bücher.de Top-Listen

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 16.09.2024
In den Farben des Dunkels
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


ausgezeichnet

„Patch wusste, dass er kämpfen konnte, nur nicht gegen sein eigenes Schicksal.“ (Seite 493)

Patch verhindert an einem heißen Sommertag die Entführung eines Mädchens, der unbekannte Täter verletzt Patch und nimmt ihn mit. Unendlich viele Stunden verbringt er in völliger Dunkelheit, Trost und Hoffnung gibt ihm lediglich Grace, die ihm im Dunkeln Geschichten erzählt und mit ihren Worten eine Welt erschafft, die er nie vergisst. Seine beste Freundin Saint indessen lässt nichts unversucht, Patch zu finden, sie setzt Himmel und Hölle in Bewegung und das eigene Leben aufs Spiel. Als Patch endlich befreit wird, ist dies erst der Anfang einer jahrzehntelangen Suche nach der Wahrheit, der Liebe und der einen Person, die einfach nicht zu finden ist. Nichts wird mehr so, wie es vorher war, aber das heißt nicht, dass es besser wird.

„Jetzt wusste sie, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Nicht die Art von Schwierigkeiten, deretwegen sie von Lehrern angeschrien wurde oder die ihre Großmutter verzeihen konnte, sondern solche, über die man in der Zeitung las und über die in den Nachrichten berichtet wurde. Solche, von denen man sich niemals wieder erholt.“ (Seite 85)

Die ersten beiden Bücher von Chris Whitaker mit den Titeln „Von hier bis zum Anfang“ sowie „Was auf das Ende folgt“ waren bereits Highlights für mich, mit dem vorliegenden Buch aber hat der Autor wahrlich ein Meisterwerk geschaffen. Der Mix aus Roman, Liebesgeschichte, Drama, Tragödie und Thriller übertraf bei weitem meine Erwartungen und katapultierte sich in meine private Liste der Top Ten der letzten Jahre, wenn nicht sogar darüber hinaus. Dieses Buch wird für mich für immer unvergesslich bleiben.

„Nichts ist wirklich dunkel, wenn Farben in der Welt sind.“ (Seite 485)

Die mehrere Jahrzehnte umfassende Story hat mir unbeschreibliche Lesestunden geschenkt, mich zittern, bangen und durchleben lassen, was den Figuren zugestoßen ist. Dabei habe ich nicht nur Patch ins Herz geschlossen, auch Saint mit ihrer Zähigkeit, ihrem Durchhaltevermögen und der ungebrochenen Liebe zu ihrem besten Freund hat mich erobert im Sturm. Die weiteren Charaktere waren so phantastisch ausgearbeitet, dass ich das Gefühl habe, sie selbst seit Jahren zu kennen. Das Schicksal einer jeden Person hat mich berührt, an vielen Stellen fast schluchzen lassen, wenn das nächste dramatische Ereignis dazu führte, dass es eng wurde und das Schicksal gnadenlos zuschlug. So viel Drama, so viel Liebe, das ist einfach nur grandios!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 02.09.2024
Am Himmel die Flüsse
Shafak, Elif

Am Himmel die Flüsse


ausgezeichnet

„Wir formen aus unseren Träumen größere oder kleinere Gegenstände. Gefühle, die wir zwar haben, aber nicht akzeptieren, versuchen wir durch Dinge auszudrücken, die wir erschaffen - darauf vertrauend, dass sie uns überleben und etwas von uns durch die Schichten der Zeit transportieren, so wie Wasser den Fels durchsickert.“ (Seite 560)

Im Winter des Jahres 1840 kommt am Ufer der Themse ein Kind zur Welt, es ist Arthur, König der Abwasserkanäle und Elendsquartiere genannt. Er wird in Armut und Elend hineingeboren und besitzt eine besondere Gabe, die zugleich ein Fluch sein wird. Im Jahr 2014 spaziert die neunjährige Narin mit ihrer Großmutter am Ufer des Tigris entlang, wo sie, in ein weißes Kleid gekleidet, mit heiligem Wasser aus dem Lalis-Tal getauft werden soll, als die Bulldozer kommen, die sie und die restliche Taufgesellschaft vertreiben. Zaleekhah wiederum hat eine schmerzhafte Trennung hinter sich, mit ihren wenigen Habseligkeiten geht sie im Jahr 2018 am Ufer der Themse entlang zu dem von ihr gemieteten Hausboot. Diese drei Personen haben auf den ersten Blick nichts gemeinsam, aber doch verbindet sie eine Geschichte über viele Jahrhunderte hinweg.

Elif Shafak hat einen Roman geschrieben, zu dem sie von tatsächlichen Ereignissen und historischen Figuren inspiriert worden ist. Die Anmerkungen am Ende des Buches hierzu sind sehr interessant und die Quellenverweise hilfreich bei der Suche nach den wahren Geschehnissen, da diese natürlich zur Geschichte angepasst wurden und oft zeitlich anderweitig anzusiedeln sind. Ich ziehe den Hut vor der Leistung der Autorin, denn die Recherchen für das vorliegende Werk müssen gewaltig gewesen sein.

„Die Heimat ist dort, wo die geliebten Menschen sind, aber das gilt auch umgekehrt. Die, die du liebst, sind deine Zuflucht, dein Schutz, dein Land und, wenn es schlimm kommt, dein Exil. Du wirst ihnen folgen, wohin sie auch gehen.“ (Seite 322)

So viele Jahrhunderte und Jahre Arthur, Narin sowie Zaleekhah trennten, so viele Gemeinsamkeiten fanden sich im Laufe des in fünf Abschnitte aufgeteilten Buches zwischen den Zeilen und auch in den Sätzen wieder. Die Jahre mit Arthur versetzten mich in ein London, das laut, dreckig und mit Gerüchen angefüllt war, die ich aufgrund der bildlichen Schreibweise von Elif Shafak förmlich riechen konnte. Narins Großmutter wiederum schaffte es mit ihren Sagen, Märchen und Fabeln, die sie ihrer Enkelin zuflüsterte, dass ich mich in eine andere Welt, eine wie aus der Sammlung Tausendundeine Nacht, versetzt fühlte, obwohl beider Schicksal für mich mit dem Jahr 2014 begann. Die Wissenschaftlerin Zaleekhah brachte mir ihr Wissensgebiet näher, ich weiß nun unter anderem, dass Wasser vielleicht ein Gedächtnis hat, und dass wir Menschen viele Flüsse begraben haben, sodass diese heute in Vergessenheit geraten sind. Diese und viele andere, äußerst interessante und mir bis dato unbekannte Dinge saugte ich auf wie ein Schwamm während ich durch die Seiten fast geflogen bin.

Viele Themen fanden sich im Buch wieder, manche waren schwer zu ertragen, zum Beispiel als es um das Schicksal der Eziden ging. Die Passagen über den Ende des 19. Jahrhunderts am Tigris verübten Genozid waren die verstörendsten und emotionalsten im Buch. Aber natürlich gab es auch schöne Momente, Zeiten, die informativ sowie unterhaltsam waren, Dinge, die erstaunlich und herzerfrischend gewesen sind. Poetisch, mit einer bildhaften Sprache hat mich Elif Shafak entführt in eine andere Welt, hat mir Orte gezeigt, die phantastisch waren, mich auf Einzelheiten aufmerksam gemacht, die bisher für mich alltäglich waren und nun in einem neuen Licht erscheinen. Ich bin glücklich darüber, dass ich dabei gewesen bin. Wunderbar und lesenswert.
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 10.08.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

VIEWS


ausgezeichnet

Drei Tage nach dem Verschwinden der sechzehnjährigen Lena Palmer taucht ein brutales Video im Internet auf, das sofort viral geht. Die BKA-Kommissarin Yasira Saad wird mit dem Fall betraut und sucht zusammen mit ihrem Team fieberhaft nach dem vermissten Mädchen sowie den Tätern. Währenddessen wächst in der Bevölkerung der Unmut, rechte Gruppierungen rufen zu Demonstrationen und Selbstjustiz auf, die Zeit drängt.

„Das Video hat bereits eine Welle der Empörung ausgelöst. Reaktion und Gegenreaktion sind irgendwie vorhersehbar, und trotzdem schockt es Yasira, wie extrem manche Wortmeldungen ausfallen und wie leise die Stimmen der Vernunft bleiben.“ (Seite 20)

Auf dem Buchdeckel steht ein Satz, wonach das vorliegende Buch Inhalte enthält, die manche Personen als verstörend empfinden könnten. Dies kann ich nach dem Lesen bestätigen, für sensible Leserinnen und Leser ist dieser Gegenwartsroman sicherlich nicht empfehlenswert, der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund. Ich war nach den ersten Kapiteln sicher, dass ich weiß, worauf die Geschichte hinausläuft, wurde aber eines Besseren belehrt und nicht nur das. Die Wendung in der Mitte des Buches verblüffte mich und als ich schon dachte, dass die Richtung nun klar vorgegeben ist, kam ein gänzlich anderer Ansatz hinzu, der mich staunen ließ. Es gehört schon viel Einfallsreichtum dazu, dass es dazu kommt. Das Ende erwischte mich noch einmal kalt, ich konnte nicht fassen, wie es ausgegangen ist. Insgesamt ein großartiger Thriller, der keine Wünsche offen lässt. Lesenswert!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 21.06.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


ausgezeichnet

Konrad, der Großvater von Juni, hat Zeit seines Lebens nie davon gesprochen, wo er gelernt hat, mit den Wellen zu atmen. Er hat seine Erlebnisse im Jahre 1943, als er zusammen mit seinem Bruder auf dem Handelsschiff Anitra im Indischen Ozean von einem japanischen U-Boot angegriffen wurde, nie in Worte gefasst, obwohl dort etwas passiert ist, das ihn für immer verändert hat. Die folgenden Ereignisse prägten ihn und machten aus ihm den Mann, der einen wichtigen Platz im Leben von Juni eingenommen hat.

„Es fühlte sich an, als wäre die Welt untergegangen. Mit ihm als einzigem Überlebenden. Er musste sich um die Toten kümmern, er musste Holzzapfen finden, um die Löcher abzudichten, er musste… Dennoch saß er in den nächsten Minuten einfach nur da, ohne etwas anderes zu tun, als zu weinen.“ (Seite 34)

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die Fortsetzung des großartigen Romans „Als Großmutter im Regen tanzte“. Die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden, sogar in falscher Reihenfolge würden diese einen Sinn ergeben, denn die Wege von Konrad und seiner Ehefrau Tekla kreuzen sich erst nach den dramatischen Ereignissen im Leben der beiden. Auch wenn die Bände nicht unmittelbar zusammenhängen, so ergeben diese erst gemeinsam ein vollständiges Ganzes, denn es werden einige Unklarheiten beseitigt und viele Fragen beantwortet. Jedes der Bücher ist außerdem besonders auf seine eigene Art und Weise und lesenswert.

Wurde die Geschichte von Tekla noch auf zwei Zeitebenen erzählt, spielt sich fast die gesamte Handlung des neuen Buches zwischen 1943 und 1945 ab mit einer abschließenden Episode im Jahr 1947. Sie handelt davon, was in den Kriegsjahren in den Gefangenenlagern auf Java in Indonesien geschah, die durch die japanischen Besetzer geführt wurden. Kenne ich solche Erzählungen sonst zur Genüge, war es dennoch eine Neuerung für mich, dass hier auch das Schicksal der internierten Frauen und Kinder einen großen Raum einnimmt, denn überwiegend sind es Männer, die in den Büchern über Gefangenenlager im Vordergrund stehen. Auch das Thema der Kolonialherrschaft war Neuland für mich und inspiriert mich dazu, mich zukünftig mehr mit dieser Thematik auseinanderzusetzen.

Das Buch hatte dramatische, traurige, aber auch Momente voller Hoffnung, überwiegend schildert es jedoch die brutale Herrschaft der Besetzer auf der Insel, die katastrophalen Bedingungen in den Lagern und den Überlebenskampf der inhaftierten Menschen sowie in kurzen Sequenzen den der indonesischen Bevölkerung. Wer Wohlfühlszenarien erwartet, wird enttäuscht, denn die Fratze des Krieges zeigt hier ihr hässliches Gesicht. Erniedrigungen, Bestrafungen und Exekutionen sind an der Tagesordnung, sensible Menschen sollten damit rechnen, einige Grenzen überschreiten zu müssen. Wer sich darauf einlässt, wird aber mit einer emotionalen und hochspannenden Erzählung belohnt, die große Unterhaltung verspricht und liefert. Lesenswert!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von LichtundSchatten am 28.08.2024
Deutschland auf der schiefen Bahn
Sarrazin, Thilo

Deutschland auf der schiefen Bahn


ausgezeichnet

Am 23. August 2024 erschien in der NZZ ein Artikel mit der Überschrift: „Eine Wirtschaftsnation schafft sich selbst ab.“ Der Autor skizziert den Rückgang der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und die schleichende Deindustrialisierung, er wählt dafür die Überschrift eines früheren Buches von Thilo Sarrazin. In fast allen Punkten sind die vorhergesagten Entwicklungen wahr, in vielen Bereichen sogar noch dramatischer geworden.

Thilo Sarrazin erklärt in diesem neuen Buch alle aktuellen Probleme und vermittelt, wie man sie lösen könnte. Seine Fähigkeit, sachlich klar zu sehen und notwendige Maßnahmen zu skizzieren, war Jahrzehnte lang Grundlage seiner ehemaligen Partei. Sarrazin war ein höchst kompetenter Mitarbeiter, der im Stillen arbeitete und vor kurzem von dieser Partei ausgeschlossen wurde, weil er die Religion des Islam analysierte und ihre Probleme verdeutlichte. Niemand in der SPD wollte darauf hören - bis zum heutigen Tag, bis Solingen im August 2024.

Die Politik sollte nach Thilo Sarrazin heute Konzepte für das magische Viereck umsetzen, d.h. in der gleichzeitigen Sicherung von Rechtsstaat, Demokratie, Meinungsfreiheit und einer stabilen Friedensordnung. Er analysiert alle relevanten Felder, in denen Politik für eine Stabilität dieses Vierecks sorgen muss und macht konkrete Vorschläge. Nichts bleibt außen vor und die Sprache vermittelt verständliche Sachlichkeit mit nachvollziehbaren Umsetzungen.

„In jedem Fall ist deutlich geworden, dass ein naiver Pazifismus, wie er die deutsche Politik seit den Neunzigerjahren weitgehend parteiübergreifend erfasst hatte, unhistorisch ist uns sehr gefährlich werden kann.“ Deutschland hat hier jegliches Maß und die Mitte verloren, die für Staaten so wichtig ist. Ludwig Erhard hatte mit seinem Appell zum Maßhalten 1965 nach Sarrazin völlig recht, obwohl er damals verlacht wurde. „Wenig später bewirkte dann die erste westdeutsche Nachkriegsrezession jene Disziplinierung bei Staatsausgaben, Löhnen und Preisen, die seine Appelle nicht erreicht hatten.“

Auch demokratische, freiheitliche Gesellschaften müssen nicht so bleiben, ihr Bestand ist immer auch bedroht, z.B. von innen her durch die Macht der Parteien und zu lang agierende Regierungspolitiker, von außen z.B. durch Migration, Asyl und Parallel- bzw. Gegengesellschaften. Dies zu erkennen, ist der Kern dieses Buches und die Beschreibung der Bedrohungslagen. Die Zukunft Deutschlands ist offen, wobei das große, weit einladende Scheunentor für Zuwanderer aus fremden Kulturen mit dem Mythos der Vielfalt hell bestrahlt wird bzw. das größte Problem darstellt. Solange hier klare Lösungen abgelehnt werden, wird die tektonische Verschiebung bei der Wählergunst weitergehen, prognostiziert Thilo Sarrazin.

Thilos Sarrazin war für mich in allen seinen Büchern ein Gradmesser für Sachlichkeit und gelungene Analysen, ein kompetenter Zusammenfasser möglicher Lösungen, immer verständlich und klar formulierend. Auch heute noch würde ich mir wünschen, er wäre an verantwortlicher Stelle der Bundesregierung tätig oder würde zumindest noch verantwortliche Beamte und Staatsangestellte schulen. „Eine maßgebende Wende in der Asyl- und Einwanderungspolitik ist für mich eine zentrale Bedingung, um die Zukunft Europas, der EU und auch Deutschlands zu sichern.“
LichtundSchatten

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 15.07.2024
Hast du Zeit?
Winkelmann, Andreas

Hast du Zeit?


ausgezeichnet

Seit Wochen fühlt sich die Krankenschwester Conny Goldmann verfolgt, hat Angst und vertraut sich ihrer besten Freundin Michelle an, die ihren Vater einschaltet, der früher Polizist war. Lars Erik Grotheer war bei der Bundestagspolizei, hat keinerlei Ermittlungserfahrung, und so passiert es, dass bei seiner ersten Beschattung alles schiefläuft und Conny stirbt. Kurze Zeit später verschwindet die Schornsteinfegerin Felicitas Möller, wird während eines Telefonats mit ihrer Freundin Lilly Costanzo aus ihrem Wagen entführt. Ihre Partnerin setzt alle Hebel in Bewegung, um sie zu finden, es fehlt jedoch jede Spur. Grotheer gibt nicht auf und findet Hinweise darauf, dass weitere Personen verschwunden sind, die allerdings nichts miteinander zu tun haben. Die einzige Verbindung finden weder Grotheer noch Lilly, aber die Zeit drängt, denn wieder verschwindet eine Person und die Uhr tickt.

Fast sofort wurde ich mitten ins Geschehen geworfen, wurde Zeugin eines Verbrechens, hielt den Atem an und folgte den beteiligten Personen angespannt auf ihrem Weg. Viele falsche Fährten legte der Autor aus, köderte mich mit kleinen Bröckchen an Informationen, lenkte meine Aufmerksamkeit mal hierhin, mal dorthin, hielt sich dabei aber bedeckt und verriet kein Wort zu viel. Lediglich auf die Zeitangaben am Anfang jedes Kapitels konnte ich mich verlassen, auf meinen Spürsinn leider lange nicht, denn egal wie sehr ich überlegt habe, auf die Täterperson kam ich einfach nicht. Spannende und unerwartete Wendungen machten die Geschichte zu einem kriminellen Genuss, raffiniert gelegte Spuren brachten Rätselspaß, der Nervenkitzel war nicht ohne, Spannung gab es zudem in Übermaß. Dieser Thriller war genau nach meinem Geschmack, zu beanstanden gibt es wirklich nichts. Lesenswert!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 11.07.2024
Wir sehen uns im August
García Márquez, Gabriel

Wir sehen uns im August


ausgezeichnet

Vor acht Jahren starb die Mutter von Ana Magdalena Bach und wurde gemäß ihrem letzten Wunsch auf einer Karibikinsel begraben. An jedem 16. August fährt die Tochter dahin, besucht das Grab und legt einen Strauß Gladiolen darauf. Sie bleibt über Nacht und fährt am nächsten Tag zu Mann und Kindern zurück. In diesem Jahr ist da ein Mann, der sie auf einen Drink einlädt, sie umgarnt, bis eines zum anderen führt und Ana Magdalena ihn mit auf ihr Zimmer nimmt.

Liebe im reifen Alter, diese Überschrift könnte die Erzählung tragen, würde der Geschichte damit aber nicht gerecht. Eine Situation wird ausgenutzt, Verlangen entsteht und das prickelnde Gefühl von etwas Verbotenem liegt in der Luft. Innerhalb von Minuten entscheidet sich Ana Magdalena, etwas zu tun, was sie nie gereizt hat, und sie kommt auf den Geschmack, zumindest bis am nächsten Morgen eine bestimmte Tat den schalen Nachgeschmack einer Erniedrigung hinterlässt. Die folgenden Jahre reduziert der Autor auf die Besuche der Karibikinsel und ich bin fasziniert vom Gefühlschaos, das dieses Erlebnis bei der auf die Fünfzig zugehenden Frau hinterlässt.

Das bisher unveröffentlichte Werk aus dem Nachlass des Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez wollte dieser zu Lebzeiten nicht veröffentlichen, dessen Erben entschieden sich Jahre später dafür und erläutern dies im Vorwort. Für mich war es die erste Begegnung mit einem seiner Bücher, aber sicherlich nicht die letzte, das kann ich versprechen, nachdem ich fertig geworden bin. Ich freue mich darauf.
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 10.07.2024
Reichlich spät
Keegan, Claire

Reichlich spät


ausgezeichnet

Diese Erzählung über einen Tag im Leben von Cathal ist nicht wirklich lang, aber vollkommen ausreichend, damit ich das Gefühl habe, ihn bereits seit langer Zeit zu kennen. Dies ist der Erzählkunst von Claire Keegan geschuldet, die es zustande bringt, auf wenigen Seiten so unglaublich viel zu erzählen.

„Das war das Problem mit Frauen, denen die Liebe abhandenkommt: Der Schleier romantischer Gefühle fällt von ihren Augen, und sie schauen dich an und können in dir lesen.“ (Seite 41)

Bereits auf den ersten Seiten kann ich mich in den Protagonisten hineinversetzen, solche Tage kennt wahrscheinlich jeder zur Genüge. Je weiter die Erzählung aber voranschreitet, umso mehr schwindet meine Sympathie und macht einer leichten Abneigung Platz. Mit minimalem Aufwand erzielt die Autorin eine große Wirkung, ein solches Talent ist nur wenigen gegeben. Am Ende bin ich fast genauso erschöpft wie Cathal und habe das Gefühl, noch länger ertrage ich ihn nicht. Zufrieden klappe ich das Buch zu und lasse die Geschichte wirken. Absolut meisterhaft!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim
am 12.06.2024
Snapdragon
Leyh, Kat

Snapdragon


ausgezeichnet

Facettenreiche Figuren, spannende Erzählung und wertvolle Botschaften!


Inhalt:

Gemäß der Tradition der Familie Bloom wurde Snapdragon - genannt Snap - nach der Lieblingsblume ihrer Mutter Violet benannt: Snapdragon = Löwenmaul.

So weit, so normal!

Doch in ihrer Stadt geht das Gerücht um, dass dort eine Hexe haust.

Auf den ersten Blick erscheint Jacks tatsächlich furchterregend in dunkler Kutte und mit mürrischem Gesicht.

Allerdings auf den zweiten Blick ist Jacks einfach nur eine Crocs tragende, alte Dame, die Skelette von überfahrenen Tieren präpariert und anschließend online verkauft.

Als Snaps bei einer tödlich verunglückten Opossum-Mutter ihren Nachwuchs entdeckt, steht sie unerschrocken mit den Baby-Opossums vor Jacks Tür.

Gemeinsam versorgen sie die Tiere und als Snap beginnt, Jacks besser kennenzulernen, ahnt sie, dass vielleicht doch echte Magie im Spiel ist ... und dass eine Verbindung zur Vergangenheit von Snapdragons Familie besteht ...


Altersempfehlung:

etwa ab 10 Jahre


Mein Eindruck:

Kat Ley erzählt in diesem magisch-realistischem Comic vom Anderssein, dem nicht den Erwartungen der Gesellschaft Entsprechen und damit verbundener Vorurteile, aber auch von wahrer Freundschaft und magischen Kräften.

Nahezu alle Charaktere sind Außenseiter und vielschichtig angelegt. Der Großteil sind zudem POC. Nichts ist, wie es zunächst scheint.

Jacks wirkt eher männlich aufgrund ihrer schlaksigen, hochgewachsenen Art und auch in den Rückblenden liest man sie in ihrer Motorradkluft und mit kurzem Haar nicht als Frau.

Snapdragon ist (zeichnerisch durch den wilden Haarschopf verdeutlicht) ein richtiges Energiebündel. Sie liebt gruselige Filme und ihren dreibeinigen Hund Good Boy.

Snaps Mutter ist alleinerziehend, hat gerade eine toxische Beziehung beendet und ist mit Job, Haushalt, Weiterbildung & Co. mehr als ausgelastet.

Snapdragon hat in Louis einen Freund gefunden und teilt mit ihm Ängste und Sorgen. Ganz selbstverständlich wird im Verlauf der Geschichte aus Lou die fröhliche Lulu ... mit Glitzernagellack, lilafarbenem Rock und Ohrringen.

Hinterfragt werden aber nicht nur Geschlechterrollen, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz im Hinblick auf Beziehungs- und Familienkonstellationen.

Wir fahren alle besser damit, wenn wir die Unterschiede, uns selbst und einander akzeptieren.

Es gelingt scheinbar mühelos, viele Themen in die Handlung einfließen zu lassen, ohne den Lesefluss zu stören oder die eigentliche Handlung in den Hintergrund zu drängen.

Das Zusammenspiel von Bild und Text ist hervorragend gelungen und unterstreicht die jeweilige Atmosphäre.

Der Zeichenstil passt hervorragend, insbesondere die ausdrucksstarke Mimik der Charaktere, das Spiel mit Perspektiven sowie die Darstellung der Magie.

Auch die Kulissen sind beeindruckend und atmosphärisch. Die teils gruselige Stimmung ist ganz wunderbar umgesetzt und bleibt altersentsprechend harmlos.

Der Comic besticht neben vielfältigen und skurril-charmanten Charakteren sowie herzerwärmenden, wertvollen Botschaften auch durch die spannende und temporeiche Erzählung und das zu lüftende Familiengeheimnis.

An dieser Stelle wird selbstverständlich nichts verraten;-)

Eine Leseempfehlung für Jung und Alt, für Jungen und Mädchen!


Bonusmaterial:

Abschließend findet sich ein Blick hinter die Kulissen: erste Entwürfe, Charakterstudien, Skizzen sowie die Darstellung vom Rohszenario zum fertigen Panel.


Fazit:

Bildgewaltig - magisch - bewegend!

Ein außergewöhnlicher Comic ... nicht nur für Kinder!

Anderssein, tiefe Freundschaft und Selbstzweifel verwoben mit magischen und geheimnisvollen Ereignissen bieten ein spannendes und gleichermaßen berührendes Leseerlebnis!


...

Rezensiertes Buch: "Snapdragon" aus dem Jahr 2023
Fernweh_nach_Zamonien aus Buchhaim

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung von mimitatis_buecherkiste aus Krefeld
am 06.06.2024
Die Töchter des Bärenjägers
Jordahl, Anneli

Die Töchter des Bärenjägers


ausgezeichnet

Der berüchtigte Bärenjäger Heikki Leskinen ist tot, gestorben im Kampf mit einem Bären. Als kurze Zeit später die ungeliebte Mutter stirbt, machen sich die sieben Schwestern auf den Weg in die Wildnis, um sich hundertfünfzig Kilometer von der Zivilisation entfernt ein eigenes Leben aufzubauen. Völlig unbedarft und unvorbereitet stellen sich die jungen Frauen dem rauen Dasein, nicht ahnend, dass der nahende Winter keine Gnade kennt.

„Ich konnte den Blick nicht von den drei Schwestern wenden. Sie zogen mich an, so diskret wie möglich umkreiste ich ihren Stand. Notierte ihre groben, von Kratzern und Wunden übersäten Hände, ihre langen Finger und die Schmutzränder unter den Nägeln, als sie ihren Kunden Pilze in Papiertüten reichten.“ (Seite 9)

Eine zu Beginn namenlose Erzählerin nahm mich mit auf die Reise in die finnischen Wälder, bekundete ihre Faszination für die Familie Leskinen und erzählte eine Geschichte über die sieben Schwestern, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, obwohl sogar zwei Zwillingspaare darunter waren. Anfangs tat ich mich schwer mit dem Buch und befürchtete schon, dass ich es abbrechen würde, als der Zauber zu wirken begann. Dies lag nicht etwa an den Schwestern oder ihrem Umgang miteinander, denn dieser war wild und ungestüm, von schwesterlicher Liebe gab es keine Spur, im Gegenteil war ich entsetzt darüber, wie barbarisch es zwischen ihnen zuging. Es lag auch nicht an der Sprache, die derb und oft mit den schlimmsten Schimpfausdrücken und unflätigsten Wörtern gespickt war. Anscheinend war ich einfach der gleichen Faszination erlegen, wie es der Erzählerin passiert ist, und konnte den Blick nicht mehr abwenden.

Ich bin froh, das Buch gelesen zu haben, obwohl mich bis kurz vor dem Ende jede der sieben Schwestern regelrecht abgeschreckt, um nicht zu sagen abgestoßen hat. Es gab nichts, was dazu beigetragen hätte, dass bei mir auch nur ein Funken Sympathie für eines der Mädchen beziehungsweise jungen Frauen gewachsen wäre. Dies muss man bei einer solchen Geschichte aber aushalten können und das habe ich mit großem Genuss getan. Auf den letzten Seiten versöhnte ich mich mit einigen der Schwestern, spürte fast so etwas wie Stolz auf die Leistung manch einer von ihnen. Es war eine aufregende, manchmal anstrengende, insgesamt aber eine atemberaubende Reise in eine andere Welt. Große Leseempfehlung!
mimitatis_buecherkiste aus Krefeld

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.