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»Vielleicht ist einer von uns morgen schon nicht mehr da.«
Über fünfzig Jahre lang teilen sie ihr Leben. Doch nun ist der Mann schwer krank. Lange schon wird er palliativ umsorgt; und so wird der Radius des Paares immer eingeschränkter, der Besuch seltener, die Abhängigkeit voneinander größer. Kraftvoll und poetisch erzählt Helga Schubert davon, wie man in solchen Umständen selbst den Verstand und der andere die Würde behält.
»Helga Schubert erzählt davon, wie man Frieden machen kann mit diesem Leben. Sie zeigt, wie man Lebensgeschichte in Literatur verwandeln kann.« Insa Wilke
»Ich
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Produktbeschreibung
»Vielleicht ist einer von uns morgen schon nicht mehr da.«

Über fünfzig Jahre lang teilen sie ihr Leben. Doch nun ist der Mann schwer krank. Lange schon wird er palliativ umsorgt; und so wird der Radius des Paares immer eingeschränkter, der Besuch seltener, die Abhängigkeit voneinander größer.
Kraftvoll und poetisch erzählt Helga Schubert davon, wie man in solchen Umständen selbst den Verstand und der andere die Würde behält.

»Helga Schubert erzählt davon, wie man Frieden machen kann mit diesem Leben. Sie zeigt, wie man Lebensgeschichte in Literatur verwandeln kann.«
Insa Wilke

»Ich war so berührt, dass ich dachte, man müsste eine neue literarische Skala eröffnen: den Schubert-Moment.«
Katrin Schumacher
Autorenporträt
Helga Schubert, geboren 1940 in Berlin, war Psychotherapeutin und Schriftstellerin in der DDR. Nach zahlreichen Buchveröffentlichungen zog sie sich aus der literarischen Öffentlichkeit zurück, bis sie 2020 mit der Geschichte ¿Vom Aufstehen¿ den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. Der gleichnamige Erzählband erschien 2021 bei dtv und war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Fast ein wenig ungläubig ist Rezensentin Barbara Vorsamer anfangs noch bei der Lektüre von Helga Schuberts Buch. Denn man könne nur Staunen über die Zuversicht und das Glücksgefühl, das die 83-jährige Erzählerin immer noch empfinde - immer noch, obwohl sie sich, wie die Autorin, um ihren schwer dementen 96-jährigen Ehemann kümmert. So finden sich in der Schilderung des harten Pflegealltags, in der herausgerissene Katheter, das Nicht-Erkennen der eigenen Ehefrau oder Unfälle mit dem Rollstuhl nicht ausgelassen werden, auch immer wieder kleine Momente des Glücks, gibt Vorsamer wieder: eine singende Amsel, ein Sahnejoghurt in der Sonne. Zusätzlich erweitere Schubert die Geschichte um einige Rückblicke in die gemeinsame Vergangenheit in der DDR - erneut eine "Irritation" für die Kritikerin, wie unverbittert auch hier von den Opfern der Erzählerin für ihren Ehemann erzählt werde. Ein Buch voller harter und schöner Momente, das Einblicke in einen Alltag bietet, die der literarischen Sphäre oft nur indirekt zugänglich bleiben, lobt Vorsamer.

© Perlentaucher Medien GmbH
Gerade die äußerste Beschränktheit des geschilderten Erfahrungsraums macht das Leseerlebnis dieses erstaunlichen Buchs nicht eng - im Gegenteil. Mark Siemons Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230316

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2023

Niemand stirbt
für sich allein
Helga Schuberts zärtliches, hartes Buch
über die Pflege ihres Mannes
„In genau diesem Moment bleiben“ wird einem in jeder Yogastunde geraten, es ist modernes Achtsamkeitsblabla für all diejenigen, die versuchen, den Rushhour-Alltag zu überstehen. Für die Erzählerin in Helga Schuberts neuem Buch „Der heutige Tag“ ist es Lebensmotto. Die 83-jährige Erzählerin pflegt ihren 96-jährigen, schwer dementen Ehemann und freut sich an jeder gemeinsamen Sekunde.
Ganz richtig gelesen. Sie freut sich über jede Sekunde, obwohl in diesen Sekunden auch herausgerissene Blasenkatheter vorkommen, umgekippte Rollstühle, Dutzende Tabletten täglich, aber manchmal kein gegenseitiges Erkennen. Lieber sterben, sagen da viele, für die der Tod noch einige Jahrzehnte entfernt ist. Werden Menschen gefragt, wie sie sich das eigene Ableben vorstellen, sagen die meisten: schnell, schmerzlos. Am liebsten einfach umkippen. Oder einschlafen und nie wieder erwachen.
Niemand will krank und pflegebedürftig werden, am Ende des Lebens „dahinsiechen“, wie es oft heißt, ein Wort, das man es in Schuberts Buch nicht finden wird. Und doch kommt es für die allermeisten Menschen am Lebensende genau so. Sich damit auseinanderzusetzen ist daher nicht die dümmste Idee und die Lektüre von „Der heutige Tag“ nicht der dümmste Start.
Die Erzählerin ist, unschwer zu erkennen, Helga Schubert selbst, die auch im wahren Leben ihren Mann pflegt, den Maler und Psychologieprofessor Johannes Helm. Im Buch heißt er Derden, das soll für „der, den ich liebe“ stehen. Dann beschreibt sie ihren Tag, ihre Tage, kleinteilig bis hin zum „Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille.“ Derlei sind die letzten kleinen Freuden, die ihrem Mann noch geblieben sind, doch Helga Schubert schreibt darüber zärtlich: „So darf ein Leben doch ausatmen.“
Bei genauerem Hinspüren ist es ein hartes Buch, das einem zwischen den weichen, liebevollen, poetischen Sätzen Kinnhaken versetzt. Jede Seite erinnert daran: Auch du wirst nicht einfach tot umfallen, höchstwahrscheinlich. Auch du wirst in deinen letzten Lebensjahren gewickelt werden müssen und niemanden mehr erkennen, du wirst halluzinieren und sabbern, hilflos sein, verwirrt.
Kann man so ein Leben dann lieben? Von so einem Wesen noch zurückgeliebt werden? Das wird die Erzählerin von so vielen Menschen gefragt, dass man es sich irgendwann auch selbst fragt. Ab wann wird der Preis zu hoch, wann ist man zu alt, wann übersteigt der Schmerz und der Aufwand die Liebe und war es überhaupt je Liebe, wenn das irgendwann passiert?
Schubert beantwortet diese Fragen auch mit vielen Rückblenden auf ihr gemeinsames Leben, das Kennenlernen am Lehrstuhl für Psychologie, das gemeinsame Leben in der DDR, die sie schon damals ihm zuliebe, der Liebe zuliebe, nicht verließ. Heute lässt sie sich wieder ein auf seine Welt, die nicht die ihre ist, lässt sich verwechseln („Wer weiß, vielleicht bestehe ich ja aus drei Frauen. Vielleicht hat er das gerade erkannt. Nur ich wusste es noch nicht.“) und feiert Weihnachten im Februar, weil er eben glaubt, es sei der
24. Dezember und andernfalls traurig wäre. Als sie digital an einer Sitzung des Schriftstellerverbands PEN teilnimmt, fährt „Derden“ mit dem Rollstuhl die Auffahrt hinunter, kippt um, verletzt sich, ist verwirrt.
Auch das eine Irritation, dass eine Frau so geradeheraus schreibt, wie viel sie für ihren Mann aufgegeben hat, und gleichzeitig, wie glücklich sie das gemeinsame Leben macht, immer noch, auch wenn es eines ist, das viele Menschen für keines mehr halten. Es ist ein grundsätzliches Dilemma des Schreibens und der öffentlichen Debatte, dass die, die es tun und daran teilnehmen, oft nur indirekte Kenntnisse haben. Wer pflegt, schreibt nicht, spricht nicht – keine Zeit für so was.
Helga Schubert ist da eine Ausnahme. Die Geschichte, die „Der heutige Tag“ erzählt, hat sie – teilweise wortgleich – in den vergangenen Jahren auch in vielen Interviews erzählt, die sie gegeben hat, nachdem sie im Alter von 80 Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. Der westdeutschen Öffentlichkeit ist sie erst seitdem so richtig ein Begriff, obwohl sie schon seit vielen Jahrzehnten Romane schreibt und veröffentlicht.
So viel Liebe auch vorkommt (schon im Untertitel, der lautet „Ein Stundenbuch der Liebe”), die bitteren, traurigen, harten Momente, die die Pflege eines schwer kranken Menschen mit sich bringt, lässt Schubert nicht aus: Menschen, die ihr vorschlagen, dem Mann Morphium zu geben oder ihn mit einem kalten Waschlappen im Gesicht morgens zu wecken; die Unmöglichkeit, mal wegzufahren, weil es niemanden gibt, der sie in der Pflege ersetzen kann; ihr inneres Verbot, darüber nachzudenken, was sein nahender Tod für sie auch für Vorteile hat.
Am stärksten ist Schuberts Erzählung, wenn sie in den Details bleibt, minutiös ihren Alltag beschreibt und ihre Gefühle dazu aufs Papier legt. Seltsam steht dagegen so manche Begegnung mit anderen Sterbenden und Pflegenden. Gerade noch war man so unglaublich nah an Derden und der Erzählerin, dann kommt ein Kapitel über den Tod eines Mannes 1994, dessen Frau sich kurz danach umbrachte, und ja, vermutlich soll diese Episode auch noch mal unterstreichen, wie stark eine Verbindung zwischen zwei Menschen sein kann. Aber das hat man an der Stelle schon längst verstanden.
Dem Buch vorangestellt hat Helga Schubert ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium. Sie ist gläubig, weswegen sich alle Gedanken daran, einem anderen Leben ein Ende zu setzen, und sei es nur durch ein bisschen weniger Hingabe, für sie komplett verbieten. Dort steht: „Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“ Jederzeit im Moment zu leben, sich auf Sonnenstrahlen und Sahnejoghurt zu konzentrieren, ist vielleicht die einzige Möglichkeit, ihre Situation auszuhalten.
BARBARA VORSAMER
Die bitteren Momente,
die die Pflege mit sich bringt,
lässt Schubert nicht aus
Helga Schubert:
Der heutige Tag.
Ein Stundenbuch
der Liebe.
Dtv, München 2023.
272 Seiten, 24 Euro.
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