Der unbescholtene Werkzeugmacher Fabrizio Collini ermordet den Industriemagnaten Hans Meyer. Mehrere Kopfschüsse und ein brutal zerstörtes Antlitz deuten auf einen persönlichen Racheakt hin, aber jede Verbindung zwischen Täter und Opfer fehlt. Caspar Leinen, gerade zugelassener Rechtsvertreter, wird
dem Italiener als Pflichtverteidiger zugeordnet, ohne zu ahnen, dass es sich bei dem ermordeten um…mehrDer unbescholtene Werkzeugmacher Fabrizio Collini ermordet den Industriemagnaten Hans Meyer. Mehrere Kopfschüsse und ein brutal zerstörtes Antlitz deuten auf einen persönlichen Racheakt hin, aber jede Verbindung zwischen Täter und Opfer fehlt. Caspar Leinen, gerade zugelassener Rechtsvertreter, wird dem Italiener als Pflichtverteidiger zugeordnet, ohne zu ahnen, dass es sich bei dem ermordeten um den Großvater seines besten Freundes handelt. Der unerfahrene Anwalt muss sich der Frage stellen, ob er den geständigen Mörder überhaupt verteidigen kann, solange dieser nicht verteidigt werden will. Collini schweigt hartnäckig über sein Motiv. Schließlich stößt Leinen, rein zufällig, auf eine Spur die weit in die Vergangenheit reicht und die Tat in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt.
Ich weiß nicht, inwieweit Nichtabonnenten die Möglichkeit haben das Archiv der Süddeutschen Zeitung online einzusehen. Im großen Wochenendinterview vom 31.7.2010 sprach Rebecca Casati mit Ferdinand von Schirach über “Motive”. Die Wochenendinterviews der SZ sind eigentlich immer hochinteressant und lesenswert, aber manche hinterlassen einen noch stärkeren Eindruck. So auch das Interview mit dem Berliner Strafverteidiger, der mit seinen Büchern “Verbrechen” und “Schuld” Bestseller schrieb. Wer die Möglichkeit hat, dem sei die Lektüre empfohlen.
Nachdem ich das Interview vor mehr als zwei Jahren gelesen hatte, machte ich mir eine Notiz das Buch “Schuld” in dem es in dem Gespräch unter anderem ging, unbedingt zu lesen. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich das bis heute noch nicht geschafft habe. Der Autor ist mir allerdings in Erinnerung geblieben. Als in der Bücherei “Der Fall Collini” vorrätig war, griff ich selbstverständlich sofort zu.
Ferdinand von Schirach erzählt in einem eigentümlich sachlichen Stil, der nüchtern klingt und dennoch ungeheuer fesselt. Er reduziert die Handlung auf die wesentlichen Fakten und “garniert” diese mit wenigen, aber aussagekräftigen, Hintergrundinformationen. So erlebt man einige Sommertage in Kindheit und Jugend des jungen Anwaltes. Oder man erfährt etwas über den Verteidiger der Gegenseite, den legendären Staranwalt Richard Mattinger. Eine Stelle, die mir besonders in Erinnerung blieb, war folgende: “Am nächsten Verhandlungstag fragte Mattinger weiter. Und am übernächsten. Am Ende stand die Frau siebenundfünfzig Tage im Zeugenstand und musste seine Fragen beantworten. Am Morgen des achtundfünfzigsten Tages gab sie zu, dass sie ihren Mann aus Eifersucht ins Gefängnis bringen wollte. Die letzte Frage war die gleiche wie am Anfang: Möchten Sie zugeben, dass Sie gelogen haben?“
Das geschilderte, real sachliche Wissen des Autors zu Abläufen bei Gericht bzw. hinter den Kulissen desselben fand ich besonders spannend, weil es eben nicht nur authentisch wirkt sondern wohl auch ist. Ein Faktor für den Erfolg seiner Bücher ist sicher das Befriedigen einer natürlichen Neugier bzw. der Hang sich gerne “fremdzugruseln“. Die Prosa von Schirachs bedient aber keineswegs niedere Instinkte. Die Würde der Figuren bleibt zu jeder Zeit gewahrt.
“Mein Gewissen ist ruhig. Gewiss, ich habe ein Kriminalverbrechen begangen; gewiss, ich habe den Buchstaben des Gesetzes verletzt und Blut vergossen; nun gut, so nehmt für den Buchstaben des Gesetzes meinen Kopf.” So gelassen resümiert der Mörder Raskolnikow am Ende von Dostojewskis “Schuld und Sühne”. Ähnlich reagiert auch der Täter Collini. Ihn umgibt eine stille Größe, die von Beginn an ahnen lässt, dass hinter der Tat mehr steckt als offen sichtlich. Ferdinand von Schirach beschreibt mit dem “Fall Collini” nicht nur ein spektakuläres Verbrechen sondern arbeitet , bei der Beschreibung der Verteidigung, gleichzeitig ein dunkles Kapitel Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland auf.
“Eine böse Tat - was bedeutet das?” fragt Dostojewskis Raskolnikow. Ferdinand von Schirach zeigt es.