Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Stanzick
Wohnort: 
Ober-Ramstadt

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2019
Die Weihnachtsgeschichte

Die Weihnachtsgeschichte


ausgezeichnet

Wasyl Bagdaschwili, Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas und Matthäus, Coppenrath Verlag 2018, ISBN 978-3-649-62767-8

Mit wunderbaren reich mit Gold verzierten Bildern hat Wasyl Bagdaschwili die biblische Weihnachtsgeschichte illustriert für das hier vorliegende Bilderbuch des Coppenrath Verlags, der schon lange unter anderem religiöse Kinderbücher verlegt.

Der unbekannte Erzähler hat die Überlieferung der Weihnachtsgeschichte nach Lukas und Matthäus sehr kindgerecht nacherzählt. Die Szene, als der Engel den Hirten auf dem Feld die frohe Botschaft übermittelt, ist durch aufklappbare Seiten zum inhaltlichen und auch zum künstlerischen Mittelpunkt des Buches gemacht worden, was ich für sehr gelungen halte.

Das großzügig in Ganzleinen gebunden Bilderbuch eignet sich hervorragend als Geschenk für Kinder ab etwa drei Jahren. Die Bedeutung des erzählten Geschehens ist allerdings auf der letzten Seite auf die Worte „dass der Heiland der Welt geboren war“ beschränkt. Hier wären gerade auch angesichts des oft fehlenden biblischen Wissens in vielen Familien weitere kindgerechte theologische Erklärungen sinnvoll gewesen.

Dennoch ragt das Buch unter den vielen als Bilderbuch publizierten Weihnachtsgeschichte vor allem durch seine beeindruckenden Illustrationen heraus.

Bewertung vom 01.11.2019
Fliege fort, fliege fort
Hochgatterer, Paulus

Fliege fort, fliege fort


ausgezeichnet

Schon in seinen beiden hervorragenden Romanen „Die Süße des Lebens“(2006) und „Das Matratzenhaus“ (2010) hatte der in Wien lebende und dort als Kinderpsychiater arbeitende Schriftsteller Paulus Hochgatterer ein Ermittlerduo vorgestellt, wie es unterschiedlicher nicht sein könnte.

Da ist zum einen Raffael Horn, ein in einer Klinik arbeitender Kinderpsychiater. In diese Person und ihre Ansichten politischer und psychologischer Natur hat Hochgatterer vermutlich sehr viel Eigenes hineingelegt. Horn schaut ohne Illusionen auf sein Leben und seine Tätigkeit.


Zum anderen ist Teil des Duos der Kriminalkommissar Ludwig Kovacs, der, geschieden, in einer lockeren, von seiner Seite aus hauptsächlich sexuell orientierten Beziehung mit Marlene, der Betreiberin eines Secondhand-Shops lebt, mit der er sich in der Regel einmal in der Woche zu einem Essen und anderen Bedürfnisbefriedigungen trifft. In seinen einsamen Nachtstunden blickt er durch ein Fernrohr in die Weite des Universums, und versucht dabei seine Gedanken und Gefühle zu ordnen.

Beide sind mittlerweile älter geworden. Horn spricht oft laut aus, was er denkt und schlägt sich mit seinem renitenten Sohn Tobias herum, den Hochgatterer in den vielsträngigen Handlungsverlauf des Buches einbezogen hat, und Kovacs steht kurz vor seinem Ruhestand und lässt sich von nichts und niemand aus der Ruhe bringen

Obwohl sie sich auch in diesem Buch nicht persönlich begegnen, sind Horn und Kovacs in ihren jeweiligen Tätigkeiten konfrontiert mit den gleichen Phänomenen, bei denen etliche ältere Menschen auf mysteriöse Weise zu erheblichem körperlichem Schaden kommen. Sie haben zunächst nur eines gemeinsam: sie schweigen eisern über den wirklichen Tathergang.

Unerklärlich scheinen all diese Vorkommnisse, die der Autor beschreibt. In Furth am See hat sich einiges geändert. In der sogenannten „Burg“, einem ausrangierten und halb verfallenen ehemaligen Kinderheim, hat der Staat ein Quartier für alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge des Landes eingerichtet, das nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von der Polizistin Petra Lindström, die zu dem Referat von Kovacs gehört, als „Lager“ bezeichnet wird. Es wird bewacht von einem privaten Sicherheitsdienst, schwarz gekleideten jungen Männern, die sich „Aktion 18“ nennen, ein klarer Hinweis auf die rechtsradikale Gesinnung dieser Truppe.

Etliche dieser Flüchtlinge besuchen auch das örtliche Jugendzentrum „Come In“, in der aus dem ersten Roman bekannte Benediktinerpater Joseph Bauer in einem Betreuerteam mitarbeitet.

All diese Menschen werden von Paulus Hochgatterer in eine Handlung eingeführt, in der der Leser lange keine roten Faden sehen kann, sich aber an der meist in wunderbar formulierter indirekter Rede gehaltenen Sprache des Autors erfreut. Wie er die Personen in Horns und Kovacs jeweiligen Abteilungen beschreibt und ihre Beziehungen untereinander, steht in einem wohltuenden Gegensatz zu der dunklen und bedrohlich erscheinenden Welt, in der sie leben und ihren Dienst tun.

Immer wieder in ihre privaten Angelegenheit involviert, die Hochgatterer sensibel und warmherzig beschreibt, versuchen sie die spärlichen Anhaltspunkte, die ihnen zur Verfügung stehen, miteinander zu verbinden.

Als dann noch ein Mädchen spurlos verschwindet, sind sie gezwungen, in eine ganz alte, offenbar längst vergangene Geschichte einzutauchen, die zu tun hat mit der „Burg“ und dem, was darin einst vor sich gegangen ist.

Der Roman bietet Unterhaltung und Spannung auf einem sehr hohen sprachlichen und literarischen Niveau. In einer Danksagung nennt er seinen Roman „ein Buch über den Sieg der Imagination des Individuums über die Diktatur der gleichgerichteten Einigkeit.“



Ein großer Roman mit beeindruckenden Figuren.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.10.2019
Der Kinderzug
Küpper, Michaela

Der Kinderzug


ausgezeichnet

Nachdem ihr erster Roman bei Droemer („Kaltenbruch“), ein Kriminalroman, der in der Nachkriegszeit der frühen Bundesrepublik spielte, ein großer Erfolg war, hat Michaela Küpper für ihren neuen Roman die in der Literatur bisher wenig beschriebene Institution der Kinderlandverschickung (KLV) der Nationalsozialisten recherchiert und in einer spannenden fiktiven Handlung beschrieben.

Die Hauptfigur des sensibel und atmosphärisch dicht erzählten Romans ist die junge Lehrerin Barbara Salzmann. Sie lebt in Essen, wo sie in einer Schule vor einiger Zeit angefangen hat zu unterrichten. Als im Sommer 1943 die Bombardierungen der Alliierten auch das Ruhrgebiet und Essen erreichen, wird Barbara beauftragt, eine Gruppe von Mädchen auf einer Kinderlandverschickung zu begleiten. Auch der Rektor ihrer Oberschule, Dr. Ritter, wird zusammen mit seiner Familie zu diesem Dienst verpflichtet. Drei Monate lang soll der Aufenthalt in einem Hotel auf der Ostseeinsel Usedom dauern, doch für Barbara und die meisten Mädchen werden lange Jahre bis nach dem Krieg daraus, dauerhaft getrennt von ihren Familien. Barbaras Freund Johann, ein Soldat, der kurz danach auch wieder zur Front muss, verabschiedet sie am Essener Bahnhof unter Tränen. Sie wissen nicht, ob sie sich angesichts der politischen Lage jemals wiedersehen werden.

Das neue Heim der Mädchen erweist sich als angenehme Überraschung. Es gibt ausreichend und gut zu essen, und Barbara kann die Mädchen täglich unterrichten. In einem benachbarten Lager von Jungen geht es anders zu. Da werden die Jungs militärisch gedrillt und viele freuen sich schon auf ihren späteren Einsatz als Soldaten.

Michaela Küpper treibt die sich über zwei lange Jahre hinziehende dramatische Handlung voran, in dem sie insgesamt vier Personen immer wieder von sich erzählen lässt, bzw. den Erzähler von ihnen. Da ist zunächst Barbara Salzmann selbst, deren Schicksal als junge Frau im Nationalsozialismus sozusagen das Zentrum des Romas bildet. Dann gibt es die kleine Edith, die mitverschickt wurde, obwohl sie eigentlich zu jung ist für die Gruppe. An ihrem Beispiel macht die Autorin deutlich, was es für kleinere Kinder bedeutete, so lange von zu Hause und den Eltern getrennt zu sein. Ihre ältere Schwester Gisela vertraut ihrem Tagebuch alles an, was sie erlebt. Und da ist Karl, dessen Schicksal die Autorin weiterverfolgt, auch nachdem beide Gruppen längst Usedom wieder verlassen haben und in unterschiedlichen Häusern quer durch das Deutsche Reich immer wieder nur für kurze Zeit unterkommen. Karl ist bei der HJ und ein glühender Anhänger Hitlers.

Die Geschichte, die erzählt wird, ist eine wahre Odyssee. Sie führt nicht nur die Lehrerin Barbara an ihre Grenzen, sondern auch die Kinder. Einzelne von ihnen muss Barbara im Lauf der langen Zeit Briefe mit Todesnachrichten naher Verwandter vorlesen und sie in ihrer unendlichen Trauer stützen, was sie jedes Mal an den Rand ihrer seelischen Kraft bringt. Sie, die sich lange aus der Politik herauszuhalten versuchte, wird immer kritischer, als sie zunehmend mit den Methoden und Plänen der Nationalsozialisten konfrontiert wird. Als dann während des Aufenthaltes in einem der vielen wechselnden Unterkünfte, die ihr und ihren Mädchen Schutz bieten sollen, ein Mädchen verschwindet und ein polnischer Fremdarbeiter, der sich rührend um die Gruppe gekümmert hatte, nicht nur verdächtigt, sondern auf dem Marktplatz aufgehängt wird, da platzt ihr der Kragen und sie bietet den örtlichen NS-Funktionären die Stirn.

Ein dramatisches Ende wird schon ganz zu Anfang des Buches beschrieben, nur kennt man da die Handlung noch nicht. Der Roman ist ein bewegendes Stück literarischer Zeitgeschichte. Er beschreibt sehr gut recherchiert auf dem historischen Hintergrund der wenig bekannt gewordenen Kinderlandverschickungen der Nazis das Schicksal einer immer stärker und mutiger werdenden Frau und am Beispiel einiger ausgewählter Kinderfiguren, wie der Krieg deren Kindheit geprägt und verformt hat.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.