An der Schwelle zum dritten Lebensjahrzehnt muss sich der namenlose junge Icherzähler keinen sonderbaren Riten seiner Clique unterwerfen. Nur eine Person stellt Forderungen an ihn. In sieben Nächten soll er jeweils eine der sieben Todsünden begehen und anschließend darüber schreiben. Bisher war
der Icherzähler vermutlich so durch sein Leben gerutscht, ohne sich festzulegen. Mit 30 wird von ihm…mehrAn der Schwelle zum dritten Lebensjahrzehnt muss sich der namenlose junge Icherzähler keinen sonderbaren Riten seiner Clique unterwerfen. Nur eine Person stellt Forderungen an ihn. In sieben Nächten soll er jeweils eine der sieben Todsünden begehen und anschließend darüber schreiben. Bisher war der Icherzähler vermutlich so durch sein Leben gerutscht, ohne sich festzulegen. Mit 30 wird von ihm schon bald Karriere und Familiengründung erwartet. Auch wenn der Erzähler seine Eigenheiten bewusst und selbstkritisch analysiert, wirkt sein Leben wie eine leere Comic-Blase, die erst noch gefüllt werden muss. Einziger Fixpunkt darin war 2011 sein 18. Geburtstag, zu dem in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Allein aus diesem Übergang ins Erwachsenenalter, von nun an ohne Prüfung des eigenen Standpunkts gegenüber dem Wehrdienst, könnte ein Roman mit hunderten von Seiten entstehen. Dem Erzähler fehlt ohne die Wahl zwischen Dienen oder Verweigern ein Initiationsritus, die Auseinandersetzung mit den Kriegserfahrungen von Vater und Großvater, mit denen er sich zuvor hätte befassen müssen, um vor der Prüfungskommission seine Einstellung aufzublättern.
Hochmut, Völlerei, Faulheit, Geiz/Habgier, Neid/Missgunst, Wollust und Jähzorn – es scheint mehr verachtenswerte Eigenschaften zu geben, als in die Liste der sieben Todsünden aufgenommen wurden. Kindliche Größenfantasien, dass die Welt ihn dringend braucht, entstehen in einer dieser Nächte, mit dem Wunsch konkurrierend, sich in Bartleby’scher Manier vor den Anforderungen der Gemeinschaft zu drücken. Das Kapitel über die Faulheit zeigt sich als entlarvende Analyse einer schnelllebigen Gesellschaft, in der Dienstleistungen zwar nachgefragt, aber nicht mehr freiwillig für die Gemeinschaft geleistet werden. Der Neid auf die vorhergehenden Generationen verwundert nicht, von denen eine stolz auf ihre Aufbauleistung nach dem Zweiten Weltkrieg blicken konnte und die folgende gegen den Muff unter den Talaren aufmuckte. Für die Enkel blieben keine Feinde, die zu hassen, keine Umstürze, die zu planen waren. Das Abarbeiten der Sündenliste, mit der der junge Erzähler sich für den Übergang qualifizieren soll, geschieht in wachsender Angst davor, abgehängt zu werden von Altersgenossen, die beruflich und privat ein flotteres Tempo vorlegen, als er sich für sein nächstes Lebensjahrzehnt vorstellen kann.
Die Überhöhung der Schwelle zum 30. Lebensjahr durch die, die den Übergang noch vor sich haben, stellt Simon Strauß im Roman seiner Generation meisterhaft und glaubwürdig dar. Je nachdem, ob man selbst die dritte Null noch vor sich oder schon hinter sich hat, überwiegen tragische oder komische Anteile.