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Wo die Fäden zusammenlaufenFenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur in Brüssel, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der EU-Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte; David de Vriend dämmert in einem Altenheim seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwi...
Wo die Fäden zusammenlaufen
Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur in Brüssel, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der EU-Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte; David de Vriend dämmert in einem Altenheim seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Thinktank der Kommission Worte sprechen, die seine letzten sein könnten. Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen - für ein Schwein, das durch die Straßen läuft.
Gelesen von Christian Berkel.
(2 mp3-CDs, Laufzeit: 14h 21)
Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur in Brüssel, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der EU-Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte; David de Vriend dämmert in einem Altenheim seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Thinktank der Kommission Worte sprechen, die seine letzten sein könnten. Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen - für ein Schwein, das durch die Straßen läuft.
Gelesen von Christian Berkel.
(2 mp3-CDs, Laufzeit: 14h 21)
Robert Menasse, 1954 in Wien geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft und promovierte über den 'Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb'. Danach lehrte er bis 1988 an der Universität São Paulo/Brasilien, zunächst als Lektor für österreichische Literatur, später dann als Gastdozent für Literaturtheorie. Einem breiten Publikum wurde er v. a. durch seinen Roman 'Die Vertreibung aus der Hölle' (2001) bekannt, für den er den Hölderlin-Preis und den Breitbach-Preis erhielt. Seit 2006 befasst sich der Autor auch in Essays und Vorträgen verstärkt mit EU- und globalisierungskritischen Themen. Inzwischen lebt Robert Menasse als freier Autor hauptsächlich in Wien.

© Rafaela Pröll / Suhrkamp Verlag
Produktdetails
- Verlag: Dhv Der Hörverlag
- Anzahl: 2 MP3-CDs
- Gesamtlaufzeit: 830 Min.
- Erscheinungstermin: 18. September 2017
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783844527476
- Artikelnr.: 48069598
Herstellerkennzeichnung
Hoerverlag DHV Der
Lindwurmstraße 88
80337 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
Realistische Groteske
Robert Menasse in der Frankfurter Romanfabrik
Er kennt sich aus in Brüssel. Vier Jahre lang hat Robert Menasse in der belgischen Hauptstadt gelebt. Immer wieder hat er Essays über die Europäische Union und ihre Institutionen verfasst und für eine "Europäische Republik" auf dem Fundament eines Europas der Regionen plädiert. Jetzt hat er in der Frankfurter Romanfabrik endlich auch einen EU-Roman vorgestellt, der unter dem Titel "Die Hauptstadt" bei Suhrkamp erschienen ist. "Eine Groteske", befand Hausherr Michael Hohmann. Aber der Wiener Schriftsteller beharrte auf einem "realistischen Roman". Jedenfalls fand das sich drängende Publikum genug Anlässe, immer wieder laut aufzulachen. Und das
Robert Menasse in der Frankfurter Romanfabrik
Er kennt sich aus in Brüssel. Vier Jahre lang hat Robert Menasse in der belgischen Hauptstadt gelebt. Immer wieder hat er Essays über die Europäische Union und ihre Institutionen verfasst und für eine "Europäische Republik" auf dem Fundament eines Europas der Regionen plädiert. Jetzt hat er in der Frankfurter Romanfabrik endlich auch einen EU-Roman vorgestellt, der unter dem Titel "Die Hauptstadt" bei Suhrkamp erschienen ist. "Eine Groteske", befand Hausherr Michael Hohmann. Aber der Wiener Schriftsteller beharrte auf einem "realistischen Roman". Jedenfalls fand das sich drängende Publikum genug Anlässe, immer wieder laut aufzulachen. Und das
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nicht nur während des Prologs, in dem ein Schwein die Brüsseler Innenstadt heimsucht und dabei fast der gesamten Personage des Romans über den Weg läuft.
Brüssel, die Hauptstadt der Realsatire. Etwa, wenn "Xeno", die Leiterin eines Jubiläumsprojekts, dem Kabinettschef des Kommissionspräsidenten gegenübersitzt, um ihn von ihren Plänen zu überzeugen. Mit seinem Romulus Strozzi ist Menasse eine wunderbare Karikatur gelungen. Hauptberuflich Nachfahre adliger italienischer Faschisten und Kriegsverbrecher, begrüßt er die griechische Kollegin auf Altgriechisch und mit den ersten Worten des Johannes-Evangeliums. Einst hat er die olympische Bronzemedaille im Säbelfechten gewonnen. Den Finten und Paraden dieses EU-Beamten ist "Xeno" nicht gewachsen. Am Ende will Strozzi die Nationalstaaten in das Projekt einbeziehen, also statt an einem Strang zu ziehen ein ganzes Knäuel von Fäden in die Hand nehmen. Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge und der Europäische Rat mit seinen nationalen Interessen - dieses Strukturproblem der Union nimmt Menasse köstlich auf's Korn.
Ein anderes Problem ist das Gewissen einzelner Beamter. Wie das des Patienten im Nadelstreifenpyjama, der keine Reden mehr für den Finanzkommissar schreiben kann, seit er weiß, dass die Selbstmordrate in Griechenland entsprechend der Sparauflagen gestiegen ist. Der Kommunikationsbeamte fühlt sich wie sein versagendes Kommunikationsorgan: "Ich bin sozusagen beruflich eine Milz." Menasse schreibt nicht nur geistreich und witzig, er trug seine sorgsam ausgewählten Passagen auch vor wie ein Kabarettist. Dabei liegt ihm die EU ernsthaft am Herzen und er hat Verständnis für ihre hochqualifizierten Beamten, nur: "Es sind Menschen."
Zurück zum Schwein. Diese "universale Metapher" sollte im Schweinsgalopp alles und alle zusammenführen: als Symbol des Glücks und der Sparsamkeit, aber auch als unreines Tier zweier Monotheismen. "Die europäische Politik besteht nun einmal aus Widersprüchen", sagte Menasse. Zu den Karriereschlüsseln in Brüssel gehöre es übrigens auch, das Lieblingsbuch des Kommissionspräsidenten im Smalltalk erwähnen zu können, in diesem Fall Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". Deshalb habe auch er einige musilsche "Duftmarken" gesetzt, fügte er hinzu. Vielleicht gehören sie ja auch zu den Karriereschlüsseln im hiesigen Literaturbetrieb: Menasse steht mit seinem Roman immerhin auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wird daher neben vier der anderen fünf Shortlist-Autoren am Samstag von 18 Uhr an im Frankfurter Literaturhaus ebenfalls zu Gast sein. Die Lesung ist ausverkauft.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Brüssel, die Hauptstadt der Realsatire. Etwa, wenn "Xeno", die Leiterin eines Jubiläumsprojekts, dem Kabinettschef des Kommissionspräsidenten gegenübersitzt, um ihn von ihren Plänen zu überzeugen. Mit seinem Romulus Strozzi ist Menasse eine wunderbare Karikatur gelungen. Hauptberuflich Nachfahre adliger italienischer Faschisten und Kriegsverbrecher, begrüßt er die griechische Kollegin auf Altgriechisch und mit den ersten Worten des Johannes-Evangeliums. Einst hat er die olympische Bronzemedaille im Säbelfechten gewonnen. Den Finten und Paraden dieses EU-Beamten ist "Xeno" nicht gewachsen. Am Ende will Strozzi die Nationalstaaten in das Projekt einbeziehen, also statt an einem Strang zu ziehen ein ganzes Knäuel von Fäden in die Hand nehmen. Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge und der Europäische Rat mit seinen nationalen Interessen - dieses Strukturproblem der Union nimmt Menasse köstlich auf's Korn.
Ein anderes Problem ist das Gewissen einzelner Beamter. Wie das des Patienten im Nadelstreifenpyjama, der keine Reden mehr für den Finanzkommissar schreiben kann, seit er weiß, dass die Selbstmordrate in Griechenland entsprechend der Sparauflagen gestiegen ist. Der Kommunikationsbeamte fühlt sich wie sein versagendes Kommunikationsorgan: "Ich bin sozusagen beruflich eine Milz." Menasse schreibt nicht nur geistreich und witzig, er trug seine sorgsam ausgewählten Passagen auch vor wie ein Kabarettist. Dabei liegt ihm die EU ernsthaft am Herzen und er hat Verständnis für ihre hochqualifizierten Beamten, nur: "Es sind Menschen."
Zurück zum Schwein. Diese "universale Metapher" sollte im Schweinsgalopp alles und alle zusammenführen: als Symbol des Glücks und der Sparsamkeit, aber auch als unreines Tier zweier Monotheismen. "Die europäische Politik besteht nun einmal aus Widersprüchen", sagte Menasse. Zu den Karriereschlüsseln in Brüssel gehöre es übrigens auch, das Lieblingsbuch des Kommissionspräsidenten im Smalltalk erwähnen zu können, in diesem Fall Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". Deshalb habe auch er einige musilsche "Duftmarken" gesetzt, fügte er hinzu. Vielleicht gehören sie ja auch zu den Karriereschlüsseln im hiesigen Literaturbetrieb: Menasse steht mit seinem Roman immerhin auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wird daher neben vier der anderen fünf Shortlist-Autoren am Samstag von 18 Uhr an im Frankfurter Literaturhaus ebenfalls zu Gast sein. Die Lesung ist ausverkauft.
CLAUDIA SCHÜLKE
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Paul Jandl fühlt sich mit Robert Menasses neuem Roman an Musils "Mann ohne Eigenschaften" erinnert. Hier wie da werden die Verhältnisse in ihrer Gefährlichkeit aufgedeckt, bei Menasse ist das vor allem die EU-Wirklichkeit im Abgleich mit ihren Möglichkeiten, erklärt Jandl. Dass Menasse Europa als Thema urbar gemacht hat, findet der Rezensent bemerkenswert, zumal der Autor hier geradezu einen Krimi um die europäische Fleischindustrie entwirft, wie Jandl feststellt. Geschichte und Gegenwart, Tragik und Komik, Hoffnung und Scheitern haben darin gleichermaßen ihren Platz, meint Jandl, ohne dass der Autor es allzu parodistisch oder milieuhaft angehen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Eine grandiose ... Liebeserklärung an Europa und gleichzeitig eine blendend recherchierte Innenansicht über die Arbeit der Europäischen Kommission.« Denis Scheck Der Tagesspiegel 20171217
Gebundenes Buch
"Roman" nennt der Verlag das Buch von Robert Menasse, aber für einen Roman gebricht es dem Buch an so etwas wie einem Handlungsaufbau. Auf esseayistische, z.T. groteske Art werden kurze Augenblicke aus dem Leben verschiedenster Personen in Brüssel - die meisten davon sind EU …
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"Roman" nennt der Verlag das Buch von Robert Menasse, aber für einen Roman gebricht es dem Buch an so etwas wie einem Handlungsaufbau. Auf esseayistische, z.T. groteske Art werden kurze Augenblicke aus dem Leben verschiedenster Personen in Brüssel - die meisten davon sind EU Beamte - dargestellt. Realistische Darstellungen von Karrierekämpfen und Lobbyarbeit innerhalb des EU-Apparates und reale Ereignisse (der U-Bahn-Anschlag) werden vermengt mit grotesken Beschreibungen (das in Brüssel frei laufende Schwein als "running gag") sowie (Achtung Spoiler!) dem Dan-Brown-haften Killer-Geheimdienst des Vatikan.
Das Buch ist streckenweise durchaus amüsant zu lesen, lässt einen aber letztlich doch ratlos zurück. "Was will uns der Autor sagen"? - Dass es in einer so großen Organisation wie der EU auch ziemlich "menschelt"? Dass sie aber trotzdem (Stichwort Auschwitz) sehr notwendig? So wahr wie banal.
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Gebundenes Buch
Eine neue Sau wird durchs Dorf getrieben – oder so ähnlich. Ein Schwein, Mitten in Brüssel, der europäischen Hauptstadt. Die Gemüter sind erregt, die Gazetten stürzen sich auf das Thema. Derweil plagen die Beamten der Europäischen Kommission ganz andere Sorgen als …
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Eine neue Sau wird durchs Dorf getrieben – oder so ähnlich. Ein Schwein, Mitten in Brüssel, der europäischen Hauptstadt. Die Gemüter sind erregt, die Gazetten stürzen sich auf das Thema. Derweil plagen die Beamten der Europäischen Kommission ganz andere Sorgen als Schweine auf Brüssels Straßen. Schweineohren sind interessant, aber nur, weil man damit auf dem chinesischen Markt Geld verdienen kann und aktuell die Nationalstaaten im Alleingang mit dem asiatischen Riesen verhandeln und sich gegenseitig reihenweise ausbooten und schaden. Ist das im Sinne der EU? Die könnte etwas für ihr Image tun, da kommt Fenia Xenopoulou das Big Jubilee Project gerade recht. Außerdem könnte das ihr Sprungbrett in ein wichtiges Ressort sein, Kultur ist mehr so das Abstellgleis. Apropos Gleis, als Kind ist David de Vries von einem Zug gesprungen, einem Deportationszug nach Auschwitz, der ihn in den sicheren Tod befördern sollte. Sein Leben lang war er Zeuge dessen, was Hass und Nationalstolz verursachen können, doch jetzt kann er sich kaum mehr erinnern, was er zehn Sekunden zuvor noch gedacht hat. Sein geistiges Erbe droht zu verfallen. Ähnlich verfällt auch der Körper von Kommissar Brunfaut, der eigentlich einen Mord aufklären will, den es aber plötzlich nicht mehr gegeben haben soll und der ihm einen unplanmäßigen Urlaub einbringt. Sie alle haben das Schwein gesehen, wie viele andere in der Hauptstadt der derzeit unpopulären Union, ein Schwein, über das alle reden und das die Leute in der Suche nach einem Namen zusammenführt und so wenigstens in einem Thema vereint.
Es ist nicht einfach, Robert Menasses Roman auf den Punkt zu bringen. Sehr viele Figuren, sehr viele Einzelhandlungsstränge, viel Geschichte und Politik – aber vielleicht ist es doch ganz einfach: es lebe die EU. Was wie ein chaotisches Kaleidoskop undurchdringlich scheint, schillert jedoch und entsteht in jeder Sekunde neu und kann bestaunt und bewundert werden. Die Menschen sind es, die das gemeinsame Europa entstehen lassen und die Vielfalt ausmachen.
Die Figuren sind durchdacht und vielschichtig kreiert. Die Karrieristin, der brave Beamte, der leidenschaftliche Volkswirt – es mangelt nicht an Stereotypen, jedoch bleiben sie dabei nicht stehen, sie haben Brüche und zeigen Facetten, die sie aus der Schablone herauslösen und zu Individuen werden lassen. Ihre Wege kreuzen und überschneiden sich, lösen sich dann wieder und oftmals bleiben die Begegnungen unentdeckt. Ein buntes Treiben geradezu, genau wie man es in Brüssel auch erleben kann.
Zweifelsohne ist der Roman ein Lobgesang auf die nachnationale Staatengemeinschaft, auch wenn die Mitarbeiter der Kommission weniger an der großen politischen Idee als an dem persönlichen Weiterkommen interessiert zu sein scheinen. Geradezu ad absurdum wird dies durch die Figur Alois Erharts geführt, der ein rauschendes Plädoyer auf eine neue europäische Hauptstadt singt, die aus Ruinen auferstehen müsse und daher nur an dem Ort entstehen könne, an dem die größte Niederlage Europas zu beklagen war: in Auschwitz. Leider verstirbt kurz danach der letzte Überlebende der Tragödie. Ein Humor, der begeistern kann, wenn man über eine gewisse Morbidität hinwegsieht, die sich durch das ganze Buch zieht. Menasse versteht sein Handwerk und setzt seine Sprachfertigkeit gekonnt ein, nein, er steht sogar über dem gängigen literarischen Diskurs und kann sich eine Eröffnung mit „Wer hat den Senf erfunden?“ erlauben.
Dass „Die Hauptstadt“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis 2017 gelandet ist, ist keine große Überraschung. Thematisch am Puls der Zeit – das Schwein soll hier nochmals ganz am Ende eine grenzwertige politisch relevante Rolle spielen und den Verdruss der Bürger zu einer unsäglichen Klimax führen – und doch leicht und unterhaltsam. Es macht tatsächlich wieder Lust auf das europäische Miteinander, das Europa von Menschen, die hier bei Menasse auch äußert menschlich sein dürfen.
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Gebundenes Buch
Bemerkenswertes Buch, das im Gegensatz zu „Widerfahrnis“ im letzten Jahr zurecht den Deutschen Buchpreis bekommen hat. Neben den nachdenklichen Kapitelüberschriften gefallen mir auch die jeweils kurzen ersten Sätze.
Ein wenig schwierig ist die große Personenanzahl, doch …
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Bemerkenswertes Buch, das im Gegensatz zu „Widerfahrnis“ im letzten Jahr zurecht den Deutschen Buchpreis bekommen hat. Neben den nachdenklichen Kapitelüberschriften gefallen mir auch die jeweils kurzen ersten Sätze.
Ein wenig schwierig ist die große Personenanzahl, doch überzeugt mich die "Übrigens-Kultur". So besitzen die radfahrenden Mitarbeiter der EU Aufkleber, die sie Falschparker an die Scheibe kleben, wenn sie den Radweg blockieren (ich muss beim ADFC in Heidelberg mal nachfragen, ob es die auch in Heidelberg gibt.).
Besonders schön ist die Friedhofsgeschichte mit dem Satz: „Ich bin lieber mit dieser Frau geächtet als ohne sie geachtet!“ (S.90) Der Satz bezieht sich auf einen Brüsseler Baron, der eine „Negerin“ aus dem Kongo geheiratet hat und ein Museum der bedingungslosen Liebe für sie schuf.
Dann der Abgeordnete, der zur Gedenkfeier nach Ausschwitz muss: „Wir wollen auf keinen Fall, dass sie krank werden. […] Deutsche Unterwäsche ist das Beste für Ausschwitz!“ (S.101f, dass sie vor krank müsste eigentl. groß geschrieben werden…)
Menasse schreibt mit viel Witz, etwa bei der gedachten Szene mit dem Bier für den Kommissar, das nicht kommt, und dem Wirt, der die Polizei holen will oder der Interpretation von chin. Schriftzeichen: Aus „Alle Menschen sind Schweine“ wird „Alte Menschen sind schweigsam (S.384).
Was bei Satire immer schwierig ist und was auch hier nicht hundertprozentig gelingt, ist die Auflösung am Ende. Ich möchte festhalten, dass hier kein Krimi geschrieben wurde, dennoch der Mord aufgeklärt, selbst wenn der Täter nicht bestraft wird. Mehr will ich hier nicht verraten.
Am Rande wird noch das Drama der Flüchtlinge in Ungarn behandelt und auch der Europa quälende Terrorismus kommt nicht zu kurz. Und jetzt habe ich gar nichts über das Schwein gesagt.
In einem inhaltsreichen Buch muss nicht alles optimal sein, deswegen noch 5 Sterne.
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Gebundenes Buch Fazit:
Die EU funktioniert auch nicht anders als ein Kleintierzuchtverein.
Amüsant geschrieben.
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Gebundenes Buch
Der Roman beginnt damit, dass ein Schwein panisch durch Brüssel läuft. Männer und Frauen geraten in Panik. Manch einer stürzt vor Schreck auf den regennassen Straßen und wälzt sich im Dreck.
Ich dachte bei mir, wie skurril diese Situation anmutet. Ein Schwein jagt …
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Der Roman beginnt damit, dass ein Schwein panisch durch Brüssel läuft. Männer und Frauen geraten in Panik. Manch einer stürzt vor Schreck auf den regennassen Straßen und wälzt sich im Dreck.
Ich dachte bei mir, wie skurril diese Situation anmutet. Ein Schwein jagt erwachsenen Menschen Angst ein. Mutig sind wir Menschen wirklich nur dann, wenn so ein beschauliches Nutztier paniert und dampfend auf unserem Teller liegt. Das Thema Schweinehandel hat mir sehr zu denken gegeben. Wie hier mit Lebewesen gehandelt wird, ist einfach nicht richtig. Aber, das wissen wir längst. Ich habe mir die Frage gestellt: Ist das Schwein als Symbol für unsere Politik gedacht?
Ich habe vorher noch nie ein Buch gelesen, dessen Schwerpunkt auf Politik beruht. Der Autor hat es geschafft, dass mich die Geschichte um die EU gefesselt hat.
Man lernt viele Personen kennen, bei denen man sich fragt, was sie mit der Handlung zu tun haben. Nach und nach fügen sich die Protagonisten in das Geschehen ein.
Sei es der demente David de Vriend, der seinen Lebensabend in einem Altenheim verbringt oder der Referent Martin Susman. Mit David de Vriend beginnt die Geschichte. Er zieht aus seiner Wohnung aus. Eigentlich weiß er gar nicht warum. Er wird in dieser Geschichte noch sehr wichtig werden. Er hat den Holocaust überlebt.
Susman und seine ehrgeizige griechische Kollegin Fenia Xenopoulou aus der EU-Kommission, versuchen eine Kunstausstellung zur Jubiläumsfeier zu gestalten. Als Hauptthema: Die letzten Überlebenden des Holocaust.
Kommissar Brunfaut schien mir einer von den wenigen Charaktermenschen in der Geschichte zu sein. Übergewichtig und ehrlich. Er weiß nicht mehr, wem er noch trauen kann. Er darf bei einem Mord nicht mehr weiter ermitteln. Die Daten aus seinem PC sind komplett gelöscht. Brunfaut wird beurlaubt. Brunfaut ist nicht gesund. Brunfaut möchte der Sache trotzdem auf den Grund gehen.
Die katholische Kirche schickt einen polnischen Agenten auf Reisen, der nun auf der Flucht ist.
Der österreichische Emeritus der Volkswirtschaft Alois Erhart, plant beim Think-Tank seine letzte Rede zu halten. Er nimmt kein Blatt mehr vor den Mund und stößt die Denkbeauftragten mit seinen Worten vor den Kopf.
Der Autor hat Fiktion und Realität gekonnt miteinander verwoben. Sei es das Flüchtlingsproblem oder die katastrophale Situation in Griechenland. Besonders deutlich wird, dass es in der Politik eigentlich kein Miteinander gibt. Jeder möchte das größte Stück vom Kuchen. Jeder will die Karriereleiter hochklettern und geehrt werden. Für Idealisten gibt es wenig Platz in der politischen Maschinerie. Nichts Neues!
Überlebende Holocaustopfer benutzt man zu Werbezwecken. Das Image der europäischen Komission soll mit geheuchelter Empathie aufpoliert werden. Das sind so meine Gedanken.
Mein Fazit
Der Schreibstil ist nüchtern und stellenweise sehr humorvoll. Es wird stets aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten erzählt. Es wird viel philosophiert und diskutiert. Jedes Kapitel beginnt mit einem philosophischen Satz.
Ein raffinierter Prolog holt den Leser von Anfang an ab.
Das Schwein läuft in der Geschichte immer wieder seine Bahnen.
Stellenweise war mir die Geschichte etwas zu ausschweifend. Es wurde, für meinen Geschmack, zuviel in die Geschichte hineingepackt.
Nichtsdestotrotz hat der Autor einen Roman geschrieben, der auch für Menschen geeignet ist, die nicht leidenschaftlich gerne politisieren.
Vegetarier dürften nun darüber glücklich sein, dass sie keine Konsumenten von Schweinefleisch sind. Schweine sind Lebewesen! Warum nur geht das immer wieder unter?
Mir ist es unheimlich schwer gefallen, über dieses Buch meine Meinung zu schreiben, da ich mich zuvor nie so eingehend mit der Thematik befasst habe. Ich habe viel dazu gelernt. Vor allem, warum Raucher Angorawäsche tragen sollten. :-)
Danke Robert Menasse
Meine Lieblingszitat
Ideen stören, was es ohne sie gar nicht gäbe, (Überschrift 2. Kapitel)
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Gebundenes Buch
Nach dem Lesen dieses Romans ist eines jedenfalls klar: Brüssel ist Europas Hauptstadt, hier findet man die VertreterInnen aller Nationen, die gegen- und miteinander versuchen, die Gegenwart und Zukunft unseres Kontinents zu gestalten. Doch so unterschiedlich die Menschen dort auch sind, auf …
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Nach dem Lesen dieses Romans ist eines jedenfalls klar: Brüssel ist Europas Hauptstadt, hier findet man die VertreterInnen aller Nationen, die gegen- und miteinander versuchen, die Gegenwart und Zukunft unseres Kontinents zu gestalten. Doch so unterschiedlich die Menschen dort auch sind, auf irgendeine Weise sind sie miteinander verbunden, jetzt oder durch ihre Vorfahren in der Vergangenheit. Davon handelt dieses Buch, vom Leben in dieser Hauptstadt und den zumeist unsichtbaren Fäden, die die BewohnerInnen untereinander verknüpfen.
Viele Geschichten werden hier erzählt: die des Kommissars Brunfaut, dem die Untersuchung eines Mordfalles entzogen wird; die des ehemaligen Auschwitzgefangenen David de Vriend, der in ein Altenheim umzieht; die der EU-Beamtin Fenia, die sich strafversetzt fühlt und zum ersten Mal ein Gefühl verspürt, an das sie nie glaubte; und sechs, sieben weitere Personen, die alle auf ihre Art ihre Nationen vertreten, gleichzeitig aber so europäisch sind, wie man es nur sein kann.
Robert Menasse erzählt in einem locker-leichten Plauderton mit viel (auch schwarzem) Humor und serviert einem praktisch so nebenbei viele der Probleme unserer Zeit mit teilweise umfangreichen Analysen: Flüchtlingskrise, Vergangenheitsbewältigung, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, zunehmende Medialisierung, Werteverlust usw. Das Ganze meist mit jeder Menge feiner Ironie und leichter Spöttelei, sodass ich mich trotz der ernsten Themen häufig gut amüsierte.
Einen kleinen Haken hat das Buch jedoch, wie ich finde. Durch die vielen ProtagonistInnen wechseln die Erzählstränge zwangsweise häufig und auch schnell. Liest man den Roman zügig durch, dürfte das kein Problem sein. Zieht es sich jedoch etwas hin (wie es bei mir der Fall war), kommt kein richtiger Erzählfluss auf. Die Figuren wurden mir nicht vertraut genug, sodass ich nahtlos wieder einsteigen konnte - häufig musste ich zurückblättern, wer wer war. Trotzdem war es eine unterhaltsame und stellenweise auch erhellende Lektüre.
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Gebundenes Buch
Eine Stadt, die synonym für eine Institution steht: Brüssel und die EU. In dieser Stadt leben die unterschiedlichsten Menschen, vom hohen EU-Beamten mit großen Karriereplänen über einen Hauptkommissar, der in eine brisante Ermittlung schlingert, einen alternden Professor …
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Eine Stadt, die synonym für eine Institution steht: Brüssel und die EU. In dieser Stadt leben die unterschiedlichsten Menschen, vom hohen EU-Beamten mit großen Karriereplänen über einen Hauptkommissar, der in eine brisante Ermittlung schlingert, einen alternden Professor und einen Altenheimbewohner, der einst Auschwitz überlebte. All diese Geschichten, verbunden durch die Stadt in der sie leben, zeigen die Absurditäten einer überbordenden Bürokratie in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt auf.
Robert Menasse ist mit „Die Hauptstadt“ wirklich ein großer Wurf gelungen. Es ist ein Roman, der viele hochaktuelle Themen anspricht und dabei gleichzeitig kurzweilig und sehr gut lesbar bleibt. Er vermittelt auf sehr leichte Art all die Kuriositäten, die sich um den Machtkomplex EU – oder genauer die Kommission- ranken. Die Charaktere sind so unterschiedlich wie es die Themen sind, die mit ihnen abgedeckt werden, was die Lektüre umso unterhaltsamer macht. Vom Großlobbyisten aus der Schweinezucht bis zum kleinen Beamten ist alles dabei und alle bewegen sich in einem riesigen Netz aus Beziehungen und Interessen, indem man sich eigentlich nur verstricken kann.
Das Buch wurde meiner Meinung nach vollkommen zu Recht mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Der Autor hat einen sehr komplexen und intelligenten und zugleich gut lesbaren Roman abgeliefert, der hochaktuell und für alle Leser von Interesse ist. Egal ob man begeistert von der europäischen Ideen ist oder sich eher als Europakritiker sieht, hat der Roman viel zu bieten und regt zum Nachdenken an. Robert Menasse hat mit „Die Hauptstadt“ ein Buch geschrieben, dass unbedingt gelesen werden sollte.
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Broschiertes Buch
Brüsseler Allerlei
Würde ich das Buch kommentieren, wenn es landauf, landab mit weniger Lorbeer behängt worden wäre? Ich würde nicht. Schon gar nicht, wenn dessen Kapitel mit Untersprüchen beschwert werden („Wenn wir in die Zukunft reisen könnten, …
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Brüsseler Allerlei
Würde ich das Buch kommentieren, wenn es landauf, landab mit weniger Lorbeer behängt worden wäre? Ich würde nicht. Schon gar nicht, wenn dessen Kapitel mit Untersprüchen beschwert werden („Wenn wir in die Zukunft reisen könnten, hätten wir noch mehr Distanz“, u.a.), deren Sinn und Zusammenhang mit dem Folgenden mir regelmäßig verschlossen blieben. Und dennoch tu ich es. Korrumpiert vom vielen Lorbeer?
Ich konzentriere mich auf eine Gestalt in Menasses Werk, eine von den vielen, die durch Brüssels Straßen, Kneipen, Gebäude laufen, vielleicht doch eher irren, essen, schlürfen, schwitzen, intrigieren, von ihren körperlichen und psychischen Schmerzen und der unaufhörlichen Hitze gepeinigt werden. Auf eine aus dem umfangreichen „Personal“ (Bezeichnung von S. Prokopp, einer Amazon-Kommentatorin): den Herrn Professor Erhart. Dieser gelehrte Österreicher hält eine aufrührerische Rede vor einem von der EU finanzierten „think tank“. Es geht um Europas Zukunft, insbesondere die wirtschaftliche. Nach mehreren Anläufen, die vom Autor unterbrochen werden, weil es zwischendurch auf jeweils hundert Seiten ja auch anderes zu berichten gibt (so daß ich immer wieder rekapitulieren mußte, wer denn bloß noch dieser Erhart ist), kommt es endlich. Es muß etwas Großes kommen, es muß der Kulminationspunkt des Romans sein, dachte ich, was sonst hätte die gespreizten Wege von Erhart durch Brüssel gerechtfertigt, bis er loswerden kann, was ihm auf den Nägeln brennt? Doch der Berg kreißte und gebar eine Maus. Das Elend der Ökonomie, so Erhart, sei ihr nationalistischer Charakter. Und Auschwitz müsse europäische Hauptstadt werden.
Alles in allem: ein Buch mit bescheidener Dramaturgie, ein Behälter für Geschichten und Gestalten, die den berühmten roten Faden vermissen lassen. Die Bücher von Menasses Schwester Eva gefallen mir besser. Der Bruder wird’s mir verzeihen.
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Gebundenes Buch
In seinem Europa-Roman stellt der Autor die Hauptpersonen, um die er seine Geschichte entwickelt, dem Leser vor, indem er sie durch eine Gemeinsamkeit eint: alle sehen ein Schwein, das durch Brüssel läuft und einen keineswegs friedlichen Eindruck macht.
Dies sind die ehrgeizige Fenia …
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In seinem Europa-Roman stellt der Autor die Hauptpersonen, um die er seine Geschichte entwickelt, dem Leser vor, indem er sie durch eine Gemeinsamkeit eint: alle sehen ein Schwein, das durch Brüssel läuft und einen keineswegs friedlichen Eindruck macht.
Dies sind die ehrgeizige Fenia „Xeno“ Xenopoulou, gegen ihre Wünsche ins Kultur Ressort befördert und Kai-Uwe Frigge, Kabinettchef Generaldirektion Handel, mit dem sie eine lockere Beziehung hat;
Dr. Martin Susman, Mitarbeiter in ihrem Team, Kind österreichischer Bauern, dessen Bruder Florian den elterlichen Schweinemastbetrieb erfolgreich weiterführt;
Ryszard „Mateusz“ Oswiecki, der einen Auftrag ausgeführt hat und untertaucht;
David de Vriend, der in Brüssel lebt, Auschwitz überlebt hat und gerade in ein Altersheim übersiedelt ist;
Prof. DDr. Alois Erhart, auch im Alter noch damit beschäftigt ist, seine Kindheit zu verarbeiten und endlich seine eigenen Visionen findet;
Kommissar Emile Brunfaut der einen Mordfall vergessen soll, statt ihn aufzuklären.
Jede dieser Hauptpersonen hat ihre eigene Geschichte, die Menasse erzählt, teilweise durch Rückblenden, vor allem aber, indem er uns an ihren Gedanken teilhaben lässt. Dadurch erklären sich Verhaltensweisen und Handlungen. Manche der Personen kennen einander, andere begegnen sich, verharren jedoch in der Anonymität der Großstadt und als Leser möchte ihnen zurufen, doch miteinander zu reden, weil es wichtig wäre. Die Sprachenvielfalt in Brüssel macht die Kommunikation nicht einfacher.
Robert Menasse beschreibt in diesem Roman das Gefüge der Europäischen Union, Abläufe in der Bürokratie von Brüssel, und dies alles so realistisch, dass es genau so passiert sein könnte, teilweise auch ist. Ähnliche Personen wie die Hauptakteure seiner Geschichte kennen wir alle. Kritisch werden Verträge hinterfragt, die internen Querelen nachvollzogen, aber Kernstück ist die Frage nach der Eigenständigkeit der Nationen unter der Idee einer supranationalen Zukunft – und der nach wie vor aktuelle Umgang mit der Vergangenheit.
Die parallel laufenden Einzelschicksale machen die Geschichte spannend, dazu kommt die gekonnte sprachliche Qualität, die Lesevergnügen garantiert. Besonders die genialen philosophischen Betrachtungen über Dinge wie Senf und Insekten, die der Autor Dr. Martin Susman anstellen lässt, sind skurril, geistreich und witzig.
Leider lässt die Spannung in der zweiten Hälfte des Buches etwas nach, der Autor will uns hier meiner Meinung nach einfach zu viel über Abläufe in der EU und in den Kommissionen mitteilen und auch die langatmigen inneren Selbstdialoge von Prof. Erhart haben dazu geführt, dass mich der Autor kurzzeitig verloren hat, die Geschichte schien mir irgendwie in Nebensächlichkeiten auszufransen. Dann jedoch führt der Autor die Personen im Finale nochmals zusammen und lässt das Schicksal einen gewaltigen Schlusspunkt setzen.
Beim Erscheinen dieses Romans war ich natürlich gespannt, aber die Leseprobe hat mich eher ratlos gemacht. Als Österreicherin kannte ich Menasse bisher nur als Essayist und dieser Roman schien für mich in Richtung Essay, zum Ganzen zusammengefügt, zu gehen. Doch trotz kleiner Einschränkungen hat mich dieser Roman überzeugt und ich habe ihn mit Vergnügen gelesen. Ich empfehle ihn für Leser, die am Thema Europa uinteressiert sind und mögliche Lösungswege für eine gemeinsame Zukunft, und an mit ihren Eigenheiten nur allzu menschlichen Personen. Wenn sie zu wissen glauben, dass EPP für European People's Party, Europäische Volkspartei, steht, dann sollten sie lesen, was Menasse dazu eingefallen ist.
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Gebundenes Buch
Brüssel oder Auschwitz
Neueste in der langen Reihe von Ehrungen für den österreichischen Schriftsteller Robert Menasse ist der ihm vor drei Tagen verliehene Preis der Frankfurter Buchmesse für den Roman «Die Hauptstadt». Er hat damit den weltweit ersten EU-Roman …
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Brüssel oder Auschwitz
Neueste in der langen Reihe von Ehrungen für den österreichischen Schriftsteller Robert Menasse ist der ihm vor drei Tagen verliehene Preis der Frankfurter Buchmesse für den Roman «Die Hauptstadt». Er hat damit den weltweit ersten EU-Roman veröffentlicht, ein Panorama der europäischen Eliten, eine Farce aber auch über die Brüsseler Verhältnisse abseits der Blitzlichtgewitter und rituellen Statements von Spitzenpolitikern, wie man sie aus den Medien kennt. Der europa-politisch engagierte Autor, der sich schon vielfach in Essays und Traktaten mit der europäischen Idee beschäftigt hat, greift hier mit dem Moloch der Brüsseler Bürokratie ein literarisches Thema auf, das in dem schwierigen Fahrwasser, in dem sich die EU derzeit befindet, manchem allein von der guten Absicht her schon preiswürdig erscheinen mag.
«Da läuft ein Schwein». Mit dem ungewöhnlichen Rahmenmotiv eines durch Brüssel irrlichternden Schweins, das im Roman immer wieder mal kurz auftaucht, beginnt Menasse seinen Prolog, sicherlich auch in Hinblick auf die allfälligen Konnotationen. Und wie man bald erfährt, stammt eine seiner Figuren von der EU-Kommission prompt aus dem agrarischen Milieu, sein Bruder betreibt einen Schweinemastbetrieb und ist als Lobbyist in Brüssel aktiv, um von dem gewaltigen Agrar-Etat der Gemeinschaft möglichst viel zu ergattern. Vergleichsweise winzig sind dagegen die Gelder, die Fenia Xenopoulou von der Generaldirektion Kultur zu Verfügung stehen. Sie hat den schwierigen Auftrag, das arg ramponierte Image der Kommission mit einer Feier zu ihrem fünfzigjährigen Bestehen aufzupolieren, - Musils «Parallelaktion» als literarisches Vorbild also! Und sie gewinnt Gefallen an der Idee, dafür Auschwitz heranzuziehen, den Fokus der Gemeinschaft also weg vom kleinteilig Ökonomischen auf das universal Moralische, auf das historische Grauen zu richten, das die Gründungsväter Europas mit ihrem Zusammenrücken ein für alle Mal politisch bannen wollten, nach dem Motto: Nie wieder!
In diversen, fragmentarisch erzählten Handlungssträngen entwickelt Menasse das anschauliche Bild eines engen Geflechts von karrieregeilen Akteuren, die mit- und gegeneinander arbeitend in Think-Tanks nach kreativen Lösungen suchen für die geplante Feier, - oder sie, im Hintergrund und mit geschickten Winkelzügen, schnöde hintertreiben. Der nach außen hin erratische Block der Kommission wird hier zum lebendigen Organismus europäischer Eliten, in dem der Einzelne als das berühmte Rädchen im Getriebe fungiert, sich damit für ein großes Ganzes engagierend. Das im Roman verwendete Insider-Kauderwelsch ist allerdings sehr gewöhnungsbedürftig für den Leser, und die vielen fremdsprachigen Textschnipsel sind ebenfalls nicht gerade leserfreundlich.
Der Plot ist mit einem Mordfall angereichert, dessen spurlose Tilgung aus allen Akten und Datenbanken auf die große Politik hinweist, die Nato ist im Spiel, und da ist alles möglich, es gibt schließlich ja auch noch eine supranationale, vatikanische Killertruppe. Eine der Figuren kommt bei dem Attentat im U-Bahnhof Maelbeek (sic!) ums Leben, und der emeritierte Professor aus einer Nazi-Familie fordert gar in seiner Einführungsrede die Gründung einer neuen europäischen Hauptstadt auf dem Boden von Auschwitz als symbolträchtigem Standort. Das Schwein aber erscheint plötzlich als Hirngespinst einiger überspannter Bewohner Brüssels, das Boulevardblatt lässt ihre hysterisch aufgeblähte Serie daraufhin sang und klanglos in der Versenkung verschwinden. Menasse erzählt seine vielschichtige, zuweilen tief in die Vergangenheit zurückgreifende, turbulente Geschichte durchaus ironisch, er verbindet dabei gekonnt ziemlich disparate Themen miteinander, wobei mir seine überwiegend männlichen Figuren jedoch arg überzeichnet vorkommen. Der große Wurf ist dieser Roman literarisch bestimmt nicht, Buchpreis hin oder her, aber er erweitert den Horizont und ist zudem unterhaltsam, mithin also durchaus bestsellertauglich.
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