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Der Roman der Bachmann-Preisträgerin von 2019: Humorvoll und empathisch erzählt Birgit Birnbacher vom jungen Arthur, der nach seiner Zeit im Gefängnis nur schwer eine neue Chance bekommt.Arthur, 22, still und intelligent, hat 26 Monate im Gefängnis verbracht. Endlich wieder in Freiheit stellt er fest, dass er so leicht keine neue Chance bekommt. Ohne die passenden Papiere und Zeugnisse lässt man ihn nicht zurück ins richtige Leben. Gemeinsam mit seinem unkonventionellen Therapeuten Börd und seiner glamourösen Ersatzmutter Grazetta schmiedet er deshalb einen ausgefuchsten Plan. Eine kle...
Der Roman der Bachmann-Preisträgerin von 2019: Humorvoll und empathisch erzählt Birgit Birnbacher vom jungen Arthur, der nach seiner Zeit im Gefängnis nur schwer eine neue Chance bekommt.Arthur, 22, still und intelligent, hat 26 Monate im Gefängnis verbracht. Endlich wieder in Freiheit stellt er fest, dass er so leicht keine neue Chance bekommt. Ohne die passenden Papiere und Zeugnisse lässt man ihn nicht zurück ins richtige Leben. Gemeinsam mit seinem unkonventionellen Therapeuten Börd und seiner glamourösen Ersatzmutter Grazetta schmiedet er deshalb einen ausgefuchsten Plan. Eine kleine Lüge, die die große Freiheit bringen könnte ... Humorvoll und empathisch erzählt Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher davon, wie einer wie Arthur überhaupt im Gefängnis landen kann, und geht der großen Frage nach, was ein "nützliches" Leben ausmacht.
Birgit Birnbacher, geboren 1985, lebt als Schriftstellerin in Salzburg. Ihr Debütroman 'Wir ohne Wal' (2016) wurde mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto Stiftung ausgezeichnet, darüber hinaus erhielt sie zahlreiche Förderpreise und 2019 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Bei Zsolnay erschienen zuletzt die Romane 'Ich an meiner Seite' (2020) und 'Wovon wir leben' (2023).
Produktdetails
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- Artikelnr. des Verlages: 551/05988
- 5. Aufl.
- Seitenzahl: 272
- Erscheinungstermin: 9. März 2020
- Deutsch
- Abmessung: 208mm x 131mm x 30mm
- Gewicht: 382g
- ISBN-13: 9783552059887
- ISBN-10: 3552059881
- Artikelnr.: 57897593
Herstellerkennzeichnung
Zsolnay-Verlag
Vilshofener Straße 10
81679 München
info@hanser.de
Renovierungsbedürftig, aber mit Herz
Birgit Birnbachers Roman "Ich an meiner Seite"
Wer aus dem Gefängnis entlassen wird, tut gut daran, die Haft als "Auslandsaufenthalt" in seinen Lebenslauf einzubauen. Mit solchen Empfehlungen bekommt es Arthur Galleij zu tun, der junge Held im ersten Roman der Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher. Nach über zwei Jahren im Gefängnis bemüht Arthur sich, die ersten Schritte in Freiheit zu machen, ohne in sich zusammenzufallen (und ohne dass die Dächer abrutschen, hätte ein Franz Biberkopf gesagt). Mit einer mysteriösen Wunde am Kopf erscheint der Zweiundzwanzigjährige in seiner Haftentlassenen-WG. Das von einer wissenschaftlichen Studie begleitete Wohn-Projekt ("Weitermachen
Birgit Birnbachers Roman "Ich an meiner Seite"
Wer aus dem Gefängnis entlassen wird, tut gut daran, die Haft als "Auslandsaufenthalt" in seinen Lebenslauf einzubauen. Mit solchen Empfehlungen bekommt es Arthur Galleij zu tun, der junge Held im ersten Roman der Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher. Nach über zwei Jahren im Gefängnis bemüht Arthur sich, die ersten Schritte in Freiheit zu machen, ohne in sich zusammenzufallen (und ohne dass die Dächer abrutschen, hätte ein Franz Biberkopf gesagt). Mit einer mysteriösen Wunde am Kopf erscheint der Zweiundzwanzigjährige in seiner Haftentlassenen-WG. Das von einer wissenschaftlichen Studie begleitete Wohn-Projekt ("Weitermachen
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e.V.") wird für Arthur über längere Zeit zur Ersatzfamilie.
Birgit Birnbacher, Jahrgang 1985, hat als Soziologin in Salzburg gearbeitet. Ihr Roman ist gewissermaßen aus professioneller Perspektive geschrieben. Er gewinnt seine Form, indem er die wechselvolle Lebensgeschichte Arthur Galleijs in den Rahmen des Resozialisierungsprojekts spannt. Wichtige Informationen vermitteln sich über die Aufzeichnungen, die Arthur auf Band spricht, und wir werden Zeugen des teils mühevollen, teils skurrilen therapeutischen Alltags. In den täglichen Feedback-Runden kommen auch vom Leben gedemütigte Gestalten wie der "Scheiße-Hans" ausgiebig zu Wort. Er trägt diesen Spitznamen, weil seine Geschichten so schlimm sind, dass den Zuhörern danach wenig anderes zu sagen bleibt als: "Scheiße, Hans."
Allmählich soll in der Therapie eine "Hauptfigur" genannte Optimalversion der eigenen Person entstehen - ein inneres Leitbild, mit dessen Hilfe sich die Außenwelt besser bewältigen lasse. Die gedankliche Substanz dieses Projekts scheint allerdings ebenso brüchig wie seine federführenden Akteure, allen voran der Therapeut Konstantin Vogl, genannt Börd, der selbst Hilfe gut gebrauchen könnte: Er leidet an Depressionen, Alkoholismus und aufbrausendem Gemüt. Immerhin ist er die schillerndste Gestalt des Romans, weniger väterlicher Retter als Krisen-Kumpel.
Die mit den Bandaufzeichnungen und Therapiegesprächen verbundenen Rückblenden, so die geschulte Erwartung eines Lesers von Romanen, sollten die biographischen Hintergründe und Motive von Arthurs kriminellen Verirrungen liefern. So scheinen die Ausführungen über seine Vaterlosigkeit und seine Kindheit in einer unwirtlichen, von sozial abgehängten Menschen bewohnten Hochhaussiedlung auf das Muster des prekären Milieus hinauszulaufen, das jugendliche Kriminalität begünstigt. Dagegen wendet Arthur selbst in seinen Aufzeichnungen ein: "Jetzt werden Sie sagen: Klassiker, vaterloser Jugendlicher wird kleinkriminell. Und gleich irgendwelche Kausalitäten einziehen, wo die gar nicht hingehören."
Tatsächlich gelingt es Arthurs Mutter, die Familie "ein paar Gesellschaftsschichten nach oben zu manövrieren". Sie verlässt die österreichische Kleinstadt und übernimmt in Andalusien mit ihrem zweiten Mann die Leitung einer Hospizeinrichtung für Wohlhabende. Arthurs weitere Jugend scheint nun eher von einer gewissen Wohlstandsverwahrlosung gekennzeichnet - aber womöglich wäre auch das nur eine falsch eingezogene Kausalität. Die nächste "Kausalität" kommt in Form einer bisexuellen Dreiecksbeziehung mit Arthurs Freunden Princeton und Milla daher, die auf eine Badetragödie an der spanischen Küste hinausläuft: Während Princeton Arthur unter Wasser zu töten versucht, ertrinkt die unbeobachtete Milla - beides aus ziemlich unerfindlichen oder zumindest nicht hinreichend geklärten Gründen. Für eine traumatische Erfahrung reicht es allemal.
Arthur verlässt Spanien und reist nach Wien, um dort irgendwie "ein neues Leben" zu beginnen. Das will ihm nicht gelingen; zudem wird er Opfer eines Betrugs und gerät nun in jenen "Ausnahmezustand", der ihn abrutschen lässt. Während er gerade noch ziemlich hilflos wirkte und nicht einmal in der Lage war, ein paar Lebensmittel zu kaufen, erweist er sich ein paar Seiten später als versierter Online-Betrüger, der sich falsche Identitäten über das Darknet beschafft, damit Konten eröffnet, um andere Menschen mit Phishing-Mails hinters Licht zu führen und auszunehmen. So richtig triftig wirkt diese Entwicklung nicht, und zu den Unausgegorenheiten gehört der Umstand, dass Arthur - wir schreiben das Jahr 2007 - seine Beute in Bitcoin umtauscht. Die ersten Bitcoin gab es 2009.
Es mag ja sein, dass sich eine kriminelle Tat nicht durch geradlinige Kausalitäten erklären lässt, sondern dass immer eine ganze Existenz mit ihren verworrenen Zusammenhängen, Widersprüchen und vielfältigen Aufs und Abs dahintersteht. "Es gibt keinen Grund. Es gibt viele Gründe", heißt es einmal. Aber auch wenn man dies philosophisch korrekt findet, kommt man nicht umhin festzustellen, dass solche unklaren Entwicklungslinien einem Roman nicht förderlich sind. Viele Stationen von Arthurs Lebensgeschichte wirken merkwürdig unfokussiert und in ihrer Abfolge wenig sinnfällig.
"Ich hatte das große Glück, meine Hauptfigur vor ein paar Jahren zu treffen", hat Birgit Birnbacher in einem Interview gesagt, und am Ende des Buches dankt sie "der realen Vorlage" ihres Helden für die "geduldige Gesprächsbereitschaft". Die Echtheit der Geschichte wirkt sich aber womöglich zu deren Schaden aus, denn der Lebenswahrheit mangelt es oft an der Struktur, die eine gute Geschichte braucht. Umständlicher Realismus wechselt mit fernsehfilmartig überdeterminierten Szenen, etwa als der WG-Genosse Lennox Arthurs Zeugnisse und Dokumente "wie Schnee" von einem Hochhausbalkon flattern lässt - er will sich an ihm rächen, weil Arthur ihm zuvor nicht helfen konnte, als er von Drogendealern bedroht wurde und dringend viel Geld brauchte. Allzu belletristisch wirkt auch die Figur der alten, schwerkranken Schauspielerin Grazetta, die immer wieder unverhofft wie ein Schutzengel in Arthurs Leben auftaucht.
So bleibt dieser Roman nach dem Erzählband "Wir ohne Wal" nur eine weitere Talentprobe dieser Autorin, der man auf jeden Fall zugutehalten darf, dass sie sich für Lebensverhältnisse jenseits der üblichen Wahrnehmungsschneisen interessiert. Und zweifellos gibt es starke Szenen. Dazu gehören Arthurs peinigende Flashbacks in die Zeit im Gefängnis, wo er in einer Zelle mit "Vierfachbelegung" (seitdem ein Schreckenswort für ihn) von den Mithäftlingen sadistisch gequält wurde; dazu gehört auch eine gemeinsam mit dem Therapeuten unternommene Wohnungsbesichtigung, bei der Arthur eine kaum noch begehbare Messie-Behausung zur Untermiete angeboten wird - "renovierungsbedürftige Bleibe mit Herz" lautete die Anzeige.
Das Konzept der idealen "Hauptfigur" als Leitbild sieht Arthur selbst zunehmend skeptisch. "Schon bald habe ich das Gefühl gehabt, dass kein Glanzbild mich hier rausbringen wird, sondern einzig und allein ich an meiner Seite." Damit hat der Roman seine Formel gefunden. Dass er aber geschrieben wurde, um ein fadenscheiniges therapeutisches Modell zu entkräften, leuchtet nicht ein.
WOLFGANG SCHNEIDER
Birgit Birnbacher: "Ich an meiner Seite". Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020. 290 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Birgit Birnbacher, Jahrgang 1985, hat als Soziologin in Salzburg gearbeitet. Ihr Roman ist gewissermaßen aus professioneller Perspektive geschrieben. Er gewinnt seine Form, indem er die wechselvolle Lebensgeschichte Arthur Galleijs in den Rahmen des Resozialisierungsprojekts spannt. Wichtige Informationen vermitteln sich über die Aufzeichnungen, die Arthur auf Band spricht, und wir werden Zeugen des teils mühevollen, teils skurrilen therapeutischen Alltags. In den täglichen Feedback-Runden kommen auch vom Leben gedemütigte Gestalten wie der "Scheiße-Hans" ausgiebig zu Wort. Er trägt diesen Spitznamen, weil seine Geschichten so schlimm sind, dass den Zuhörern danach wenig anderes zu sagen bleibt als: "Scheiße, Hans."
Allmählich soll in der Therapie eine "Hauptfigur" genannte Optimalversion der eigenen Person entstehen - ein inneres Leitbild, mit dessen Hilfe sich die Außenwelt besser bewältigen lasse. Die gedankliche Substanz dieses Projekts scheint allerdings ebenso brüchig wie seine federführenden Akteure, allen voran der Therapeut Konstantin Vogl, genannt Börd, der selbst Hilfe gut gebrauchen könnte: Er leidet an Depressionen, Alkoholismus und aufbrausendem Gemüt. Immerhin ist er die schillerndste Gestalt des Romans, weniger väterlicher Retter als Krisen-Kumpel.
Die mit den Bandaufzeichnungen und Therapiegesprächen verbundenen Rückblenden, so die geschulte Erwartung eines Lesers von Romanen, sollten die biographischen Hintergründe und Motive von Arthurs kriminellen Verirrungen liefern. So scheinen die Ausführungen über seine Vaterlosigkeit und seine Kindheit in einer unwirtlichen, von sozial abgehängten Menschen bewohnten Hochhaussiedlung auf das Muster des prekären Milieus hinauszulaufen, das jugendliche Kriminalität begünstigt. Dagegen wendet Arthur selbst in seinen Aufzeichnungen ein: "Jetzt werden Sie sagen: Klassiker, vaterloser Jugendlicher wird kleinkriminell. Und gleich irgendwelche Kausalitäten einziehen, wo die gar nicht hingehören."
Tatsächlich gelingt es Arthurs Mutter, die Familie "ein paar Gesellschaftsschichten nach oben zu manövrieren". Sie verlässt die österreichische Kleinstadt und übernimmt in Andalusien mit ihrem zweiten Mann die Leitung einer Hospizeinrichtung für Wohlhabende. Arthurs weitere Jugend scheint nun eher von einer gewissen Wohlstandsverwahrlosung gekennzeichnet - aber womöglich wäre auch das nur eine falsch eingezogene Kausalität. Die nächste "Kausalität" kommt in Form einer bisexuellen Dreiecksbeziehung mit Arthurs Freunden Princeton und Milla daher, die auf eine Badetragödie an der spanischen Küste hinausläuft: Während Princeton Arthur unter Wasser zu töten versucht, ertrinkt die unbeobachtete Milla - beides aus ziemlich unerfindlichen oder zumindest nicht hinreichend geklärten Gründen. Für eine traumatische Erfahrung reicht es allemal.
Arthur verlässt Spanien und reist nach Wien, um dort irgendwie "ein neues Leben" zu beginnen. Das will ihm nicht gelingen; zudem wird er Opfer eines Betrugs und gerät nun in jenen "Ausnahmezustand", der ihn abrutschen lässt. Während er gerade noch ziemlich hilflos wirkte und nicht einmal in der Lage war, ein paar Lebensmittel zu kaufen, erweist er sich ein paar Seiten später als versierter Online-Betrüger, der sich falsche Identitäten über das Darknet beschafft, damit Konten eröffnet, um andere Menschen mit Phishing-Mails hinters Licht zu führen und auszunehmen. So richtig triftig wirkt diese Entwicklung nicht, und zu den Unausgegorenheiten gehört der Umstand, dass Arthur - wir schreiben das Jahr 2007 - seine Beute in Bitcoin umtauscht. Die ersten Bitcoin gab es 2009.
Es mag ja sein, dass sich eine kriminelle Tat nicht durch geradlinige Kausalitäten erklären lässt, sondern dass immer eine ganze Existenz mit ihren verworrenen Zusammenhängen, Widersprüchen und vielfältigen Aufs und Abs dahintersteht. "Es gibt keinen Grund. Es gibt viele Gründe", heißt es einmal. Aber auch wenn man dies philosophisch korrekt findet, kommt man nicht umhin festzustellen, dass solche unklaren Entwicklungslinien einem Roman nicht förderlich sind. Viele Stationen von Arthurs Lebensgeschichte wirken merkwürdig unfokussiert und in ihrer Abfolge wenig sinnfällig.
"Ich hatte das große Glück, meine Hauptfigur vor ein paar Jahren zu treffen", hat Birgit Birnbacher in einem Interview gesagt, und am Ende des Buches dankt sie "der realen Vorlage" ihres Helden für die "geduldige Gesprächsbereitschaft". Die Echtheit der Geschichte wirkt sich aber womöglich zu deren Schaden aus, denn der Lebenswahrheit mangelt es oft an der Struktur, die eine gute Geschichte braucht. Umständlicher Realismus wechselt mit fernsehfilmartig überdeterminierten Szenen, etwa als der WG-Genosse Lennox Arthurs Zeugnisse und Dokumente "wie Schnee" von einem Hochhausbalkon flattern lässt - er will sich an ihm rächen, weil Arthur ihm zuvor nicht helfen konnte, als er von Drogendealern bedroht wurde und dringend viel Geld brauchte. Allzu belletristisch wirkt auch die Figur der alten, schwerkranken Schauspielerin Grazetta, die immer wieder unverhofft wie ein Schutzengel in Arthurs Leben auftaucht.
So bleibt dieser Roman nach dem Erzählband "Wir ohne Wal" nur eine weitere Talentprobe dieser Autorin, der man auf jeden Fall zugutehalten darf, dass sie sich für Lebensverhältnisse jenseits der üblichen Wahrnehmungsschneisen interessiert. Und zweifellos gibt es starke Szenen. Dazu gehören Arthurs peinigende Flashbacks in die Zeit im Gefängnis, wo er in einer Zelle mit "Vierfachbelegung" (seitdem ein Schreckenswort für ihn) von den Mithäftlingen sadistisch gequält wurde; dazu gehört auch eine gemeinsam mit dem Therapeuten unternommene Wohnungsbesichtigung, bei der Arthur eine kaum noch begehbare Messie-Behausung zur Untermiete angeboten wird - "renovierungsbedürftige Bleibe mit Herz" lautete die Anzeige.
Das Konzept der idealen "Hauptfigur" als Leitbild sieht Arthur selbst zunehmend skeptisch. "Schon bald habe ich das Gefühl gehabt, dass kein Glanzbild mich hier rausbringen wird, sondern einzig und allein ich an meiner Seite." Damit hat der Roman seine Formel gefunden. Dass er aber geschrieben wurde, um ein fadenscheiniges therapeutisches Modell zu entkräften, leuchtet nicht ein.
WOLFGANG SCHNEIDER
Birgit Birnbacher: "Ich an meiner Seite". Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020. 290 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Knapp, aber begeistert bespricht Sonja Hartl den Debütroman der letztjährigen Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher. Die Geschichte um den stets angepassten und unauffälligen, aber traumatisierten Arthur, der gerade frisch aus der Haft entlassen wurde und nun im Resozialisierungsprogramm in den Alltag zurückzufinden versucht, besticht laut Kritikerin durch einfühlsame und authentische Figurenzeichnung. Mehr noch: Dass Birnbacher ihre "sozialrealistische" Geschichte mit Witz und Skurrilitäten auffrischt - und ihren Helden für seine Tat nie verurteilt, machen den Roman für Hartl außergewöhnlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein harter, zugleich sehr einfühlsamer Gesellschaftsroman." NDR Kultur Literaturredaktion, 11.08.20 "Illusionslos, klar und zutiefst empathisch blickt Birnbacher auf ihre Figuren. Der Roman ist sozialrealistisch, aber ohne die Härten zu verklären oder zu überhöhen. Vielmehr verwebt sie tragische, komische und skurrile Momente. Dazu kommen lakonische und oftmals komische Bemerkungen sowie eigensinnige Figuren." Sonja Hartl, Deutschlandfunk Kultur, 14.07.20 "Mit 'Ich an meiner Seite' gelingt Birgit Birnbacher das Kunststück, Gebrauchssprache und literarisches Erzählen auf aufregende Weise miteinander zu verbinden." Lisa Kreissler, NDR Kultur, 20.05.20 "Ein Buch, das hervorsticht." Insa Wilke, WDR 3, 04.05.20 "Als Soziologin kennt die Autorin
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Birgit Birnbacher, wovon sie schreibt. Überzeugend ist ihr Roman aber besonders dann, wenn sie Arthur ganz nahe kommt. Und wenn sie mit trockenem Humor unerschrocken zupackt. Denn nichts ist so, wie man zuerst denkt." Martina Läubli, Neue Zürcher Zeitung, 26.04.20 "Birgit Birnbacher ist eine Künstlerin der literarischen Volte, und so überrascht sie bis zur letzten Seite." Carsten Otte, taz, 18.04.2020 "Ehrlich und sensibel erzählt. Birnbacher beleuchtet nicht, sondern sie protokolliert, mit ehrlichem Interesse, enormer Sensibilität und angenehmer Zurückhaltung." Helena Adler, Deutschlandfunk Kultur, 25.03.20 "Birgit Birnbachers Blick auf ihre Figuren ist unverklärt, aber empathisch." Jury SWR Bestenliste, 26.03.20 "'Ich an meiner Seite' ist ein tragikomischer Spass, der seine Pirouetten immer so setzt, dass man auf dem falschen Fuss erwischt wird. Bei aller sozialen Härte, die der Roman nicht zu erwähnen vergisst, gibt es auch eine beinahe utopische Botschaft: Wir spielen nur. Wir spielen unsere Rollen. Und manchmal sind wir sogar der Gute." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 18.03.2020 "Birnbacher gelingt in 'Ich an meiner Seite' das Sichtbarmachen von Einschränkungen und Verwerfungen mitten in unserer Gegenwart, die durch akademische Thesen allein nicht fassbar sind." Florian Baranyi, orf.at, 21.03.2020 "Mit ihrem Roman beweist Birgit Birnbacher, dass ihr der Bachmann-Preis zu Recht zugesprochen wurde. Er schafft die Balance zwischen sozialer Agenda und Kunst. Die Schwere des Themas wird durch das rechte Maß an Ironie aufgefangen." Dominika Meindl, Falter, 11.03.20 "Birgit Birnbacher hat ein feines Gespür für das Randständige, für sozial Unterprivilegierte und für Menschen, die es aus der Bahn geworfen hat. Ein so menschlicher wie literarisch versierter Roman." Christoph Schröder, SZ Online, 09.03.20 "Birgit Birnbacher beweist einen ebenso dezenten wie umhauenden Witz. Virtuos handhabt sie Sprache und Sprechweisen in den Dialogen." Senta Wagner, Der Standard, 07.03.20 "Mit ihrer Milieustudie ist ihr ein beeindruckendes Stück Literatur gelungen. Bewährungshilfe auf literarisch! Die Autorin schreibt nicht nur klug und kenntnisreich über das System der Bewährungshilfe, sie überführt die therapeutische Theorie auch auf beeindruckend kunstvolle Weise in Literatur." Carsten Otte, SWR2 Literatur, 08.03.20 "Birgit Birnbacher erzählt davon, und das ist das Herausragende, ohne jeden Hang zur Verklärung und ohne ein Pathos der Härte." Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung, 10.03.20 "Birgit Birnbacher stellt mit diesem Roman erneut unter Beweis, wofür sie 2019 den Bachmannpreis bekam: Dass sie aus prekären Zuständen eine heiter-melancholische Geschichte gewinnen kann." Lina Brünig, WDR5 Bücher, 07.03.20 "Der Roman lässt den Leser spüren, welchen Platz die Gesellschaft einem wie Arthur zuweist, und er tut das mit denkbar schlichten Mitteln. Immer wieder fallen Sätze in diesem Buch, einfache Sätze, die einen kalt erwischen." Marie Schoeß, BR2 Diwan, 08.03.20 "Birnbacher erzählt unaufgeregt und in klarer unverschnörkelter Sprache." Günter Kaindlstorfer, Ö1 Mittagsjournal, 09.03.20 "Birnbacher fährt kauziges Personal auf und beweist damit einen ebenso dezenten wie umhauenden Witz. Virtuos handhabt Birnbacher Sprache und Sprechweisen in den Dialogen." Senta Wagner, Der Standard, 07.03.20
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»Ein so menschlicher wie literarisch versierter Roman.« Christoph Schröder, SZ Online
Arthur ist 22 Jahre alt und hat 26 Monate im Gefängnis verbracht. Was er getan hat, um ins Gefängnis zu kommen, erfährt der Leser erst später. Arthur bekommt die Chance, an einer Therapie nach dem "Starring-Prinzip" teilzunehmen und bekommt ein Zimmer in einer …
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Arthur ist 22 Jahre alt und hat 26 Monate im Gefängnis verbracht. Was er getan hat, um ins Gefängnis zu kommen, erfährt der Leser erst später. Arthur bekommt die Chance, an einer Therapie nach dem "Starring-Prinzip" teilzunehmen und bekommt ein Zimmer in einer Haftentlassenen-WG. Nun soll er eine Hauptfigur erschaffen, der alles Gute und Schöne zuteil wird und der er nacheifern und das Beste aus sich machen soll. Doch Arthur hat sehr viel Pech und so wird ihm der Neustart alles andere als leicht gemacht.
Sein Vater verlässt die Familie, als Arthur noch ein Baby war und die Mutter wandert später mit einem neuen Mann an ihrer Seite, Georg, nach Andalusien aus. Sie hat einen Lebenstraum, ein Palliativinstitut im Luxussegment und das zieht sie mit Georg auch durch. Für Arthur und seinen älteren Bruder Klaus hat sie wenig Zeit, Liebe und Aufmerksamkeit, da sie alles in ihr Institut steckt. Klaus verschwindet irgendwann, keiner weiß wohin.
Auch Arthur packt eines Tages seine Sachen und fährt, nachdem durch unglückliche Zufälle seine eigentlichen Pläne über Bord gingen, nach Wien. Der Neuanfang dort gestaltet sich schrecklich, er hat mehr Pech, als man sich vorstellen kann. In seiner Not kommt er leider auf eine sehr dumme Idee und dadurch landet Arthur dann auch im Gefängnis.
Birgit Birnbacher hat einen sehr eigenwilligen und ganz anderen Schreibstil, der mich sehr begeistert hat. Sie schreibt oft in kurzen Sätzen, lapidar kann man sagen. Aber man muss als Leser bei diesem Roman zwischen den Zeilen lesen, was einfach klasse war. Dadurch, dass sie nicht alles gleich in ihren Sätzen preisgab, entstand eine Spannung, weil man unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht und warum Arthur nun ins Gefängnis musste. Es wurde in verschiedenen Zeitebenen erzählt, ebenso wurden Bandmitschnitte erwähnt, das "Schwarzsprechen", wie es der Therapeut Börd nannte.
Arthur erzählt von der schlimmen Zeit im Gefängnis und was er dort durchleiden musste. Als Leser war man einfach sehr entsetzt und Arthur hat mir schrecklich leid getan, so viel Leid ertragen zu müssen.
Der Aufbau des Buches war für mich perfekt gestaltet, die Charaktere, vom schrägen Therapeuten Börd bis zur älteren und kranken Schauspielerin Grazetta, waren authentisch dargestellt und haben mir sehr gut gefallen. Dieser Roman hat mich sehr begeistert.
Was mich vor allem noch überraschte, war die Danksagung am Ende des Buches. Dort erwähnt die Autorin die reale Vorlage für die Hauptfigur dieses Romans. Was dieses Buch noch berührender für mich machte, da es wirklich passiert ist.
Fazit:
Ein außergewöhnlicher Schreibstil, eine berührende Geschichte und tolle Charaktere. Dieser Roman hat mich sehr berührt und begeistert.
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Ein beeindruckender Roman
„Er braucht einen schönen, gerade Lebenslauf. Nicht übertrieben ausgeschmückt, darum geht es nicht, aber etwas, das ihn auf den normalen Weg führt.“ (Zitat Pos. 1746)
Inhalt
Arthur Galleij ist zweiundzwanzig Jahre alt, als der die JVA …
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Ein beeindruckender Roman
„Er braucht einen schönen, gerade Lebenslauf. Nicht übertrieben ausgeschmückt, darum geht es nicht, aber etwas, das ihn auf den normalen Weg führt.“ (Zitat Pos. 1746)
Inhalt
Arthur Galleij ist zweiundzwanzig Jahre alt, als der die JVA Gerlitz als freier Mann verlässt. Er wusste, dass ihn niemand erwarten würde, doch da irrte er. Grazetta, eine alte Dame mit einem bewegten Leben, die er in der Palliativresidenz seiner Mutter in Spanien kennengelernt hatte, ist nun hier in Wien, um auf ihn aufzupassen. Dies will auch der Therapeut Doktor Konstantin Vogel, genannt Börd, der Gesellschaftswissenschaften studiert hatte, auf Grund seiner eigenwilligen Arbeitsweise jedoch arbeitslos wurde. Bettina Bergner hat ihn, ihren ehemaligen Professor, als Mitarbeiter in ihr Projekt geholt, eine neue Form der Therapie für Haftentlassene. Einen vorübergehenden Platz in einer speziellen WG hat Arthur, doch er braucht dringend einen Job. Rasch erkennt er, dass er dazu einen etwas korrigierten Lebenslauf benötigen würde.
Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Träume, Verluste, Ereignisse, die Menschen aus der Bahn werfen können, um die reale Härte im Strafvollzug, Bewährungshilfe, Resozialisierung, Vorurteile und mögliche neue Chancen. Auch der schöne Schein des angepassten, daher perfekten Menschen, der in unserer modernen Gesellschaft so wichtig ist, ist ein Thema.
Charaktere
Arthur ist ein intelligenter, aber sehr ruhiger junger Mann. Er beobachtet und versucht, das gesellschaftliche System zu verstehen. Im Grunde sollte es für einen Menschen wie ihn nicht schwierig sein, Arbeit zu finden, doch nicht als Haftentlassener. Er erkennt, dass keine gesellschaftliche Beschönigung ihm helfen kann, sondern „einzig und allein ich an meiner Seite.“
Handlung und Schreibstil
Nach einer kurzen Einleitung, ein Morgen in der Jetztzeit, beschreibt die aktuelle Handlung die Ereignisse zwischen Juni 2010 und Juni 2011. Parallel dazu wird in Rückblicken Arthurs Kindheit und Jugend erzählt, ergänzt durch Arthurs eigene Erinnerungen. Das Schicksal dieser Hauptfigur, die untypisch in diese Lage geschlittert ist, wird lebendig, einfühlsam, aber auch unverklärt und realistisch geschildert. Obwohl Arthur jung ist, scheint er, ebenso wie Börg und Grazetta, etwas aus der Zeit gefallen, und man schließt diese Figuren mit allen ihren Schrullen und speziellen Eigenheiten rasch ins Herz. Die Sprache erzählt klar, gerade und eindrücklich.
Fazit
Ein ernster, nachdenklicher und gleichzeitig humorvoller Roman. Diese Geschichte über die Realität eines Alltags mit einem Gefängnisaufenthalt im Lebenslauf überzeugt auch durch die einnehmende Hauptfigur.
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Nach 26 Monaten im Gefängnis, steht der junge Arthur ohne Geld, Wohnung und Arbeit da. Einzig die Therapiesitzungen mit dem kauzigen Therapeuten Börd sollen ihm helfen zurück ins richtige Leben zu finden. Doch es ist für Arthur nicht leicht die zweite Chance in seinem Leben zu …
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Nach 26 Monaten im Gefängnis, steht der junge Arthur ohne Geld, Wohnung und Arbeit da. Einzig die Therapiesitzungen mit dem kauzigen Therapeuten Börd sollen ihm helfen zurück ins richtige Leben zu finden. Doch es ist für Arthur nicht leicht die zweite Chance in seinem Leben zu nützen, wenn man keine richtigen Papiere hat und kaum jemand einen Haftentlassenen eine Anstellung geben will. Die ehemalige Schauspielerin Grazetta, die er in einem Hospiz in Andalusien kennen gelernt hat und die ihm auch nach der Haftentlassung, im Gegensatz zu seiner Mutter zur Seite steht, helfen ihm auf seinem neuen Weg. Mit oft unkonventionellen Methoden versucht Börd Arthur auf die Sprünge zu helfen und auch sich selbst besser kennen zu lernen. Es ist ein harter Weg, wo Arthur viele Rückschritte erleben muss, wo er aber schlussendlich erkennt, dass nur er selbst sich helfen kann.
Der Roman ,, Ich an meiner Seite“ beschreibt in einer teils poetischen und dann wieder in ernüchternden Sprache das Leben des jungen Arthur nach seiner Haftentlassung. Die Autorin Birgit Birnbacher nimmt dabei den Leser auf eine Zeitreise aus dem Leben des Protagonisten mit, wo man immer wieder zwischen der Zeit- und Erzählebene hin und her wechselt.. Der Roman besticht durch seine ruhige Art, wo man sich zwar einlesen muss weil man das Gefühl hat, die Geschichte zieht sich einfach dahin, aber mit der Zeit merkt man, wie viel an tiefsinnigen und schönen Gedanken man darin findet. Da es eine reale Vorlage für die Hauptfigur dieses Romans gibt, kann man sich als Leser noch besser in Arthur hineinversetzen. Die Nebenfiguren sind ebenfalls gut dargestellt. Wie z.B Börd, der Therapeut von Arthur, der versucht in einer Studie zu beweisen, dass man einen ehemaligen Straftäter wieder in die Gesellschaft eingliedern kann. Dass es dabei viele Rückschläge gibt, wo Arthur selbst oft nicht weiß, wer er wirklich ist und wer er nun sein möchte, wird gut beschrieben. In Rückblenden erfährt der Leser von Arthurs schwieriger Kindheit, von einem Familienleben, das nicht immer leicht war und von einer Schuld, die ihn bis heute noch begleitet. Die Geschichte wird mit einer Mischung zwischen Tragik und Komik erzählt, wo man als Leser immer wieder schmunzeln muss, selbst wenn die Situation an sich eher traurig ist. Manche Ereignisse werden von der Autorin nicht aufgelöst und man hat das Gefühl, dass noch etwas kommen sollte. Also bleibt jedem seine eigene Interpretation der Geschichte, wo man selbst entscheiden kann, wie sie weitergehen könnte.
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Fragwürdige Resozialisierung
Mit ihrem zweiten Roman packt Birgit Birnbacher das schwierige Thema der Resozialisierung von jugendlichen Straftätern an. Die österreicherische Soziologin sei, wie sie im Nachwort schreibt, «der realen Vorlage für die Hauptfigur dieses …
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Fragwürdige Resozialisierung
Mit ihrem zweiten Roman packt Birgit Birnbacher das schwierige Thema der Resozialisierung von jugendlichen Straftätern an. Die österreicherische Soziologin sei, wie sie im Nachwort schreibt, «der realen Vorlage für die Hauptfigur dieses Romans für die geduldige und beständige Gesprächsbereitschaft» sehr zu Dank verpflichtet. Ihr Buch schaffte es auf die Longlist des diesjährigen Frankfurter Buchpreises, zu Recht?
Arthur wird im Juni 2010 nach 26 Monaten aus dem Gefängnis entlassen und kommt zur Resozialisierung in eine WG in Wien, ein Projekt, das von einer wissenschaftlichen Studie begleitet ist. Sein Therapeut Dr. Konstantin Vogl, den alle nur Börd nennen, fällt durch seine unkonventionellen Methoden auf. Er verkörpert in Auftreten und Kleidung genau das, was man einen ‹schrägen Vogel› nennt. Unter Depressionen leidend wäre der Alkoholiker eher selbst behandlungsbedürftig, er übt jedoch auf Arthur einen erfreulich positiven Einfluss aus. Unter anderem dadurch, dass er ihn dazu anhält, ihm auf Tonband über sein Leben zu berichten. Diese protokollartigen Selbstauskünfte des personalen Erzählers werden, kursiv und in anderer Schrift, immer wieder kurz in die 33 auktorial erzählten Kapitel dieser tragischen Geschichte eingeblendet. Der Protagonist kommt aus prekären Verhältnissen, denen seine Mutter beherzt entflieht, indem sie mit seinem Stiefvater und ihren beiden Söhnen von ihrer österreichischen Kleinstadt nach Andalusien auswandert, um dort eine Palliativklinik für Wohlhabende zu leiten. Arthur beginnt dort schon bald eine offenbar homo/bisexuelle Dreiecksbeziehung mit Milla und Princeton. Der vermeintliche Freund aber versucht ihn bei einem Bootsausflug zu ertränken, während gleichzeitig Milla spurlos verschwindet und irgendwann für tot erklärt wird. Mit einer Patientin schließlich, die er einmal reglos daliegend antrifft und um die er sich sofort rührend bemüht, entwickelt sich schnell eine innige Beziehung. Grazetta, die alte Frau, die hier zum Sterben hergekommen ist, war früher mal eine bekannte Schauspielerin. Schließlich geht Arthur aber dann doch zurück nach Wien, findet dort jedoch keine Arbeit und wird in seiner Not mit einer raffinierten Internet-Abzocke straffällig.
Man ist an Alfred Döblins Figur Franz Bieberkopf in «Berlin Alexanderplatz» erinnert, wenn Arthur sich nach der Entlassung in einem ähnlichen Circulus vitiosus als ehemaliger Häftling um Wohnung und Arbeit bemüht. Dem intelligenten 22Jährigen fehlen die nötigen Referenzen, um eine Wohnung zu mieten, und er kann auch keine Zeugnisse vorweisen, so dass alle seine Bewerbungen erfolglos bleiben, selbst wenn er die Haft als ‹Auslandsaufenthalt› deklariert. Er scheint das Unglück geradezu magisch anzuziehen, sein Online-Konto wird geplündert und ein Mitbewohner seines armseligen möblierten Zimmers stiehlt ihm aus Rache, weil er ihm kein Geld leihen wollte, einen Umschlag mit Dokumenten. Die waren auf wohlwollendes Betreiben von Grazetta professionell gefälscht und hätten ihm bei seiner Suche nach Arbeit und Wohnung sehr nützlich sein können. Was Arthur auch anpackt, es geht schief, dabei ist er sich sicher, «dass ich ein nützlicher Mensch bin», was er Börd so auch aufs Band spricht. Ihm fehlt der familiäre Rückhalt, die Mutter ist voll eingespannt bei ihrem sozialen Aufstieg aus dem Prekariat, sie kann und will sich nicht um ihn kümmern.
Der Plot ist mit vielen zeitlich ungeordneten Sprüngen vom kitschigen Ende im Jahre 2011 bis zurück zu Arthurs Geburt 1988 alles andere als leicht lesbar. Er ist aber auch oft schwer nachvollziehbar, sei es in Szenen wie der brutalen Gewaltorgie im Knast, Arthurs technisch fragwürdigem Phishing-Fischzug oder der völlig unmotivierten Boots-Episode. Völlig deplaziert ist schließlich auch die Figur der Grazetta, und die Schilderung einer zu vermietenden Messi-Wohnung ist wohl kaum als Satire gemeint. Als was aber dann? Buchpreiswürdig jedenfalls ist dieser Roman keinesfalls!
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österreichischer Humor
Ja, ich leide mit der Hauptfigur Arthur. Sie ist empathisch, aber was ist – wie der Plattentext meint - humorvoll, wenn er erzählt, wie er im Gefängnis misshandelt zusammengeschlagen wird? Er ist zu brav für seine Zimmergenossen. Mit solchen Szene …
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österreichischer Humor
Ja, ich leide mit der Hauptfigur Arthur. Sie ist empathisch, aber was ist – wie der Plattentext meint - humorvoll, wenn er erzählt, wie er im Gefängnis misshandelt zusammengeschlagen wird? Er ist zu brav für seine Zimmergenossen. Mit solchen Szene klagt die Autorin die Verhältnisse im Gefängnis an, die mangelnde Privatsphäre, da es keine Einzelzimmer gibt. Auch das Geschwätz bei der Bewährungshilfe wird gehörig ins Kreuzfeuer genommen.
Mir gefällt die Art, wie die Autorin die Spannung aufbaut, indem sie die Leserin glauben lässt, Arthur hätte jemanden umgebracht und tatsächlich ist der Tod auch immer anwesend. Mir gefällt die anfängliche Multiperspektive, die vermeintlich zeigt, dass unsere Hauptfigur auf die schiefe Bahn geraten musste, die sich – wie wir erst denken – schon in der Kindheit abzeichnet.
Aber gegen Ende wird nur noch von der abstrusen Therapie gesprochen und das interessierte mich im Grunde nicht mehr, so dass ich wohl nicht der einzige bin, der das Ende nicht verstanden hat. Also 3 Sterne
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Arthur ist nach 26 Monaten Gefängnis wieder frei, doch wie soll es für ihn nun weitergehen? Wer gibt dem ruhigen Arthur eine zweite Chance? Er, der eigentlich immer für sich war, ruhig, besonnen, unauffällig aber intelligent und aufmerksam? Können Resozialisierungsprogramme …
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Arthur ist nach 26 Monaten Gefängnis wieder frei, doch wie soll es für ihn nun weitergehen? Wer gibt dem ruhigen Arthur eine zweite Chance? Er, der eigentlich immer für sich war, ruhig, besonnen, unauffällig aber intelligent und aufmerksam? Können Resozialisierungsprogramme ihm helfen einen eigenen Weg zu finden? Wie weit ist die Gesellschaft bereit Arthur eine zweite Chance zu geben?
"Dabei fällt Arthur auch ein, dass er mit seiner eigenen Hauptfigur eher schleppend vorankommt. Deren Entwurf geht bislang kaum darüber hinaus, dass er seinen Kaffee jetzt schwarz trinkt und sich ein Bewerbungsoutfit leisten will. Was - und das kann er Börd auf keinen Fall so sagen - vor allem darin liegt, dass das Schwarzsprechen und die Gespräche mit Börd viel mehr dazu beitragen, dass Arthur das Gefühl hat, sich selbst nahezukommen, näher als er sich bisher war. Weil Arthur sich aber nicht sicher ist, ob das nicht genau an Börds Therapieziel vorbeigeht, sagt er lieber nichts und tut so, als entwerfe er nach und nach so etwas wie einen Super - Arthur, der schon bald alle Geschäftsführer dazu bringen wird, ihm mit offenen Armen einen Praktikumsplatz anzubieten". (Seite 100)
Birgit Birnbacher ihr Schreibstil ist anders, kühl, manchmal mit viel Abstand und von Andeutungen gespickt die man als Leser selbst zu Ende denken muss. Es ist mal ein ganz anderes Lesevergnügen als man es eben so kennt, viele Dinge bleiben angedeutet, unausgesprochen und die Autorin konzentriert sich hier auf den Hauptprotagonisten Arthur.
Man muss also mit dieser Art des Schreibens sich anfreunden können und vor allem darauf eingehen können um dieses Buch genießen zu können. Mir persönlich hat diese Art sehr gut gefallen denn die Autorin überlässt es hier dem Leser selbst ob er Arthur verurteilt oder ihm eine zweite Chance geben möchte, der Leser muss und soll selbst ein Gefühl für die Situationen von Arthur erhalten und man überlegt sein eigenes Denken und Fühlen.
Auch folgt sie keiner Chronologie, nein, sie wirbelt die Zeiten und Begebenheiten durcheinander, also kein Buch um durch zu hasten, es braucht die Zeit die man sich nehmen sollte. Trotzdem bekommt man von vielem einen Einblick und merkt warum Arthur hier und da so zu handeln begonnen hat, dass er eigentlich vor keiner anderen Möglichkeit zur Wahl stand.
Arthur selbst fand ich sehr faszinierend. Er ist von Beginn an sehr ruhig, aber intelligent, er beobachtet und bekommt mehr mit als die meisten Leute denken. Er „tickt“ anders was vielen Leuten, auch seinem Stiefvater, ein Dorn im Auge ist, Arthur kann gar nicht „normal“ sein. Und Arthur möchte einfach nur dass die Leute um ihn herum glücklich sind, vergisst sich und seine Wünsche aber immer mehr, findet keinen eigenen Weg in sein eigenes Leben.
Die Mutter wurde vom Mann verlassen, sein Bruder Klaus und er ziehen mit der Mutter und dem Stiefvater nach Andalusien um ein Palliativzentrum, es geht aber nicht um die Wünsche der Kinder, sie werden beiden eher im Schatten gelassen, während Klaus ausbricht und wieder zurück nach Wien geht muss Arthur bei seinen Eltern bleiben und mit den Situationen die herrschen klar kommen. Man merkt schon hier wie Arthur kämpft, sich seine Gedanken macht und es etwas klarer erscheint warum alles so kam wie es nun mal kam.
Was bedeutet es sich eine zweite Chance erkämpfen zu wollen? Wie weit ist jeder bereit zu gehen, was ist okay, was sollte man besser bleiben lassen? Wie werden wir in der Gesellschaft wahrgenommen wenn wir nach neuen Möglichkeiten, einen eigenen Weg suchen? Und wäre man als Leser bereit Arthur eine zweite Chance zu geben? Würde man selbst, in Arthur seiner Situation, nach zweiten Chancen suchen und kämpfen oder aufgeben?
Viele Fragen die die Autorin, in meinen Augen, sehr gekonnt in ihrem ganzen Buch umgesetzt hat, aber wie gesagt, man muss diese Umsetzung an sich mögen, sich darauf einlassen und mitdenken. Wer davor nicht zurückschreckt wird ein sehr interessantes Leseerlebnis vorfinden.
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Mit "Ich an meiner Seite" hat Birgit Birnbacher einen Roman geschrieben, der als interessante Studie der Lebensumstände eines vorbestraften jungen Mannes fungiert und versucht anhand dieses Einzelschicksals die Frage zu ergründen, ob jeder eine zweite Chance verdient hat.
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Mit "Ich an meiner Seite" hat Birgit Birnbacher einen Roman geschrieben, der als interessante Studie der Lebensumstände eines vorbestraften jungen Mannes fungiert und versucht anhand dieses Einzelschicksals die Frage zu ergründen, ob jeder eine zweite Chance verdient hat.
Zu Beginn der Geschichte wird der 22 jährige Arthur nach einer relativ kurzen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen und muss feststellen, dass er mit seiner Vorstrafe nicht einfach in ein normales Leben zurückfinden kann. Auf dem Wohnungs- oder Jobmarkt hat er nun denkbar schlechte Karten. Doch mit Unterstützung seines Therapeuten und einer ehemaligen Schauspielerin will er es schaffen und wieder Fuß fassen in der Gesellschaft.
Dank der aufgezeichneten Monologe, die Arthur im Rahmen seiner Therapie hält, erfährt man einiges über Arthurs Vergangenheit und wie es zu seiner Straftat kam. Allerdings wird vieles nur angedeutet und auch durch die nicht chronologische Erzählweise muss der Leser sehr aufmerksam sein, um aus den einzelnen Puzzlestücken ein stimmiges Gesamtbild zusammensetzen zu können.
Trotz der Ernsthaftigkeit der Thematik schafft es die Autorin vor allem Dank skurriler Nebencharaktere, viel Humor mit in die Geschichte einfließen zu lassen und bringt einen somit auch immer wieder zum schmunzeln.
Sprachlich sehr schön umgesetzt fand ich das Thema an sich sehr spannend vor allem auch die Kritik am Strafvollzug, die der Roman sehr gut transportieren konnte. Allerdings hätte mir teilweise eine etwas zusammenhängendere Geschichte gewünscht, da gerade Arthurs Vergangenheit oft nur aus einzelnen Fragmenten bestand und es somit häufig den Leser überlassen wurde, die Lücken zu füllen und die Zusammenhänge zu ergründen.
Wegen des tollen Schreibstils und der stets glaubwürdigen und liebenswerten Charaktere aber nichts desto trotz sehr zu empfehlen.
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Broschiertes Buch
Arthur hat seine Strafe abgesessen und hofft nun von der Gesellschaft wieder an- und aufgenommen zu werden. Doch es ist weit schwieriger als er dachte. Die Menschen begegnen ihn mit Misstrauen, Vorurteilen und widersprüchlicher Bürokratie. Nicht leicht für einen 22jährigen. Auch …
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Arthur hat seine Strafe abgesessen und hofft nun von der Gesellschaft wieder an- und aufgenommen zu werden. Doch es ist weit schwieriger als er dachte. Die Menschen begegnen ihn mit Misstrauen, Vorurteilen und widersprüchlicher Bürokratie. Nicht leicht für einen 22jährigen. Auch sein Bewährungshelfer ist ein ganz spezieller Charakter und gefühlt, bräuchte er eigentlich selber Hilfe. Das Resozialisierungsprogramm für Arthur liest sich absurd und völlig realitätsfern. Arthur hat jedoch nicht nur mit der Gegenwart zu kämpfen, sondern auch mit seiner Vergangenheit. Seine Kindheit, seine Freundschaften und mit seinem Leben bei seinen Eltern.
Man springt immer zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit hin und her und lernt dabei viele Charaktere kennen, die ihn beeinflusst und geprägt haben. Die Autorin erzählt die Geschichte mit einem Hauch von Humor, der jedoch immer mal wieder im Abgang bitter schmeckt. Doch es gibt auch Lichtblicke, zärtliche und friedliche Momente und ab und an ein Augenzwinkern.
Das Buch will Aufmerksamkeit und etwas längere Lesezeit am Stück und bietet dafür eine Geschichte, die den Lesenden berührt und mitnimmt.
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