London, Ende des 19. Jahrhunderts, eine Stadt, die regelmäßig von Seuchen heimgesucht wird; Zehntausende leben in bitterster Armut. Im Londoner Wasserwerk wird ein Cholera-Opfer entdeckt. Dr. Anton Kronberg, Englands führender Bakteriologe, wird hinzugezogen und findet heraus, dass der Mann absichtlich mit tödlichen Bakterien infiziert wurde. Während Scotland Yard den Fall nur halbherzig verfolgt, begegnet Kronberg dem beratenden Detektiv Sherlock Holmes. Er entdeckt Kronbergs wahre Identität sofort: eine Frau, die sich als Mann ausgibt, um als Ärztin praktizieren zu können. Im Gegenzug beginnt Anna - sehr zu dessen Verdruss - Holmes' kompliziertes Innenleben zu analysieren. Die beiden ungleichen, doch intellektuell ebenbürtigen Partner müssen sich zusammenraufen, um eine Verschwörung aufzudecken, die so monströs ist, dass sie die Taten von Jack the Ripper in den Schatten stellt ... Ein historischer Kriminalroman, der das viktorianische England zum Leben erweckt und mit Dialogwitz und einem unglaublichen Ermittler-Duo begeistert - der Auftakt einer neuen Krimireihe um Anna Kronberg und Sherlock Holmes
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kein ganz kleines Verdienst dieses Buches erkennt Burkhard Müller darin, dass der Leser das Gespann Sherlock Holmes/Dr. Watson einmal entdämonisiert und aus recht menschlicher, emotionaler Perspektive betrachten kann. Das Geschlechterrollenspiel, das Annelie Wendeberg mit ihrer spöttischen Ermittlerfigur treibt, scheint Müller zu gefallen. Ebenso Wendebergs Entschluss, keinen lupenreinen detektivischen Plot hinzulegen. Dass die Autorin mit dem Milieu der spätviktorianischen Ära ein Trendsetting bespielt, entgeht dem Rezensenten allerdings auch nicht. Der gendertheoretisch rechthaberische Schluss verstimmt Müller geradezu.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2014DIE KRIMI-KOLUMNE
Die kalte Klinge des Buttermessers
Wie man Sherlock Holmes aus seiner Einsamkeit erlöst: Annelie Wendebergs viktorianischer Krimi „Teufelsgrinsen“
Dieser Held führt sich mit einer gewissen Lässigkeit ein. „Ich war Bakteriologe und Epidemiologe, der beste, den man in England finden konnte“. Besonders mit Cholera und Tetanus kennt er sich aus, Infektionskrankheiten, die in London am Ende des 19. Jahrhunderts noch immer mehr Tote fordern als die wahrlich nicht seltenen Gewaltverbrechen. Sein Beruf bringt ihn in häufigen Kontakt mit der Metropolitan Police. „Es war ein gut gemischter Haufen Männer, deren geistige Schärfe zwischen der eines Buttermessers und der einer überreifen Pflaume variierte.“
Wer den Sinn dieses letzten Satzes begriffen hat, darf sich immerhin zu den Buttermessern rechnen. Inspektor Gibson hingegen, befasst mit dem Fall des teuflisch grinsenden Leichnams, der in den Wasserwerken aufgetaucht ist, gehört eindeutig zur Pflaumenkategorie. Aber das behält der spöttisch aufgelegte Dr. Anton Kronberg lieber für sich – wie auch das weit beirrendere Faktum, dass es sich bei ihm gar nicht um einen Anton, sondern vielmehr um eine Anna handelt. Denn als Frau hätte Anton, der als Anna immerhin im fortschrittlichen Leipzig studieren konnte, im damaligen England keinerlei Chancen. Das Haar gekürzt, die Brüste mit einem straffen Band verschnürt, den Hosenlatz präpariert mit einem Lederschlauch und einem wassergefüllten Beutelchen, muss er leider den ihn umseufzenden Krankenschwestern eine herbe Abfuhr erteilen. Nur daheim, im elendsten Slum, gibt sich Anna den Armen des rothaarigen irischen Diebes Garett hin, der nun wiederum nichts vom anderen Geheimnis weiß und seinerseits einen Korb bekommt, als er ihr einen Heiratsantrag macht.
Kann dieses multiple Versteckspiel auf die Dauer gutgehen? Schwerlich. Zumindest einen gibt es, der sich nichts vormachen lässt: Sherlock Holmes, der sich ebenfalls für den Fall des grinsenden Leichnams interessiert. Holmes sagt Anton die Wahrheit auf den Kopf zu, gelobt aber dem geschätzten Kollegen Stillschweigen. So kommt man sich näher. Das ist der kühnste Aspekt des Buchs, das sich gewandt im neuerdings wieder sehr gefragten Milieu der spätviktorianischen Ära bewegt. Darf man das, eine so fest umrissene Figur wie diesen dämonischen Ermittler sozusagen an den Rändern aufweichen, bis wieder ein Mensch zum Vorschein kommt? Wie sich herausstellt, bedeutet es eine Erlösung für Sherlock Holmes, wenn er auf diese Weise aus seiner Einsamkeit herausgeholt und entdämonisiert wird.
Wer nichts als die Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle liest, der versteht am Paar Holmes/Watson nur so viel, dass jedes Genie als Kontrast an seiner Seite einen Trottel benötigt. Kronberg/Wendeberg, Held und Autorin des Romans „Teufelsgrinsen“ blicken tiefer: „Ich fragte mich, wie zwei so unterschiedliche Männer Freunde sein konnten. Nach einer Weile glaubte ich, es zu verstehen. Holmes war, in gewisser Weise, der vorurteilsfreieste Mensch, dem ich je begegnet war. Er war in der Lage, Watsons Blindheit ganz einfach zu akzeptieren. (. . .) Ich fragte mich, ob Watson sich neben Holmes manchmal klein und unbedeutend fühlte, dies aber für seine Freundschaft in Kauf nahm. In meinem seltsamen Herzen wuchs Respekt für den Mann.“
Mit einem Wort, Annelie Wendeberg gewinnt diesen beiden archetypischen Akteuren eine emotionale Dimension hinzu, die dem Original auf fast schmerzliche Weise fehlt. Infolgedessen kann die Geschichte auch nicht jener rein detektivische Plot bleiben, als der sie gestartet ist. Anna Kronberg kommt einem medizinischen Geheimbund auf die Spur, der in den Armenhäusern tödliche Menschenversuche durchführt. Der Schluss verstimmt ein wenig durch seine Rechthaberei, denn er erweckt den Anschein, als käme alles bloß daher, dass man den Männern erlaubt, unkontrolliert unter sich zu bleiben, oder ihr Unwesen zu treiben in der „korrupten Welt der Medizin, die ein ganzes Geschlecht ignoriert“.
Der Duktus dieses letzten Halbsatzes lässt noch etwas vom Schicksal des Buchs zwischen den Welten erahnen: Annelie Wendeberg („Dr. Annelie Wendeberg“, wie das Porträt des Klappentexts vermerkt, begleitet von einem unverkennbar weiblichen, lächelnden Lichtbild, zum Zeichen, dass sich doch manches gebessert hat) hatte es zunächst im angelsächsischen Raum publiziert, ehe Kiepenheuer & Witsch sich seiner annahm und die englische Geschichte einer Deutschen über England ins Deutsche herüberholte.
BURKHARD MÜLLER
Annelie Wendeberg: Teufelsgrinsen. Ein Fall für Anna Kronberg. Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger. Verlag Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2014. 240 Seiten,
14,99 Euro, E-Book
12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die kalte Klinge des Buttermessers
Wie man Sherlock Holmes aus seiner Einsamkeit erlöst: Annelie Wendebergs viktorianischer Krimi „Teufelsgrinsen“
Dieser Held führt sich mit einer gewissen Lässigkeit ein. „Ich war Bakteriologe und Epidemiologe, der beste, den man in England finden konnte“. Besonders mit Cholera und Tetanus kennt er sich aus, Infektionskrankheiten, die in London am Ende des 19. Jahrhunderts noch immer mehr Tote fordern als die wahrlich nicht seltenen Gewaltverbrechen. Sein Beruf bringt ihn in häufigen Kontakt mit der Metropolitan Police. „Es war ein gut gemischter Haufen Männer, deren geistige Schärfe zwischen der eines Buttermessers und der einer überreifen Pflaume variierte.“
Wer den Sinn dieses letzten Satzes begriffen hat, darf sich immerhin zu den Buttermessern rechnen. Inspektor Gibson hingegen, befasst mit dem Fall des teuflisch grinsenden Leichnams, der in den Wasserwerken aufgetaucht ist, gehört eindeutig zur Pflaumenkategorie. Aber das behält der spöttisch aufgelegte Dr. Anton Kronberg lieber für sich – wie auch das weit beirrendere Faktum, dass es sich bei ihm gar nicht um einen Anton, sondern vielmehr um eine Anna handelt. Denn als Frau hätte Anton, der als Anna immerhin im fortschrittlichen Leipzig studieren konnte, im damaligen England keinerlei Chancen. Das Haar gekürzt, die Brüste mit einem straffen Band verschnürt, den Hosenlatz präpariert mit einem Lederschlauch und einem wassergefüllten Beutelchen, muss er leider den ihn umseufzenden Krankenschwestern eine herbe Abfuhr erteilen. Nur daheim, im elendsten Slum, gibt sich Anna den Armen des rothaarigen irischen Diebes Garett hin, der nun wiederum nichts vom anderen Geheimnis weiß und seinerseits einen Korb bekommt, als er ihr einen Heiratsantrag macht.
Kann dieses multiple Versteckspiel auf die Dauer gutgehen? Schwerlich. Zumindest einen gibt es, der sich nichts vormachen lässt: Sherlock Holmes, der sich ebenfalls für den Fall des grinsenden Leichnams interessiert. Holmes sagt Anton die Wahrheit auf den Kopf zu, gelobt aber dem geschätzten Kollegen Stillschweigen. So kommt man sich näher. Das ist der kühnste Aspekt des Buchs, das sich gewandt im neuerdings wieder sehr gefragten Milieu der spätviktorianischen Ära bewegt. Darf man das, eine so fest umrissene Figur wie diesen dämonischen Ermittler sozusagen an den Rändern aufweichen, bis wieder ein Mensch zum Vorschein kommt? Wie sich herausstellt, bedeutet es eine Erlösung für Sherlock Holmes, wenn er auf diese Weise aus seiner Einsamkeit herausgeholt und entdämonisiert wird.
Wer nichts als die Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle liest, der versteht am Paar Holmes/Watson nur so viel, dass jedes Genie als Kontrast an seiner Seite einen Trottel benötigt. Kronberg/Wendeberg, Held und Autorin des Romans „Teufelsgrinsen“ blicken tiefer: „Ich fragte mich, wie zwei so unterschiedliche Männer Freunde sein konnten. Nach einer Weile glaubte ich, es zu verstehen. Holmes war, in gewisser Weise, der vorurteilsfreieste Mensch, dem ich je begegnet war. Er war in der Lage, Watsons Blindheit ganz einfach zu akzeptieren. (. . .) Ich fragte mich, ob Watson sich neben Holmes manchmal klein und unbedeutend fühlte, dies aber für seine Freundschaft in Kauf nahm. In meinem seltsamen Herzen wuchs Respekt für den Mann.“
Mit einem Wort, Annelie Wendeberg gewinnt diesen beiden archetypischen Akteuren eine emotionale Dimension hinzu, die dem Original auf fast schmerzliche Weise fehlt. Infolgedessen kann die Geschichte auch nicht jener rein detektivische Plot bleiben, als der sie gestartet ist. Anna Kronberg kommt einem medizinischen Geheimbund auf die Spur, der in den Armenhäusern tödliche Menschenversuche durchführt. Der Schluss verstimmt ein wenig durch seine Rechthaberei, denn er erweckt den Anschein, als käme alles bloß daher, dass man den Männern erlaubt, unkontrolliert unter sich zu bleiben, oder ihr Unwesen zu treiben in der „korrupten Welt der Medizin, die ein ganzes Geschlecht ignoriert“.
Der Duktus dieses letzten Halbsatzes lässt noch etwas vom Schicksal des Buchs zwischen den Welten erahnen: Annelie Wendeberg („Dr. Annelie Wendeberg“, wie das Porträt des Klappentexts vermerkt, begleitet von einem unverkennbar weiblichen, lächelnden Lichtbild, zum Zeichen, dass sich doch manches gebessert hat) hatte es zunächst im angelsächsischen Raum publiziert, ehe Kiepenheuer & Witsch sich seiner annahm und die englische Geschichte einer Deutschen über England ins Deutsche herüberholte.
BURKHARD MÜLLER
Annelie Wendeberg: Teufelsgrinsen. Ein Fall für Anna Kronberg. Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger. Verlag Kiepenheuer & Witsch,
Köln 2014. 240 Seiten,
14,99 Euro, E-Book
12,99 Euro.
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»[...] höchst unterhaltsam und spannend.« Brigitte 20140604