Arno Geiger
Gebundenes Buch
Unter der Drachenwand
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Veit Kolbe verbringt ein paar Monate am Mondsee, unter der Drachenwand, und trifft hier zwei junge Frauen. Doch Veit ist Soldat auf Urlaub, in Russland verwundet. Was Margot und Margarete mit ihm teilen, ist seine Hoffnung, dass irgendwann wieder das Leben beginnt. Es ist 1944, der Weltkrieg verloren, doch wie lang dauert er noch? Arno Geiger erzählt von Veits Alpträumen, vom "Brasilianer", der von der Rückkehr nach Rio de Janeiro träumt, von der seltsamen Normalität in diesem Dorf in Österreich - und von der Liebe. Ein herausragender Roman über den einzelnen Menschen und die Macht der ...
Veit Kolbe verbringt ein paar Monate am Mondsee, unter der Drachenwand, und trifft hier zwei junge Frauen. Doch Veit ist Soldat auf Urlaub, in Russland verwundet. Was Margot und Margarete mit ihm teilen, ist seine Hoffnung, dass irgendwann wieder das Leben beginnt. Es ist 1944, der Weltkrieg verloren, doch wie lang dauert er noch? Arno Geiger erzählt von Veits Alpträumen, vom "Brasilianer", der von der Rückkehr nach Rio de Janeiro träumt, von der seltsamen Normalität in diesem Dorf in Österreich - und von der Liebe. Ein herausragender Roman über den einzelnen Menschen und die Macht der Geschichte, über das Persönlichste und den Krieg, über die Toten und die Überlebenden.
Arno Geiger, 1968 geboren, lebt in Wien. Sein Werk erscheint bei Hanser, zuletzt "Alles über Sally" (Roman, 2010), "Der alte König in seinem Exil" (2011), "Grenzgehen" (Drei Reden, 2011), "Selbstporträt mit Flusspferd" (Roman, 2015), "Unter der Drachenwand" (Roman, 2018), "Der Hahnenschrei" (Drei Reden, 2019) und "Das glückliche Geheimnis" (2023). Er erhielt u. a. den Deutschen Buchpreis (2005), den Johann-Peter-Hebel-Preis (2010), den Hölderlin-Preis (2011), den Literaturpreis der Adenauer-Stiftung (2011), den Joseph-Breitbach-Preis (2018), den Bremer Literaturpreis (2019), den in den Niederlanden vergebenen Europese Literatuurprijs (2019) und den Rheingau Literatur Preis (2023).

© Marco Flammang
Produktdetails
- Verlag: Hanser
- Artikelnr. des Verlages: 505/25812
- 10. Aufl.
- Seitenzahl: 480
- Erscheinungstermin: 8. Januar 2018
- Deutsch
- Abmessung: 211mm x 136mm x 36mm
- Gewicht: 587g
- ISBN-13: 9783446258129
- ISBN-10: 3446258124
- Artikelnr.: 49464978
Herstellerkennzeichnung
Carl Hanser Verlag
Vilshofener Straße 10
81679 München
info@hanser.de
Keine Hoffnung ohne Horror
Arno Geigers meisterlicher Roman "Unter der Drachenwand" führt ins Weltkriegsjahr 1944 und zeigt das erschreckende Nebeneinander vom Untergang der Gesellschaft und dem Beharrungswillen des Einzelnen.
Wollte man eine Summa der Handlung von Arno Geigers morgen erscheinendem neuen Roman gezogen sehen, so böte sich dafür eine Passage nach drei Vierteln des Buches an: "Bald ein ganzes Jahr trieb ich mich in Mondsee herum, indessen der Krieg kein Ende nahm. Der Jahrestag meiner Verwundung war verstrichen, und ich wunderte mich selbst, dass es mir gelungen war, mir den Krieg so lange vom Leib zu halten. Als ich Ende November aus Wien eine Beorderung bekam, durfte ich mich nicht beklagen,
Arno Geigers meisterlicher Roman "Unter der Drachenwand" führt ins Weltkriegsjahr 1944 und zeigt das erschreckende Nebeneinander vom Untergang der Gesellschaft und dem Beharrungswillen des Einzelnen.
Wollte man eine Summa der Handlung von Arno Geigers morgen erscheinendem neuen Roman gezogen sehen, so böte sich dafür eine Passage nach drei Vierteln des Buches an: "Bald ein ganzes Jahr trieb ich mich in Mondsee herum, indessen der Krieg kein Ende nahm. Der Jahrestag meiner Verwundung war verstrichen, und ich wunderte mich selbst, dass es mir gelungen war, mir den Krieg so lange vom Leib zu halten. Als ich Ende November aus Wien eine Beorderung bekam, durfte ich mich nicht beklagen,
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jedenfalls nicht laut, denn in Wahrheit war es mir bisher vergönnt gewesen, einen unauffälligen Mittelweg zu gehen, der lag, sagen wir, zwischen dem allergrößten Glück mancher und dem härtesten Schicksal vieler."
Was ist das für eine Sprache? Einerseits eine formelle ("Beorderung"), andererseits eine altertümliche ("indessen"), schließlich zweifellos eine elaborierte. Es ist die Erzählerstimme eines jungen Mannes namens Veit Kolbe aus "Unter der Drachenwand", einem Roman, dem schon im Titel die Bedrohung eingeschrieben ist, der sich Kolbe ausgesetzt sieht. Diese Drachenwand ist ein tatsächlich existierender Fels im österreichischen Salzkammergut - das unterscheidet Geigers Buch von dem in ähnlich isolierter Umgebung angesiedelten und auch ähnlich intensiv erzählten Roman "Ein ganzes Leben" seines Landsmannes Robert Seethaler, der jedoch bei allen Anklängen an reale Ereignisse bewusst einen fiktiven alpinen Handlungsort zwischen Bergen mit so lebensfeindlich klingenden Namen wie Karleitner, Klufterspitze und Häuslerkamm gewählt hatte.
Aber auch die Drachenwand erfüllt vor allem einen metaphorischen Zweck: Ihre Gegenwart wird von Geigers Erzähler über die fast fünfhundert Seiten hinweg immer wieder heraufbeschworen ("die Drachenwand macht im Süden eine breite Brust", "die albtraumhaft hingestellte Drachenwand", "die Drachenwand zeichnete sich deutlich ab", und gleich zweimal ist vom "mächtigen Felsenschädel der Drachenwand" die Rede), doch in diese Wand selbst führt nur eine einzige, dann allerdings auch tödliche Szene. Ansonsten dräut der Fels über der kleinen Ortschaft Mondsee. Doch irgendwie beschützt er sie auch.
Er beschützt sie vor Krieg und Kriegsgeschrei. Geigers Buch deckt das Jahr 1944 ab. Zu dessen Beginn kehrt der aus Wien stammende Veit Kolbe von der Ostfront zurück, eher leicht- als schwerverwundet, und kommt dank privater Beziehungen zur Rekonvaleszenz nach Mondsee. Dort findet er, wie man schon dem Eingangszitat entnehmen kann, eine vergleichsweise friedliche Welt vor, die neben ihm noch zahlreichen anderen Gästen Zuflucht vor den Schrecken des Weltkriegs beschert hat: aufs Land evakuierten Schülerinnen aus Wien, deren Betreuerinnen, einer jungen Mutter aus Darmstadt und dem "Brasilianer", einem gegen seinen Willen aus Südamerika zurückgekehrten Einheimischen aus Mondsee, der mit der NS-Ideologie gar nichts anfangen kann. Doch so abgeschieden er in dieser Ecke des Großdeutschen Reichs auch lebt, kommt der "Brasilianer" mit dieser Haltung nicht einfach durch.
Für Veit Kolbe, der ebenfalls keine Illusionen mehr über Methoden und Erfolgsaussichten der deutschen Kriegsführung hat, ist es leichter: Er schweigt, um nicht aufzufallen, schaut aber umso genauer hin. Da es meist seine Perspektive ist, aus der Geiger erzählt, wird darüber eine literarische Reminiszenz akut, die man bislang mit diesem Autor kaum verbunden hätte: Arno Schmidt. Die Erzählhaltung von dessen 1949 erschienenem Debüt, der in der Endphase des Kriegs spielenden Flüchtlingsgeschichte "Leviathan", erscheint wie eine Blaupause für Geigers Hauptfigur in deren Verschlossenheit und zugleich sezierendem Blick auf den sie umgebenden Mikrokosmos aus Verblendeten und Verzweifelnden. Auch die Flucht aus dem Kriegsalltag, der durch überfliegende Bomberflotten in Mondsee ebenso präsent ist wie auf Schmidts immer wieder stockender Zugfahrt, in die Liebe verbindet beide Bücher. Und wenn es Geiger als 1968 geborenem Autor derart grandios gelingt, das beklemmende Nebeneinander von Untergang der Gesellschaft und Beharrungswillen des Individuums zu beschreiben, dass man sich an den Kriegszeitzeugen Arno Schmidt erinnert fühlt, dann zeigt das einmal mehr, über was für ein literarisches Vermögen dieser Schriftsteller verfügt.
Es gibt zudem eine formale Novität in Geigers Roman, die wie ein Zuzwinkern hin zum in die narrativen Möglichkeiten typographischer Effekte verliebten Schmidt wirkt: den Schrägstrich. Immer wieder, durchschnittlich gewiss einmal pro Seite, wird mitten im Absatz dieses Zeichen gesetzt, ohne dass damit eine andere inhaltliche Funktion verbunden wäre als ein kurzes Innehalten. Es handelt sich also wie auch bei Schmidts entsprechenden Schreibgepflogenheiten um eine Rhythmisierung des Textes, eine rhetorische Funktion, die fürs Vorlesen - wozu der Roman durch seine persönliche Sprache einlädt - ohnehin denkbar gut geeignet ist. Ansonsten scheint es aber im Falle Geigers eher eine Marotte zu sein. Oder eben doch eine subtile Hommage?
Die Homogenität der Erzählstimme wird in "Unter der Drachenwand" dreimal dreifach gebrochen: durch Erlebnisschilderungen anderer unfreiwilliger Kriegsteilnehmer. Da ist einmal die in Darmstadt verbliebene Mutter der ins Salzkammergut zur Erholung nach der Geburt ihres Kindes gereisten jungen Frau. Aus ihren Briefen an die Tochter erfahren wir, was die über Mondsee hinwegfliegenden Bomber in den Städten anrichten. Aus Wien wiederum schreibt ein siebzehnjähriger Junge an seine mit ihrer Schulklasse evakuierte Freundin über die eigenen Gefühle und Erlebnisse in der Heimatstadt. Und ein anderer Wiener, ein jüdischer Zahntechniker, der den älteren Sohn mit einem Kindertransport nach Großbritannien hat retten können, aber selbst mit Frau und anderem Sohn zurückbleiben musste, berichtet seiner in einem neutralen Staat lebenden Cousine von den immer aussichtsloseren Versuchen, erst in Österreich und dann in Ungarn zu überleben. Diese Stimmen bringen den Krieg mitten ins scheinidyllische Leben.
Wie sie allerdings überhaupt im Kontext des Romans erklingen können, wie also diese jeweils schriftlich fixierten Zeugnisse, die zudem im Laufe des Buchs ihren Charakter ändern - das landverschickte Mädchen verschwindet spurlos, kommt also als Adressatin der Briefe ihres Freundes nicht mehr in Frage; der schließlich von den Deutschen erhaschte Zahntechniker wechselt als Zwangsarbeiter zu heimlichen Aufzeichnungen -, die Zeiten überdauert haben, das lässt Geiger teilweise bewusst offen. Es tut aber auch nichts zur Sache, denn selbst die personell gar nicht an die Haupthandlung angebundenen Berichte des jüdischen Wieners sind erzählerisch organisch eingepasst - weil sie eine Facette des Jahres 1944 offenbaren, die für unser Verständnis des Stoffs wichtig ist. Erst das Nebeneinander von Hoffnung und Horror, von erfolgreicher und erfolgloser Zuflucht, schafft die ebenso bedrückende wie beglückende Stimmung dieses Romans.
Es ist ein großartiges Buch, das Arno Geiger, einen der erfolg- und wandlungsreichsten deutschsprachigen Schriftsteller des letzten Jahrzehnts, von einer wieder einmal ganz neuen Seite zeigt: diesmal als historischen Chronisten, auf den Spuren eben von Seethaler, Arno Schmidt oder auch Christoph Ransmayr, dem in "Morbus Kitahara" ein ähnliches Stimmungskunststück geglückt ist. Aber anders als diesen dreien gelingt Geiger mit einem letzten Kapitel aus eigener Perspektive der Geniestreich, das vorherige Geschehen nicht nur zu Ende zu erzählen, sondern dabei die Grenzen zwischen Fiktion und etwaig realer Quellenbasis so subtil zu verwischen, dass man sich nach der Lektüre in dieselbe unsichere Geborgenheit versetzt sieht, von der gerade noch erzählt wurde. War all das, was doch nicht wahr zu sein schien, am Ende tatsächlich wahr? Die Literatur ist ja auf ihre Weise wahrhaftig. Diese ist es allemal.
ANDREAS PLATTHAUS.
Arno Geiger: "Unter der Drachenwand". Roman.
Hanser Verlag, München 2018. 480 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was ist das für eine Sprache? Einerseits eine formelle ("Beorderung"), andererseits eine altertümliche ("indessen"), schließlich zweifellos eine elaborierte. Es ist die Erzählerstimme eines jungen Mannes namens Veit Kolbe aus "Unter der Drachenwand", einem Roman, dem schon im Titel die Bedrohung eingeschrieben ist, der sich Kolbe ausgesetzt sieht. Diese Drachenwand ist ein tatsächlich existierender Fels im österreichischen Salzkammergut - das unterscheidet Geigers Buch von dem in ähnlich isolierter Umgebung angesiedelten und auch ähnlich intensiv erzählten Roman "Ein ganzes Leben" seines Landsmannes Robert Seethaler, der jedoch bei allen Anklängen an reale Ereignisse bewusst einen fiktiven alpinen Handlungsort zwischen Bergen mit so lebensfeindlich klingenden Namen wie Karleitner, Klufterspitze und Häuslerkamm gewählt hatte.
Aber auch die Drachenwand erfüllt vor allem einen metaphorischen Zweck: Ihre Gegenwart wird von Geigers Erzähler über die fast fünfhundert Seiten hinweg immer wieder heraufbeschworen ("die Drachenwand macht im Süden eine breite Brust", "die albtraumhaft hingestellte Drachenwand", "die Drachenwand zeichnete sich deutlich ab", und gleich zweimal ist vom "mächtigen Felsenschädel der Drachenwand" die Rede), doch in diese Wand selbst führt nur eine einzige, dann allerdings auch tödliche Szene. Ansonsten dräut der Fels über der kleinen Ortschaft Mondsee. Doch irgendwie beschützt er sie auch.
Er beschützt sie vor Krieg und Kriegsgeschrei. Geigers Buch deckt das Jahr 1944 ab. Zu dessen Beginn kehrt der aus Wien stammende Veit Kolbe von der Ostfront zurück, eher leicht- als schwerverwundet, und kommt dank privater Beziehungen zur Rekonvaleszenz nach Mondsee. Dort findet er, wie man schon dem Eingangszitat entnehmen kann, eine vergleichsweise friedliche Welt vor, die neben ihm noch zahlreichen anderen Gästen Zuflucht vor den Schrecken des Weltkriegs beschert hat: aufs Land evakuierten Schülerinnen aus Wien, deren Betreuerinnen, einer jungen Mutter aus Darmstadt und dem "Brasilianer", einem gegen seinen Willen aus Südamerika zurückgekehrten Einheimischen aus Mondsee, der mit der NS-Ideologie gar nichts anfangen kann. Doch so abgeschieden er in dieser Ecke des Großdeutschen Reichs auch lebt, kommt der "Brasilianer" mit dieser Haltung nicht einfach durch.
Für Veit Kolbe, der ebenfalls keine Illusionen mehr über Methoden und Erfolgsaussichten der deutschen Kriegsführung hat, ist es leichter: Er schweigt, um nicht aufzufallen, schaut aber umso genauer hin. Da es meist seine Perspektive ist, aus der Geiger erzählt, wird darüber eine literarische Reminiszenz akut, die man bislang mit diesem Autor kaum verbunden hätte: Arno Schmidt. Die Erzählhaltung von dessen 1949 erschienenem Debüt, der in der Endphase des Kriegs spielenden Flüchtlingsgeschichte "Leviathan", erscheint wie eine Blaupause für Geigers Hauptfigur in deren Verschlossenheit und zugleich sezierendem Blick auf den sie umgebenden Mikrokosmos aus Verblendeten und Verzweifelnden. Auch die Flucht aus dem Kriegsalltag, der durch überfliegende Bomberflotten in Mondsee ebenso präsent ist wie auf Schmidts immer wieder stockender Zugfahrt, in die Liebe verbindet beide Bücher. Und wenn es Geiger als 1968 geborenem Autor derart grandios gelingt, das beklemmende Nebeneinander von Untergang der Gesellschaft und Beharrungswillen des Individuums zu beschreiben, dass man sich an den Kriegszeitzeugen Arno Schmidt erinnert fühlt, dann zeigt das einmal mehr, über was für ein literarisches Vermögen dieser Schriftsteller verfügt.
Es gibt zudem eine formale Novität in Geigers Roman, die wie ein Zuzwinkern hin zum in die narrativen Möglichkeiten typographischer Effekte verliebten Schmidt wirkt: den Schrägstrich. Immer wieder, durchschnittlich gewiss einmal pro Seite, wird mitten im Absatz dieses Zeichen gesetzt, ohne dass damit eine andere inhaltliche Funktion verbunden wäre als ein kurzes Innehalten. Es handelt sich also wie auch bei Schmidts entsprechenden Schreibgepflogenheiten um eine Rhythmisierung des Textes, eine rhetorische Funktion, die fürs Vorlesen - wozu der Roman durch seine persönliche Sprache einlädt - ohnehin denkbar gut geeignet ist. Ansonsten scheint es aber im Falle Geigers eher eine Marotte zu sein. Oder eben doch eine subtile Hommage?
Die Homogenität der Erzählstimme wird in "Unter der Drachenwand" dreimal dreifach gebrochen: durch Erlebnisschilderungen anderer unfreiwilliger Kriegsteilnehmer. Da ist einmal die in Darmstadt verbliebene Mutter der ins Salzkammergut zur Erholung nach der Geburt ihres Kindes gereisten jungen Frau. Aus ihren Briefen an die Tochter erfahren wir, was die über Mondsee hinwegfliegenden Bomber in den Städten anrichten. Aus Wien wiederum schreibt ein siebzehnjähriger Junge an seine mit ihrer Schulklasse evakuierte Freundin über die eigenen Gefühle und Erlebnisse in der Heimatstadt. Und ein anderer Wiener, ein jüdischer Zahntechniker, der den älteren Sohn mit einem Kindertransport nach Großbritannien hat retten können, aber selbst mit Frau und anderem Sohn zurückbleiben musste, berichtet seiner in einem neutralen Staat lebenden Cousine von den immer aussichtsloseren Versuchen, erst in Österreich und dann in Ungarn zu überleben. Diese Stimmen bringen den Krieg mitten ins scheinidyllische Leben.
Wie sie allerdings überhaupt im Kontext des Romans erklingen können, wie also diese jeweils schriftlich fixierten Zeugnisse, die zudem im Laufe des Buchs ihren Charakter ändern - das landverschickte Mädchen verschwindet spurlos, kommt also als Adressatin der Briefe ihres Freundes nicht mehr in Frage; der schließlich von den Deutschen erhaschte Zahntechniker wechselt als Zwangsarbeiter zu heimlichen Aufzeichnungen -, die Zeiten überdauert haben, das lässt Geiger teilweise bewusst offen. Es tut aber auch nichts zur Sache, denn selbst die personell gar nicht an die Haupthandlung angebundenen Berichte des jüdischen Wieners sind erzählerisch organisch eingepasst - weil sie eine Facette des Jahres 1944 offenbaren, die für unser Verständnis des Stoffs wichtig ist. Erst das Nebeneinander von Hoffnung und Horror, von erfolgreicher und erfolgloser Zuflucht, schafft die ebenso bedrückende wie beglückende Stimmung dieses Romans.
Es ist ein großartiges Buch, das Arno Geiger, einen der erfolg- und wandlungsreichsten deutschsprachigen Schriftsteller des letzten Jahrzehnts, von einer wieder einmal ganz neuen Seite zeigt: diesmal als historischen Chronisten, auf den Spuren eben von Seethaler, Arno Schmidt oder auch Christoph Ransmayr, dem in "Morbus Kitahara" ein ähnliches Stimmungskunststück geglückt ist. Aber anders als diesen dreien gelingt Geiger mit einem letzten Kapitel aus eigener Perspektive der Geniestreich, das vorherige Geschehen nicht nur zu Ende zu erzählen, sondern dabei die Grenzen zwischen Fiktion und etwaig realer Quellenbasis so subtil zu verwischen, dass man sich nach der Lektüre in dieselbe unsichere Geborgenheit versetzt sieht, von der gerade noch erzählt wurde. War all das, was doch nicht wahr zu sein schien, am Ende tatsächlich wahr? Die Literatur ist ja auf ihre Weise wahrhaftig. Diese ist es allemal.
ANDREAS PLATTHAUS.
Arno Geiger: "Unter der Drachenwand". Roman.
Hanser Verlag, München 2018. 480 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Paul Jandl führt den Chor der Hymnen zu Arno Geigers neuem Roman an: Geiger ist auf der Höhe seines Schreibens angekommen, jubelt er. Auf "Zehenspitzen" folgt er dem Autor durch die Hölle der letzten Kriegsmonate, erlebt, wie Geiger seinen Helden Veit im oberösterreichischen Mondsee mit Pervitin genesen lässt und diesen hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl der Angst vor der Rückkehr an die Front und der Hoffnung auf das Kriegsende seine Umgebung präzise wahrnehmen lässt. Vor allem aber bewundert Jandl, wie Geiger seine Figuren in einer gekonnten Mischung aus Distanz und Empathie abstrahiert, auf Pädagogik verzichtet und dem Erzählten bei aller stofflichen Fülle genügend Luft zum Atmen lässt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Der Roman des Jahres ... Bedrückend intensiv, höchst lebendig: ein Antokriegsepos, in dessen Mitte sich eine Liebesgeschichte entwickelt ... Ein eindrucksvolles, feinsinniges Buch." Claudia Voigt, Literatur Spiegel, Dezember 2018 "Ein Glanzstück der Gegenwartsliteratur." Dirk Knipphals, Tageszeitung, 14.03.18 "Ein bemerkenswerter Roman, der Fakten und Fiktion ineinanderfließen lässt." Sandra Kegel, 3Sat Buchzeit, 11.03.18 "Dieses Buch ist ein Ereignis und eine der wichtigen deutschsprachigen Neuerscheinungen dieses noch jungen Jahrs ... Ein Meisterwerk über die Verheerungen des Krieges." Manfred Papst, NZZ am Sonntag, 04.02.18 "Geigers Roman rekonstruiert einfühlsam die Gemütslage am Ende des Zweiten Weltkrieges ... Im liebevollen
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Auspinseln kriegsabgewandter Winzigkeiten wie dem abendlichen Bier nach der anstrengenden Gartenarbeit, den Nächten am Plattenspieler im Gewächshaus am Mondsee und vielen anderen vermeintlichen Banalitäten liegt die Stärke des Romans. Und es sind solche 'safe places' des Alltäglichen, die eine Teilantwort auf die Frage nach dem seelischen Überleben in Zeiten des Krieges enthalten." Iris Radisch, Die Zeit, 11.01.18 "Ein großer Schritt im Werk Arno Geigers und eine gültige Meditation über die Absurdität des Krieges: 'seltsam, man nimmt geduldig an einem Ereignis teil, das einen töten will.'" Meike Fessmann, Süddeutsche Zeitung, 10.01.18 "Ein großartiges Buch, das Arno Geiger, einen der erfolg- und wandlungsreichsten deutschsprachigen Schriftsteller des letzten Jahrzehnts, von einer wieder einmal ganz neuen Seite zeigt: diesmal als historischen Chronisten, auf den Spuren eben von Seethaler, Arno Schmidt oder auch Christoph Ransmayr, dem in 'Morbus Kitahara' ein ähnliches Stimmungskunststück geglückt ist." Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.18 "Arno Geiger hat aus der historischen Wirklichkeit, gerade aus der kleinen, nicht in den Geschichtsbüchern zu findenden, ein bemerkenswertes Stück Literatur gemacht." Gerrit Bartels, Der Tagesspiegel, 09.01.10 "Arno Geiger hat einen berührenden, klugen Roman über die zerstörerische Kraft des Krieges geschrieben ... Dieses Buch, das auf historisches Material zurückgreift, hat geradezu schmerzliche Aktualität." Heide Soltau, NDR, 08.01.18 "Ein Virtuosenstück über ein Thema, über das man im Prinzip keine Virtuosenstücke lesen möchte. Geigers noch nie so weit getriebene Meisterschaft kann aber selbst diesen Eindruck mit dem wirklich ungeheuren Sog der Geschichte abdrängen." Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 08.01.18 "Die Eindringlichkeit, die diesen Roman so faszinierend und zugleich beklemmend macht, bewirkt Geiger nicht nur durch wechselnde Ich-Perspektiven und eine Handlung voll erschreckender sowie bewegender Momente, sondern auch durch den Duktus ... Packend wie literarisch gelungen." Klaus Zeyringer, Der Standard, 07.01.18 "Empathisch, außerordentich authentisch und berührend erzählt Arno Geiger von der Menschlichkeit im Krieg ... Mit 'Unter der Drachenwand' beweist sich Arno Geiger als einer der versiertesten deutschsprachigen Autoren." Mareike Ilsemann, WDR5, 06.01.18 "Außerordentlich schön und ein grandioser literarischer Jahresauftakt ... Ein Liebesroman, der nicht versäumt, das zeitgeschichtliche Panorama mitzuerzählen ... Sehr warmherzig, sehr tiefgründig ... Ein wunderbares, wirklich warmes, eindrucksvolles Buch." Jörg Magenau, Deutschlandfunk, 06.01.18 "Arno Geiger hat sich mit seinem neuen Roman 'Unter der Drachenwand' in einen Themenkreis der Hölle gewagt, den er wie auf Zehenspitzen durchschreitet ... Was bei dieser Erkundung der späten Kriegsmonate herauskommt, ist eine beeindruckend genaue und hellhörige Erzählung über dramatische Verluste und über verlorene Jahre." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 06.01.18 "Arno Geiger ist immer anders. Manchmal sehr gut, manchmal noch besser. Jetzt der bisher beste ... Man will das Buch nicht vorzeitig weglegen, auch wenn's drei in der Früh ist." Peter Pisa, Kurier, 05.01.18 "Ein großartiger und in jeder Zeile überzeugender Roman." Kristina Pfoser, Ö1, 05.01.18
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Ein schönes Geständnis. Rudolf von Bitter Süddeutsche Zeitung 20190709
Veit Kolbe wurde kurz vor Weihnachten 1943 in Russland schwer verwundet und nun hält er sich am Mondsee unter der Drachenwand auf, um sich zu erholen. Er ist erschöpft und ausgelaugt und hofft, dass er nicht mehr zurück an die Front muss. In seinem Quartier ist auch die …
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Veit Kolbe wurde kurz vor Weihnachten 1943 in Russland schwer verwundet und nun hält er sich am Mondsee unter der Drachenwand auf, um sich zu erholen. Er ist erschöpft und ausgelaugt und hofft, dass er nicht mehr zurück an die Front muss. In seinem Quartier ist auch die Darmstädterin Margot, die mit ihrem Kind hier gelandet ist. Mit der Kinderlandverschickung ist die Lehrerin Margarete und über dreißig Mädchen aus Wien in diesen Ort gekommen. Dann ist da auch noch der Gärtner, der davon träumt, nach Brasilien zurückzugehen. Veit wird ein Jahr hier verbringen und der Leser lernt diese Menschen kennen, die hoffnungslos sind und einfach nur überleben wollen. Aber da ist auch Trude Dohm, die Zimmerwirtin, die immer noch ihre Durchhalteparolen von sich gibt.
Die ganze Zeit spürt man die Hoffnung, die die Menschen haben auf eine bessere Zeit nach dem Kriegsende. Aber es ist auch eine unterschwellige Bedrohung spürbar. Es ist ein melancholisches Buch,
Veit hat so viel mitgemacht, auch wenn er nicht in der vordersten Linie dabei war, dass er nicht mehr an die Wehrmacht und nicht an den Sieg glaubt. Er will nicht mehr an die Front und versucht mit allen Mitteln, seine Erholungsphase zu verlängern. Dabei helfen im Margot und die „Panzerschokolade“. Doch für Veit ist der Krieg noch nicht zu Ende, denn es kommt ein neuer Einberufungsbefehl.
Arno Geiger bringt unter der Drachenwand die unterschiedlichsten Menschen zusammen und wir dürfen ihre Gedanken, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen kennenlernen.
Es ist keine leichte Lektüre und mehr als einmal musste ich schlucken aufgrund des Pragmatismus, mit dem die Menschen versuchten, in diesen Ausnahmezeiten zu überleben.
Ein packender und sehr eindringlicher Roman, der noch lange nachhallt.
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Zwischen Hoffnung und Horror
In seinem jüngst erschienenen Roman «Unter der Drachenwand» hat der österreichische Schriftsteller Arno Geiger, wie schon in früheren Romanen, wieder einen Antihelden in den Mittelpunkt gestellt, einen sympathischen Drückeberger …
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Zwischen Hoffnung und Horror
In seinem jüngst erschienenen Roman «Unter der Drachenwand» hat der österreichische Schriftsteller Arno Geiger, wie schon in früheren Romanen, wieder einen Antihelden in den Mittelpunkt gestellt, einen sympathischen Drückeberger diesmal, ein in Russland im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs mittelschwer verwundeter Soldat auf Heimaturlaub. Der Autor hat im Interview erklärt, dass er den Stoff für seine Geschichte einem lange zurückliegenden Zufallsfund verdankt, der umfangreichen Korrespondenz des Lagers «Schwarzindien» am Mondsee, eine Einrichtung der NS-Kinderlandverschickung. Ausgelöst durch diesen literarischen Impuls sei aus der Trouvaille nach zehnjähriger Vorbereitungszeit dann der vorliegende Roman entstanden.
Veit Kolbe ist nach Abitur und Wehrdienst lückenlos in den Zweiten Weltkrieg hineingeschlittert, er wird 1944, im letzten Kriegsjahr, nach seinem Lazarettaufenthalt, wehruntauglich geschrieben. Weil er in Wien die stupiden Naziparolen seines Vaters nicht mehr ertragen kann, flüchtet er zu seinem Onkel, der in dem kleinen Dorf Mondsee als Gendarm eingesetzt ist. Während der Krieg seinem damals schon deutlich absehbaren Ende zusteuert, genießt er, allmählich genesend, das überschaubare, ländliche Leben in seinem idyllischen Zufluchtsort am See unter der Drachenwand. Dort entwickelt sich ein Liebesverhältnis zwischen dem sexuell noch völlig Unerfahrenen mit der im gleichen Haus wohnenden «Darmstädterin». Die verheiratete Margot ist mit ihrem Baby aus der Großstadt hierher evakuierten worden, sie hatte bei Kriegsausbruch ihren Mann überstürzt geheiratet, weil der als verheirateter Soldat mit Kind dann deutlich mehr Anspruch auf Heimaturlaub hat. Trickreich, notfalls auch durch Urkundenfälschungen, gelingt es dem immer noch an seinen Verwundungen leidenden Veit mehrfach, Atteste über seine Wehruntauglichkeit zu bekommen, er will sich den Krieg so lange vom Leibe halten wie möglich. Als überzeugter Zivilist ist der 24Jährige nach fünf Jahren als Soldat nicht nur kriegsmüde, er sieht auch keinerlei Sinn mehr in den verlustreichen Kämpfen während der Endphase des aussichtslos gewordenen Krieges.
Dieser tagebuchartige Gesellschaftsroman über die Auswirkungen eines verbrecherischen Weltkriegs aus Sicht der so genannten «kleinen Leute» wird von verschiedenen Protagonisten multiperspektivisch im Ich-Modus erzählt, teilweise in abstrahierter Briefform. Außer der Hauptfigur Veit sind dies die Mutter von Margot, die glaubhaft naiv von den verheerenden Bombenangriffen auf Darmstadt berichtet, der siebzehnjährige Kurt, der aus seiner Heimatstadt Wien über seine Gefühle und die turbulenten Ereignisse an seine nach «Schwarzindien» evakuierte Freundin Nanni schreibt, ferner ein Wiener Zahnarzt, der von seinen verzweifelten Versuchen berichtet, als Jude in Österreich und später dann in Ungarn dem Zugriff der Nazi-Schergen zu entgehen.
Die titelgebende Drachenwand am Mondsee und die beinahe täglich darüber hinweg fliegenden Bomberstaffeln der Alliierten erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, wobei die Schilderung des Alltagslebens der verschiedenen, stimmig beschriebenen Figuren des Romans sehr realistisch wirkt, ja geradezu authentisch erscheint. Abgesehen von den wenig überzeugenden typografischen Mätzchen mit Schrägstrichen als weiterem Gliederungselement des Textes und den abrupten Erzählerwechseln, bei denen der Leser zunächst mal rätseln muss, wer denn da spricht, ist der angenehm lesbare Roman sprachlich sehr stimmig seiner Erzählzeit angepasst. Zwischen Hoffnung und Horror pendelnd endet er mit der so lange befürchteten Einberufung von Veit und seinem Weg zurück zu seiner Einheit. Es schließt sich trickreich eine, gekonnt historische Authentizität vorgaukelnde, kurze Nachbemerkung an, in der Geiger mit Autorenstimme das weitere Schicksal seiner Figuren skizziert, ein versöhnender Schluss mithin, der eigenen Spekulationen des Lesers wohltuend den Nährboden entzieht.
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Auch wenn dieses Buch meist nur indirekt über die Gräuel des 2. Weltkrieges berichtet - es ist mehr als genug.
Veit Kolbe, gerade einmal 24 Jahre jung, ist nach vier Jahren Kriegseinsatz verwundet nach Österreich zurückgekehrt und versucht, im kleinen Dorf Mondsee gesund zu …
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Auch wenn dieses Buch meist nur indirekt über die Gräuel des 2. Weltkrieges berichtet - es ist mehr als genug.
Veit Kolbe, gerade einmal 24 Jahre jung, ist nach vier Jahren Kriegseinsatz verwundet nach Österreich zurückgekehrt und versucht, im kleinen Dorf Mondsee gesund zu werden und die Schrecken des Krieges etwas zu vergessen. Meist wirkt ER als Ich-Erzähler und berichtet ausführlich von den kleinen und großen Geschehnissen im Dorf, die das Leben der BewohnerInnen bestimmen. Auch sein eigenes Befinden schildert er ausführlich: die Schmerzen, seine Angstzustände und Erinnerungen über die Entsetzlichkeiten des Krieges, die Trauer über seine verlorene Jugend, seine Zukunftsängste; aber auch seine erste, sich sanft entwickelnde Liebesgeschichte mit seiner Zimmernachbarin Margot. Veit ist ein aufmerksamer und detaillierter Beobachter, dessen Niederschrift sein Tagebuch darstellt.
Dazwischen finden sich Briefe, die aus einer anderen Welt berichten: Margots Mutter schreibt von den Zerstörungen ihrer Heimatstadt Darmstadt und wie die Menschen versuchen, weiterzuleben. Und Kurt, der 17jährige Freund eines der Mädchen der Kinderlandverschickung in Mondsee, schreibt ihr Liebesbriefe und erzählt von seinem Leben in Wien.
Ein weiterer Ich-Erzähler ist der Jude Oskar Meyer, der mit seiner Familie zuerst unter falschem Namen weiterhin in Wien lebt, dann aber weiter nach Budapest flüchtet. Wie Veit notiert er sein Erleben und die Geschehnisse um ihn herum in einer Art Tagebuch.
Keine Frage, Arno Geigers Sprache ist meisterhaft. Er findet Worte, Sätze und Beschreibungen für das Entsetzen dieser Zeit, dass es kaum zum Aushalten ist:
"Krieg war ja eigentlich das einzige, was ich noch kannte. Alles andere kannte ich gar nicht mehr. Wie weit die Verzerrung des eigenen Wesens schon vorangeschritten ist, merkt man erst, wenn man wieder unter normale Menschen kommt.",
"... dabei fixierte er mich, wie man es ihm im Schnellsiedekurs für Geheimpolizisten beigebracht ... hatte.",
"Die Kindheit ist wie ein Holz, in das Nägel geschlagen werden. Die guten Nägel sind die, die nur so tief im Holz stecken, dass sie halten, sie beschützen einen wie Stacheln. Oder man kann später daran etwas aufhängen. Oder man kann die Nägel herausziehen und wegwerfen. Schlecht sind die ins Holz gedroschenen Nägel, deren Köpfe tiefer liegen als die Oberfläche des Holzes, man sieht gar nicht, dass dort etwas Hartes ist, ein vor sich hinrostender Fremdkörper."
Dennoch tat ich mich schwer mit diesem Buch, und der Grund dafür ist nicht die niederdrückende Stimmung, die während solch einer Zeit zwangsläufig herrscht und wirklich authentisch beschrieben wirkt. Die Geschichte, die hier erzählt wird, hat solche Längen, dass auch die schönste Sprache nicht darüber hinweghelfen kann. Und so musste ich mich stellenweise regelrecht zwingen, keine Seiten zu überblättern. Seitenweise werden die Befindlichkeiten und die verheerenden Zustände geschildert, ohne dass es zu irgendeiner Form von Wirkung oder Veränderung führt. Mag sein, dass dies der Realität entsprach - doch beim Lesen wirkt dies einfach sehr langatmig.
So ist mein Fazit: Eine grandiose Sprache, doch die Geschichte ist deutlich zu langatmig.
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Für den jungen Soldaten Veit Kolbe ergibt sich im letzten Kriegsjahr eine Zwangspause: nach einer Verletzung wird er auf unbestimmte Zeit in den Krankenstand versetzt und auf Erholungsurlaub nach Wien zu seinen Eltern geschickt, wo er es bald jedoch nicht mehr aushält. Er verzieht sich ins …
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Für den jungen Soldaten Veit Kolbe ergibt sich im letzten Kriegsjahr eine Zwangspause: nach einer Verletzung wird er auf unbestimmte Zeit in den Krankenstand versetzt und auf Erholungsurlaub nach Wien zu seinen Eltern geschickt, wo er es bald jedoch nicht mehr aushält. Er verzieht sich ins Salzburger Land, an den idyllischen Mondsee - und damit unter die Drachenwand, den örtlichen Hausberg, wo er auf andere Gestrandete wie die junge Mutter Margot aus Darmstadt oder auch eine aus Wien verschickte Schulklasse mit 13jährigen Schülerinnen trifft. Dazu kommen die Ansässigen, teilweise durchaus stramme Nazis, dem Regime noch treu ergeben.
Frei nach John Fante: 1944 war (auch) ein schlimmes Jahr. Ein absolut grauenvolles sogar, eines mit wenig Hoffnung. Überall. Auch in Mondsee. Doch Arno Geiger zeigt vor allem durch seinen Protagonisten Veit Kolbe, dass es weitergeht Für ihn persönlich vor allem dadurch, dass ihm völlig unerwartet und zunächst zögerlich in Gestalt von Margot die Liebe begegnet.
Obwohl es eine ausweglose Situation zu sein scheint, schmieden Veit und Margot - und nicht nur sie - Pläne für die Zukunft. Konkrete, so wie die Absprache möglicher Treffpunkte für die Zeit "danach", aber auch solche genereller Art, nämlich für ein gemeinsames Familienleben. Ein Familienleben in friedlicher Zeit, auch wenn der Begriff "Frieden" hier gar nicht genutzt wird. Dazu ist der Krieg auch in Mondsee zu präsent - ständig überfliegen Kriegsflieger, also Luftwaffen auf dem Weg an die letzten Schauplätze des Krieges, den Ort, die ersten Vertriebenen kommen an, junge Mädchen befinden sich in der Verschickung aus ihrer Heimatstadt Wien.
Veit beginnt nicht erst jetzt, an seinem "Dienstherrn"- so bezeichnet er nicht ohne Sarkasmus das nationalsozialistische Regime - zu zweifeln und bringt sich nicht nur durch entsprechende Aussagen mehrfach in Schwierigkeiten. Veit ist unser Auge, er ist derjenige, durch den der Leser die Welt - die im Roman dargestellte - betrachtet.
Mondsee wird zum Mikrokosmos, in dem unterschiedliche Gesinnungen, ja verschiedene Welten, aufeinanderprallen. Der eigentlich idyllische Ort wird von den Schrecken des Krieges und allem, was dieser mit sich bringt, eingeholt - so finden auch Schicksale von Menschen andernorts in Briefform Eingang in die Geschichte, beispielsweise das eines Juden, der mit seiner Familie auf der Suche nach einem Fluchtweg aus Wien ausgerechnet nach Budapest reist, wo er erkennen muss, dass die Nazis ihm einen Schritt voraus sind.
Arno Geiger stellt mit diesem Roman seine Leser vor eine Herausforderung: sein Erzählstil ist sehr speziell, doch wenn man einmal hineingefunden hat, dann erscheint er als der einzig Richtige, um die Situation darzustellen. Ein besonderer Roman auf jeden Fall, auch ein schmerzhafter, dieses Werk, das das (Über)Leben, das Alltägliche im letzten vollständigen Kriegsjahr beschreibt. Und dem Rezipienten deutlich macht, was für ein Glück es ist, im "Danach" geboren zu sein und zu leben. Ein Glück, mit dem man achtsam umgehen sollte.
Ich kann nur empfehlen, diese Herausforderung anzunehmen: dieses Buch ist ein besonderes Geschenk an die Leser - eines, das tatsächlich neue Welten - in diesem Fall neue Sichtweisen, Perspektiven, auch Einsichten - aufzeigt und dazu beiträgt, das Bewusstsein zu erweitern. Man muss es nur zu nehmen - vielmehr zu lesen - wissen. Dann könnte es ein Roman fürs Leben werden.
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Broschiertes Buch
Der junge Soldat Veith Kolbe wird in seinem 5. Kriegsjahr verletzt und kommt in ein Lazarett. Von dort aus nach Hause zu seinen Eltern. Doch er fühlt sich nicht wohl dort, kann nicht zur Ruhe kommen und so entschließt er sich, zu seinem Onkel nach Mondsee in der Nähe von Salzburg zu …
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Der junge Soldat Veith Kolbe wird in seinem 5. Kriegsjahr verletzt und kommt in ein Lazarett. Von dort aus nach Hause zu seinen Eltern. Doch er fühlt sich nicht wohl dort, kann nicht zur Ruhe kommen und so entschließt er sich, zu seinem Onkel nach Mondsee in der Nähe von Salzburg zu reisen, um dort die gewünschte Erholung und Ruhe zu finden.
In Mondsee bekommt er ein Zimmer bei der bösartigen Quartiersfrau Trude. Sie gängelt jeden, ist boshaft und gemein. Neben ihm im Nebenzimmer wohnt die Junge Margot mit ihrem kleinen Säugling, der kleinen Lilo. Veith macht die Bekanntschaft mit einer Lehrerin, die in ein Lager einzieht mit vielen verschickten Mädchen aus Wien, die in Mondsee bzw. Schwarzindien unterkommen sollen während der gefährlichen Kriegszeit. Doch die Lehrerin Margarete weist seine Avancen schroff zurück, sie scheint generell ein großes Problem mit Männern zu haben.
Veith und Margot, seine Nachbarin aus dem Nebenzimmer kommen sich langsam näher und obwohl Margot verheiratet ist, ihr Mann Ludwig ist an der Front, beginnen sie eine Affäre und sich zu lieben.
Neben ihrem Quartier lebt ein Brasilianer, der sein Gewächshaus und sein angebautes Gemüse und Orchideen hegt und pflegt und viel Arbeit damit hat. Eines Tages wird er verhaftet, da er sich negativ über den F. öffentlich geäußert hat. Veith und Margot übernehmen während seiner Verhaftungszeigt den Betrieb und haben so einiges um die Ohren.
Veith macht sich große Sorge, bald wieder gesund geschrieben zu werden und wieder in den Krieg ziehen zu müssen. Die Zeit in Mondsee und die Zeit mit Margot genießt er sehr. Und es kommt, wie es kommen muss.
Der Autor Arno Geiger hat mit einer ungewöhnlichen Sprache, die mich oft aus dem Lesefluss riss, ein intensive und berührende Geschichte geschrieben. Er berichtete über die schwere und schlimme Zeit um 1944, das Kriegsgeschehen, die Verfolgung der Juden und allen Kummer und Leid der Menschen zur damaligen Zeit. Sehr intensiv und detailliert beschrieb der einzelne Schicksale, die mich sehr berührt und bewegt haben.
Fazit:
Ein toller, intensiver Roman über die Kriegszeit, über einzelne Schicksale und die Geschichte des jungen Soldaten Veith. Mir hat dieser Roman sehr gut gefallen und mich sehr berührt. Einzig die ungewöhnliche Sprache des Autors, die mich oft aus dem Lesefluss riss, da ich wiederholt Sätze lesen musste, um sie zu verstehen, hat den Grund, warum ich keine 5 Sterne gebe.
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eBook, ePUB
Arno Geiger hat viel Aufmerksamkeit für sein Werk erhalten. Es war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Sicher zu recht, auch wenn das mächtige Werk in seiner Detailliertheit Geduld vom Leser erfordert.
Der mittelschwer verletzte Soldat Veit Kolbe verbringt seine Konvalenzzeit am …
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Arno Geiger hat viel Aufmerksamkeit für sein Werk erhalten. Es war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Sicher zu recht, auch wenn das mächtige Werk in seiner Detailliertheit Geduld vom Leser erfordert.
Der mittelschwer verletzte Soldat Veit Kolbe verbringt seine Konvalenzzeit am Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Bergdorf am Mondsee in Österreich. Dort ist auch die Drachenwand, eine hohe Felswand. Eine Umgebung, die ihren Teil zur Atmosphäre des Buches beiträgt.
Kolbes Eindrücke vermitteln ein Bild dieser Zeit, 1944, die wirklich keine einfache war. Die Kriegszeit verletzte die Menschen manchmal körperlich, oft aber auch emotional. Haltlosigkeit und Zerrissenheit sind die Folge.
Arno Geiger hat sich durch Briefe aus dieser Zeit zu dem Roman inspirieren lassen und ihm gelingt eine Sprache, die glaubwürdig ist.
Neben Veit Kolbes Erzählperspektive sind weitere Figuren wichtig, die briefartig erzählen. Lange Briefe sind auch in das Buch integriert.
Im Vordergrund ist der Alltag, Kriegspassagen gibt es nur wenige.
Ein Buch, dass man nicht so schnell vergisst.
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Broschiertes Buch
Das Cover mit einem Bild aus dem Bestand des Autors nimmt keinerlei Bezug zum Hauptort des Geschehens, einem kleinen Ort am Mondsee. Das Buch ist hoch gelobt, das kann man nur in Teilen verstehen.
Aus Briefen vom Flohmarkt entwirft Geiger Geschichten um diese Menschen herum, die es zum Teil …
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Das Cover mit einem Bild aus dem Bestand des Autors nimmt keinerlei Bezug zum Hauptort des Geschehens, einem kleinen Ort am Mondsee. Das Buch ist hoch gelobt, das kann man nur in Teilen verstehen.
Aus Briefen vom Flohmarkt entwirft Geiger Geschichten um diese Menschen herum, die es zum Teil wirklich gab. Das ist grundsätzlich eine gute Idee. Wir erhalten Einblicke in verschiedene Leben des Jahres 1944 und es sind zum Teil erschütternde Schicksale. Daraus hätte ein tolles Buch werden können.
Leider kommt man den Figuren nicht nahe. Oft ist für den Leser gar nicht klar, warum es zu welcher Handlung kommt. So fehlt es für mich selbst beim Haupt-Akteur, Veit, an der Nachvollziehbarkeit seines Tuns. Dadurch bleibt das Buch oberflächlich und in Teilen nebulös. Phasenweise war es geradezu zäh. Wenn nicht immer wieder zwischendurch so bitter beeindruckende Sätze wie: 'Gott schütze uns vor dem, was der Mensch aushält' eingeflochten wären, hätte ich vielleicht aufgehört zu lesen.
Trotz allem gelingt es Geiger, die Atmosphäre dieser Zeit einzufangen. Das ist die Stärke des Buches.
Das war nicht mein erstes Buch von Geiger, meine Erwartung eher hoch. Dieses Buch hat sie nur in kleinen Teilen erfüllt, so werden es nur 3 Sterne.
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