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- Produktdetails
- Verlag: Hanser Berlin
- Seitenzahl: 256
- Erscheinungstermin: 25.01.2021
- Deutsch
- ISBN-13: 9783446270206
- Artikelnr.: 60466435
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"Eindrucksvoll, mit klaren Sätzen und mit viel Einfühlungsvermögen zeigt Grabovac einmal mehr, das Private ist politisch, der Roman macht unsichtbare Hintergründe und die Reichweite einer Familiengeschichte sichtbar und ruft Verständnis hervor. Literatur wie diese ist lesenswert." Antonia Reissner, SWR 2 Lesenswert Magazin, 07.02.2021
"Er dürfte geahnt haben, dass der Stoff seines Debüts 'Das achte Kind' die Rückversicherung in der Realität benötigt, um dem Verdacht der Übertreibung, wenn nicht der Kolportage zu entgehen, und hat sie deshalb erkennbar als Autofiktion angelegt. Eine gute und plausible Entscheidung, die der gesellschaftspolitischen Relevanz des wuchtigen Stoffes durchaus zugutekommt. Aktuelle Flucht- und Migrationsgeschichten gibt es mittlerweile zahlreich in der deutschen Literatur. Ihre Vorgeschichte aber, die der ersten Arbeitseinwanderer in die alte Bundesrepublik, ist keineswegs auserzählt. 'Das achte Kind' füllt eine Lücke. Grabovacs Erzählstimme ist die eines wertfreien Chronisten in eigener Sache. Frei von Polemik, Verurteilung und politischer Anklage. Der Leser soll sich selbst ein Bild machen aus dem Material, das der Roman im Stil eines Berichts vor ihm ausbreitet. Ein wichtiges, auch spannendes Buch ist 'Das achte Kind'." Ursula März, Deutschlandfunk Kultur, 11.02.2021
"Familie ist vielleicht nur bedingt eine Gemeinschaft auf einem biologischen Fundament, sondern vielmehr eine Entscheidung. Eine dramatische, interessante Geschichte und ein tolles Zeitbild." Martin Gramlich, SWR 2 Tandem, 11.02.2021
"Diese Geschichte handelt davon, wie innig die Suche nach Identität, der Wunsch, frei und geborgen zu sein und mitgeschleppte Mentalitäten ineinander verflochten sind. Ein bemerkenswertes Buch." Ulrich Kühn, NDR Kultur, 21.01.2021
"Punktgenau und schnörkellos beschreibt der Alem Grabovac seine Familiengeschichte vom Verlassen des kroatischen Heimatdorfes über die Erfahrung der Eltern als sogenannte Gastarbeiter in Deutschland bis zu seinem Aufwachsen als achtes Kind in einer deutschen Pflegefamilie. Das ist dringend nötige Dokufiktion zur sogenannten ersten Gastarbeitergeneration." Ute Büsing, rbb Inforadio Quergelesen, 14.02.2021
"Es ist ein Leben zwischen Deutschland und Kroatien, von dem Grabovac eindrücklich schreibt. Ein Ton, der einen sehr erreicht." Frank Meyer, Deutschlandfunk Kultur "Lesart", 28.01.2021
"Grabovac erzählt vondiesem extremen Aufwachsen, von der Zerrissenheit zwischen den Kulturen, in einem klaren, schnörkellosen Ton. Ein unsentimentales, aber tief bewegendes Buch." Franziska Trost, Kronen Zeitung, 30.01.2021
"Grabovac hat die Geschichte seiner Herkunft schlicht und geradeaus aufgeschrieben. Wodurch sie umso stärker wirkt." Stern, 21.01.2021
"Bemerkenswert ist, wie ruhig, unaufgeregt, fast leise Grabovac erzählt." Gerrit Bartels, Der Tagesspiegel, 31.01.2021
"Harte Story, on point erzählt." Felix Diewald, ORF Radio FM 4, 1.02.2021
"Es ist ein Geschenk, dass Alem Grabovac sich verletzlich macht und an seiner Geschichte teilhaben lässt." Cigdem Akyol, kulturtipp (CH), 18.02.2021
"Grabovacs Ton ist nüchtern, er wertet nicht und schildert anhand seiner autobiografischen Erlebnisse Gewalt und Armut." Sohra Nadjibi, Frizz Magazin Frankfurt, 1.02.2021
Alem Grabovac erzählt vom Aufwachsen mit zwei Paar Eltern und mehr als einer Herkunft
Der Junge malt den Mitschülerinnen Panzer in ihre Poesiealben, und der Mutter schenkt er einen zum Muttertag. Französische, britische, amerikanische, sowjetische, am liebsten aber deutsche Wehrmachtpanzer, Brummbär oder Sturmhaubitze 42. Zu Besuch bei seinen Verwandten in Jugoslawien, die Mutter ist Kroatin, der Vater in Bosnien geboren, überreicht er auch seinem Großvater einen: „Opa besah sich mein Bild, fluchte, zerriss es vor meinen Augen, warf es auf den Boden und spuckte darauf ... ‚Scheiß auf die Deutschen, scheiß auf die Nazis. Wir haben gegen dieses Dreckspack gekämpft, und jetzt malt mein eigenes Fleisch und Blut ihre verfickten Panzer.‘‘‘
Alem Grabovac heißt dieser Junge, Verfasser und Hauptfigur des Romans „Das achte Kind“. Am Beispiel der Kindheit und Jugend eines Sohnes damals sogenannter „Gastarbeiter“ in Deutschland, von den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts bis heute, erforscht dieses Buch, was verallgemeinerbar und was einzigartig ist in diesem Leben, das sich aus verschiedenen Familien und Gesellschaften, Nationen und Identitäten zusammensetzt. Wie sich Normalität in der Nachkriegsgesellschaft erst langsam entwickelt hat und wie man davon erzählen kann. Keine Autobiografie, tatsächlich ein Roman – aus der Differenz der Genres bezieht das Buch seine Spannung.
Die Erzählung beginnt Ende der Sechziger, da findet die junge Smilja, Alems Mutter, das Inserat einer Schokoladenfabrik in Würzburg, die Arbeitskräfte sucht. Von einem Job in Deutschland, dem Wohlstand dort träumen viele Mädchen in Jugoslawien. Smilja schafft es, wird gemustert und angestellt, geht nach Würzburg, lernt Deutsch, mietet eine kleine Wohnung, ist einsam in der Fremde, weint viel. Innerhalb weniger Wochen hat sie sich an der Schokolade überfressen.
„Das Buch Smilja“ heißt der erste Teil des Romans, in dem die Geschichte der Mutter als Teil der eigenen erzählt wird, lakonisch, ohne Pathos oder Geringschätzung. In all ihrer spießigen Widersprüchlichkeit entwickelt da eine deutsche Heimeligkeit ihre eigene Aura. Die Geschichte der Mutter schließt auch die des Vaters ein, Emir Grabovac. Er kann charmant sein, aber oft ist er brutal und unbeherrscht. Ein Taschendieb, der mit anderen Frauen schläft. Weil sie den kleinen Alem nicht allein mit ihm lassen will, gibt Smilja ihn die Woche über zu einer deutschen Pflegefamilie, Robert und Marianne Behrens. Die haben sieben Kinder, und nehmen dazu Pflegekinder auf. Als Smilja nach Frankfurt zieht, um beim Automobilzulieferer VDO Tachometer zusammenzumontieren, bleibt Alem als achtes Kind der Familie Behrens zurück.
So stehen die zwei Welten in diesem Roman nah und fremd nebeneinander, die bundesdeutsche und die jugoslawische, die bürgerlich urbane und die agrarische des Karst, und unsere Wohlstandsgesellschaft bekommt etwas Archaisches. Wenn er seine Mutter besucht, tut Alem sich in Frankfurt mit anderen zusammen, die in einer ähnlichen Situation sind – der junge Besitzer einer Videothek, mit den Eltern geflohen vor der islamischen Revolution in Iran, oder Svetozar, ein junger Macho, der in Frankfurt auftaucht, weil Smilja seinen Vater Dušan heiraten will. Beide Jungen werden von diesem Vater brutal behandelt.
Der Erzähler Alem Grabovac steht nie retrospektiv oder besserwisserisch über dem Geschehen, ohne Moral oder Erklärung folgt Episode auf Episode. „Es gibt nichts“, heißt ein Satz von Walter Benjamin, „was Geschichten dem Gedächtnis nachhaltiger anempfiehlt als jene keusche Gedrungenheit, welche sie psychologischer Analyse entzieht.“
Emir landet schließlich in Goli Otok, dem berüchtigten jugoslawischen Gefängnis. 1980 besucht ihn Smilja dort, er ist renitent und aggressiv, schimpft auf den Sozialismus: „Scheiß auf Tito. Hört ihr: Scheiß auf Tito!“ Smilja bricht den Kontakt zu ihm ab, klärt Alem erst nach Emirs Tod über dessen Existenz auf. Da lebt Alem schon als Journalist in Berlin, nach einem Soziologiestudium, mit seiner Frau und seinem Sohn. Er hatte nie eine Chance, sich von seinem Vater selbst ein Bild zu machen. Das ist der Punkt, an dem der zweite Teil beginnt, das Buch Alem.
Grabovac, der in seinen journalistischen Arbeiten die deutsche Wirklichkeit analysiert und ihre Tendenzen, auch ihren Ruck nach rechts, deutlich kritisiert, schreibt als Erzähler gegen die Versuchung an, die Situation der Gastarbeiter und Einwanderer von vornherein als desolat und bemitleidenswert zu klassifizieren, sie zu Opfern zu stilisieren oder als Außenseiter zu heroisieren. Er verzichtet auf den Bonus einer zu billigen Lesesolidarität, spielt lieber subtil mit unseren Vorurteilen.
Sein Roman „Das achte Kind“ handelt auch von dem deutschen, dem Pflegevater Robert, der Soldat in Russland war und jetzt als Redakteur bei einer Motorradzeitschrift arbeitet. Robert, das ist für Alem der herbe Duft des Rasierwassers Old Spice oder eine Fahrt auf einer brandneuen Honda Gold Wing. Aber auch der Geist der Nazizeit: „Für einen Juden eigentlich ganz witzig“, sagt der zweite Vater, als er sich mit Alem „Dalli Dalli“ mit dem Moderator Hans Rosenthal ansieht. Die Entfremdung wächst. All die Liebe der Pflegeeltern für die angenommenen Kinder, soll sie „eure ganze Mitläuferscheiße“ kompensieren?
Es tun sich Risse auf in der Bürgerlichkeit – bewegend, wenn Alem bei Marianne, die so cool und selbständig ist, Angst spürt vor dem Alleinsein, dem Älterwerden, dem Tod. „Ach, ihr beiden“, stöhnt er. „Das ist alles ziemlich verrückt. Ich verstehe es einfach nicht.“ Die Perspektive bleibt kindlich, auch wenn Alem aus seiner späten Jugend erzählt. Bei seinem letzten Besuch in Kroatien, kurz vor dem Ausbruch von Nationalismus und Bürgerkrieg, trägt er den bettlägerigen Großvater noch einmal ins Freie vors Haus. Dort raucht der eine Pfeife und trinkt ein Glas Sliwowitz und gibt Alem den Rat: Hüte dich vor den falschen Wünschen.
Ein fast friedlicher Moment. In der Rückbesinnung auf seine Wurzeln liegt die Möglichkeit einer Versöhnung der Gegensätze, für Alem und auch für seine Mutter. Und so kommt es noch zu einem dritten Teil, dem Buch Emir, über den wiedergefundenen Vater. Alem legt Rosen auf dessen Grab und zieht fünf Fotos aus der Tasche, die die Mutter ihm gegeben hat: „Schau, das ist alles, was ich von dir hatte.“
FRITZ GÖTTLER
All die Liebe für die Pflegekinder
soll „eure ganze Mitläuferscheiße“
dann kompensieren?
Alem Grabovac:
Das achte Kind. Roman. Hanserblau, München 2020. 256 Seiten,
22 Euro.
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