seit zwei Jahren vermischte sich die Atmosphäre der beiden Biosphären. Die Terranauten in leuchtend roten Designeroveralls marschierten hinaus in die Arme der jubelnden Menge.“ So könnte es enden. Doch das kann nicht das Ende von T. C. Boyles Biosphäre 2 sein. Sie muss weitergehen. Deren „wahre“ Geschichte gilt mittlerweile als gescheitert.
T. C. Boyle: Die Terranauten. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Carl-Hanser-Verlag, München 2017. 608 S., 26 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Boyles Mediensatire ist
hinreißend komisch,
aber auch bitter entlarvend
Kann es eine künstliche Welt
geben, in der man zwei Jahre lang
überlebt? Noch nicht
Wenn der Himmel sich verdunkelt: Sandsturm in der Wüste von Nevada.
Foto: imago / ZUMA Press
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"Ein Buch wie ein Dampfdruckkochtopf: Je länger das Experiment läuft, desto größer die Spannung." Denis Scheck, Tagesspiegel, 19.03.17

"Keiner beschreibt die Apokalypse mit so viel schwarzem Humor wie T.C. Boyle." Karin Gramling, SWR 2 Kultur Regional, 16.02.17

"Keiner erzählt so gut in wahre Begebenheiten rein wie T.C. Boyle. ... Ein genialer Roman, über Menschen, die Gott spielen - der einmal mehr beweist, dass Boyle poetisch wie ein Engel und zynisch wie der Teufel ist." Angela Wittmann, Brigitte, 3/2017

"Boyle ist ein großartiger Erzähler mit einem scharfen Blick für die vielen Nuancen des Zwischenmenschlichen oder besser vielleicht des allzu Menschlichen." Maria-Christine Leitgeb, Die Presse, 21.01.17

"Psychologische Detailbeobachtungen einer größenwahnsinnigen Versuchsanordnung. ... Packend und humorvoll schreibt Boyle über den Ehrgeiz, die Kleinkriege, und über die sexuellen Eskapaden der Terranauten." Jan Tussing, 3sat "Kulturzeit", 20.01.17

"Was für ein Setting! Diesmal hat T.C. Boyle es richtig krachen lassen. ... Dieser Mikrokosmos unter Glas ist einfach wie geschaffen für das Boylesche Universum." Teresa Hübner, SWR2 "Forum Buch", 20.01.17

"Ein ebenso witziges wie böses und gnadenloses Buch" Christian Preusser, Frankfurter Neue Presse, 14.01.17

"Boyle leuchtet hier psychologisch aus, was Menschen umtreibt, die heute Steinzeitdiät-Tipps posten oder sich mit drei Salatköpfen aus dem Garten als Selbstversorger inszenieren." Britta Heidemann, Die Welt, 14.01.17

"Eine Komödie, bei der einem das Lachen oft im Halse stecken bleibt. ... Eine sehr düstere Meditation über den menschlichen Charakter und die sogenannte Zivilisation." Sebastian Fasthuber, Falter, 11.01.17

"Boyle entdeckt in dieser Geschichte den Ursprung dessen, was wir heute Reality-TV nennen. ... Die Figuren, die er beschreibt, sind sehr tiefgründige Charaktere. Es sind psychologisch genau beobachtete Menschen. ... Das ist das Faszinierende an dem Buch: Es ist die dunkle Seite der menschlichen Natur, die nicht auf einem Konstruktionsplan steht, an der das Projekt scheitert." David Eisermann, WDR 5 "Scala", 11.01.17

"Boyle ist ein Spezialist für tragikomische Einblicke in sehr eigensinnige Charaktere und auch für Ausnahmesituationen. ... Das Szenario ist außergewöhnlich, sehr spannend und interessant. Boyle erzählt flüssig, süffig und ironisch, wie man es von ihm kennt." Stefan Sprang, hr1 "Buchtipps", 11.01.17

"Eine bitterböse Satire auf menschliche Eitelkeit und Geltungssucht, auf Dummheit und Geschwätzigkeit, als Farce des Publicity-Wahns und der Medienhörigkeit. Das Buch ist hinreißend komisch, aber auch bitter entlarvend." Bernd Graff, Süddeutsche Zeitung, 09.01.17

"Wie gewohnt verpackt Boyle in seine Reality-Literatur alle großen Fragen des Lebens, die ihn und uns umtreiben. ... Unter den Bedingungen der Glaskuppel erfährt auch Jean-Paul Sartres Diktum eine neue Gestaltung: 'Die Hölle, das sind die anderen.' Zum Leser kommt das als Tragikomödie, mit der richtigen Dosis Witz, glaubhaft und aushaltbar zugleich." Res Strehle, Tages-Anzeiger, 08.01.17

"Ein komisches Lehrstück darüber, wohin wahnhafte Liebe zur Natur führt: in die Selbstzerstörung." Knut Cordsen, BR 2 "Diwan", 07.01.17

"Eine Satire über Castingshows und New-Age-Kult. ... Doch vor allem sind es die herrlich treffenden Beschreibungen der menschlichen Schwächen, die den Roman so unterhaltsam machen. Eine schillernde bitterkomische Komödie. Ein typischer T.C. Boyle." Krischan Koch, NDR Kultur, 06.01.17
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