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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

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Insgesamt 450 Bewertungen
Bewertung vom 10.07.2025
Büsing, Annika

WIR KOMMEN ZURECHT (MP3-Download)


sehr gut

WIR KOMMEN ZURECHT
Annika Büsing

Philipp steht kurz vor dem Abitur. Er ist still, angepasst – einer, der früh gelernt hat, sich zusammenzureißen.
Zuhause läuft alles gut. Zumindest glaubt er das. Und sagt es jedem, der es hören will.
Sein Vater, Chirurg von Beruf, ist eher wortkarg und selten da. Gefühle zeigt er keine – aber er kocht hervorragend. Die neue Partnerin seines Vaters ist okay. Zu jung, um als Ersatzmutter durchzugehen, aber sie macht keinen Stress. Und vor allem: Keine Bauchschmerzen. Die hatte er früher regelmäßig mit seiner Mutter Astrid.
Astrid, die immer wieder in ihren Kaninchenlöchern verschwand. Dann plötzlich wieder auftauchte, für Spaß sorgte, wilde Dinge tat – bis sie sich erneut zurückzog.
Bis sie irgendwann, nach einem Sizilienurlaub, ganz verschwand.

Man kann wohl sagen, dass Astrid ihn geprägt hat. Vielleicht nicht so, wie es eine verlässliche, liebevolle Mutter getan hätte – aber er kommt zurecht.

Annika Büsings neuer Roman erzählt von einem Jugendlichen, dessen Mutter psychisch erkrankt ist. Und davon, wie man weiterlebt – mit Unsicherheit, mit Lücken, mit leisen Schmerzen.
An Philipps Seite: sein bester Freund Lorenz, dessen Mutter – und ein paar Joints, die sie auf dem Friedhof rauchen.

Mir hat der Einblick in Philipps Leben sehr gefallen. Ein sympathischer, glaubwürdiger Protagonist, der einem nah kommt, ohne sich aufzudrängen. Büsings Sprache ist wie gewohnt klar, ruhig und eindringlich.
Ein stiller, unaufgeregter Roman, den ich gerne gelesen und gehört habe. Die Stimme von Shenja Lacher passt wunderbar – ruhig, warm, genau richtig für diesen Text.


Ich empfehle euch dieses Buch bzw. Hörbuch gerne weiter.
4/5

Bewertung vom 08.07.2025
Hughes, Siân

Perlen


sehr gut

PERLEN
Siân Hughes

TW: Selbstverletzung, Magersucht

Claire Hughes erzählt in ihrem Roman die Geschichte von Marianne, die im Alter von acht Jahren einen tiefen Verlust erleidet: Ihre Mutter verlässt eines Morgens barfuß das Haus – und kehrt nie zurück. Sie hinterlässt ihren Ehemann Edward, die kleine Tochter Marianne und den gerade erst geborenen Sohn Joe. Fußspuren führen zum nahegelegenen Fluss, doch die Spurensicherung erfolgt nachlässig, die Fotos sind unscharf, und schon am nächsten Tag haben Rinder das Gelände zertrampelt. Die Leiche wird nie gefunden. Ob es sich um einen Suizid handelte oder um ein gewolltes Verschwinden, bleibt für immer ungewiss.
Fortan ist der Vater allein mit den Kindern. Edward ist ein liebevoller, sanfter Mann – doch gezwungen, sich vor allem um das Baby zu kümmern, gerät Marianne zunehmend aus dem Blick. Sie bleibt sich selbst überlassen, schwänzt die Schule, zieht sich zurück und klammert sich an Erinnerungsstücke, Gedichte und Dinge, die sie mit ihrer Mutter verbindet. Als die Familie in ein neues Haus zieht, empfindet Marianne dies als endgültigen Bruch mit der Vergangenheit – als ob auch das letzte Band zur Mutter gekappt wurde.

„Unsere Welt beschränkte sich jetzt auf die Grenzen des neuen Hauses, und ich verkroch mich unter die Bettdecke in meinem falsch riechenden Zimmer, versteckte die falsche Aussicht vor dem Fenster hinter den Vorhängen und bemühte mich, das Essen und das Schlafen und die Gesundheit neu zu lernen. Von allem, was ich nach dem Verschwinden meiner Mutter neu zu lernen hatte, waren diese Dinge sicherlich die schwierigsten.“ (S. 143)

Jahre später, Marianne ist inzwischen 30 und selbst Mutter geworden, holen sie die Erinnerungen wieder ein. Es wird deutlich: Das Trauma aus ihrer Kindheit ist nie verheilt, sondern lebt in ihr weiter – oft unsichtbar, aber stets wirksam.

„Man sollte meinen, ich wäre längst an all das gewöhnt, an die Erinnerungen, die auftauchen, als würde ich immer wieder an derselben Stelle graben, immer wieder die gleichen Tonscherben herauspicken und überall nach Hinweisen suchen." (S. 252)

Claire Hughes ist ein eindringlicher Roman gelungen, der in leiser, poetischer Sprache von Verlust, Erinnerungen und dem langen Schatten ungelöster Trauer erzählt. Die Figuren sind vielschichtig gezeichnet, und die innere Not der Protagonistin wird glaubwürdig und berührend vermittelt.
Ein Buch, das leise daherkommt – aber lange nachhallt.
4/5

Bewertung vom 03.07.2025
Gundar-Goshen, Ayelet

Ungebetene Gäste


ausgezeichnet

UNGEBETENE GÄSTE
Ayelet Gundar-Goshen


Naomi und Juval leben mit ihrem eineinhalbjährigen Sohn Uri in einem Hochhaus in Tel Aviv.
Während Juval arbeitet, kümmert sich Naomi um das Kind. Sie ist eine ängstliche Mutter, stillt Uri noch immer – sehr zum Unmut ihres Mannes – und nutzt jede Gelegenheit, ihn hochzunehmen, zu trösten oder zu stillen.

Eines Tages führt ein arabischer Arbeiter Reparaturen am Balkon durch. Naomi begegnet ihm mit Misstrauen und fragt sich, wie ihr Mann es zulassen konnte, dass sie und Uri mit einem Araber allein sind.

Naomi beobachtet den Arbeiter nervös, bietet ihm Kaffee und Plätzchen an – doch Uri, der ihre ungeteilte Aufmerksamkeit gewohnt ist, beginnt zu quengeln.
Dann passiert es: Ein Moment der Unachtsamkeit.
Uri greift nach dem Hammer, den der Arbeiter liegen gelassen hat, und wirft ihn vom Balkon. Der Hammer trifft nicht den Boden, sondern tötet einen Jugendlichen – den Sohn des Kaufmanns gegenüber, der eigentlich in der Schule hätte sein sollen.

Unter dem Balkon bildet sich schnell eine Menschenmenge. Der Verdacht fällt nicht auf Naomi oder Uri, sondern auf den arabischen Arbeiter.
Als die Polizei eintrifft, könnte Naomi die Wahrheit sagen – doch sie schweigt. Der Arbeiter wird festgenommen und kommt in Untersuchungshaft.

Die Lage spitzt sich weiter zu, als der Sohn des Arbeiters nach seinem Vater sucht. Der Mob vermutet sofort einen weiteren Anschlag.
Wie das Drama weitergeht – und ob Naomi den Mut findet, die Wahrheit zu sagen – solltet ihr selbst lesen.

Ich habe bereits Gundar-Goshens Vorgänger "Wo der Wolf lauert" mit großer Begeisterung gelesen – und auch ihr neues Buch steht dem in nichts nach.
Die Autorin hat ein vielschichtiges, politisches Psychodrama geschrieben, ganz ohne erhobenen Zeigefinger oder moralische Belehrung.

Ich durfte das Buch lesen und hören – und wie schon beim letzten Hörbuch hat mich die Stimme von Milena Karas vollkommen in ihren Bann gezogen.

Fazit:
Ein spannendes, hochbrisantes Psychodrama, das ich euch unbedingt empfehlen möchte.
4½|5

Bewertung vom 30.06.2025
Atkinson, Kate

Nacht über Soho


sehr gut

NACHT ÜBER SOHO
Kate Atkinson

London in den 1920er Jahren:
Nellie Coker, auch bekannt als die Königin von Soho, ist die Inhaberin der berühmtesten Nachtclubs der Stadt. Mit allen Tricks und Mitteln sorgt sie dafür, dass trotz strenger Schankgesetze die Polizei außen vor bleibt. Ihren prominenten Gästen – Richter, Kronanwälte und andere einflussreiche Persönlichkeiten – liest sie jeden Wunsch von den Lippen ab. Es ist eine Zeit, in der man die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe vergessen will – eine schillernde, glitzernde Welt, in der das Vergnügen im Vordergrund steht. Doch zugleich ist es auch eine Zeit von Korruption und Bandenkriegen. Und mittendrin: Nellie, deren Imperium mehr und mehr ins Wanken gerät.

Inspektor Frobisher ermittelt in einer Serie grausamer Verbrechen: Immer wieder werden junge Frauen tot aus der Themse gezogen. Ihre Identitäten bleiben meist im Dunkeln, doch vieles deutet darauf hin, dass sie aus dem Milieu der Nachtclubs stammen – möglicherweise Tänzerinnen aus Nellies Etablissements.

Doch das ist nur ein Teil dieses vielschichtigen Romans. Denn Kate Atkinson stellt uns eine Fülle weiterer Figuren vor: Nellies sechs Kinder, Freda und ihre beste Freundin Florence, die von York nach London durchbrennen, um in Soho ihr Glück zu suchen, oder die sympathische Gwendolyn, die als Geschäftsführerin in Nellies Clubs eine entscheidende Rolle spielt. Alle erzählen ihre Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen – und genau das ergibt ein dichtes, atmosphärisch starkes Bild einer Welt voller Glanz, Gefahr und Geheimnisse.

Ich habe damals „Familienalbum" von Kate Atkinson sehr gemocht und wollte unbedingt noch ein weiteres Werk von ihr lesen. Auch in diesem Roman ist ihr Stil wieder etwas ganz Besonderes: detailreich, fein beobachtet und mit subtilem Humor. Ich hatte das Gefühl, selbst Gast in einem ihrer Clubs zu sein. In der ersten Hälfte nimmt sich die Autorin viel Zeit, um die zahlreichen Figuren einzuführen – das war einerseits hilfreich, wirkte aber stellenweise auch etwas langatmig. Gerade als ich überlegte, ob ich das Buch vielleicht doch zur Seite legen sollte, nahm die Handlung plötzlich Fahrt auf – und ich konnte kaum noch aufhören zu lesen.

Fazit:
Ein Roman mit kleinen Längen zu Beginn, aber brillant konstruiert und später unglaublich spannend. Ich mochte ihn sehr – eine klare Leseempfehlung!
4/5

Bewertung vom 25.06.2025
Nothomb, Amélie

Psychopompos


gut

PSYCHOPOMPOS
Amélie Nothomb

Amélies Kindheit ist geprägt von ihrem Vater, der als Botschafter oder Konsul Belgien in verschiedenen Ländern vertritt. Die Familie lebt überwiegend in Südostasien. In Bangladesch widerfährt der jungen Amélie ein traumatisches Erlebnis, das ihr ganzes Leben verändert.

War sie zuvor ein wissbegieriges Mädchen, das sich für Vögel interessierte und jede Sportart ausprobieren wollte, zieht sie sich nun zurück. Die jugendliche Amélie verbringt ihre Zeit am liebsten zuhause, lernt Sprachen, verweigert das Essen und versenkt sich in griechische Mythologie.

Nach dem Tod ihres Vaters tritt er erneut in ihr Leben – als Psychopompos, als Seelenführer. In einer Art innerem Dialog hält sie Zwiesprache mit ihm und durchlebt dabei Erinnerungen, Mythen und metaphysische Gedankenwelten.

Das Buch lässt mich zwiegespalten zurück. In Wellen konnte es mich begeistern und fesseln. Doch jedes Mal, wenn ich dachte, den roten Faden gefunden zu haben, schien er sich wieder aufzulösen. War es eine Hommage an den Vater? Ein Einblick in Amélies philosophische Welt, verknüpft mit griechischen Göttern und übernatürlichen Gesprächen mit Toten? Ich weiß es nicht genau. Vielleicht müsste ich es ein zweites Mal lesen, um tiefer zu verstehen – oder ich warte einfach auf ihr nächstes Buch.

Fazit:
Trotz des wunderbar poetischen Schreibstils konnte mich dieses Werk emotional nicht erreichen. Vielleicht spricht es eher Leser an, die sich der transzendentalen Ebene stärker verbunden fühlen.
3/5

Bewertung vom 23.06.2025
Funck, Anne

Mein magisches Museum und Vincent van Gogh


ausgezeichnet

DAS MAGISCHE MUSEUM UND VINCENT VAN GOGH
Anne Funck
Illustration: Daniel Sulzberg

Professor Emilio Dell’Arte steht kurz vor der Eröffnung seiner neuen Ausstellung – doch etwas stimmt nicht. Die Gemälde sehen plötzlich ganz anders aus!
Vincent van Gogh trägt auf seinem Selbstporträt auf einmal schwarze Haare statt rote, sein Hemd ist rot statt blau. Was ist da passiert? Die Farben auf Vincents Palette haben sich selbstständig gemacht! Sie wirbeln durcheinander, purzeln durchs Bild und mischen sich wild neu – Farbwichtel in Aktion!
Um das magische Chaos zu bändigen, bleibt dem Professor nur eine Möglichkeit: Er muss alles über Vincent van Gogh erfahren.

Der Leser taucht ein in das Leben des berühmten Malers: Vincent wurde 1853 geboren, hatte fünf jüngere Geschwister und eine besonders enge Beziehung zu seinem Bruder Theo, der ihn zeitlebens unterstützte – auch finanziell. Obwohl Vincent zu Lebzeiten nur ein einziges Bild verkaufte, glaubte Theo unerschütterlich an sein Talent.
Die frühen Werke Van Goghs zeigen das einfache Leben der Bauern – ganz anders als seine späteren, farbenfrohen Meisterwerke.
Kennst du die „Kartoffelesser“? Oder Vincents berühmte Sonnenblumen? Wenn nicht, wird es höchste Zeit!

Dieses wunderbar illustrierte Buch bietet nicht nur einen spannenden Einblick in das Leben Van Goghs, sondern ist auch ein kreatives Mitmachbuch:
Kinder (und Erwachsene) lernen, wie man Erdfarben selbst herstellt, wie Farben gemischt werden und sogar, wie man ein Selbstporträt anfertigt.

Ich verspreche: Dein Kind (oder Enkelkind) wird nicht nur viel über Kunst lernen, sondern auch selbst kreativ werden wollen. Und du vielleicht auch!
Also – nichts wie ab in die Buchhandlung deines Vertrauens!

Ein zauberhaftes, informatives und interaktives Kunstbuch für kleine und große Leser.
4½/5

Bewertung vom 23.06.2025
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen


gut

DIE HUMMERFRAUEN
Beatrix Gerstberger

Das Schicksal verbindet drei Frauen – Ann, Julie und Mina – auf der Insel Stone Harbor vor der Küste von Maine. Auf den ersten Blick scheinen sie kaum Gemeinsamkeiten zu haben. Doch alle drei stehen mit beiden Beinen im Leben, arbeiten als Hummerfischerinnen und behaupten sich in einer männerdominierten Branche.

Die Autorin erzählt ihr Debüt auf zwei Zeitebenen:

Im Jahr 2000 flieht die 28-jährige Mina nach dem Tod ihres Bruders auf die Insel, auf der sie als Kind mit ihrer Familie unvergessliche Sommerurlaube verbrachte. Dort trifft sie auf die 72-jährige Ann, eine ehemalige Universitätsprofessorin. Einst zog Ann mit ihrer Lebenspartnerin nach Stone Harbor, um dem Tratsch der Kolleg*innen zu entkommen. Doch ihre Partnerin verließ sie, und seither lebt Ann allein – abgesehen von ihrem Hummer Mr. Darcy – in einem kleinen Haus am Meer. Ihre engste Vertraute ist Julie, 54 Jahre alt, die mit großer Klappe und jeder Menge Schlagfertigkeit versucht, sich gegen die rauen Männer der Fischerszene zu behaupten.

Die zweite Zeitebene spielt im Jahr 1982 – zur Hochphase des Hummerfangs, wenn Touristen die Insel überfluten. Minas Familie verbringt in diesen Jahren jeden Sommer auf Stone Harbor. Im Mittelpunkt steht Minas Mutter, die keine Gelegenheit auslässt, ihre Tochter zu kritisieren, während sie den Bruder Christopher in höchsten Tönen lobt. In dieser Zeit geschieht etwas, das das Leben aller Beteiligten für immer verändert.

Der Schreibstil der Autorin ist leicht und flüssig – ich flog nur so durch die Seiten. Auch die drei Protagonistinnen mit ihrem rauen Charme konnten mich für sich gewinnen. Die Geschichte beginnt vielversprechend und spannend – ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht. Doch leider flaute die Handlung ab dem zweiten Drittel merklich ab. Vieles war vorhersehbar, und das Ende konnte mich leider gar nicht überzeugen. Es wirkte gehetzt, einige Erzählstränge blieben offen, und die zentrale Frage – was mit Jack passiert ist und warum – wurde letztlich gar nicht aufgelöst. Auch kleinere Details störten mich. So passt ein Satz wie „wir haben abgehangen“ einfach nicht in die 80er-Jahre – damals sagte man „wir haben gespielt“ oder „wir haben uns getroffen“. Punkt.

Alles in allem ist es ein netter Roman, den man gut und leicht weglesen kann – eine schöne Urlaubslektüre am Meer. In diesem Sinne: eine Empfehlung mit Einschränkungen.
3,5/5

Bewertung vom 19.06.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

DER GOTT DES WALDES
Liz Moore

Kommt man in diesem Frühjahr oder Sommer an diesem Buch vorbei?
1961:
Der achtjährige Bear van Laar verschwindet während der großen Sommerparty seiner Eltern spurlos in den Wäldern der Adirondacks. Die Familie – reich, einflussreich, wohnhaft in einem imposanten Anwesen im Naturreservat – startet gemeinsam mit den Gästen eine panische Suche. Doch dabei werden entscheidende Spuren zerstört. Erst mit Verzögerung werden Feuerwehr und Polizei eingeschaltet, aber alle Suchaktionen bleiben erfolglos. Bear bleibt verschwunden.
Seine Mutter Alice van Laar zerbricht an dem Verlust. Alkohol und Valium helfen ihr, den Tag zu überstehen.

14 Jahre später:
Wie jeden Sommer findet auf dem Gelände des Naturreservats das exklusive Camp Emerson statt. Zum ersten Mal nimmt auch Barbara van Laar, die 13-jährige Tochter des Bankiers, daran teil. Ganz freiwillig hat sie sich entschieden, ihre Ferien mit Überlebenstraining, Lagerfeuer und Spielen zu verbringen.
Unter der Leitung ihrer ehemaligen Babysitterin T.J. Hewitt, die das Sommercamp leitet, beginnt Barbara, als eigensinnig und schwer erziehbar verschrien, aufzublühen.
Doch am letzten Abend des Camps verschwindet sie spurlos.
Soll sich die Tragödie von damals etwa wiederholen? Zumal ein Serienmörder, der es auf junge Mädchen abgesehen hat, gerade in Richtung der Wälder von Adirondack unterwegs ist…

Meine Güte, war das Buch spannend!
Ich habe die letzte Nacht mit Lesen verbracht. Eigentlich werde ich ja nach drei Seiten müde – aber hier wurde ich immer wacher.
So spannend und so anders! Der Aufbau des Buches mit seinen wechselnden Perspektiven, erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln, intensiviert das Leseerlebnis enorm.
Hinzukommen die Rückblenden zum Fall Bear, in denen immer neue Details ans Licht kommen.
Einzelne Fragmente verweben sich ganz zum Schluss zu einem großen Ganzen.


Also noch einmal die Frage: Kommt man in diesem Frühjahr/Sommer an diesem Buch vorbei? AUF GAR KEINEN FALL!
Bitte lest dieses Buch. Ihr werdet es lieben!
5/5

Bewertung vom 18.06.2025
Peters, Amanda

Beeren pflücken


ausgezeichnet

BEEREN PFLÜCKEN
Amanda Peters

1962:
Jedes Jahr kommt der nordamerikanische indigene Lewis mit seiner Familie von Nova Scotia nach Maine, um bei der Beerenernte zu helfen. Auf der Plantage von Mr. Ellis organisiert und koordiniert er die Helfer. Seine vier älteren Kinder unterstützen ihn tatkräftig bei der Arbeit, während die jüngste Tochter, die vierjährige Ruthie, bei ihrer Mutter bleibt. Diese sorgt für die Verpflegung der Erntehelfer.
Mittags versammelt sich die Familie zum Essen am großen Stein, bevor die Jungen noch ein schnelles Bad im See nehmen, ehe die Arbeit weitergeht.
Doch eines Tages, nach dem gemeinsamen Mittagessen, ist Ruthie plötzlich verschwunden – nur einen kurzen Moment war man unachtsam. Eben noch hatte sie mit ihrem Bruder Joe auf dem großen Stein gesessen.
Trotz tagelanger Suche bleibt das kleine Mädchen unauffindbar. Die Polizei zeigt kaum Einsatz – für ein „indianisches Mädchen“ lohnt sich der Aufwand offenbar nicht. Ruthie bleibt verschwunden.

Jahre später:
Norma wächst überbehütet bei ihrer Mutter in Boston auf. Sie darf das Grundstück nicht verlassen und sich auch nicht mit Klassenkameradinnen treffen. Am liebsten ist es ihrer Mutter, wenn Norma im Haus bleibt und mit ihrer Puppe spielt – selbst dann noch, als sie längst dem Puppenalter entwachsen ist.
Norma wird von Albträumen geplagt. In ihnen sieht sie sich mit einem Bruder namens Joe spielen. Immer wieder hört sie die Stimme einer Frau, die sie "Mama" nennt – doch dieses Bild passt nicht zu der Frau, mit der sie lebt.
Fragen zu ihrer anderen Hautfarbe werden abgeblockt. Fotos aus ihrer Babyzeit gibt es angeblich nicht mehr – sie seien bei einem Brand zerstört worden. Wenn Norma nachhakt, bekommt ihre Mutter „Kopfschmerzen“ – und das Thema ist beendet.
Immer wieder gibt es Hinweise darauf, dass Normas Eltern nicht ihre leiblichen sind. Doch es wird Jahrzehnte dauern, bis sie der Wahrheit auf den Grund kommt.


Amanda Peters ist mit diesem Buch ein beeindruckendes Debüt gelungen. Besonders der lebendige, einfühlsame Schreibstil und der durchdachte Aufbau haben mich begeistert. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Joe und Norma erzählt. Als Leser weiß man früh, dass Norma in Wahrheit die verschwundene Ruthie ist – dennoch bleibt es spannend, wie sich die beiden Erzählstränge langsam aufeinander zubewegen.
Mich hat das Buch absolut überzeugt. Es ist authentisch, bewegend und von einer tiefen emotionalen Kraft. Ich konnte es kaum aus der Hand legen – besonders das Ende hat mich sehr berührt.

Fazit:
Highlight! Ein Debütroman, der mich von der ersten bis zur letzten Seite fesseln konnte.
Ganz große Leseempfehlung!
5+/5

Bewertung vom 17.06.2025
Myers, Benjamin

Strandgut


sehr gut

STRANDGUT
Benjamin Myers

Wie durch ein Wunder bekommt der 70-jährige Earlon „Bucky“ Bronco eine Einladung nach Scarborough in England – zu einem Weekender Soulfestival.
Zunächst hält er das Ganze für einen schlechten Scherz. Schließlich kennt heute kaum jemand seine Musik, geschweige denn seinen Namen. Die zwei Songs, die er in jungen Jahren aufgenommen hat, sind längst in Vergessenheit geraten – zumindest in Amerika. Doch die Einladung ist echt: gut bezahlt, Flugticket inklusive.

Bucky, unser liebenswerter Protagonist, nimmt das Angebot an – obwohl er physisch als auch psychisch am Ende ist. Man könnte sagen, Bucky ist ein Wrack: Er lebt allein, pendelt zwischen Bett und Apotheke, betäubt sich mit Opiaten und Alkohol. Eine neue Hüfte könnte er dringend brauchen, doch die Kosten sind für ihn untragbar. Und ausgerechnet an dem Tag, an dem sein Auftritt stattfinden soll, jährt sich der Todestag seiner geliebten Frau May.

Trotz aller Zweifel tritt Bucky die Reise an. Am Flughafen in England wird er von Dinah abgeholt, einer warmherzigen Frau in ihren Fünfzigern, die ihn während der Tage in York begleitet. Doch kaum hat er sich eingerichtet, merkt er, dass er seine Tabletten im Flugzeug vergessen hat.

Von Dinah erfährt er, dass seine Songs in England Kultstatus haben. Für viele gilt er als der „King of Soul“, und man erwartet sehnsüchtig seinen Auftritt.
Zwischen Dinah und Bucky entsteht schnell eine stille, berührende Verbindung – zwei verlorene Seelen, die sich gegenseitig Halt geben.

Benjamin Myers erzählt diese Geschichte ganz langsam, beinahe zögerlich.
In den ersten hundert Seiten passiert sehr wenig, aber genau das schafft Raum für feine Beobachtungen und liebevoll gezeichnete Figuren. Besonders Dinah wächst einem mit ihrem trockenen Humor ans Herz – ich musste mehr als einmal lachen.

Die zweite Hälfte, vor allem das Ende, ist berührend und versöhnlich.
Schön sind auch die atmosphärischen Beschreibungen – ich hatte das Gefühl, selbst im Hotel Majestic abgestiegen zu sein, den leicht muffigen Geruch in der Nase.

Besonders bewegt hat mich der Brief, den der Autor vor Erscheinen des Buches an alle Buchhändler*innen geschrieben hat. Und sollte ich je nach Yorkshire kommen, nehme ich seine Einladung zu einer Tasse Tee garantiert an. ❤️

Fazit:
Ein stilles Buch über zweite Chancen, Musik und Menschlichkeit.
Empfehlenswert für alle, die ruhige, detailverliebte Romane mögen.
3½/ 5