England 1573:
Sie weiß, dass am Morgen zuerst die Amsel singt, dann das Rotkehlchen und dann der Zaunkönig. Sie hat Arme, stark wie Äste und Beine, die bis ans Ende der Welt laufen können. Aber die Welt der jungen Ellyn beschränkt sich auf den kleinen Hof ihrer Familie, auf die Kühe, die sie
melken muss und die harte Arbeit. Ihr Vater ist seit einem Sturz gelähmt, ihr Bruder traktiert sie und…mehrEngland 1573:
Sie weiß, dass am Morgen zuerst die Amsel singt, dann das Rotkehlchen und dann der Zaunkönig. Sie hat Arme, stark wie Äste und Beine, die bis ans Ende der Welt laufen können. Aber die Welt der jungen Ellyn beschränkt sich auf den kleinen Hof ihrer Familie, auf die Kühe, die sie melken muss und die harte Arbeit. Ihr Vater ist seit einem Sturz gelähmt, ihr Bruder traktiert sie und ihre Mutter erlaubt sich fast kein Selbst mehr, da allein die Verantwortung für die Familie hat. Ellyns Lichtblick ist ihre neugeborene Schwester Agnes, die sie sich sehr gewünscht hat und der sie zeigen möchte, dass auch Mädchen wertvoll und besonders sind.
Ellyns enge Welt erweitert sich als sie eines Tages beim Besuch des Marktes den Pfarrer in der Kirche singen hört. Sie weiß, dass auch sie singen muss, ganz erfüllt ist sie von diesem Wunsch. Und tatsächlich hat Ellyn auch großes Talent, so dass einige Dorfbewohner es bedauern, dass sie kein Junge ist, da sie sonst die Singschule der Kirche besuchen könnte.
Ellyn fasst einen Entschluss. Sie verlässt ihr Zuhause, schneidet sich die Haare kurz und zieht die Kleidung ihres Bruders an. In der Singschule stellt sie sich als John Pitcher vor und wird angenommen. Ihr Gesang verzaubert alle, doch ihr Geheimnis darf nicht auffliegen, denn Ellyn kann ihren Traum nur leben, wenn sie ihr Geschlecht verleugnet.
Auf wunderbare Art gelingt es Nell Leyshon wieder einmal, ihre ungewöhnliche Heldin lebendig werden zu lassen. Ellyns Sprache ist am Anfang des Buches sehr reduziert, ihr fehlt es an Wortschatz, es gibt keine Interpunktion und keine Groß- und Kleinschreibung.
Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen spricht aus jedem ihrer Sätze ihre Stärke, ihre Entschlossenheit. Ihr ganz eigener Blick auf die Welt wird deutlich.
„ich will nicht, dass du angst hast denn ich bin deine schwester und so eine schwester hats noch nie gegeben so ein mädchen hats noch nie gegeben dass ihr körper hart und ihr geist noch härter“
Im Verlauf der Geschichte passt sich Ellyns Sprache der Norm an, so wie sich auch ihr Horizont erweitert. Doch ihre tiefsten inneren Überzeugungen bleiben die gleichen.
„Ich, Ellyn“ ist für mich ein wunderbar hoffnungsvolles Gegenstück zu Leyshons „Die Farbe von Milch“. Ich habe mich gefreut, über eine weibliche Hauptfigur im sechzehnten Jahrhundert zu lesen, die nicht in einer Opferrolle gefangen ist, auch wenn Ellyn sich dazu als Mann verkleiden muss. Aber sie wächst innerhalb der Geschichte, reflektiert ihre Situation und hat viele kluge Gedanken, die ihr niemand nehmen kann. Gut gefallen hat es mir auch, dass historische Elemente in die Geschichte eingeflossen sind, so hat zum Beispiel Elisabeth I ein Cameo. Eine große Empfehlung für diesen Roman.