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Lesendes Federvieh
Wohnort: 
München
Über mich: 
Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 23.09.2023
Muss ich das gelesen haben?
Reichl, Teresa

Muss ich das gelesen haben?


ausgezeichnet

Teresa Reichl hat genug vom Patriarchat in der Literatur, die an Diversität schmerzlich missen lässt. Mit Basics zur Literaturgeschichte, einem fundierten Alternativ-Kanon und geballtem Wissen nimmt sie sich der sich unweigerlich aufdrängenden Fragestellung „Muss ich das gelesen haben?“ an und tritt damit eine längst überfällige Literaturrevolte los.

Meine Antwort darauf: JA! Dieses Buch unbedingt und je früher, desto besser!

Denn darin thematisiert Teresa Reichl nicht nur die unterschiedlichen Facetten der Literaturgeschichte sowie den damit einhergehenden gesellschaftlichen Strukturen im Wandel, sondern plädiert gleichermaßen für mehr Offenheit, Diversität und Vielfalt.

Spritzig, modern, schnörkellos, auf absolut charmante, humorvolle sowie kluge Art und Weise, noch dazu so herrlich auf den Punkt gebracht, zerpflückt sie antiquierte Ansichten und Denkweisen, wie sie im deutschsprachigen Raum hinsichtlich Literatur und Gesellschaft immer noch weit verbreitet sind. Getragen durch den lockeren Schreibstil, welcher durch witzige, freche und dadurch umso bereichernde Fußnoten noch verstärkt wird, weckt Teresa Reichl Neugier und Lust auf Literatur.

Zugleich ist es ein schillerndes Plädoyer für mehr Vielfalt in der Schulliteratur, indem äquivalent zum Facettenreichtum unserer Gesellschaft und ihrer multikulturellen Einflüsse neben altbekannten Klassikern auch Raum für zeitgenössische Stimmen und heterogene Perspektiven abseits weißer Cis-Männer gewährt werden sollte.

In jeder Zeile steckt pure Begeisterung für das geschriebene Wort, die kontagiös ist: Teresa Reichls unermüdliche Motivation junge Menschen für Literatur und das bereichernde wie horizonterweiternde Erlebnis Buch zu begeistern, bietet auch für bereits überzeugte Literaturbegeisterte neue, inspirierende Aspekte, um die alteingesessene Komfortzone zu verlassen und diversere Sichtweisen zu entdecken.

Für mich DAS Sachbuch der Saison für Literaturbegeisterte und diejenigen, die es werden möchten!

Bewertung vom 23.09.2023
Sonntags am Strand
Oetker, Alexander

Sonntags am Strand


sehr gut

Schon der Einstieg in dieses herrlich erfrischende Sommerbuch versetzte mich an den Strand zu Enzo und seinem Bagno noch bevor die ersten sonnenhungrigen Besucher die Stille und Ruhe durchbrechen. Ich konnte die ungetrübte Schönheit der Natur, das Glitzern des Meeres und das sanfte Meeresrauschen als erster Strandgast genießen. Stück für Stück trudelten die ersten Stammgäste ein und mit ihnen wundervolle, emotionale kleine Geschichten über das Leben und die Liebe.

Alle mit so viel Herzblut geschaffenen Figuren verleihen dem Roman eine solche Lebendigkeit, es war so als verfolgte man das Geschehen um Enzo, Giulia und Davide, Felice und Alberto, Signor Conte und all den anderen Besuchern direkt von der schattigen Strandliege aus. Ich hätte noch ewig weiterlesen können, so haben mich die liebenswerten Protagonisten in ihren Bann gezogen. Großartiges Sommerkopfkino mit Geschichten, die zu Herzen rühren und die Sehnsucht auf den nächsten Italienurlaub immer größer werden lässt.

Wunderschöne, kluge Geschichten eingebettet in ein idyllisches italienisches Bagno

Bewertung vom 23.09.2023
1964: Augen des Sturms
McCartney, Paul

1964: Augen des Sturms


ausgezeichnet

Welcher der unzähligen Beatles Fans wollte nicht schon einmal den Fab Four ganz nah sein? Mit diesem grandiosen Bildband von Paul McCartney höchstpersönlich wird dieser Traum ein Stück weit Wirklichkeit: 275 Fotografien, bis auf wenige Ausnahmen allesamt von Paul McCartney aufgenommen, zeigen die vier Ausnahmetalente locker, unbeobachtet, ungekünstelt und absolut natürlich in ihrem Alltag. Entstanden sind dabei unvergessliche, einmalige Einblicke in das Leben hinter den Kulissen kurz vor und während ihres großen Durchbruchs 1964 und der daraus resultierenden phänomenalen Beatlemania.

Seinen ganz besonderen Charme entfaltet dieser Bildband durch den Umstand, dass die Fotos nicht komplett durchgestylt sind. Sie sind vielmehr Ausdruck des Hier und Jetzt, spiegeln die jeweilige Situation in ihrer ungekünstelten Echtheit wider und zeigen Momentaufnahmen bekannter wie unbekannter Menschen im Jahre 1964.

Entstanden unter dem Aspekt einfach abzudrücken, um eine Erinnerung festzuhalten, mit Anekdoten und Anmerkung durch Paul McCartney selbst kommentiert verleiht es dieser Sammlung an besonderen wie gewöhnlichen Augenblicken eine ganz eigene Authentizität und Intimität.

Das wirklich Beeindruckende und Schöne an diesem „fotografischen“ Tagebuch ist vor allem, dass man dieses Stück Zeitgeschichte gleichzeitig mit den Augen des Fotografen und des Musikers Paul betrachtet. Hierdurch wird eine unglaubliche Nähe zur Band geschaffen, es ist beinahe so als ob man in einem eigenen, ganz persönlichen Fotoalbum blättern würde.

Für mich sind diese intimen Fotografien und feinsinnigen Betrachtungen ein absolutes Muss für jeden, der die Musik der Beatles liebt, aber auch für alle, die sich für Musikgeschichte interessieren – große Empfehlung!

Bewertung vom 23.09.2023
Das Schloss der Schriftsteller
Neumahr, Uwe

Das Schloss der Schriftsteller


sehr gut

Wie der Titel „Das Schloss der Schriftsteller“ schon andeutet, findet in diesem absolut lesenswerten Sachbuch die Betrachtung der Nürnberger Prozesse aus einer völlig anderen Perspektive statt. Denn nicht nur der Prozessablauf selbst wird detailliert und eindrücklich geschildert, es wird ein ebenso großes Augenmerk auf die Journalisten und Schriftsteller gelegt, die über das Prozessgeschehen berichten, einordnen, kommentieren und beurteilen.

Brillant und hervorragend recherchiert liefert Uwe Neumahr nicht nur ein spannendes Stück Zeitgeschichte, sondern gewährt obendrein einen ebenso interessanten, informativen Einblick in den Alltag im Pressecamp sowie die unterschiedliche Art und Weise der Berichterstattung. Diese ist geprägt von politischer Einstellung, Nationalität aber auch von Einzelschicksalen in Deutschland selbst bzw. im Exil.

In den einzelnen Kapiteln werden die Prozesseindrücke dieser hochkarätigen Journalisten und Schriftsteller ausführlich dargestellt und mit interessanten Details aus deren Biografien angereichert.

Gerade durch diese so unterschiedlichen Persönlichkeiten ist ein vielschichtiges, ungemein spannendes Gesamtbild dieses Prozesses, den politischen Bestrebungen der Besatzungsmächte sowie über die Deutschen und Deutschland vor und nach dem Krieg entstanden.

„Das Schloss der Schriftsteller“ bietet viel Stoff zum Nachdenken über die unmenschlichen Gräueltaten des Regimes, vor allem aber über das unbegreifliche Schweigen der Deutschen.

Bewertung vom 23.09.2023
Die Unvollständige
Bäuerlein, Valerie

Die Unvollständige


sehr gut

Ausgehend von einer einnehmenden wie ungewöhnlichen Initialszenerie – dem Suizid unmittelbar nach der Rückkehr von einer langen Reise – entfaltet Valerie Bäuerlein in ihrem Debütroman eine introspektive, elliptisch angehauchte und äußerst sprachgewaltige Erzählung über Entfremdung, die Diskrepanz von Erinnerungen und die Macht von Kunst.

Auf zwei Erzählsträngen begleiten wir einerseits die namenlose Ich-Erzählerin und Regisseurin, die durch Berlin mäandert, dabei versucht ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und sich zugleich eine Mitschuld am Tod Talas gibt, ist sie doch diejenige, die ihrer beider Potenzial nicht ausgeschöpft hat. Andererseits gibt es die eingestreuten Briefe der verstorbenen Schauspielerin Tala, die darin die Beobachtungen ihrer Reise ausgehend von Berlin über Russland nach Asien schildert. Neben der beeindruckenden Präzision sowie Tiefgründigkeit ihrer Beschreibungen ist es die umgekehrt chronologische Reihung, die hervorsticht und für einen besonderen Twist sorgt.

Dabei korreliert die Tiefe der Introspektion mit der Länge der Sätze, was zunächst fordert, doch sobald man sich auf deren ganz eigene Sprachmelodie und Raffinesse einlässt, entfaltet sich eine einnehmende Analyse der intrinsischen wie extrinsischen Unruhen unserer Zeit. Angesiedelt in der cineastischen Welt ist es geradezu, als würde man die Streifen einer Filmrolle betrachten, um diese beliebig vorzuspulen. Szenen der Gegenwart werden unterbrochen von Blicken in die nationalsozialistische Vergangenheit, abgelöst von Beschreibungen über die Ankunft von Talas Vater als griechischer Gastarbeiter oder die Flucht ihrer Mutter vor Irans Diktatur.

„Die Unvollständige“ ist eine feine literarische Perle von einem Debüt!

Bewertung vom 04.06.2023
Eine göttliche Jugend
Blöchl, Bernhard

Eine göttliche Jugend


sehr gut

Eddie ist ein liebenswerter Antiheld, der trotz aller Widerstände seinen Weg findet – immer durch Rat und Tat unterstützt von seiner bewundernswerten Oma Elfie. Was er alles auf diesem turbulenten Weg erlebt, erzählt Bernhard Blöchl so mitreißend, humorvoll und mit einer herrlichen Portion Nostalgie, sodass bereits nach wenigen Seiten ein bayerisches Roadmovie vom Allerfeinsten vor meinem inneren Auge flimmerte.

Dabei überzeugt es besonders mit den authentischen und liebenswerten Figuren, die den 80er/90er Jahre wieder Leben einhauchen, einer wunderbaren Sprache und herrlichen, klugen Dialogen, bei der der bayerische Dialekt natürlich nicht fehlen darf. Es gab immer wieder alte Ausdrücke zu entdecken, die ich schon ewig nicht mehr gehört hatte, was ich absolut großartig fand.

Dass Eddie ein riesiger Madonna Fan ist kommt nicht nur in seiner Geschichte zum Ausdruck, sondern auch in der Einteilung der Kapitel in Seite A und B von Kassette 1, die nur Songs von Madonna beinhalten und Kassette 2 Lieder von Oma Elfies Lieblingssänger Karel Gott. Somit ist die Handlung direkt mit dem perfekten Soundtrack unterlegt, welcher mich in meine eigene Jugend zurückversetzt hat, denn auch bei mir lief Madonna rauf und runter.

Es hat großen Spaß bereitet, Eddie ein Stück auf seinem Weg zum Erwachsenwerden mitsamt der Höhen und Tiefen zu begleiten!

Bewertung vom 07.05.2023
Honey & Spice
Babalola, Bolu

Honey & Spice


ausgezeichnet

Vor diesen ansteckenden Sommer-Vibes mit absoluter Feel-Good-Garantie ist niemand sicher! Bolu Babalolas „Honey & Spice“, übersetzt von Ursula C. Sturm, liest sich wie ein süffiger, fruchtig prickelnder Cocktail, dessen honigsüße Fake-Dating-College-Lovestory-Basis mit spritzigen Dialogen, smarten Protagonisten und erfrischendem Female Empowerment zu einer süchtigmachenden Geschmacksexplosion wird.

Ebenso natürlich wie gewöhnliche Menschen atmen, feuert Kiki Banjo ein Feuerwerk an scharfzüngigen, frechen und zugleich superwitzigen Kommentaren ab, kaum dass ein Wort situationsunabhängig ihren Mund verlässt. Ich war gleichermaßen sprachlos wie beeindruckt von ihrer Schlagfertigkeit, mit welcher sie zuweilen haarscharf an der Grenze zur Überheblichkeit kratzt ohne diese jedoch zu überschreiten. Besonders genial wird es, als Kiki in Malakai unverhofft einen ebenbürtigen Gegenpol findet, was Witz, Einfallsreichtum und Ehrgeiz angeht. Denn die sich daraus entwickelnden herrlich amüsanten Schlagabtausche sprühen nur so vor Scharfsinn, prickelnder Anziehung und unvergleichlichem Charme.

„Honey & Spice“ ist jedoch mehr als eine mitreißende College-RomCom aus einer starken weiblichen Perspektive: es beleuchtet vielmehr die Wichtigkeit von Freundschaft und Zusammenhalt innerhalb der Schwarzen Community und darüber hinaus.

Bewertung vom 06.05.2023
Second-Class Citizen: Der Klassiker der Schwarzen feministischen Literatur
Emecheta, Buchi

Second-Class Citizen: Der Klassiker der Schwarzen feministischen Literatur


ausgezeichnet

Unbeirrt und mit einer unglaublichen Stärke und Durchhaltevermögen kämpft sie gegen unendlich viele Hindernisse an. Dieses großartige Porträt einer außergewöhnlichen Frau, die versucht im England der 1960er Jahre akzeptiert zu werden und für sich und ihre Kinder ein ganz normales Leben aufzubauen, hat mich von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen.

Adah ist nicht nur permanent Rassismus ausgesetzt, sie hat unter diesen katastrophalen Bedingungen die Mühen und die Verantwortung als Alleinverdienerin für ihre Familie zu tragen. „Nebenbei“ bringt sie fünf Kinder zur Welt, die ihr Ein und Alles sind. Auf ihren Ehemann kann sie sich dabei nicht verlassen, denn dieser zeichnet sich durch Nichtstun und Rücksichtslosigkeit aus. Die Kluft zwischen den beiden wird durch den Konflikt zwischen nigerianischen Traditionen und modernem, offenem europäischen Leben im Laufe der Zeit immer größer und größer. Doch Adah ist eine Kämpfernatur und schafft es mit eisernem Willen und großem persönlichen Einsatz ihre Ziele, auch als Schriftstellerin zu erreichen. Adah ist geradlinig, direkt, warmherzig und genau so ist auch die wundervolle Sprache dieses Romans.

Sie ist ein absolutes Vorbild, denn sie lässt sich nicht verbiegen und hält an ihren Träumen fest, wie die wundervolle Autorin Buchi Emecheta (1944 - 2017), die in diesem Buch ihre eigenen Erlebnisse und Erfahrungen verarbeitet hat. Sie hat damit einen herausragenden, leuchtenden Meilenstein gegen Diskriminierung, Rassismus und Klassengesellschaft gesetzt, der gerade heute, so viele Jahre später, immer noch außerordentlich wichtig ist, um die Gesellschaft endlich zum Umdenken zu bewegen.

Bewertung vom 06.05.2023
Das kleine Bücherdorf: Frühlingsfunkeln / Das schottische Bücherdorf Bd.2
Herzog, Katharina

Das kleine Bücherdorf: Frühlingsfunkeln / Das schottische Bücherdorf Bd.2


sehr gut

Das kleine Bücherdorf geht in die zweite Runde! Schwups war ich wieder im schottischen Swinton-on-Sea, wo ich mich über ein absolut lesenswertes, kurzweiliges Wiedersehen mit all seinen liebenswerten, einzigartigen Bewohnern freuen konnte.

Diesmal stehen die toughe, manchmal ruppige Shona und ihr Freund Nate aus Jugendtagen, der es mittlerweile zum gefeierten Schriftsteller gebracht hat, im Mittelpunkt der Handlung. Die beiden bildeten zusammen mit Alfie ein unzertrennliches Freundesteam, bis Alfie tödlich verunglückte. Von diesem Zeitpunkt an war nichts mehr wie es war. Sowohl Shona als auch Nate kämpfen immer noch mit diesem großen Verlust, ihren Schuldgefühlen und den unwegsamen Biegungen des Lebens.

Shona führt mittlerweile ein gut gehendes Café in Swinton, das für seine ausgezeichneten Cupcakes bekannt ist und betreibt heimlich einen Blog, in dem sie Briefe veröffentlicht, die nie abgeschickt wurden. Einer davon, ein Brief an ihren verstorbenen Freund Alfie, ist von Shona selbst.

Nathan Wood, Bestsellerautor, Drogen und Alkohol nicht abgeneigt, zieht es nach turbulenten Jahren in Edinburgh wieder zurück in sein Heimatdorf. Er kämpft mit einer Schreibblockade und auch sonst gibt es noch wichtige Dinge für ihn und Shona zu klären.

Feinfühlig und dennoch spannend und unterhaltsam erzählt Katharina Herzog diesmal von den Schattenseiten des Lebens und wie man es schafft wieder Sonnenstrahlen hereinzulassen. Von Satz zu Satz, von Zeile zu Zeile hat es mir mehr Freude bereitet Shona und Nate auf ihrem gemeinsamen, oft beschwerlichen, aber auch mit Glücksmomenten und Erfolgen gezeichneten Weg zu begleiten.

Mit „Frühlingsfunkeln“ ist Katharina Herzog eine bewegende, emotionale und einfach schön zu lesende Fortsetzung dieser Buchreihe gelungen. Ich bin schon gespannt, wessen Geschichte in Teil drei „Herbstleuchten“ im Fokus strahlen wird.

Bewertung vom 03.05.2023
Helenes Stimme
Jellings, Sanne

Helenes Stimme


ausgezeichnet

Sanne Jellings schildert in diesem hochemotionalen Roman über eine der Mütter der deutschen Emanzipation und Reformerin des Bildungswesens den Alltag im Pfarrhaushalt in authentischen Bildern und sprachlich genau in diese Zeit passend, so detailliert, dass der Tagesablauf, die gesellschaftlichen Konventionen allgemein und insbesondere die der Frauen in jeder Zeile erfahrbar werden.

Das Zusammenspiel der einzelnen Figuren ergibt ein ernüchterndes Bild über die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert. Gerade durch die tatkräftige und kämpferische Helene auf der einen und die feinfühlige, scheue Marie auf der anderen Seite, deren fiktives Schicksal auf erschütternde Weise die untergeordnete Rolle der Frauen widerspiegelt, ihre Geringschätzung von Seiten der Männer beleuchtet und sichtbar macht, dass die weibliche Meinung überhaupt nichts gilt.

All das ergibt ein beeindruckendes, erschreckendes, wütend und sprachlos machendes Bild der Frau in der Gesellschaft und hier im Besonderen in einem dörflichen Umfeld. Mit jedem Wort, jedem Satz ist mein Zorn über das Patriarchat, die überhebliche Selbstverständlichkeit intelligenter und schlichtweg besser zu sein als Frauen, gestiegen.

Sanne Jellings hat das Korsett der gesellschaftlichen Konventionen so trefflich seziert und dargestellt, ich konnte an manchen Stellen über den Umgang mit Frauen nur den Kopf schütteln, verstand aber dadurch viel besser, warum Helene so vehement für Bildung eintrat und ihr Leben lang dafür kämpfte.