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»Mit Mengiste beginnt in der Literatur eine neue Zeitrechnung.« Zoë Beck
Als Mussolini 1935 in Äthiopien einfällt, trifft er auf einen unerwarteten Widerstand: Krankenpflegerinnen, Köchinnen, Dienstmägde. Bereit, sich mit ihren Brüdern und Vätern gegen die Faschisten zu behaupten. Die junge Hirut, eine Waise in den Diensten eines Offiziers von Kaiser Selassie, ist eine von ihnen. Als Selassie sich ins englische Exil flüchtet, droht Äthiopien mit seinem Anführer auch die Hoffnung zu verlieren. Und ausgerechnet Hirut findet einen Weg, das Land zu inspirieren. An der Seite des Schattenkönigs,…mehr

Produktbeschreibung
»Mit Mengiste beginnt in der Literatur eine neue Zeitrechnung.« Zoë Beck

Als Mussolini 1935 in Äthiopien einfällt, trifft er auf einen unerwarteten Widerstand: Krankenpflegerinnen, Köchinnen, Dienstmägde. Bereit, sich mit ihren Brüdern und Vätern gegen die Faschisten zu behaupten. Die junge Hirut, eine Waise in den Diensten eines Offiziers von Kaiser Selassie, ist eine von ihnen. Als Selassie sich ins englische Exil flüchtet, droht Äthiopien mit seinem Anführer auch die Hoffnung zu verlieren. Und ausgerechnet Hirut findet einen Weg, das Land zu inspirieren. An der Seite des Schattenkönigs, einem armen Musikanten, der dem Kaiser zum Verwechseln ähnlich sieht, rettet sie ihre Heimat vor der Selbstaufgabe und wird kurz zur Herrin ihres Schicksals.
Autorenporträt
Maaza Mengiste flüchtete im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern vor der Äthiopischen Revolution. Den Rest ihrer Kindheit verbrachte sie in Nigeria, Kenia und den USA. Sie lebt in New York. 2020 war sie Writer-in-residence am Literaturhaus Zürich.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Hubert Spiegel hat Respekt vor Maaza Mengistes Roman, der drastische Darstellung des Abessinienkriegs und mythisierende Beschreibung einer weiblichen Ermächtigung (der äthiopischen Amazonen im Kampf gegen Mussolini) in einem sein will und dabei für den Rezensenten neben der Fähigkeit der Autorin, einen detailreichen archaischen Handlungs- und Figurenreigen zu entwerfen, doch vor allem eines beweist: Dass auch Heldinnen nicht davor geschützt sind, in einer in pathetischer Sprache erzählten Geschichte aus Blut und Patriotismus aufzutreten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2021

Auch in Abessinien kämpften Amazonen

Bis zum Hals in einer Melange aus Pathos, Kitsch und Patriotismus: Maaza Mengistes archaisches Kriegsepos "Der Schattenkönig".

Von Hubert Spiegel

Als Italien 1935 in Abessinien einmarschierte und in einen brutalen Krieg verwickelte, sah die Welt zu, wie ein Mitglied des Völkerbundes ein anderes Völkerbundsmitglied überfiel und damit einen historischen Endpunkt sowie einen Ausgangspunkt markierte. Denn mit dem Abessinienkrieg entfesselte Mussolini nicht nur den letzten kolonialen Eroberungskrieg der Moderne, sondern begann auch den ersten Krieg eines faschistischen Regimes zur Eroberung eines neuen "Lebensraums".

Dabei schreckte der Angreifer vor nichts zurück und beging zahllose Kriegsverbrechen. Im bis dahin größten Luftkrieg der Geschichte setzte das italienische Militär Giftgas ein, tötete Zivilisten, machte Feldlazarette dem Erdboden gleich, vergewaltigte zahllose Frauen, exekutierte Mönche, Pilger und kirchliche Würdenträger und ermordete gezielt junge, gut ausgebildete Angehörige der Eliten. Zwischen 330 000 und 760 000 Menschen kamen auf abessinischer Seite ums Leben. Eine offizielle Entschuldigung Italiens durch das Staatsoberhaupt erfolgte erst 1997.

Vor diesem historischen Hintergrund entfaltet die 1971 in Addis Abeba geborene Autorin Maaza Mengiste ihr breit angelegtes Kriegsepos "Der Schattenkönig", das auf knapp sechshundert Seiten mit zahlreichen Haupt-und Nebenfiguren mitten ins Kriegsgeschehen führt und dabei vor allem einen Aspekt vor dem Vergessen bewahren will: die Beteiligung abessinischer Frauen an den Kampfhandlungen, die historisch verbürgt ist, aber deren Ausmaße im Dunkeln liegen. Mengiste bringt mit ihrem Roman Licht in dieses Dunkel, und zwar alle möglichen Sorten von Licht, vom zarten Morgenrot bis zum Kunstlicht der grellsten Sorte.

Der Schutzumschlag der deutschen Ausgabe geizt nicht mit Superlativen: Andrew Sean Greer und Salman Rushdie werden zitiert, es fallen Begriffe wie "Meisterwerk" und "moderner Klassiker". Das wäre nicht weiter der Rede wert, wenn es sich dabei nur um die marketingüblichen Übertreibungen handeln würde. Aber Maaza Mengiste, die Äthiopien nach dem Putsch von 1974 mit ihrer Familie verlassen musste und heute in New York lebt, ist zweifellos eine Schriftstellerin mit hohen Ansprüchen und beachtlichen Fähigkeiten. Sie entwirft ein historisches Panorama, hochemotional und detailreich, mit zahlreichen Figuren, Nebenhandlungen und Leitmotiven - von den arg überstrapazierten Vaterbeziehungen der zentralen Figuren bis zur Rolle der Fotografie als Medium der Erinnerung, das mit der Figur des italienisch-jüdischen Soldaten Ettore bereits in der 1974 angesiedelten Rahmenhandlung eingeführt wird. Sie entwirft komplexe Figuren wie das junge Hausmädchen Hirut und ihre bitterböse Herrin Aster, die später ebenso wie Hirut zu einer Kriegsheldin wird, selbstverständlich gegen den Willen ihres Ehemannes Kidane, der selbst Truppen aufstellt und als "Dejazmach" angesprochen wird, als Beschützer des kaiserlichen Zeltes. Aber der Kaiser, Haile Selassie I., lebt nicht mehr in einem Zelt, sondern im Palast, wo er schwermütig schuldbeladenen Gedanken an seine verstorbene Tochter nachhängt und versucht, das Wesen des barbarischen Angreifers zu erkunden, indem er sich italienische Opern vorspielen lässt. Der Schattenkönig des Romantitels ist ein Doppelgänger, der in einem entscheidenden Gefecht die Rolle des im Exil lebenden Kaisers einnimmt, um dem Volk neuen Mut einzuflößen, während auf italienischer Seite mit Carlo Fucelli, dem "Schlächter von Benghazi", ein sadistischer Offizier mit Sendungsbewusstsein die Truppen anführt.

Es ist eine archaische Welt, die Maaza Mengiste schildert, mit klaren Hierarchien und überkommenen Idealen wie Gehorsam, Treue, Tapferkeit. Abessinier sind hier tollkühne Krieger und ergebene Untertanen, was für Abessinierinnen nur zum Teil gilt, wie die Autorin aus der eigenen Familiengeschichte erfahren hat, denn untertänig sind die Frauen, um derentwillen dieser Roman geschrieben wurde, wahrlich nicht. Nach dem Vorbild ihrer Ururgroßmutter, die sich freiwillig zu den kämpfenden Truppen gemeldet hat, erfindet Mengiste eine Gruppe von Kriegerinnen, denen sie einen antike Mythen aufrufenden Chor zur Seite stellt, um so dem Geschehen Archetypisches zu verleihen. Der Rückgriff auf den Mythos dient der Überhöhung und Nobilitierung des blutigen Geschehens und geht einher mit einer archaisierenden Sprache, als wäre die Geschichte weiblicher Ermächtigung in Kriegszeiten, um die es Mengiste geht, nicht schon um ihrer selbst willen erzählenswert.

Als Aster, die verwöhnte, nun geläuterte junge Adelige, ihre Schwestern in den Kampf führen will, inszeniert Mengiste die Ansprache als Apotheose einer wahren Amazonenkönigin: Wolkenfetzen schieben sich vor die Sonne wie "hochgeworfene Laken. Ein schwacher Schatten fällt auf das Plateau, gleitet weiter, und plötzlich steht Aster in ihrem blutbefleckten Umhang in strahlendem Licht. Es ist eine Verkündung. Eine göttliche Bestätigung ihrer Rechte und ihrer Macht." Und als wäre das noch nicht genug, heißt es zwei Sätze später, "dass sich ein gleißendes Licht, mächtig wie eine explodierende Bombe, auf ihre Schultern legte, um eine göttliche Botschaft zu verkünden". Man kann die Botschaft dieser und ähnlicher Zeilen, wie sie der Roman leider im Übermaß aufweist, allerdings auch anders lesen: als Erinnerung daran, dass auch große Heldinnen nicht davor gefeit sind, in einer bislang meist Männern vorbehaltenen Melange aus Pathos, Patriotismus, Kitsch, Blut und bedingungsloser Hingabe zu ertrinken.

Maaza Mengiste: "Der Schattenkönig". Roman.

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2021. 576 S., geb., 25,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2021

Das Märchen vom Krieg
Maaza Mengiste schreibt mit dem Roman „Der Schattenkönig“ weiter am
Mythos des äthiopischen Herrschers Haile Selassie. Ein kurioses Buch
VON SIGRID LÖFFLER
Kaiser Haile Selassie war vierzig Jahre lang bis zu seinem Sturz 1974 autokratischer und zunehmend anachronistischer Herrscher von Äthiopien. Er ist ein Mythos, seine Herrschaft hat legendäre Züge. Er trug grandiose Ehrentitel – Löwe von Juda, Negus Negesti, Auserwählter Gottes – und sah sich als Erbe eines 3000 Jahre alten Reiches und als 225. Nachfolger des biblischen Königs Salomo und der Königin von Saba. Mit dieser mächtigen Legende hielt er, vom Volk lange Zeit geradezu sakral verehrt, seinen Vielvölkerstaat zusammen, verhinderte allerdings auch Reformen, weshalb er schließlich durch einen Militärputsch gestürzt wurde. Sein Ende war grausig: Er wurde ermordet, in seinem Schlafzimmer mit einem Kissen erstickt, und unter den Dielen der Toilette seines Nachfolgers, des marxistischen Diktators Mengistu Haile Mariam, verscharrt.
Wie man einem solchen Mythos literarisch beikommen kann, das demonstrierte der polnische Afrika-Korrespondent Ryszard Kapuściński bereits vor mehr als vierzig Jahren in seinem abgründigen Meisterwerk „König der Könige“, einer singulären Mischung aus Reportage, politischer Allegorie und Mythen-Erzählung. Indem er Haile Selassies ehemalige Diener, Hofschranzen, Spitzel und Lakaien vom bizarren Zeremonial-Leben und dem zunehmenden Realitätsverlust bei Hofe erzählen ließ, gelang Kapuściński ein paradoxes Kunststück: Er ließ den Mythos des Kaisers wieder aufleben, um ihn zugleich auszunüchtern und damit historisch zu erledigen.
Auch die Autorin Maaza Mengiste ist vom Mythos Haile Selassie fasziniert – so sehr, dass sie den Kaiser zur Zentralgestalt ihrer bislang zwei Romane machte. Als Vierjährige floh Mengiste nach dem Sturz des Kaisers mit ihren Eltern aus Addis Abeba, fand nach Umwegen über Nigeria und Kenia Zuflucht in den USA und lebt in New York. In ihren beiden zeithistorischen Romanen thematisiert sie die zwei größten Krisen in Haile Selassies langer Herrschaft: seine zeitweilige Vertreibung vom Thron während Mussolinis Abessinien-Feldzug in den 1930er Jahren und seinen Sturz vierzig Jahre später. Der Kaiser sei eine Legende, ein Mythos, sagte Mengiste im Interview, deshalb könne sie ihn fiktionalisieren und als Romanfigur ausfantasieren.
Lässt sich ein Mythos mythisieren? Genau das erstrebte Mengiste bereits in ihrem Debütroman „Unter den Augen des Löwen“ (2010), und jetzt, in ihrem neuen Roman „Der Schattenkönig“, wiederholt sie dieses Erzählverfahren, sogar mit verstärkter Intensität. Der Roman ist in mehrfacher Hinsicht ein Kuriosum.
Er handelt von der wirklichkeitsverändernden Kraft des kaiserlichen Mythos. Der Roman spielt in den 1930er-Jahren während des Abessinien-Feldzugs, als italienische Truppen und eritreische Söldner Äthiopien überfielen, den Kaiser ins Exil trieben, das halbe Land verwüsteten und mit Bomben, Giftgas und Massakern Kriegsverbrechen vor allem an der Zivilbevölkerung begingen. Haile Selassie beobachtet aus der Ferne, vom idyllischen Kurstädtchen Bath im englischen Somerset aus und gerne beim Anhören des Schlussduetts von Verdis „Aida“, wie seine Äthiopier daheim einen Guerilla-Krieg gegen die faschistischen Besatzer organisieren.
An der politisch-historischen Realität dieses völkerrechtswidrigen Feldzugs, des letzten kolonialen Eroberungskrieges in Afrika, ist Maaza Mengiste allerdings kaum interessiert. Als Dokumentarroman über den Abessinien-Krieg taugt das Buch nicht. Stattdessen fokussiert die Autorin ihren Roman auf zwei legendäre Ereignisse, die sie breit ausfabuliert. Erzählt wird, wie äthiopische Frauen zu den Waffen griffen und an der Seite der Männer gegen Mussolinis Invasionsarmee zu Felde zogen. Sie waren Köchinnen, Dienstmägde, Krankenschwestern, doch sie kämpften als Soldatinnen an der Seite ihrer Väter, Brüder und Ehemänner. Die Autorin stützt sich dabei auf lückenhafte historische Dokumente sowie auf mündliche Überlieferungen in ihrer Familie, wonach ihre eigene Ururgroßmutter, gerüstet nur mit dem museumsreifen Gewehr ihres Vaters, einem familiären Erbstück, als Soldatin in den Krieg gezogen sei.
So vage und dürftig die überprüfbaren Fakten zu dieser Kriegs-Episode sind, so frei erfunden ist das andere legendäre Ereignis im Zentrum des Romans. Demnach wurden die Guerilla-Kämpfer angefeuert durch eine Phantomgestalt, die ihnen voranritt. Sie glaubten, es sei der Kaiser selbst, aus dem Exil zurückgekehrt, der seine Krieger anführe und mit Kampfesmut beseele. So kommt, nach mehr als 300 umwegigen Seiten, die umständlich erzählte und gelegentlich läppische Romanhandlung endlich in die Gänge und der titelgebende Schattenkönig erstmals zu seinem schattenhaften Auftritt.
Entdeckt wird er von der Romanheldin Hirut, einem Waisenmädchen, das von der Dienstmagd im Haus eines kaiserlichen Offiziers zur Kriegerin mutiert ist und nun in der Miliz ihres ehemaligen Arbeitgebers kämpft. Ihr fällt die frappante Ähnlichkeit eines armen Bauern namens Minim (Nichts) mit der fragilen Gestalt Haile Selassies auf. Eine Kriegslist wird inszeniert: Dem Doppelgänger Minim wird der Bart getrimmt, er wird mit würdigen Kleidern ausgestattet und auf ein Pferd gesetzt. Immer wieder taucht er fortan unvermutet vor den Guerilla-Kämpfern auf und reitet bei ihren Angriffen von ferne voran.
Sein Anblick begeistert die Krieger. Das Gerücht kommt in Umlauf und verfestigt sich zur mythischen Erzählung, der Kaiser habe in Wahrheit sein Land und seine Landsleute nie verlassen. Sein leibhaftiges Erscheinen soll bestätigen, dass der Sieg zum Greifen nahe ist. Dem Schattenkönig wird versprochen: „Du wirst uns helfen, diesen Krieg zu gewinnen. Um dich werden sich Geschichten ranken, die von Generation zu Generation weitererzählt werden.“
Und tatsächlich zeitigt der Mythos des Kaisers reale Wirkung. Bald beteuern Dörfler von überallher, sie hätten den Kaiser im nördlichen Hochland gesichtet, wo er weitere Truppen sammle. Allein diese Gerüchte stärken den Zulauf zu den Reihen der Guerillas. Den gläubig entflammten Kriegern gelingt es schließlich, die Invasionsarmee zu vertreiben.
Für diese literarische Hommage an den Mythos Haile Selassie hat sich Maaza Mengiste einen ganz eigentümlichen, lyrisch hochgestimmten Legendenton zurechtgelegt, der sich gelegentlich zu antikisierendem Chorgesang aufschwingt. Eine der größten historischen Katastrophen Äthiopiens im 20. Jahrhundert wird weniger erzählt als vielmehr hymnisch beraunt. „Der Schattenkönig“ ist kein historischer Roman, sondern eine märchenhafte Kriegs-Rhapsodie.
Da die Autorin die tatsächlichen Grausamkeiten der Italiener in diesem Feldzug nicht völlig aussparen kann, verlegt sie sich auf einen Kunstgriff. Sie lässt diese Gewaltexzesse nur wie schattenhafte Erinnerungsfragmente an böse Träume aufscheinen. Überdies werden die Gräueltaten der Eroberer in der Figur eines einzigen ultra-schurkischen Bösewichts namens Oberst Fucelli personifiziert und konzentriert. Zum Ausgleich braucht es auch noch einen zweiten Italiener – den jungen jüdischen Soldaten und Fotografen Ettore Navarra, der für moralische Zerrissenheit und ambivalentes Taumeln zwischen Italien und Äthiopien zuständig ist.
Im großen Finale des Romans, vierzig Jahre später, in den letzten Stunden vor dem Militärputsch 1974, inszeniert die Autorin ein letztes Zusammentreffen des verliebten Ettore mit der Ex-Kriegerin Hirut in der Bahnhofshalle von Addis Abeba. Wer als Dritter hinzukommt, ist niemand anders als der greise Haile Selassie, verkleidet als zerlumpter Bauer, beim vergeblichen Versuch, abermals ins Exil zu flüchten. Jetzt geschieht die große Verschmelzung. In Hailes Selassies verwirrtem Kopf verschmilzt er mit der Opernfigur des äthiopischen Königs Amonasro aus „Aida“. Und in Hiruts verwirrter Wahrnehmung verschmilzt der Kaiser mit seinem einstigen Schattenkönig, wird zu Minim, einem Nichts. Sie erkennt: Der eigentliche Schattenkönig ist das Kollektiv des äthiopischen Volks, das damals die Befreiung des Landes bewerkstelligte. Sie salutiert all diesen Schattenkönigen und begleitet den Kaiser, den lebenden Mythos, zum Palast zurück. Wo, wie der Leser, aber nicht der Roman weiß, ein Polster auf ihn wartet.
Maaza Mengistes realitätsenthobene Romanphantasie wirkt wie aus der Zeit gefallen. Vor dem Hintergrund des neuen Bürgerkriegs, den der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed, Friedensnobelpreisträger und entlarvter Gewaltherrscher, derzeit gegen die aufständische Provinz Tigray führt, erst recht.
Der Kaiser sei eine Legende, sagt
Mengiste, deswegen könne sie ihn
als Romanfigur ausfantasieren
Es gibt den italienischen
Bösewicht und seine Gegenfigur,
der für Zerrissenheit steht
Oben Haile Selassie, der 1935 von der Veranda des Hauses eines schwedischen Generalstabsoffiziers die Übungen der Offiziersanwärter beobachtet. Unten eine abessinische Eliteeinheit.
Fotos: Scherl/SZPhoto
Maaza Mengiste:
Der Schattenkönig.
Roman. Aus dem
Englischen von
Brigitte Jakobeit.
dtv, München 2021.
576 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Mengiste erzählt ihre Geschichte des Abessinien-Krieges bildgewaltig und in atemlosem Tempo. Julia Raabe Die Presse am Sonntag 20211017