"Die Odyssee" ist nach "Supper Club" der zweite Roman von Lara Williams, der aus Sicht von Protagonistin Ingrid erzählt wird. Dabei unterscheiden seine Kapitel nach Land und nach See, also ob Ingrid den darin beschriebenen Zeitraum an Bord der WA verbracht hat oder ob ihr einer ihrer seltenen
Landgänge erlaubt wurde.
Die Beschreibungen des Kreuzfahrtschiffs muten oft fast surreal an. Das beginnt…mehr"Die Odyssee" ist nach "Supper Club" der zweite Roman von Lara Williams, der aus Sicht von Protagonistin Ingrid erzählt wird. Dabei unterscheiden seine Kapitel nach Land und nach See, also ob Ingrid den darin beschriebenen Zeitraum an Bord der WA verbracht hat oder ob ihr einer ihrer seltenen Landgänge erlaubt wurde.
Die Beschreibungen des Kreuzfahrtschiffs muten oft fast surreal an. Das beginnt beim Geschenke-Shop, in dem Ingrid gerne arbeitet, und der eine Wunderwelt des Konsums darstellt, die von vielen ausgefallenen Artikeln bevölkert wird. Der ungewöhnliche Eindruck setzt sich in den strengen WA-Mitarbeiterrichtlinien fort, denen eigene Kleidung nicht gestattet ist, da sie an Bord nur die von der WA zur Verfügung gestellte Kleidung tragen dürfen. Seine Krönung findet das aber im Mentoringprogramm von WA-Chef Keith, dem das japanische Ästhetik-Konzept Wabi-Sabi zugrunde liegt. Im Rahmen des Programms lässt Keith die von ihm ausgewählten Teilnehmer schmerzhafte Erinnerungen wieder und wieder durchleben, bis sie sich an alle Details erinnern und diese vor ihm ausbreiten.
Ingrid ist eine Protagonistin, die für mich schwer zu fassen war. Sie ist von ihren Eltern übermäßig behütet und beschützt groß geworden. Nun wirkt sie einerseits sehr unsicher auf mich. So erinnert sie sich etwa an die Geschichte, dass ihr auf dem Schulhof ein Junge nachgerannt ist, der geschrien hat, dass sie jetzt seine Freundin sei, was sie dann für die nächsten zwei Jahre gewesen ist. Oft lässt Ingrid andere bestimmen, da sie gut darin ist zu tun, was man ihr sagt.
Andererseits ist Ingrid eine geschickte Lügnerin, die etwa im Rahmen ihrer Bewerbung für das Mentoringprogramm von Keith genau wusste, was sie vorzutäuschen hat. Ihre Motivationsgeschichte hat sie sich ausgedacht, da sie für ihre kaputte Zahnbürste keine Bewunderung empfand, sondern diese weggeworfen hat. Ingrid, die bei ihren Landgängen oft Sachen mitgehen lässt, ist eine mehr oder weniger trockene Alkoholikerin. Als sie mit dem Trinken begann, war sie verheiratet und hatte einen Bürojob. Die Arbeit hat sie verloren und ihren Mann mit einem Freund betrogen. Wenn Ingrid nun an Land ist, wird sie aufdringlich und schmeißt sich an fremde Männer ran, um sich dann hemmungslos zu betrinken. Und als Ingrid auf der WA in eine Führungsposition befördert wird, da sie am Programm von Keith teilnimmt, ist sie viel zu sehr von sich selbst eingenommen, wenn sie sich für die geborene Anführerin hält. Sie bildet sich ein, eine gute Chefin zu sein, obwohl sie komplett ahnungslos ist und ihr diese Realität auch von ihren Mitarbeitern und Kunden zurückgespiegelt wird. Generell scheint Ingrid sehr ich-bezogen zu sein und für die Reaktionen anderer recht unempfänglich zu sein, da sie diese kaum wahrzunehmen scheint. Mir ist es schwer gefallen, Ingrid sympathisch oder interessant zu finden, weil sie trotz ihrer vielen, eher negativ besetzten Eigenschaften erstaunlich blass geblieben ist.
Stark ist Lara Williams als präzise Beobachterin, wenn sie etwa das Leben in Ingrids kleiner Kabine mit Bullauge beschreibt, in der sich fast alles vom Bett aus erledigen lässt. Die Vorstellung einen Kaffee vom Bett aus zu kochen, ist schon ungewöhnlich, wird aber von der Autorin so realistisch dargestellt, dass ich sie mir genau vorzustellen vermochte. Und wenn Ingrid, die die stete Bewegung der Wellen so gewohnt ist, dass sie diese an Bord oft gar nicht mehr wahrnimmt, bei ihren Landgängen festen Boden unter den Füßen hat, dann scheint ihr dieser zu schwanken. Bis auf die Umstellung von See zu Land sind aber auch die genauen Beobachtungen der Städte im Rahmen von Ingrids Landgängen eher langatmig geraten und bleiben im Vergleich zur oft surreal anmutenden Szenerie an Bord des Kreuzfahrtschiffs blass. Das Leben an Bord dagegen, das fast wie aus einer andere Welt wirkt, ist faszinierend beschrieben - durchbrochen von genauen Beobachtungen wie etwa der in der Mitarbeiterkantine angebotenen Gerichte, die im Kontrast dazu he