Turtle heißt eigentlich Julia, aber mit diesem Namen kann sie sich nur äußerst selten identifizieren. Turtle passt viel besser. Denn die Umstände, denen Julia ausgesetzt ist, lässt sie ganz oft wie eine Schildkröte agieren. Kopf einziehen und unter dem Schutzpanzer verstecken. Und der hat im Leben
der erst Vierzehnjährigen schon riesige Ausmaße angenommen.
Ihr Vater liebt sie – und behandelt sie…mehrTurtle heißt eigentlich Julia, aber mit diesem Namen kann sie sich nur äußerst selten identifizieren. Turtle passt viel besser. Denn die Umstände, denen Julia ausgesetzt ist, lässt sie ganz oft wie eine Schildkröte agieren. Kopf einziehen und unter dem Schutzpanzer verstecken. Und der hat im Leben der erst Vierzehnjährigen schon riesige Ausmaße angenommen.
Ihr Vater liebt sie – und behandelt sie wie ein Stück Dreck.
Sie hat grenzenloses Verständnis – und ein fast tödliches Verlangen nach ihm.
Aber durch eine Fügung des Schicksals entdeckt sie ein Leben außerhalb des väterlichen Einzugskreises – und wächst daran.
Der Vater ist in sich, seinen verqueren, zerstörerischen Empfindungen gefangen und in seiner kompromisslosen Art zu einer Anpassung an die neuen Gegebenheiten nicht fähig.
Er kann sich nicht entwickeln – sie schon!
Ich glaube, ich habe in den letzten Jahren kein Buch gelesen, dass mich gleichermaßen derart verstört und fasziniert hat. Wenn man erlebt, wie der Vater seine Tochter unter dem Deckmantel der Liebe behandelt, könnte man schreien vor Wut und Entsetzen. Dabei liebt er sie im grundlegenden Kern tatsächlich. Jedoch verschmilzt diese Empfindung jedoch zunehmend mit einem grässlichen Besitzwahn und verleiht Turtles Erzeuger eine grässliche Fratze, der ich immer weniger ins literarische Gesicht sehen konnte und wollte. Ich hatte Angst. Um Turtle in dieser glücklicherweise fiktiven Geschichte, aber noch viel mehr um all diejenigen Schutzbefohlenen, die in der realen Welt zwar nicht exakt diesen, aber vielfältigen anderen Willkürlichkeiten ihrer „liebenden“ Verantwortlichen ausgesetzt sind. Und es oft nicht schaffen, diesem Teufelskreis zu entkommen. Weder physisch noch physisch.
Turtle jedoch macht Mut und gibt Hoffnung, denn sie entwickelt sich grandios – und sehr nachvollziehbar. „Was mich nicht tötet, macht mich stärker.“ Dieser Satz passt perfekt zu dem besonnenen, mehr als starken Mädchen. Sie weiß genau, wann sie sich wie zu verhalten hat, wann sie was auszuhalten hat und wann der Punkt erreicht ist, an dem sie umdenken muss. Zu ihrem eigenen Schutz, aber auch zu dem des Vaters – wenn auch in einer sehr abstrakten Form.
„Mein Ein und Alles“ ist sicherlich ein Roman, der in seiner Dramatik und seinem großen Reichtum an Kontrasten polarisiert. Der Autor geht bis an die Grenzen des Erträglichen, manchmal auch ein Stück darüber hinaus. Die Charaktere, allen voran Turtle und ihr Vater, sind intensiv ausgearbeitet, er holt das letzte aus seinen Figuren heraus. Auch die Handlung reizt er bis auf das Äußerste aus. Und er bleibt auch beim Erzählstil seiner extremen Linie treu, setzt der puristischen Brutalität und ihren abartigen, schockierenden Momenten das genaue Gegenteil gegenüber. Die Zartheit und Weite der Natur, die Schönheit des Lebens, und die positive Kraft, die in allem steckt. Und in jedem. Wenn diese Kraft geweckt wird und man ihr nachgibt, so wie Turtle, muss nicht alles verloren sein.
Was macht einen Menschen aus?
Wie viel Menschlichkeit steckt naturgegeben in jedem von uns?
Kann diese Menschlichkeit abgetötet werden oder lediglich betäubt?
Welche Rolle spielen Umgang und Gewohnheit?
Kann der Verstand die instinktiven Empfindungen besiegen?
Man weiß zu keinem Zeitpunkt, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Auch wenn man die Charaktere grundsätzlich gut einzuschätzen weiß, sind sie immer wieder für Überraschungen und unerwartete Wenden gut, sodass der Roman bis zur letzten Seite spannend bleibt.