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alekto

Bewertungen

Insgesamt 117 Bewertungen
Bewertung vom 11.01.2024
Die geheime Gesellschaft (eBook, ePUB)
Penner, Sarah

Die geheime Gesellschaft (eBook, ePUB)


sehr gut

Durch seinen übersinnlich okkulten Touch bestechender, um Geister und Seancen kreisender historischer Roman

Zum Inhalt: Wenige Monate nach dem Tod ihrer Schwester Evie ist Lenna Wickes von London nach Paris gereist, um das berühmte Medium Vaudeline D'Allaire, das auf die Aufklärung von Verbrechen spezialisiert ist, um Hilfe zu bitten. Obwohl Lenna weder an Geister noch an eine greifbare Wirkung von Seancen glaubt, möchte sie nichts unversucht lassen, um den Namen von Evies Mörder zu erfahren. So wurde Lenna zu Vaudelines Gehilfin, um die Kunst der Seance von ihr zu erlernen. Doch bereits die erste Seance, der Lenna beiwohnt und die von Vaudeline in einem verlassenen Chateau abgehalten wird, nimmt eine gänzlich unerwartete Wendung.

Zum übersinnlichen, um Geister und Seancen kreisenden Kern dieses Romans
In passender Weise zum thematischen Schwerpunkt, den Sarah Penner für ihren Roman gewählt hat, wird dieser von einer Übersicht über die sieben Phasen einer Seance eingeleitet. Ergänzt wird das von zusätzlichen Ausführungen, die unter anderem Hinweise und Risiken mit einschließen, die im Zuge einer Seance zu beachten sind, um sich selbst und deren übrige Teilnehmer zu schützen. Diese Inhalte werden Lenna im Rahmen ihrer Ausbildung von ihrer Lehrmeisterin Vaudeline vermittelt. Darüber hinaus werden verschiedene Arten von Seancen unterschieden und damit einhergehende Punkte erläutert, was etwa anhand von Beispielen erfolgende Ausführungen zum automatischen Schreiben umfasst.
Dabei gelingt es Sarah Penner auch dank der Perspektive der skeptischen Lenna, die nicht an Geister glaubt, die Balance zu wahren. Denn beide Seiten werden dadurch beleuchtet, dass Lenna in sich gespalten ist, weil sie sich die Existenz von Geistern sehnlichst wünscht, um Evies Mörder überführen zu können. In stimmiger Weise wird dieser in Lenna herrschende Konflikt von Erklärungen in Bezug auf Methoden ergänzt, die bevorzugt bei Scharlatanen unter den Spiritisten zum Einsatz kommen, wenn diese ihre Kunden hinters Licht führen. Dazu zählen beispielsweise lumineszentes Phosphoröl oder die doppelte Belichtung, die auf Fotografien geisterhafte Erscheinungen zum Leben erwecken kann.
So ist meiner Ansicht nach zumindest ein grundlegendes Interesse an der Thematik des Okkulten wie beispielsweise dem detaillierten Ablauf einer Seance erforderlich, um gerade die erste Hälfte dieses Romans genießen zu können, dessen Schwerpunkt darauf liegt. Andernfalls könnte dessen Beginn recht zäh ausfallen. Denn auch mit der titelgebenden “geheimen Gesellschaft” ist die Londoner Séance Society gemeint, die einen exklusiven Herrenclub darstellt. Dessen Mitglieder verfügen über übersinnliche Fähigkeiten, die sie bevorzugt der Londoner Upper Class, in deren Kreisen sie verkehren, gegen ein entsprechendes Honorar anbieten.

Zur in diesen Roman integrierten Crime-Handlung
Zu Beginn lag mir der Fokus “Der geheimen Gesellschaft” zu wenig auf den dann bereits angeführten Todesfällen, da Sarah Penner sich mehr auf ihre okkulte Thematik und das damit einhergehende Drama, das im Verlust eines geliebten Menschen begründet liegt, fokussiert hat statt sich auf die eigentliche Aufklärung der Morde zu konzentrieren. Diese hätten jedoch von Anfang an dadurch stärker in die Handlung integriert werden können, dass schon zu diesem Zeitpunkt unter anderem auf die bereits von Vaudeline gelösten spektakulären Fälle eingegangen worden wäre, die in der vorliegenden Form nur als Tatsache am Rande erwähnt werden, um den Fortgang der Handlung zu erklären. In dieser frühen Phase hätte dem Roman gut getan, wenn die Autorin dem Verbrechen als solches, das etwa Anlass für die erste Seance ist, an der Lenna in Paris teilnimmt, mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Erst im weiteren Verlauf nimmt “Die geheime Gesellschaft” dann Fahrt auf, wenn die Aufklärung des Mordes an Lennas Schwester Evie mehr in den Mittelpunkt der Handlung rückt.

Mein Fazit
Für "Die geheime Gesellschaft" hat Sarah Penner eine ungewöhnliche Kombination gefunden, da sie sich einer okkulten Thematik widmet, die um Geister und Seancen kreist. Ergänzt wird das von einer in diesem Kontext angesiedelten Crime Handlung, deren darin begründetes Drama in historischem Setting mit übersinnlich angehauchten Touch diesem Roman erst Intensität verleiht, bevor die Handlung in seinem weiteren Verlauf an Fahrt aufnimmt. Dabei fügen sich dessen so unterschiedliche Komponenten, die für meinen
Geschmack nicht in der vorliegenden Form hätten gewichtet sein müssen, wenn es gerade zu Beginn vielleicht ein bisschen weniger Soap Opera hätte sein können, zu einem erstaunlich harmonischen Ganzen. Besonders überzeugt hat mich die Autorin mit der detaillierten Ausarbeitung der im Kern ihres Romans behandelten Thematik rund um Seancen und mehr, mit der sie auch persönliche Erfahrung zu haben scheint, wie die persönlich ausfallende Widmung "Der geheimen Gesellschaft" bereits angedeutet hat.

Bewertung vom 29.12.2023
Die Totenbraut (eBook, ePUB)
Williams, Jen

Die Totenbraut (eBook, ePUB)


sehr gut

Ruhig erzählter, durch seine unheimliche Atmosphäre bestechender Thriller über die Abgründe in einem malerischen Küstenort

Zum Inhalt: Der an der britischen Küste gelegene Ort Hithechurch birgt mehr als nur ein dunkles Geheimnis, nachdem erst vor wenigen Monaten die Teenagerin Cherryl spurlos vom Strand verschwunden ist. Sie hatte sich am helllichten Tag nur ein wenig von ihrer Familie entfernt, um Ruhe vor ihren jüngeren Cousins und Cousinen zu haben. Auf dessen Campingplatz kehrt Charlotte Watts, die Charlie genannt wird, nach jahrzehntelanger Abwesenheit zurück. Denn in ihrer Kindheit und damit längst vergangenen Zeiten hat sie dort den Sommer mit ihrer großen Familie verbracht, bis ein schreckliches Ereignis ihr Leben für immer verändert hat.

Abwechslungsreiche Erzählweise auf verschiedenen Zeitebenen
Abwechslungsreich wird “Die Totenbraut”, die im englischen Original den passenderen Titel "Games for Dead Girls" trägt, von Jen Williams aus mehr als einer Perspektive auf verschiedenen Zeitebenen erzählt. Dazu zählen neben der Sichtweise von Hauptfigur Charlie, die in der Vergangenheit und Gegenwart wiedergegeben wird, in der sie sich Sarah nennt, damit sie unerkannt nach Hithechurch zurückkehren kann, auch die Lebensgeschichte von Derek, der der Sohn eines angesehenen Chirurgen ist. Ursprünglich hatte Charlie für Sarah als Vorwand für ihren Aufenthalt dort ersonnen, dass sie Schriftstellerin ist, die ein Buch über die Volkssagen von Hithechurch verfassen will. Dass Charlies Recherchen in diesem Zusammenhang im weiteren Verlauf des Romans jedoch mehr und mehr Raum einnehmen, hat diesem Thriller gut getan. Denn Jen Williams hat dabei die Gelegenheit genutzt, eine Vielzahl von unerwarteten alten und modernen Legenden zu erzählen, die sich in diesem Küstenort zugetragen haben sollen. Diese reichen von Geister- und Piratengeschichten über Mafia-Morde im Stil der Sopranos bis hin zu einem Höhlensystem, in dem Einwohner, die dort im Krieg Schutz und Zuflucht gesucht haben, verschüttet und lebendig begraben worden sein sollen.

Von der düsteren Legende um Stitch Face Sue
“Die Totenbraut” ist erst über weite Strecken durch die ruhige Erzählweise der Autorin geprägt, wenn für lange Zeit recht wenig passiert. Intensität wird dabei jedoch durch die Integration der Abgründe, die sich in der Vergangenheit des malerischen Ortes Hithechurch auftun konnten, durch Charlies eigene Ängste und ihre sie belastende Vergangenheit erzeugt, mit der sie zu kämpfen hat. Auf diese Weise wird eine unheilvolle Atmosphäre aufgebaut, die Ungutes erahnen lässt und die im weiteren Verlauf dieses Thrillers immer unheimlicher wird. Dabei stellt die Legende um Susan Cartwright eines der Highlights in diesem Roman dar. Für diese sagenhafte Gestalt, die auch als Stitch Face Sue bekannt ist und deren Jahrestag im Sommer mit großen Feierlichkeiten begangen wird, konnte Charlie sich als Kind begeistern und dabei ihre Leidenschaft ausleben, Geschichten zu erzählen, wenn sie Legenden in freier Variation weitergesponnen hat.

Inspiriert von einem wahren Verbrechen aus dem Jahr 2015
Im Finale “Der Totenbraut” zieht Jen Williams deutlich die Spannungsschrauben an, wenn sich die Ereignisse überschlagen und der Blutzoll steigt. Damit ist dieser Thriller nicht gut für Zartbesaitete geeignet, die dessen ruhiger Beginn darüber hinwegtäuschen kann. Zwar wartete die Autorin zum Schluss mit einer schlüssigen Auflösung auf, die sich zuvor schon von mir erahnen ließ. Jedoch habe ich den Übergang zwischen atmosphärischen Psychothriller, der von der Frage nach Wahn und Wirklichkeit dominiert wird und damit spielt, welche der Schrecken sich nur in den Köpfen der beteiligten Personen abspielen, bzw. der um die Vielzahl von modernen Legenden kreist, die in Hithechurch hinter vorgehaltener Hand weitererzählt werden und bei denen lange von der Autorin in der Schwebe gelassen wird, welche nur Gerüchte und welche tatsächlich begangene, nie aufgeklärte Verbrechen darstellen, und dem spannenden Showdown, den Jen Williams dafür als Abschluss findet, als nicht besonders harmonisch empfunden. Da hätte ich mir gewünscht, dass sich die Autorin für nur eine Art, ihre Geschichte zu erzählen, entschieden und diese dann konsequent in ihrem Thriller umgesetzt hätte. Möglicherweise liegt dieser Schwachpunkt in den verschiedenen Teilen dieses Romans, die von mir primär aufgrund ihrer Tonalität, aber auch der darin geschilderten Ereignisse als nicht zueinander passend angesehen worden sind, in dem Korsett begründet, dass sich Jen Williams dadurch auferlegt, dass einer ihrer zentralen Handlungsstränge von einem realen Verbrechen aus dem Jahr 2015 inspiriert worden ist. Vor diesem Hintergrund hätte “Die Totenbraut” wohl stärker ausfallen können, wenn die Autorin sich nicht dieser Einschränkung unterworfen hätte, um die von ihr erzählte Geschichte zu einem stimmigen Ganzen zusammenzuführen.

Bewertung vom 29.12.2023
The Institution (eBook, ePUB)
Fields, Helen

The Institution (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Stimmungsvolle Kulisse trifft auf abgründige Psychopathen und ein grausames Verbrechen

Zum Inhalt: Die hochschwangere Krankenschwester Tara, die in der Abteilung H in der Charles Horatio Parry Institution for the Rehabilitation of the Criminally Insane tätig gewesen ist, ist brutal ermordet aufgefunden worden. Auf dieser Station sind die gefährlichsten Insassen dieser psychiatrischen Spezialklinik für Hochsicherheitspatienten untergebracht. Doch die Zeit drängt nicht nur auf der Suche nach dem Täter. Denn Taras ungeborenes Baby wurde geraubt. Die verzweifelte Familie schaltet Profilerin Dr. Connie Woolwine ein, die undercover zu ermitteln beginnt.

Beschreibung von Profilerin Dr. Connie Woolwine und Einordnung in die Reihe
“The Institution” ist nach “The Shadow Man” der zweite Band der Reihe von Helen Fields um Dr. Connie, wie sie sich in der Parry Institution nennt, um ihre wahre Identität nicht zu verraten. Für mich ist es das erste Buch gewesen, in dem ich diese Profilerin kennengelernt habe. Dabei konnte ich diesem Thriller gerade in dessen erster Hälfte gut folgen, weil die Autorin relevante Hintergrundinformationen zu Connies bisherigem Leben und den zuvor von ihr gelösten Fällen nebenher hat mit einfließen lassen. Im weiteren Verlauf dieses Romans hat Connie jedoch in immer stärkerem Ausmaß mit ihrer eigenen belastenden Vergangenheit zu kämpfen gehabt. So hat sich Connie in "The Institution" nicht nur mit einem grausamen Verbrechen auseinanderzusetzen, eine Gruppe psychopathischer Serienmörder zu analysieren, von denen jeder einzelne als potentieller Täter für den brutalen Mord in Frage kommt, ein entführtes Baby zu finden, das aufgrund der frühen Geburt schnellstmöglich medizinisch behandelt werden muss, um sein Überleben zu sichern, sondern sich auch den Dämonen zu stellen, die in den von ihr erlittenen Traumata begründet liegen. In diesem Zusammenhang hätte ich mir jedoch gewünscht, dass Helen Fields der Entwicklung von Connie mehr Zeit und Raum gegeben hätte, um diese für mich nachvollziehbarer werden zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist "The Institution" möglicherweise aber weniger gut als Einstieg in die Reihe geeignet und es lohnt sich Connie, die in ihren Eigenheiten und ihrer besonderen Arbeitsweise schon unter normaleren Umständen ein sehr spezieller Charakter ist, in "The Shadow Man" kennenzulernen.

Zur Parry Institution als stimmungsvoller Schauerkulisse für diesen Thriller
In diesem Thriller ist die einzige Person in der Parry Institution, die über den Undercover-Einsatz von Connie, bei dem sie von ihrem Partner begleitet wird, Bescheid weiß und ihre wahren Identitäten kennt, deren Direktor Kenneth Le Fay. Neben dem hohen Erzähltempo in diesem Roman, das durch dessen enge Taktung gegeben ist und damit die Spannung hochtreibt, ist dessen Schauplatz das Highlight. Denn die abgeschieden zwischen See und Bergen gelegene Parry Institution stellt als trutziges Bauwerk fast schon einen Affront gegen die Natur dar, wenn sie als ehemalige Festung mit ihren Türmen das Bergmassiv zu imitieren sucht. Diese Anstalt bildet eine perfekte Kulisse für diesen Thriller, die dessen unheimliche Atmosphäre unterstreicht. Das gilt gleichermaßen für Szenen, die draußen spielen, wie bei deren erster Sichtung im Anflug durch Connie oder bei einem einsamen Spaziergang am Wasser im Sturm, aber auch in ihrem Inneren, wenn Connie etwa durch deren ausufernde Kellergewölbe auf der Suche nach Hinweisen irrt.

Kleine Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge
Längen haben sich bei mir in “The Institution” auch aufgrund der dichten Taktung von Ereignissen keine eingeschlichen. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass Helen Fields die Beschreibung der in der Abteilung, für die die ermordete Tara tätig gewesen ist, eingewiesenen psychopathischen Serienmörder, die im weiteren Verlauf des Thrillers einzeln von Connie befragt werden, stärker variiert hätte. So wirkten diese Gespräche ab einem gewissen Zeitpunkt eher repetitiv auf mich, da sie einander zu sehr geähnelt haben. Stattdessen hätte ich gern mehr über einen überraschend zum Schluss enthüllten Täter erfahren, den ich tatsächlich früh im Verdacht gehabt habe. Dabei hätten mich mehr Hintergrundinformationen zu dieser Figur und insbesondere zu deren Motiv interessiert. In diesem Zusammenhang wäre für mich zumindest ein Kapitel, das unmittelbar vor dem Finale und der damit einhergehenden Auflösung die begangenen Verbrechen aus Tätersicht beschreibt, ideal gewesen.

Mein Fazit
“The Institution” hat etwas von der Profiler-Serie Criminal Minds und der französischen Fernseh-Produktion Profiling Paris. Damit ist dieser Roman zwar definitiv nicht für Zartbesaitete geeignet, aber ideal für Fans der Psychologin Chloé Saint-Laurent, an die mich Connie tatsächlich ein wenig erinnert hat. Was “The Institution” von der Masse anderer Thriller abhebt, ist jedoch die Kombination aus stimmungsvoll düsterer Schauerkulisse und hohem Spannungslevel, das auf ungewöhnliche Täter trifft.

Bewertung vom 29.12.2023
Stille Falle / Leo Asker Bd.1 (eBook, ePUB)
De La Motte, Anders

Stille Falle / Leo Asker Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Abgründiger erster Fall für eine besondere Ermittlerin

Zum Inhalt: Die junge Smilla und ihr Freund Malik Mansur, genannt MM, planen ein besonderes Abenteuer, bevor sie für ihr Studium nach Paris zurückkehren wird. Die beiden interessieren sich für Urban Exploration und lassen sich so von der Aussicht auf einen Höhlenregen, bei dem sich Feuchtigkeit unterirdisch in derart hohem Maße sammelt, dass diese wie Regentropfen nach oben steigt, in einen lange vergessenen Bunker locken. Denn dieser stellt ein extrem seltenes Phänomen dar. Doch in der alten Bunkeranlage wartet nicht nur der erhoffte Höhlenregen auf sie, sondern auch das Grauen.

Zur Charakterisierung von Leo Asker als ungewöhnlicher Heldin und Hauptfigur

“Stille Falle” ist der erste Fall für Kriminalinspektorin Leonore Asker, die Gruppenleiterin in der Abteilung für Kapitaldelikte ist. Als solche übernimmt sie die Ermittlung im Fall des Verschwindens von Smilla und Malik, bis ihr diese durch eine Intrige ihres ehemaligen Vorgesetzten und ihrer Mutter aus der Hand gerissen wird, als sie in die Abteilung für hoffnungslose Fälle und verlorene Seelen zwangsversetzt wird. Deren Arbeitsräume sind in einem unteren Stockwerk gelegen, von dessen Existenz Asker zuvor nicht einmal etwas geahnt hat. In diesem Kriminalroman, der kunstfertig aus unterschiedlichen Perspektiven auf mehr als einer Zeitebene erzählt wird, die sowohl in der Gegenwart als auch der Vergangenheit angesiedelt sind, ist Hauptfigur Leo das Highlight. Ihr Äußeres besticht durch ihre zweifarbigen Augen, mit deren ungewohnten Blick sie jeden Kontrahenten niederstarren kann. Geprägt wurde sie jedoch durch ihre besondere Jugend, in der ihr in hartem Training eine Vielzahl einzigartiger Fähigkeiten angeeignet wurden.

Zur Bandbreite der Nebenfiguren und deren Gewichtung im Roman

Im Vergleich zu Asker fallen die anderen wesentlichen Figuren dieses Kriminalromans deutlich blasser aus, obgleich es Anders de la Motte gelingt, auch deren Gedankengänge glaubwürdig zu vermitteln und damit deren Handlungen nachvollziehbar werden zu lassen. So hätte ich mir gewünscht, dass der Autor sich mehr auf Leo konzentriert hätte und damit die in “Stille Falle” erzählte Geschichte primär aus ihrer Perspektive wiedergegeben hätte. Statt etwa Askers Jugendfreund und Urban Exploration Experte Martin Hill derart viel Raum zu geben, hätten zusätzliche Sichtweisen von Nebenfiguren eingebunden werden können. Dafür hätten sich beispielsweise die Mitglieder von Askers neuem Team in der Abteilung für hoffnungslose Fälle oder auch sein ehemaliger Leiter, dessen Stelle von Leo übernommen worden ist, angeboten. Denn De la Motte besitzt ein Talent, wenn es um die Charakterisierung von schrägen oder zumindest speziell zu nennenden Figuren geht, die er in seiner aufmerksamen Beschreibung nie zur Karikatur verkommen lässt. Das hat der Autor etwa bereits in seiner Österlen-Reihe, in der Peter Vinston im ländlichen Schweden Morde aufklärt, unter Beweis gestellt. Erstaunlicherweise kommt dies jedoch in der düster gehaltenen “Stillen Falle” besser zur Geltung als in der genannten Cozy Crime-Reihe.

Ungewöhnliche Themen von Urban Exploration bis hin zu einem Miniatur Wunderland

Die Abgründe, die sich in diesem Kriminalroman auftun, liegen in der Schilderung von Askers traumatischer Kindheit und den Kapiteln, die die Sichtweise des Täters, der sich selbst “Der Troll” nennt, wiedergeben und die seine Entwicklung beginnend in seiner Kindheit verfolgen, begründet. Darüber hinaus ist die Gegenwart von der fieberhaften Suche nach der aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Smilla geprägt. Diese reichert De la Motte in passender Weise um ungewöhnliche Themen an. Dabei bildet neben der Modelleisenbahn Landschaft, die vom Verein in jahrzehntelanger Arbeit gebaut wurde und damit beeindruckende Maße abnimmt, die Erforschung von Lost Places einen thematischen Schwerpunkt. Doch sogar da gelingt es dem Autor, dieser märchenhaften Heile-Welt-Szenerie, die an das real existierende Miniatur Wunderland in Hamburg erinnert, einen unheimlichen Touch zu geben.

Mein Fazit

Dieser Kriminalroman, der es auf mehr als fünfhundert Seiten bringt, hatte zwar keine Längen für mich. Weil teilweise durch die Beschreibung unterschiedlicher Blickwinkel oder auch der Schilderung von Vergangenheit und Gegenwart Punkte doppelt wiedergegeben wurden, wie etwa die Enthüllung einer von Askers besonderen Fähigkeiten, die sie durch ihr hartes, ungewöhnliches Training entwickelt hat, hat das nur beim erstmaligen Erzählen für einen Überraschungsmoment bei mir gesorgt, der beim zweiten Mal nicht mehr vorhanden gewesen ist. Da hätte es meiner Ansicht nach ausgereicht dies nur einmalig zu beschreiben, um stattdessen zum Schluss hin zumindest ein längeres Kapitel aus Sicht eines unerwarteten Täters einzuschieben, das in der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit angesiedelt ist, um dessen Entscheidungen im Speziellen und Verhalten im Allgemeinen nachvollziehbarer werden zu lassen.

Bewertung vom 21.11.2023
Der flüsternde Abgrund
Lando, Veronica

Der flüsternde Abgrund


sehr gut

Ruhig erzähltes Thriller-Drama mit Mystery-Elementen vor besonderer Kulisse

Callum Haffenden kehrt nach dreißig Jahren nach Granite Creek zurück, um sich dem Suchtrupp anzuschließen, der von seinem alten Freund Eddy Quade geleitet wird, der ebenfalls kürzlich als Polizist in den Ort zurückgekommen ist. Mit Unterstützung von zahllosen Freiwilligen durchkämmen sie das Dickicht, da Lachie spurlos verschwunden ist. Dabei fürchten sie nur das sich verschlechternde Wetter, bis der über dem Gebiet kreisende Helikopter zufällig einen grausamen Fund macht.

Veronica Lando hat mit Callum Haffenden einen ebenso interessanten wie kaputten Protagonisten für ihren Roman ersonnen, in dessen Leben die Probleme längst überhand genommen haben. Seine fünfzehnjährige Tochter Milly, um deren Erziehung er sich mit Hilfe seiner Eltern bemüht, spricht nicht mehr mit ihm, weil sie ihn nicht auf die Reise in seine alte Heimat begleiten durfte. Seine Karriere als Journalist befindet sich nach einer erfolgreichen Phase längst auf dem Abstellgleis. Und körperlich eingeschränkt - wie er ist - fällt es ihm schwer, nur wenige Meter durch den Regenwald zu humpeln, ohne in den vom Regen aufgeweichten Boden zu versinken. Was Callum von so vielen anderen kaputten Hauptfiguren in Kriminal- wie Thriller-Romanen unterscheidet, ist seine Leidenschaft für Vögel. So wird jede Szene, in der Lando ihren Protagonisten auf den Regenwald treffen lässt, zum Erlebnis, indem er stets die Vögel zu bestimmen weiß, die ihm dort begegnen. Beispiele dafür sind der Säulengärtner (Amblyornis newtonianus) oder auch der Blaukappen-Paradiesliest (Tanysiptera sylvia).

Einen besonderen Touch erhält “Der flüsternde Abgrund” durch die ungewöhnliche Weise, mit der Veronica Lando mit ihrem Schauplatz arbeitet, wenn sie den Regenwald in jeder Szene, die dort spielt, in dessen Mittelpunkt stellt. Dadurch sind für mich im ersten Drittel dieses Romans alle Kapitel, die als Kulisse den Regenwald haben, zum Highlight geworden. Denn der wird in der Beschreibung der Autorin zum undurchdringlichen Dickicht, wenn kaum Sonnenlicht den Boden zu erreichen vermag und indem sich schon nach wenigen Metern abseits vom Weg die Orientierung verlieren lässt. Bei Lando wird damit der Regenwald selbst zur Schauerkulisse, die an eine düstere Variante eines Grimmschen Märchens erinnert, bei dem Kinder im Wald verschwinden, dessen überwucherte Wege durch Glöckchen anstelle von Brotkrumen markiert sind. In Kombination mit den wiederholt tot aufgefundenen Vögeln, die Callums Weg kreuzen, wird im "Flüsternden Abgrund” eine intensive ungute Stimmung erzeugt, die von Beginn an Schlimmes befürchten lässt. In passender Weise reichert Lando ihren Thriller um Mystery-Elemente an, wenn etwa von Anfang an vom Flüstern die Rede ist, das sich in der Nähe der Boulders hören lässt. Die stellen einen Abgrund dar, wo der Regenwald auf eine Geröll Landschaft trifft. Diese ist von Felsen geprägt, die aussehen, als ob Riesen dort Murmeln gespielt hätten und sie dann einfach liegen gelassen und vergessen hätten. Das Wispern, das sich dort vernehmen lässt, kann auf rationale Weise als Wind, der sich in den Felsspalten bricht, erklärt werden. Und doch scheint es einen in den Abgrund locken zu wollen.

In ihrem Thriller spielt Lando von Beginn an mit der Frage, ob übernatürliche Mächte wie beispielsweise ein mysteriöses Flüstern am Werk sind, oder ob nicht doch von Menschen verübte Taten für die Geheimnisse, die so beharrlich in Granite Creek unter den Teppich gekehrt werden, verantwortlich sind. Einerseits ist es der Autorin dabei gelungen, die Beantwortung dieser Frage lange in der Schwebe zu halten. Andererseits hat sie mich mit der Beschreibung einer eingeschworenen Gemeinschaft im Ort überzeugt, in der jeder dem anderen regelmäßig über den Weg läuft und keiner dem anderen unbekannt ist. Städter, wenn sie sich nach Granite Creek verirren, werden stets außen vor gelassen. Das gilt insbesondere für die Reporter und Journalisten, die über das Verschwinden von Lachie Bericht erstattet haben. Wieder dorthin Zurückgekehrte wie Callum oder sein Freund Eddy werden wenig besser behandelt, wenn sie über die Ereignisse, die sich in ihrer Abwesenheit zugetragen haben, im Unklaren gelassen werden.

So dauert es eine ganze Weile, bis die Handlung im “Flüsternden Abgrund” dann endlich in die Gänge kommt, wenn Callum an der Seite von Eddy realisiert, dass die übermäßige Häufigkeit der in Granite Creek im Regenwald Verschwundenen oder Verunglückten sich nicht allein auf tragische Unfälle zurückführen oder durch Selbstmorde erklären lässt. Trotz seiner ruhigen Erzählweise mangelt es dem Roman nicht an Intensität, da teilweise Spannung aus den darin wiedergegebenen Dramen erzeugt wird. In seinem weiteren Verlauf konzentriert sich der Thriller dann aber mehr auf die Beantwortung der zu Beginn aufgeworfenen Fragen, wenn Lando den so lang in Granite Creek begrabenen und tot geschwiegenen Geheimnissen, die auch Callums Leben geprägt haben, auf den Grund geht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.11.2023
Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen / Die mörderischen Cunninghams Bd.1
Stevenson, Benjamin

Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen / Die mörderischen Cunninghams Bd.1


sehr gut

Spezieller Krimi mit starken Hintergrundgeschichten, doch schwachen Charakterisierungen

Ernest, genannt Ernie Cunningham, hat sich nach einer keinen Widerspruch duldenden Einladung seiner Tante Katherine dazu entschieden, am ersten Familientreffen seit Jahren teilzunehmen. Das findet in einem abseits gelegenen Ski Resort statt, bei dem sich schon die Anreise als kleines Wagnis gestaltet, da Ernie vergessen hat, seinen Wagen mit Schneeketten auszustatten. Die Familie bereitet ihm einen zum Wetter passenden eisigen Empfang: Ignoriert von der Tante, mit Schweigen gestraft von seiner Mutter Audrey, scheint sich nur seine Stiefschwester Sofia zu freuen, ihn zu sehen. Jedes Beieinandersein der Familie artet schon nach fünf Minuten in Streit aus, wovor sie auch in der Öffentlichkeit nicht zurückschrecken oder aber über den Fund einer im Schnee entdeckten Leiche. Doch ist der Unbekannte tatsächlich einem tragischen Unglück zum Opfer gefallen, wie vom Dorfpolizisten Crawford vermutet, oder ist das ein eiskalter Mord gewesen?

Die Familie Cunningham ist speziell und ebenso auch dieser Krimi von Benjamin Stevenson, dem sie den Titel geben. Das beginnt bei den vorangestellten zehn Geboten des Detektivromans, die vom Priester und Satiriker Ronald Knox in 1929 verfasst worden sind und die vom Autor konsequent in seinen Roman eingebaut werden. Das gibt diesem Krimi eine besondere Meta-Meta-Ebene, die mich weniger an die in “30 Tage Dunkelheit” von Jenny Lund Madsen gewählte Meta-Ebene erinnert hat, bei der eine Schriftstellerin in einem Todesfall ermittelt und diesen gleichzeitig in dem fiktiven Kriminalroman verarbeitet, an dem sie gerade schreibt, sondern trotz des anderen Genres eher an den Film Scream. So hätte “Den mörderischen Cunninghams” eine stärkere Orientierung am Film Scream gut getan, um mehr aus der originellen Ausgangsprämisse herauszuholen, die diesem Meta-Krimi zugrunde liegt, indem zudem der Leser wiederholt direkt angesprochen wird. Dafür hätte sich die darin erzählte Geschichte und insbesondere deren Todesfälle meiner Ansicht nach angeboten, um ähnlich wie im Film Scream im einen Moment noch wie eine Satire zu wirken, um im nächsten bitteren, blutigen Ernst zu machen, wenn einem dann dabei das Lachen im Hals stecken bleibt.

An sich mag ich schräge Figuren samt eigenwilliger Dynamik in ihren Beziehungen untereinander recht gerne. Insofern haben mich zunächst die Beschreibung von Tante Katherine und von anderen Mitgliedern der Familie von Ernie angesprochen. Dabei liebt Katherine ihre Tabellen, die sie leidenschaftlich etwa bei der Organisation von Familientreffen einsetzt, sie hasst Unpünktlichkeit, weil das ihren präzise geplanten Ablauf durcheinanderbringt. Ihr in die Familie eingeheirateter Mann Andy beschränkt sich darauf, ihr stets zuzustimmen und heimlich mal ein Bier zu kippen, da seine Frau seit ihrer Verletzung strikte Abstinenzlerin ist. Indem die Figuren derart eindimensional charakterisiert sind, wirken sie eher wie Karikaturen und ihre schon mal eher unfreiwillig anmutende Komik nutzt sich etwa im Fall von Andy sehr rasch ab. Da hätte es mir besser gefallen, wenn Benjamin Stevenson seinen Figuren weitere Facetten zugestanden hätte. Vielleicht hätte sich darüber hinaus angeboten, einzelne Kapitel nicht nur aus Sicht von Ernie, sondern der weiterer Familienmitglieder wie beispielsweise von Andy wiederzugeben, um diesem Mann, der nach außen hin immer nur das sagt und tut, was seine Frau für gut erachtet, von Beginn an eigene Gedankengänge zuzugestehen, die damit auch dem Leser bekannt wären.

Eine Stärke der mörderischen Cunninghams sind die spannenden, abwechslungsreich gehaltenen Hintergrundgeschichten, die Benjamin Stevenson sich für die einzelnen Familienmitglieder ausgedacht hat, was beispielsweise Ernies Vater und großen Bruder mit einschließt. Diese werden allesamt aus Ernies Sicht wiedergegeben, der dazu verschiedene Vermutungen anzustellen hat oder eher als passiver Beobachter mit dabei gewesen ist. An dieser Stelle hätte sich vielleicht eher angeboten, die relevanten Ereignisse aus Sicht des jeweiligen Familienmitglieds zu schildern, statt dafür die Perspektive von Ernie zu wählen, so dass ich diese dabei zugleich besser hätte kennenlernen können. Auch das vom Autor gewählte Konstrukt, indem er bei der Anreise zum Familientreffen beginnt, um dann nach und nach wiederholt vergangene Ereignisse einzuschieben, hat dessen Erzählweise eher unübersichtlich gestaltet statt dadurch für die großen Überraschungsmomente zu sorgen, die durch diese verschachtelte Erzählweise und spätere Enthüllungen wohl angedacht gewesen sind. Auch hat es auf diese Weise sehr lange gedauert, bis die Handlung um die im Skiresort gefundene Leiche in die Gänge gekommen ist. Da hätte ich eine chronologische Erzählweise als passender empfunden, die zumindest teilweise erst wesentliche Ereignisse aus der Vergangenheit von Ernies Familie abgehandelt hätte, um sich im Anschluss daran der Gegenwart zu widmen, die dann gestraffter hätte erzählt werden können.

Bewertung vom 07.11.2023
Atalanta
Saint, Jennifer

Atalanta


sehr gut

Vielfältig verwobene griechische Mythen um die Jägerin und Kämpferin Atalanta

König Iasos von Arkadien, der Vater von Atalanta, lässt sie im Wald aussetzen, da er sich als Kind einen Sohn und damit Erben, nicht aber eine Tochter gewünscht hat. Das Baby stirbt jedoch nicht, wie vom König angedacht, sondern wird von einer Bärin gesäugt, die sich seiner ebenso wie ihrer Jungen annimmt, mit denen Atalanta gemeinsam groß wird. Als die Zeit gekommen ist und die Bärenmutter ihre Jungen verstößt, wandert auch Atalanta allein und ziellos durch den Wald, nachdem sie die einzige Mutter, die sie je kannte, verloren hat. Doch wieder hat das Mädchen Glück im Unglück, da sie auf Artemis, die Göttin der Jagd, trifft, unter deren Schutz sie fortan steht.

Obgleich Atalanta königlichen Geblüts ist, wächst sie nicht als hochwohlgeborene Prinzessin auf, sondern lebt in den Tiefen des Waldes, in die sich nur selten ein Mensch verirrt. Zunächst erachtet sie die Bärenjungen als ihre Geschwister, mit denen sie aneinander gekuschelt in der Nacht schläft und tagsüber spielt, aber bereits auch zu kämpfen lernt, und deren Mutter als ihre eigene, indem sie nichts anderes kennt. Nachdem sie ihre Bärenfamilie verloren hat, lebt sie an der Seite der Göttin Artemis, umgeben von deren Nymphen, in ihrem heiligen Hain. So wird Atalanta fernab von jeglicher menschlichen Zivilisation groß, so dass sie nicht um ihre Gepflogenheiten weiß Auch hat sie nie ein Dorf oder gar eine Stadt gesehen. Sie kennt nur den Wald, wo sie gelernt hat, sich selbst zu versorgen und zu schützen. Auch ist sie abgesehen von ihrem Bogen und den dazugehörigen Pfeilen sowie der Tunika, die sie am Leib trägt, und einiger gegerbter Tierfelle nicht mit materiellem Besitz belastet.

Atalanta ist auf eine Art und Weise stark, wie es nur selten Frauen in der griechischen Mythologie zugestanden wird. Denn sie ist absolut autark, da sie in der Lage ist, sich ganz auf sich allein gestellt nur mit dem, was der Wald zu geben hat, selbst zu versorgen. In der Wildheit der Natur erlebt sie eine Form von Freiheit fernab gesellschaftlicher Zwänge, wie sie sonst nie der Tochter eines Königs zugestanden worden wäre. Atalante und die Nymphen bilden eine Art von Prepper-Gemeinschaft, die jedoch ausschließlich aus Frauen besteht und das in Zeiten des mythischen Griechenlands. Aus dieser bereits in der Vorlage derart stark angelegten Figur der Atalanta hätte Jennifer Saint weit mehr herausholen müssen, verschenkt dabei aber Potential. Denn gerade mit den besonderen Eigenschaften, die Atalanta schon als Mädchen auszeichnen, wenn sie schneller und ausdauernder als die Nymphen laufen kann und ein besonderes Talent für die Jagd zeigt, tut sich die Autorin schwer.

Da hätte ich mir gewünscht, dass Saint den Mut besessen hätte, eine derart andere Frauengestalt, die jenseits typisch femininer Charakterzüge erst allein durch Autarkie und Unabhängigkeit, Stärke und Kampfgeist geprägt ist, konsequent in diesen Eigenschaften zu schildern. Stattdessen hat die Autorin Atalanta dabei oft zögerlich oder ein wenig unsicher erscheinen lassen, wenn sie selbst oft nicht so recht versteht, was da vor sich geht oder wer sie eigentlich ist. Das setzt sich dann leider in der Beschreibung von Artemis fort, die bei Saint zwar als begnadete, doch unbarmherzige Jägerin rüberkommt. Die Göttin wirkt stets unnahbar, obwohl sich Atalanta zu ihrer Favoritin entwickelt. Auch zeigt sie sich rachsüchtig, wenn eine ihrer Nymphen gegen die von ihr aufgestellten Regeln verstößt. Da hätte ich mir doch eine insgesamt ambivalenter ausfallende Charakterisierung von Artemis gewünscht. Bezeichnend ist, dass die Göttin lediglich in ihrer Funktion als Helferin bei der Geburt, wenn sie die Gebete der in den Wehen liegenden Frauen erhört, also der einzig klassischen Frauenrolle, die Artemis zukommt - positiv dargestellt wird.

Obgleich Jennifer Saint das erste Drittel ihres Romans der Kindheit und Jugend von Atalanta widmet, hat sich dieser für mich nicht in die Länge gezogen. Das ist dem geschickten Kunstgriff der Autorin zu verdanken, dass die Nymphen, bei denen Atalanta lebt, ihr oft des Abends Geschichten erzählen. Wenn sie also an sich ereignislose Tage in der Natur verbringen, bei denen sie nur im Fluss baden, eine neue Tunika weben oder Früchte wie Beeren sammeln und verzehren, dann sind nicht diese schönen Stunden im Roman geschildert worden, sondern die Erzählungen von der Welt außerhalb des Waldes oder aus vergangenen Zeiten, die die Nymphen an die junge Atalanta weitergegeben haben. Dadurch ist es Saint auch möglich gewesen, weitere Mythen, die nicht unmittelbar mit der Sage um Atalanta zusammenhängen, in ihr Buch mit einzubinden. Dazu zählen etwa die unglückliche Liebesgeschichte von Aphrodite und ihrem Jäger Adonis oder der Raub der Persephone durch den Unterweltgott Hades. Hinzu kommen verschiedene Mythen, die sich um Nymphen ranken.

Bewertung vom 23.10.2023
Ein Fluss so rot und schwarz (eBook, ePUB)
Ryan, Anthony

Ein Fluss so rot und schwarz (eBook, ePUB)


gut

Um phantastische Elemente angereicherte Dystopie mit gelungenen Kampfszenen und wenig überzeugender Figurenzeichnung

Ein Mann wacht auf einem Boot auf, das sich inmitten des Ozeans befindet. Da er nur das offene Meer sieht und das Schiff aus der Ferne gelenkt und gesteuert wird, weiß er nicht, wo er ist. Auch kann er sich nicht erinnern, wer er ist. Seine Vergangenheit hat er vergessen, ebenso wie seinen Namen. Doch nachdem er von einem Geräusch geweckt worden ist, das ihn aus dem Schlaf gerissen hat, sucht er dessen Ursache und muss eine grausige Entdeckung an Bord des Schiffs machen.

Mehr zum Inhalt von “Ein Fluss so rot und schwarz” zu sagen, würde nur die ersten Twists in dieser von Anthony Ryan erzählten Geschichte verraten. Im weiteren Verlauf nennt der zu Beginn namenlose Mann sich Huxley, was wohl nicht sein richtiger Name ist, den er jedoch eintätowiert auf seinem Arm vorgefunden hat. Auf dem Boot ist er nicht allein, da mit ihm fünf andere Personen reisen. Jeder von ihnen kennt weder ihre Route bzw. ihr Ziel noch den Zweck ihrer Mission, die erst nach und nach enthüllt wird.
Die Gruppe, die aus diesen sechs besteht, stellt die zentralen Figuren dieses Romans dar, der aus Sicht von Huxley geschildert wird. Indem sie sich weder an ihre Vergangenheit noch an ihre Persönlichkeit erinnern können, haben diese Charaktere seltsam distanziert auf mich gewirkt. So ist es mir schwer gefallen einen Zugang zu ihnen zu finden und deren Handlungen wie Entscheidungen sind oft schwer nachvollziehbar für mich geblieben, sogar wenn sie diese ausdiskutiert oder überdacht haben. Damit ist mit dem an sich interessanten Ausgangssetting, das Anthony Ryan für “Ein Fluss so rot und schwarz” gefunden hat, die Schwäche verbunden gewesen, dass eine längere Introduktion zwingend erforderlich ist, um mir als Leser die wesentlichen Figuren näher zu bringen. Nur wenn ich diese Charaktere besser kennengelernt habe, kann ich im weiteren Verlauf mitfiebern und bangen, welche davon es schaffen werden oder auch nicht. Durch den für seinen Roman gewählten Ausgangspunkt versagt sich Anthony Ryan diesem Konzept und so wird Spannung in “Ein Fluss so rot und schwarz” ausschließlich aus den gelungen geschilderten Kampf-Szenen erzeugt, die durch die phantastischen Elemente, um die diese angereichert sind, einen besonderen Touch erhalten. Darüber hinaus räumt der Autor der Auflösung des Rätsels, was denn die Aufgabe ist, die diesen sechs zugedacht wurde und dazu geführt hat, dass sie auf dem Boot gelandet sind, in seinem Roman viel Zeit und Raum ein.

Indem der Autor der Versuchung widerstanden hat, “Ein Fluss so rot und schwarz” anders als die von ihm verfassten epischen High-Fantasy-Reihen als ausufernden Roman anzulegen, hat sich dessen Lektüre für mich kurzweilig gestaltet. Denn das Buch, das keine dreihundert Seiten lang ist, habe ich in zwei Tagen gelesen, obwohl ich zugeben muss, dass sich zwischendrin bei mir Längen eingeschlichen haben. Das ist häufiger dann der Fall gewesen, wenn die Gruppe zwischen den einzelnen Stationen, auf der sie während ihrer Reise verschiedene Aufgaben zu erledigen hat, an Bord verbleibt und versucht dem Rätsel um ihre Mission auf den Grund zu gehen oder sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern.

Auch hätte sich die von Ryan für “Ein Fluss so rot und schwarz” ersonnene Ausgangssituation weit eher für einen abgründigen Horror-Roman, der in seiner Erzählweise durch einen düsteren Tonfall unterstrichen wird, angeboten als für die eher phantastischen Elemente, in denen dieser geschildert wird. Dass die gewählte Umsetzung nicht etwa einem mangelnden Talent des Autors geschuldet ist, zeigt sich in einer unheimlichen Szene, in deren Mittelpunkt eine Variante der Venusfliegenfalle steht. Weitere Szenen dieser Art hätten dem Roman gut getan, ebenso wie wenn Ryan seine Geschichte konsequent in diesem Ton erzählt hätte.
Anthony Ryan, der aus seinem an sich spannenden Setting weit mehr hätte herausholen können, verschenkt da leider viel Potenzial, wenn er seinen Roman nicht konsequent im Horror-Genre anlegt und in einem zur Geschichte passenden, abgründig düsteren Tonfall erzählt. Darüber hinaus hätte sich angeboten, andere Charaktere in den Mittelpunkt eines Romans, der in der vom Autor ersonnenen Dystopie angesiedelt ist, zu stellen, um aus deren Sicht das von ihm entworfene Setting zu beschreiben und daraus eine Geschichte zu entwickeln, die auch in der dabei aufgebauten emotionalen Intensität hätte überzeugen können. Das hätte zudem eine interessantere, zumindest jedoch ambivalente Figurenzeichnung ermöglicht, wenn die im Fokus stehenden Personen sich an ihre Vergangenheit hätten erinnern können und deren Veränderung in ihrer Entwicklung begleitet worden wäre. “Ein Fluss so rot und schwarz” hätte dadurch gewinnen können, dass sich das Buch vom Boot-Setting entfernt und stattdessen mehr an “The Girl with All the Gifts” von M. R. Carey oder vergleichbaren Romanen orientiert hätte.

Bewertung vom 23.10.2023
Das Nachthaus
Nesbø, Jo

Das Nachthaus


gut

Zum Inhalt: Nach dem Tod seiner Eltern ist Richard, der erst vierzehn Jahre alt ist, erst vor kurzem ins verschlafene Nest Ballantyne gezogen, in dem nie etwas los ist. Eines Tages geht er mit seinem einzigen Freund Tom, da beide zur untersten Kaste in der Hackordnung der Schule gehören, hinunter zum Fluss zum Spielen. Dort möchte Richard feststellen, ob die von ihm geklaute Luke Skywalker Figur untergeht oder schwimmen kann, wenn sie im Fluss versenkt wird. Im Anschluss daran wird Tom von Richard zu einem Telefonstreich überredet, als die beiden auf dem Nachhauseweg an einer einsam gelegenen Telefonzelle vorbeikommen. Für den Anruf wählt Richard Imu Jonasson aus, der ihm wegen seines ungewöhnlichen Namens im Telefonbuch auffällt. Doch was nur als harmloser Telefonstreich gedacht war, erhält eine grausame Wendung, wenn das Grauen seinen Lauf nimmt.

Auf einen starken Beginn folgen ein schwacher Mittelteil und Schluss.

Indem ich den ersten Teil des Nachthauses als stärksten empfunden habe, sind mir die Wendungen in dessen weiteren Verlauf zu gewollt erschienen. Diese haben auf mich eher als Twists gewirkt, die allein wegen deren Überraschungseffekt in die Handlung integriert worden sind, wenn die Geschichte des Romans sich dadurch in eine gänzlich unerwartete Richtung entwickelt hat. Das ist zwar einerseits gekonnt vom Autor geschrieben, da Hinweise auf künftige Twists zuvor eingestreut und damit angedeutet worden sind. Andererseits hat Nesbø im zweiten und gerade im dritten Teil ausführliche Erklärungen nachzuschieben, um die unerwarteten Wendungen seiner Geschichte zu erläutern und in sich schlüssig zu verargumentieren. Wenn für Twists ausufernde Erklärungen erforderlich sind, um sie für mich als Leser verständlich werden zu lassen und stimmig in die bisherige Handlung des Romans einbinden zu können, dann ist das für mich meist - so wie auch im Fall des vorliegenden Romans - ein Indiz dafür, dass die darin geschilderte Geschichte ihrem Aufbau nach wohl zu ambitioniert ausgefallen ist, wenn sie zu konstruiert geraten ist. Mir persönlich hat das in vielen Büchern der letzten Jahre Überhand genommen, dass gerade Krimis, aber auch Thriller nicht mehr ohne einen, zumeist jedoch mehrere zentrale Twists auskommen, die alles zuvor erzählte nochmals auf den Kopf stellen müssen. Auch ich mag Twists, falls sie gut umgesetzt sind und einen Mehrwert für die Handlung darstellen. Beispiele dafür sind im Horrorgenre The Sixth Sense oder The Others. Wenn ein Roman ohne entsprechende Wendungen stärker ausfallen würde - allein durch seine sonst stringent erzählte Geschichte, kann ich aber auch gut und gerne - so wie im Fall des Nachthauses - darauf verzichten.

Verbesserungsvorschläge zu den genannten Kritikpunkten

Weil mir der erste Teil des Nachthauses am besten gefallen hat, hätte ich mir gewünscht, dass Jo Nesbø von dem gewohnten Schema, an dem sich der grundlegende Aufbau von Krimis wie Thrillern in der Regel orientiert und das nicht ohne zentrale Twists auskommen kann, abgewichen wäre, wenn er auf seinen zweiten und dritten Teil verzichtet hätte. Stattdessen hätte der erste Teil weiter ausgearbeitet werden können. Das Nachthaus ist zwar bereits in der vorliegenden Form weniger gut für Zartbesaitete geeignet, indem der Roman einige brutal blutige Szenen enthält und auch vor Gewalt gegen Kinder - genauer gesagt Jugendlichen - nicht Halt macht. Allerdings hätte Nesbø seine dabei angezogene Handbremse lockern können, wenn er das Alter seines Protagonisten und wesentlicher Nebenfiguren schon zu Beginn des Romans ein wenig hochgesetzt hätte. Anstelle von 13- bzw. 14-jährigen Schülern hätten sich zumindest eher 17- bis 18-Jährige dafür angeboten, im Mittelpunkt der Handlung zu stehen.
Dann hätte Nesbø dem Horror im Nachthaus freien Lauf lassen können. Denn gerade in den stimmungsvoll geschilderten Szenen, in denen sich die Spannung stetig aufbaut und die von einer dazu passenden unheimlichen Atmosphäre untermalt werden, die mich gleich Ungutes ahnen ließ, konnte das Nachthaus mich überzeugen. Dabei hätte der Autor, falls der Beginn seines Romans stärker von ihm ausgebaut worden wäre und insgesamt mehr Raum bekommen hätte, sich näher mit relevanten Nebenfiguren auseinandersetzen können, indem deren Schwierigkeiten im Leben und deren Beziehung zu Protagonist Richard ausführlicher geschildert worden wären. Auch hätten weitere Reminiszenzen an Klassiker der Horrorliteratur oder Filme - wie beispielsweise an Jeepers Creepers - und zusätzliche Informationen zum titelgebenden Nachthaus wie etwa zu dessen Vergangenheit und zum mysteriösen Imu Jonasson eingebunden werden können. Denn mit dem Nachthaus und Imu sind Nesbø im ersten Teil seines Romans eine gruselige Location, die eine unheimliche Präsenz ausstrahlt, und ein starker Antagonist gelungen, über die ich gern mehr erfahren hätte.

Bewertung vom 10.07.2023
Amazement Park (eBook, ePUB)
White, Kiersten

Amazement Park (eBook, ePUB)


sehr gut

Abwechslungsreich erzählter Thriller mit Mystery-Elementen

Die junge Mack ist ganz unten angekommen. In Gedanken von ihrer grausamen Vergangenheit verfolgt, vegetiert sie nun in einer Obdachlosenunterkunft vor sich hin. Alles, was ihr noch geblieben ist, ist auf ein kleines Bündel an Habseligkeiten zusammengeschrumpft. Als sie auch noch das verliert, sieht sie sich gezwungen das dubiose Angebot der Managerin der Unterkunft anzunehmen. Das besteht aus einem rätselhaften Versteckspiel. Da dem Gewinner 50.000 Dollar Preisgeld winken, lässt sie sich darauf ein.

Im Zuge der als Challenge angepriesenen Aufgabe, die Mack in diesem Thriller bewältigen muss, hat sie sich eine Woche lang in einem 30-minütigen Zeitfenster zu Beginn eines jeden Tages im Park zu verstecken, um bis zur Abenddämmerung dort zu bleiben. Denn wer entdeckt wird, ist raus. Mit dem verlassenen Vergnügungspark hat Kiersten White eine passende schauerliche Kulisse für ihren an die erfolgreiche Netflix-Serie Squid Game erinnernden Roman gefunden. Ergänzt wird die stimmungsvolle Location vom eigenartigen Verhalten der Veranstalter des Versteckspiels sowie der lokalen Bevölkerung.
Obwohl sich Kiersten White bemüht hat, ihre Gruppe aus 14 verschiedenen Kandidaten des mysteriösen Wettbewerbs abwechslungsreich zusammenzustellen, sind die meisten davon ziemlich blass geblieben. Obgleich das Spiel nicht gleich beginnt, sondern erst der Weg dorthin beschrieben wird, an den sich ein gemeinsames Essen im Diner und ein Besuch im Spa anschließen, sind mir davon neben den dreien, die kein Smartphone besitzen, nur Vergangenheit und Beruf von Rosiee in Erinnerung geblieben. Die ist Silberschmiedin und wird seit vier Jahren von ihrem Ex verfolgt. Die verbleibenden zehn sind Variationen von Influencern, die von einer Karriere in den sozialen Medien in unterschiedlicher Form träumen und deren größtes Problem erst der fehlende Handy-Empfang ist. Da ist es mir nicht leicht gefallen den einen vom anderen zu unterscheiden. Bestätigt habe ich mich darin gefühlt, indem Kiersten White damit kokettiert hat, dass sich auch Protagonistin Mack nicht die Namen von allen merken kann. Als gelungener hätte ich "Amazement Park" empfunden, wenn die Autorin die Größe der Gruppe beschränkt und den einzelnen Mitgliedern ähnlich starke Hintergrundgeschichten wie die von Rosiee zugestanden hätte statt deren Austauschbarkeit zu betonen.

Von den schwachen Charakterisierungen blasser Nebenfiguren heben sich Mack, Veteranin Ava und der ruhige LeGrand deutlich ab. Dabei hat Mack schon in der Obdachlosenunterkunft ihr Geschick im Verstecken unter Beweis gestellt und sympathische Züge im Umgang mit einem dort unter dem Dachbalken hausenden Vogel gezeigt. LeGrand, der ein unsicherer, Frauen zwanghaft meidender junger Mann ist, hat bereits in der Anreise per Bus ein besonderes Talent an den Tag gelegt, unsichtbar zu bleiben, indem er übersehen wird. Ava, die wegen einer zweiten Teilnehmerin gleichen Namens in Macks Gedanken Buzz-Cut Ava heißt, hat Verletzungen im Krieg davongetragen. Obwohl sie ein Bein nachzieht, scheint die muskulöse Veteranin Mack die fitteste Kandidatin zu sein, die so wie sie selbst mit den traumatischen Erlebnissen ihrer Vergangenheit zu kämpfen hat. Wenn Ava sich nicht sicher fühlt, kann sie nicht schlafen. Dadurch fällt ihr als erstes auf, dass die Teilnehmer von den Veranstaltern hinters Licht geführt werden, da sie auf der Busfahrt zum Park deren Wasser mit einem Betäubungsmittel versetzt haben.

"Amazement Park" ist von der abwechslungsreichen Erzählweise von Kiersten White geprägt. Zunächst wird der Thriller nur aus Sicht von Protagonistin Mack geschildert, in seinem weiteren Verlauf kommen aber unterschiedliche Blickwinkel anderer Teilnehmer, des Veranstalters sowie der einheimischen Bevölkerung hinzu. In an ein Intermezzo erinnernden Kapiteln werden von der Autorin zusätzliche Zeitebenen in den Roman integriert, indem in Gestalt von alten Tagebucheinträgen und früher verfassten Briefen nach und nach die gesamte Historie des Parks enthüllt wird, die bis ins Jahr 1925 zurückreicht.
Nach der ruhig gehaltenen, recht ausführlich geratenen Einleitung, die etwa das erste Fünftel des Buchs umfasst und gekonnt mit den durch die zur Serie Squid Game vorliegenden Parallelen geschürten Erwartungshaltungen spielt, hat Kiersten White das Tempo in "Amazement Park" deutlich angezogen. Die enge Taktung der Ereignisse hat mir auch während der vielen Stunden, die die Kandidaten regungslos in ihren Verstecken im Park auszuharren haben, kaum eine Pause vergönnt. Nebenher fließt soziale Kritik mit ein, die zwar ein wenig arg mit dem Vorschlaghammer daherkommt, ihre Wirkung bei mir jedoch mit ihrer bis zur letzten, drastischen Konsequenz auserzählten Geschichte nicht verfehlt hat. Da der Thriller ziemlich abrupt endet, hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin dabei offen gebliebene Fragen in einem Epilog artigen, zeitlich später angesiedelten Kapitel beantwortet hätte.