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Lesendes Federvieh
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München
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Hinter dem Namen Lesendes Federvieh verbirgt sich das Blogger-Duo kathiduck und Zwerghuhn. Wir lesen querbeet alles, was uns zwischen die Finger kommt und veröffentlichen die Rezensionen dazu auf unserem Blog (lesendes-federvieh.de). Dort gibt es übrigens noch viele weitere Beiträge rund ums Thema Buch. :)

Bewertungen

Insgesamt 539 Bewertungen
Bewertung vom 07.12.2022
Dry
Koschmieder, Christine

Dry


ausgezeichnet

"Dieses Buch ist eine Mutprobe" - Auszug Klappentext

Ich finde es ist noch viel mehr. Es ist ein Porträt einer außergewöhnlich mutigen und starken Frau, die niederschmetternde Schicksalsschläge zu verkraften hatte, für ihre kleinen Kinder stark sein und auch noch im Job ihre Frau stehen musste. Es unter dieser enormen Belastung aus eigenem Antrieb zu schaffen sich dem eigenen Ich zu stellen und professionelle Hilfe zu holen, um vom Alkohol wegzukommen, ist wirklich bewundernswert.

Christine Koschmieder setzt sich in ihrem so persönlichen Roman mit ihrem bisherigen Lebensweg auseinander, um sichtbar zu machen wie tief die Gründe liegen, die zu ihrer Alkoholabhängigkeit führten. Das alles erzählt sie offen, berührend und so direkt, dass die Traurigkeit in manchen Passagen sehr schwer auszuhalten war. Trotzdem schafft sie es immer wieder Licht ins Dunkel zu bringen und ein Stückchen Optimismus aufblitzen zu lassen.

Besonders bewegt hat mich an diesem Buch auch wie selbstverständlich Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft verankert ist und es zunächst überhaupt nicht auffällt, wenn der Alkohol den Alltag fest im Griff hat. Solange man funktioniert, wird nicht näher hingeschaut.

Dry ist das dritte Buch, das ich aus dem Programm des erst 2021 gegründeten Kanon Verlags lese und wieder bin ich von der Intensität und Wucht die diese Geschichte ausstrahlt vollkommen begeistert. Für mich ist der Kanon Verlag mittlerweile ein Garant für außergewöhnliche und ganz tolle Romane geworden.

Bewertung vom 07.12.2022
An den Ufern von Stellata
Raimondi, Daniela

An den Ufern von Stellata


sehr gut

Dieses Buch ist ein Schwergewicht und das nicht nur wegen seiner 512 Seiten. Es ist ein opulentes, absolut lesenswertes, berührendes, aufregendes und spannendes Familienepos, das knapp 200 Jahre Familiengeschichte beinhaltet. Dabei erzählt Daniela Raimondi nicht nur von den Schicksalen der einzelnen Familienmitglieder, sie verflechtet die großen Wendepunkte europäischer und hier im speziellen italienischer Geschichte gekonnt miteinander, sodass ein unglaublich intensives und emotionales Leseerlebnis entsteht. Zudem sind alle Schauplätze und historischen Ereignisse und auch die herrlich lebendig wirkenden Figuren so präzise, detailliert und bildgewaltig geschaffen, gefühlt war ich in Stellata dabei.

So konnte ich die Casadios auf ihren oftmals steinigen Lebenswegen zwischen erschütternder wirtschaftlicher Not, Kriegs-und Friedenszeiten, aber auch Zeiten des Glücks und Wohlbefindens hautnah begleiten.

Daniela Raimondi ist mit ihrem Debütroman eine großartige literarische, mit mystischen Elementen angereicherte Reise zu den Mitgliedern der Familie Casadio gelungen. Wer gerne Familiengeschichten eingebettet in historische Gegebenheiten liest, für den ist dieser atmosphärische, angenehm flüssig zu lesende Roman sehr zu empfehlen.

Bewertung vom 07.12.2022
Gleich unter der Haut
Obermanns, Berthe

Gleich unter der Haut


ausgezeichnet

"Ich gehe ihr entgegen, habe Angst, dass sie springen könnte – weil sie so furchtlos wirkt oder so, als hätte sie nichts zu verlieren." (S. 39)

Sie, das ist Lou, die ungewöhnliche junge Frau, die Niklas mitten in der Nacht auf der Straße kennenlernt. Lou, die ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht und für die er bei eisigen Temperaturen vor dem Supermarkt ausharrt, um sie wiederzufinden. Er fühlt sich zu ihr hingezogen, denn in ihrer Gegenwart verliert die Trauer um seine verstorbenen Eltern an Schärfe. Die Eintönigkeit seines Alltags wird durch zarte Farbnuancen aufgehellt, während die Überforderung bedingt durch die Pflege seiner demenzkranken Großmutter in den Hintergrund rückt.

Was wie eine tragische Liebesgeschichte zweier verlorener Seelen anmutet, deren Einsamkeit sich in der Weihnachtszeit potenziert, ist zugleich die verzweifelte Suche nach sich selbst im Angesicht der scheinbar unüberwindbaren inneren Zerrissenheit.

"Sie lacht laut und leidet leise." (S. 180)

Jener Konflikt zwischen wimpernschlagartigem Changieren zwischen Nähe und Distanz vor dem Hintergrund von Traumatisierung und Selbstverletzung spiegelt sich auch in der von Antithesen durchsetzen, schmerzhaft schönen Sprache wider. Berthe Obermanns Debütroman folgt dabei einer ganz eigenen Melodie, die von beeindruckender sprachlicher Versatilität getragen wird. Mit zarten Pinselstrichen tanzen die Worte geradezu über die Seiten, mal in trauriger Bedächtigkeit langsam und behutsam, dann wiederrum simultan zu den emotionalen Ausbrüchen in Form eines rapide anschwellenden Crescendos, das jedoch ähnlich schnell zu einem steten, regelmäßigen Rhythmus zweier Seelen im Einklang abklingt.

Über Verzweiflung, Schmerz, Trauer und Überforderung sind die beiden miteinander verbunden, ihre inneren Kämpfe fechten sie jedoch alleine aus. All das erlebt man hautnah mit engem Fokus auf Niklas Sichtweise mit, welcher sich in seltenen, gelegentlich eingestreuten Passagen zu Lous Perspektive verschiebt.

Bereits nach den ersten Sätzen war mir klar, dass „Gleich unter der Haut“ ein sprachlich grandioses versatiles Debüt ist, doch es war letztlich der perfekte Einklang aus Berthe Obermanns ganz eigenem Erzählton mit Wiedererkennungswert, emotionaler Entwicklung sowie der Fülle an notierenswürdigen Stellen, das mich nachhaltig beeindruckt hat.

Bewertung vom 24.10.2022
Lügen über meine Mutter
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Offen und voller Empathie schildert Daniela Dröscher aus Sicht der kleinen Tochter Ela ein Familienleben in den 80iger Jahren in einem kleinen Dorf im Hunsrück, das geprägt ist von einem ständigen Gegeneinander der Eltern. Der zentrale Streitpunkt: das Übergewicht der Mutter. Das eigene Versagen auf sie projizierend, kommandiert der Vater seine Frau herum, bemängelt ihre Körperfülle und Nicht-Vorzeigbarkeit, dabei vollkommen übersehend, wie sehr sie den Alltag managt und ihm den Rücken freihält.

Trotz der schmerzlichen Intensität und der aufwühlenden Eindringlichkeit konnte ich mich mit der kleinen Ela mitfiebernd nicht von den Seiten dieses grandiosen, vollkommen zurecht für den diesjährigen Deutschen Buchpreis sowie den Preis "Lieblingsbuch der Unabhängigen" , nominierten Romans lösen. Manchmal packte mich eine rasende Wut, einerseits, wie man einen anderen Menschen derart herablassend behandeln kann und damit zugleich eine Kindheit nachhaltig belastet, andererseits fiel es mir aber auch sehr schwer nachzuvollziehen, weshalb die Mutter unter diesen Umständen - Konventionen hin oder her - so lange an ihrer Ehe festhält.

Ursächlich für meine emotionalen Erregungszustände waren die lebendigwerdenden Beschreibungen Elas: die angestaubten Prinzipien in den 80iger Jahren, die Enge im Dorf, den Dialekt und vor allem die ständige latente Spannung im Zusammenleben, die mir an manchen Stellen den Atem raubte. Ich konnte ihre Zweifel und ihre Überforderung ebenso spüren wie ihre Bemühungen und Angst alles richtig zu machen.

Bewertung vom 16.09.2022
No Flames too wild / Love Down Under Bd.1
Bilinszki, Nina

No Flames too wild / Love Down Under Bd.1


ausgezeichnet

Achtung Fernwehalarm! Am liebsten hätte ich direkt meinen Koffer gepackt und wäre in den nächsten Flieger nach Australien gestiegen, um mich Isabel und Sophie bei ihrer Work and Travel Reise anzuschließen, die sie nach einem eher holprigen Start in Melbourne in ein Koala Reservat in die Küstenstadt Eden führt.

Dort wird Isabel durch die tägliche Arbeit im Reservat nicht nur mit ihrer Angst vor Tieren konfrontiert und lernt ihren verstorbenen australischen Vater über Land und Leute näher kennen, sondern findet mit Liam, dessen Eltern das Koala-Reservat betreiben, ihren Gegenpol. Zusätzlich zur großartigen Chemie zwischen den beiden, bei der anfänglich ziemlich die Fetzen fliegen, mochte ich die Lebendigkeit und zumeist Herzlichkeit der Nebencharaktere unglaublich gerne. Ein weiterer Pluspunkt ist die natürliche Selbstverständlichkeit, mit der sich einige LGBTQ+ Charaktere in der Erzählung widerfinden ohne diesen Umstand ausführlich zu thematisieren.

Neben dem locker, leichten Schreibstil, der mich auf diese erholsame Urlaubsreise entführt hat, hat mich besonders die Aufklärungsarbeit über die Gefährdung von Koalas begeistert, die Nina Bilinszki perfekt dosiert in die Geschichte einfließen lässt. Denn Buschbrände und die stetige Abholzung der Wälder schränken nicht nur den Lebensraum ein, sondern sorgen auch für Nahrungsmittelknappheit, da nur die wenigsten Eukalyptussorten auch wirklich für Koalas geeignet sind – was mir zuvor nicht bewusst war.

Dank „No Flames too wild“ konnte ich für einige Stunden dem stressigen Alltag entfliehen und mich auf eine herzerwärmende Reise in die kleine australische Küstenstadt Eden begeben, die voller liebenswerter Menschen und Erinnerungen, jeder Menge Herzschmerz sowie lehrreichen Koala-Facts steckt und doch viel zu schnell vorbei ist.

Bewertung vom 12.09.2022
Detektiv Kranich
Alexander, Arno

Detektiv Kranich


sehr gut

Im Jaron Verlag ist mit der Berlin-Bibliothek eine neue Belletristik-Reihe von Literatur über und aus Berlin entstanden, die über die Jahre in Vergessenheit geraten ist. Mit dabei ist der absolut lesenswerte spritzige und witzige Kriminalroman „Detektiv Kranich“ von Arno Alexander aus dem Jahr 1932. Im Original ist er unter dem Titel "Die Viper" erschienen.

Der Schauplatz der Geschichte ist das pulsierende Berlin zu Beginn der 1930iger Jahre, der ideale Ort für Detektiv Kranich um einen undurchsichtigen und komplizierten Fall zu lösen. Mit Kranich hat dabei eine schillernde, sehr spezielle und so herrlich erfrischend andere Ermittlerfigur die Lesebühne betreten. Vorlaut, jung, ausgestattet mit einem überbordenden Selbstbewusstsein und einem ausgeprägten Riecher zum Lösen komplizierter Fälle, was man ihm eigentlich nicht so recht zutraut. All diese Charaktereigenschaften lassen ihn zuweilen als echte Nervensäge erscheinen. Und genau das macht das so Einzigartige an diesem Krimi aus. Eine Figur, die nicht der Norm entspricht und mehr durch Glück oder Zufall den Fall lösen kann. Wie es im sehr interessanten Nachwort Mirko Schädel perfekt in unsere Zeit überträgt und Kranich mit Professor Boerne aus dem Münsteraner Tatort vergleicht. Parallelen sind durchaus erkennbar und führen auch bei Kranich zum Erfolg.

Neben diesem genialen und unkonventionellen Detektiv besticht die rasante Handlung durch immer neue, nicht vorhersehbare Wendungen, einem mitreißenden Schreibstil und lockeren, ungezwungenen Dialogen, die dem Roman eine unglaubliche Lebendigkeit verleihen. Zudem sind alle Figuren mit ihren Eigenheiten, Stärken und Schwächen realistisch und absolut authentisch skizziert.

Es hat mir angenehme und kurzweilige Lesestunden bereitet diesen außergewöhnlichen, nostalgischen und sehr unterhaltsamen Kriminalroman zu lesen.

Bewertung vom 12.09.2022
Marilyn und die Sterne von Hollywood / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.22
Beinert, Claudia;Beinert, Nadja

Marilyn und die Sterne von Hollywood / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.22


ausgezeichnet

Claudia und Nadja Beinert haben ein lockeres, sehr unterhaltsames Romanporträt Marilyn Monroes von ihrer entbehrungsreichen Kindheit und Jugend bis zum ersten Vertrag als Schauspielerin geschaffen. Dabei haben sie die präzise recherchierten historischen Fakten mit absolut gelungenen fiktiven Elementen verknüpft.

Marilyns Geschichte, die wie ich finde, selbst filmreif ist, ist so fesselnd und mitreißend und in tollen Bildern erzählt, ich war sofort mitten im Geschehen dabei. Seite um Seite verflog im Nu - und das bei 474 Seiten. Die junge Norma Jean wurde wieder lebendig. Ich konnte ihre Verletzlichkeit, ihre Verlassensängste, ihre Herzenswärme ebenso spüren wie ihren Gerechtigkeitssinn und ihren unbändigen Willen in Hollywood Fuß zu fassen.

Neben ihrem emotionalen und gleichzeitig spannenden Werdegang erfährt man auch viel über die verstaubte und eingeschränkte Rolle der Frau im prüden Amerika der 1940 iger und 1950 iger Jahre. Die Vorstellung für viele Entscheidungen um die Erlaubnis des Ehemannes zu bitten, wie etwa einen Beruf ausüben zu dürfen, ist unvorstellbar.

So also könnte ihr Leben verlaufen sein, noch bevor sich Norma Jean Baker bzw. Dougherty in den bekanntesten Filmstar aller Zeiten, Marilyn Monroe verwandelte. Die beiden Autorinnen haben diese Geschichte wunderbar leicht und fluffig erzählt, es hat mit große Freude bereitet Norma ein Stückchen zu begleiten.

Bewertung vom 12.09.2022
Ein Tod für ein Leben
Pavicic, Jurica

Ein Tod für ein Leben


ausgezeichnet

Was passiert, wenn man mit einer falschen Entscheidung den eigenen Lebensweg in eine Sackgasse lenkt? Und wie geht man damit um? Welche Kettenreaktion wird dadurch ausgelöst und wie geht man mit Schuld und Sühne um? Mit all diesen Fragen beschäftigt sich Jurica Pavičić in seinem absolut beeindruckenden Roman „Ein Tod für ein Leben“.

Dazu nimmt er den Leser als stillen Beobachter mit zu Bruna, die genau diese eine falsche Entscheidung getroffen hat und damit zur Giftmörderin wurde. „Ein Tod für ein Leben“ ist aber nicht nur ein spannender Kriminalfall, sondern gibt ebenso Einblicke in den Wandel der kroatischen Gesellschaft und der Rolle der Frauen.

Diese psychologisch brillant aufgebaute und messerscharfe Analyse einer Frau, die im Ausnahmezustand zur Mörderin wurde, hallt in meinen Gedanken immer noch nach. Denn Jurica Pavičić fächert Brunas Lebensweg präzise und in leisen Tönen geradezu nüchtern auf - und gerade diese Art des Erzählens verleiht diesem Roman seine ganz besondere Faszination. Brunas Gedanken und Gefühle sind so gut beschrieben, man schlüpft beim Lesen regelrecht in ihre Rolle und kann sich dem Geschehen um Bruna nicht entziehen. Von der ersten Seite an begleitet man ihren steinigen Weg bis hin zu einem neuen Leben, in dem sie nach allem ihren Platz gefunden zu haben scheint.

Ich bin begeistert von diesem großartigen, in ruhigen Bildern und einer klaren, poetischen Sprache erzählten Roman. Wer kluge, gehaltvolle und sprachlich brillante Geschichten liebt, ist bei diesem literarischen Sahnestückchen genau richtig.

Bewertung vom 12.09.2022
Danke, Afrika! Was ich zwischen Dschibuti und Marokko fürs Leben lernte.
Wendt, Lena

Danke, Afrika! Was ich zwischen Dschibuti und Marokko fürs Leben lernte.


sehr gut

Afrika pur, genau dieses Gefühl hatte ich beim Lesen dieses wunderbaren Reiseberichtes. Lena Wendt schafft es mit viel Feingefühl, erfrischend ehrlich und ohne etwas zu beschönigen die ganz besondere Atmosphäre, die atemberaubenden Landschaften und die Aufgeschlossenheit der Menschen einzufangen.

Mit Fotos von außergewöhnlichen Begegnungen, wichtigen Menschen und grandiosen Landschaften leitet sie jedes Kapitel ein und gerade das schafft eine wunderbare Nähe zu ihren Berichten. Ich konnte mich mit diesen Bildern im Kopf so voll und ganz und voller Erwartungsfreude auf jeden einzelnen Bericht einlassen. Durch den lockeren, lässigen und absolut mitreißenden Schreibstil von Lena Wendt ist man von der ersten Seite an als stiller Reisebegleiter mit dabei. Sie schildert die Schönheit und Vielfältigkeit Afrikas ebenso eindrücklich, wie die Herzlichkeit und Wärme der Menschen dort. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und das bedeutet natürlich auch, dass sie auch negative Aspekte nicht auslässt. Dadurch entsteht ein lebendiges, authentisches und interessantes Porträt Afrikas über Jahre hinweg.

Sie vermittelt so nicht nur ein Stück afrikanischer Kultur und Lebensweise sondern bietet auch genügend Stoff, um einmal gründlich über unsere Gesellschaft nachzudenken. Einfach mal über den eigenen Tellerrand hinwegzusehen und auch eine andere Sicht der Dinge gelten zu lassen.

Der Untertitel des Buches „Was ich zwischen Dschibuti und Marokko fürs Leben lernte“ trifft auch ein bisschen auf mich als begeisterte Leserin dieser Geschichten zu, denn durch die Begegnungen und Schicksale in den unterschiedlichsten Ländern lernt man das Herz Afrikas jenseits der Touristenwege kennen und schätzen. Danke, Lena!

Bewertung vom 12.09.2022
Miss Dior
Picardie, Justine

Miss Dior


ausgezeichnet

Justine Picardie (übersetzt von Helmut Ettinger) hat mit ihrer brillanten „Geschichte von Courage und Couture“ ein Stück dunkelster Zeitgeschichte in den Fokus gestellt, das ich zuvor so noch nicht gelesen habe. Auf den ersten Blick scheint es sich „nur“ um eine Biografie von Catherine Dior, der jüngeren Schwester des berühmten Modeschöpfers Christian Dior zu handeln. Doch dieses Buchjuwel bietet darüber hinaus sehr schnell so viel mehr.

Es ist auf der einen Seite eine bis ins kleinste Detail hervorragend recherchierte Arbeit über die Résistance, der Catherine angehörte und als deren Mitglied sie von der Gestapo ins Konzentrationslager verschleppt wird. Ausführlich beleuchtet die Autorin dabei nicht nur das Schicksal Catherines im KZ sondern auch das anderer Frauen der Widerstandsbewegung, deren Erinnerungen Zeitdokumente von unschätzbarem Wert darstellen.

Justine Picardie hält sich dabei wirklich genau an die Realität und das bedeutet, die unvorstellbaren Gräueltaten werden auch konkret benannt. Das ist keine leichte Kost, aber notwendig, um diesen Wahnsinn nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Auf der anderen Seite ist dieses Buch ein nicht weniger interessantes Porträt der Pariser Gesellschaft und der Haute Couture in äußerst schwierigen Zeiten. Auch hier wurden die historischen Fakten mit großer Präzision zusammengetragen und fesselnd erzählt, sodass ich förmlich hautnah am Schauplatz des Geschehens war.

„Miss Dior“ ist für mich ein absolutes Lesehighlight 2022, denn es erzählt nicht nur die Geschichte von Catherine und mit ihr verbunden natürlich auch diejenige von Christian Dior und der Modewelt. Sondern auch die der französischen Widerstandsbewegung mit jeglichen Konsequenzen. Dies alles verknüpft Justine Picardie mit viel Fingerspitzengefühl, Herzblut und Begeisterung, die ansteckend ist. Ganz große Empfehlung!