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Juni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Uwe Wittstock erzählt die aufwühlende Geschichte ihrer Flucht unter tödlichen Gefahren. Es ist das dramatischste Jahr der deutschen Literaturgeschichte: Die deutschen Truppen fallen in Frankreich ein. In Nizza lauscht Heinrich Mann bei Bombenalarm den Nachrichten von Radio...
Juni 1940: Hitlers Wehrmacht hat Frankreich besiegt. Die Gestapo fahndet nach Heinrich Mann und Franz Werfel, nach Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und unzähligen anderen, die seit 1933 in Frankreich Asyl gefunden haben. Derweil kommt der Amerikaner Varian Fry nach Marseille, um so viele von ihnen wie möglich zu retten. Uwe Wittstock erzählt die aufwühlende Geschichte ihrer Flucht unter tödlichen Gefahren. Es ist das dramatischste Jahr der deutschen Literaturgeschichte: Die deutschen Truppen fallen in Frankreich ein. In Nizza lauscht Heinrich Mann bei Bombenalarm den Nachrichten von Radio London. Anna Seghers flieht mit ihren Kindern zu Fuß aus Paris. Und Lion Feuchtwanger sitzt in einem französischen Internierungslager gefangen, während die SS-Einheiten näherrücken. Sie alle geraten schließlich nach Marseille, um von dort einen Weg in die Freiheit zu suchen. Hier übergibt Walter Benjamin seinen letzten Essay an Hannah Arendt, bevor er zur Flucht über die Pyrenäen aufbricht. Hier kreuzen sich die Wege zahlreicher deutscher und österreichischer Schriftsteller, Intellektueller, Künstler. Und hier riskieren Varian Fry und seine Mitstreiter Leib und Leben, um die Verfolgten außer Landes zu schmuggeln. Vielen gelingt die Flucht, andere schaffen es nicht mehr, manche geben auf und nehmen sich aus Angst das Leben. Szenisch dicht und feinfühlig erzählt Uwe Wittstock von unfassbarem Mut und größter Verzweiflung, von trotziger Hoffnung und Mitmenschlichkeit in düsterer Zeit.
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Uwe Wittstock ist Schriftsteller und Journalist und war bis 2018 Redakteur des Focus. Zuvor hat er als Literaturredakteur für die FAZ, als Lektor bei S. Fischer und als stellvertretender Feuilletonchef und Kulturkorrespondent für die Welt gearbeitet. Er wurde mit dem Theodor-Wolff-Preis für Journalismus ausgezeichnet. Bei C.H.Beck ist sein Bestseller "Februar 33. Der Winter der Literatur" (6. Auflage 2021) erschienen, der in neun Sprachen übersetzt wurde.
Produktdetails
- Verlag: C.H. Beck
- Seitenzahl: 354
- Erscheinungstermin: 15. Februar 2024
- Deutsch
- ISBN-13: 9783406814914
- Artikelnr.: 69635766
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wilhelm von Sternburg lobt Uwe Wittstocks Buch über den Transit-Ort Marseille um 1940, über das unfreiwillige Treffen der deutschen Geisteselite in der französischen Hafenstadt und die Arbeit des Fluchthelfers Varian Fry für seinen atemlosen, episodischen, der geschilderten Situation gut stehenden Stil. Das Schicksal der Manns, Werfels, Feuchtwangers und anderer, das sich in Marseille entschied und das Wittstock anhand von Erinnerungen, Tagebüchern und Briefen detailreich nachzuerzählen weiß, scheint Sternburg auch heute noch tief zu berühren, ja zu erschüttern.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Existenzdrama und Weltgeschichte
Heinrich Mann, Anna Seghers, Walter Benjamin und viele mehr: Uwe Wittstock beschreibt die verzweifelte Flucht deutscher Literaten vor den Nationalsozialisten.
Marseille: neben Auschwitz einst der andere Ausgang aus Europa", notierte im Rückblick der Résistance-Kämpfer und einstige KZ-Häftling David Rousset. Das Herz der französischen Hafenstadt schlug schon immer im Takt der Weltgeschichte. Vor gut achtzig Jahren stauten sich dort Flüchtlinge aus dem NS-Machtbereich. Das Klima aus Verfolgungs- und Überlebensangst, Langeweile, Hunger, Schlangestehen, Schwarzmarkt und Mafia wurde Gegenstand von Filmen und Romanen. Der berühmteste ist "Transit" von Anna Seghers.
Nichts sei
Heinrich Mann, Anna Seghers, Walter Benjamin und viele mehr: Uwe Wittstock beschreibt die verzweifelte Flucht deutscher Literaten vor den Nationalsozialisten.
Marseille: neben Auschwitz einst der andere Ausgang aus Europa", notierte im Rückblick der Résistance-Kämpfer und einstige KZ-Häftling David Rousset. Das Herz der französischen Hafenstadt schlug schon immer im Takt der Weltgeschichte. Vor gut achtzig Jahren stauten sich dort Flüchtlinge aus dem NS-Machtbereich. Das Klima aus Verfolgungs- und Überlebensangst, Langeweile, Hunger, Schlangestehen, Schwarzmarkt und Mafia wurde Gegenstand von Filmen und Romanen. Der berühmteste ist "Transit" von Anna Seghers.
Nichts sei
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erfunden, schreibt Uwe Wittstock im Vorwort seines Buchs. Alles ist wahr, hört man mit. Nein. Alles sei belegt, war der Autor klug genug zu präzisieren. Belegt nämlich durch Briefe, Tagebücher, autobiographische Erinnerungen der damaligen Betroffenen. Hinzuerfinden ist da gar nicht nötig, denn es ist in solchen Belegen schon angelegt. So muss man dieses Buch lesen, als ein Panorama unglaublicher Geschichten, von den Akteuren selbst oft selektiv erinnert, überarbeitet, ausgemalt. Und wenn ein begabter Arrangeur am Werk ist wie der mit seinem Buch "Februar 33" über die Winterstarre der deutschen Literatur beim Machtantritt Hitlers weithin bekannt gewordene Wittstock, ist die Spannung garantiert.
Entgegen kam ihm dabei die Figur des Amerikaners Varian Fry und dessen Einsatz in Marseille für bedrohte Intellektuelle und Künstler. Denn der in Nizza mit der Vollendung seines Romans "Henri Quatre" sich abmühende Exilant Heinrich Mann, der in seiner Villa von Sanary-sur-Mer den Kriegsausbruch beobachtende Lion Feuchtwanger, die mit ihren Kindern durchs besetzte Frankreich irrende Anna Seghers, der bei der Flucht über die Pyrenäen traurig scheiternde Walter Benjamin - diese und Dutzende weiterer derart bedrängter Schriftstellerschicksale liefen alle bei Varian Fry zusammen. Auch als nach dem französischen Zusammenbruch und dem Waffenstillstand im Juni 1940 immer weniger Schiffe aus Marseille nach Amerika ausliefen, zog Frys dort etabliertes Centre Américain de Secours weiterhin zahllose Anwärter auf ein amerikanisches Visum an.
Wittstocks Darstellung in kurzen Szenen am chronologischen Faden der Geschehnisse vom Mai 1940 bis Ende 1941 funktioniert vorzüglich, schon in der vorangestellten Geschichte zweier Julitage im Jahr 1935. Fry wird da beim Gang über den Kurfürstendamm in Berlin Zeuge eines SA-Pogroms gegen jüdische Geschäfte und Passanten. Heinrich Mann beschreibt am selben Tag in einem Brief seinem Bruder Thomas ein antifaschistisches Schriftstellertreffen in Paris. Franz Werfel verfasst einen Nachruf auf die in Wien gerade beerdigte Bundeskanzlergattin Herma Schuschnigg und spricht darin vor allem lobend von ihrem Mann, dem er und seine Frau Alma Mahler-Werfel nahestanden. Die breit ausgelegten Ereignisstränge sammeln sich dann sukzessive im Knotenpunkt Marseille.
Erzählt wird im kleinteiligen Filmschnittverfahren. Immerfort taucht man von einer Szene in die andere ein, mit wechselnden Protagonisten. In Paris fährt Hannah Arendt am 15. Mai 1940 mit der Metro zur Radsporthalle Vel' d'Hiv', wo die Frauen aus den Feindesländern Deutschland und Österreich sich zur Internierung zu melden haben. Im billigen Pariser Hôtel de l'Univers halten sich die Schriftsteller Walter Mehring und Ernst Weiß sowie die Wiener Schauspielerin Hertha Pauli versteckt. Aus Sanary-sur-Mer sucht das Ehepaar Werfel nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich über Marseille mit Privatchauffeur und zwölf Koffern nach Bordeaux und weiter nach Amerika zu entkommen. Im südfranzösischen Internierungslager Loriol sitzt der einunddreißigjährige Golo Mann fest, der sich als Legionär bei der französischen Armee melden wollte.
Jedes in den Quellen vorgefundene Detail wird genutzt, um die jeweilige Situation lebendig zu schildern. Man erfährt, ob es gerade regnet oder ob die Sonne brennt. In einem Marseiller Vorortlokal studiert an einem Septembertag der mit Alfred Kantorowicz zum Mittagessen verabredete Heinrich Mann die Weinkarte und bestellt nach einem leichten Rosé einen Burgunder Jahrgang 1912. In seiner Villa in Sanary-sur-Mer hört Feuchtwanger aus dem Radio vom Vormarsch der Deutschen und überbringt dann die Nachricht seiner Frau Marta, die in der Küche gerade die Katzen füttert. Derweil schraubt in seinem Marseiller Zimmer des Hôtel Splendide der amerikanische Fluchthelfer Fry den Wandspiegel der Garderobe ab, um dahinter die handgezeichnete Karte eines Fluchtwegs über die Pyrenäen nach Spanien vor allfälligen Polizeikontrollen zu verstecken. Immer ist man als Leser unmittelbar dabei, verfolgt das Hin und Her direkter Rede, wird Zeuge unwahrscheinlicher Szenen zwischen Existenzdrama, Gaunermilieu und Weltgeschichte.
Daraus ergeben sich allerdings zwei Probleme. Erstens verleiht diese Darstellung den erzählten Ereignissen eine Faktizität, die sie, aus subjektiven literarischen Erinnerungen zusammengetragen, nicht haben können. "Sind Erinnerungen verlässlich?", fragte die Schriftstellerin Marica Bodrozic vor zwei Jahren in ihrem Buch "Die Arbeit der Vögel", das - mehr reflektierend und in der Möglichkeitsform erzählt - ebenfalls Walter Benjamins letzten Weg über die Pyrenäen nachzeichnete. Auch in Wittstocks Buch muss man bei jeder Szene mitdenken: So könnte es gewesen sein.
Das daraus folgende zweite Problem wiegt schwerer. Es ist das einer gewissen Einseitigkeit. Wohl war unter jenen Fluchtsuchenden jeder in seiner Notsituation mit sich allein. Jeder war aber auch Teil eines Kontextes, der trotz der häufigen Szenenwechsel im Buch nicht ganz deutlich wird. Dass Fry und das amerikanische Emergency Rescue Committee um die Rettung nicht speziell der deutschen, sondern der europäischen Intellektuellen besorgt war, geht manchmal vergessen. Denn aus den persönlichen Erinnerungen ergibt sich zwangsläufig eine Perspektivenverengung, die der Autor Wittstock nicht immer korrigiert. Der erwähnte Brief Heinrich Manns an seinen Bruder schildert Eindrücke vom antifaschistischen europäischen Schriftstellertreffen im Juni 1935 in Paris. Sein Vortrag sei stürmisch begrüßt worden, berichtet der Briefschreiber. André Gide habe ihn danach, so lesen wir bei Wittstock, ins Café Les Deux Magots eingeladen, ihn dort aber zusammen mit seiner Begleiterin Thea Sternberg einfach sitzen lassen und sich mit anderen Leuten unterhalten - wohl um verständlich zu machen, dass er, Gide, hier der intellektuelle Platzhirsch sei. Das mag den beiden Deutschen so vorgekommen sein. In Gides eigenem Tagebuch klingt es aber anders. Als Mitveranstalter des von Moskau mitgetragenen Treffens war er vor allem damit beschäftigt, den Unmut der teils von weit her angereisten und wegen der zahlreichen Redner am Auftritt verhinderten Gäste zu besänftigen.
Wenig erfährt man auch darüber, was die Exilanten neben dem Warten und Gesuchestellen sonst noch gedacht, geschrieben, gemalt, gemacht haben. Die von Frys Schützling André Breton in der Marseiller Fluchthelfervilla Air-Bel veranstalteten Treffen waren jedenfalls etwas mehr als surrealistische Epigonenspäße. Mit der in Marseille angesiedelten Zeitschrift "Cahiers du Sud", dem Landsitz der Mäzenin Lily Pastré in Montredon, dem Kreis der "Croque-Fruits" um den Theatermann Sylvain Itkine war die Hafenstadt ein Schmelztiegel, in dem trotz der Not das künstlerische Schaffen weiterging.
Doch das Fazit bleibt: Wittstock bietet eine beeindruckende und solide recherchierte Materialfülle, abgesehen von einigen unerheblichen Datierungsfehlern und Namensfalschschreibungen. Das Bild der französischen Polizisten und der Bevölkerung unter dem Vichy-Regime zwischen Wohlwollen, Bürokratie, Schlamperei und spontaner Hilfsbereitschaft wirkt ausgewogen. Schlüssig werden auch die wachsenden Spannungen zwischen dem von New York aus auf strikte Visabeschaffung ausgerichteten Emergency Rescue Committee und dem in Marseille mit Ausweisfälschung und aktiver Fluchthilfe mutig in die Illegalität sich begebenden Kreis um Varian Fry dargestellt. Vor allem aber liest sich dieses anekdotengespickte Buch wie ein historischer Thriller. Was man aus den zahlreich überlieferten literarischen Zeugnissen da und dort aufgeschnappt hat, ist hier zu einem Storyboard gebündelt, das man bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen mag. JOSEPH HANIMANN
Uwe Wittstock: "Marseille 1940". Die große Flucht der Literatur.
Verlag C. H. Beck, München 2024. 351 S., Abb., geb.,
26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Entgegen kam ihm dabei die Figur des Amerikaners Varian Fry und dessen Einsatz in Marseille für bedrohte Intellektuelle und Künstler. Denn der in Nizza mit der Vollendung seines Romans "Henri Quatre" sich abmühende Exilant Heinrich Mann, der in seiner Villa von Sanary-sur-Mer den Kriegsausbruch beobachtende Lion Feuchtwanger, die mit ihren Kindern durchs besetzte Frankreich irrende Anna Seghers, der bei der Flucht über die Pyrenäen traurig scheiternde Walter Benjamin - diese und Dutzende weiterer derart bedrängter Schriftstellerschicksale liefen alle bei Varian Fry zusammen. Auch als nach dem französischen Zusammenbruch und dem Waffenstillstand im Juni 1940 immer weniger Schiffe aus Marseille nach Amerika ausliefen, zog Frys dort etabliertes Centre Américain de Secours weiterhin zahllose Anwärter auf ein amerikanisches Visum an.
Wittstocks Darstellung in kurzen Szenen am chronologischen Faden der Geschehnisse vom Mai 1940 bis Ende 1941 funktioniert vorzüglich, schon in der vorangestellten Geschichte zweier Julitage im Jahr 1935. Fry wird da beim Gang über den Kurfürstendamm in Berlin Zeuge eines SA-Pogroms gegen jüdische Geschäfte und Passanten. Heinrich Mann beschreibt am selben Tag in einem Brief seinem Bruder Thomas ein antifaschistisches Schriftstellertreffen in Paris. Franz Werfel verfasst einen Nachruf auf die in Wien gerade beerdigte Bundeskanzlergattin Herma Schuschnigg und spricht darin vor allem lobend von ihrem Mann, dem er und seine Frau Alma Mahler-Werfel nahestanden. Die breit ausgelegten Ereignisstränge sammeln sich dann sukzessive im Knotenpunkt Marseille.
Erzählt wird im kleinteiligen Filmschnittverfahren. Immerfort taucht man von einer Szene in die andere ein, mit wechselnden Protagonisten. In Paris fährt Hannah Arendt am 15. Mai 1940 mit der Metro zur Radsporthalle Vel' d'Hiv', wo die Frauen aus den Feindesländern Deutschland und Österreich sich zur Internierung zu melden haben. Im billigen Pariser Hôtel de l'Univers halten sich die Schriftsteller Walter Mehring und Ernst Weiß sowie die Wiener Schauspielerin Hertha Pauli versteckt. Aus Sanary-sur-Mer sucht das Ehepaar Werfel nach dem deutschen Einmarsch in Frankreich über Marseille mit Privatchauffeur und zwölf Koffern nach Bordeaux und weiter nach Amerika zu entkommen. Im südfranzösischen Internierungslager Loriol sitzt der einunddreißigjährige Golo Mann fest, der sich als Legionär bei der französischen Armee melden wollte.
Jedes in den Quellen vorgefundene Detail wird genutzt, um die jeweilige Situation lebendig zu schildern. Man erfährt, ob es gerade regnet oder ob die Sonne brennt. In einem Marseiller Vorortlokal studiert an einem Septembertag der mit Alfred Kantorowicz zum Mittagessen verabredete Heinrich Mann die Weinkarte und bestellt nach einem leichten Rosé einen Burgunder Jahrgang 1912. In seiner Villa in Sanary-sur-Mer hört Feuchtwanger aus dem Radio vom Vormarsch der Deutschen und überbringt dann die Nachricht seiner Frau Marta, die in der Küche gerade die Katzen füttert. Derweil schraubt in seinem Marseiller Zimmer des Hôtel Splendide der amerikanische Fluchthelfer Fry den Wandspiegel der Garderobe ab, um dahinter die handgezeichnete Karte eines Fluchtwegs über die Pyrenäen nach Spanien vor allfälligen Polizeikontrollen zu verstecken. Immer ist man als Leser unmittelbar dabei, verfolgt das Hin und Her direkter Rede, wird Zeuge unwahrscheinlicher Szenen zwischen Existenzdrama, Gaunermilieu und Weltgeschichte.
Daraus ergeben sich allerdings zwei Probleme. Erstens verleiht diese Darstellung den erzählten Ereignissen eine Faktizität, die sie, aus subjektiven literarischen Erinnerungen zusammengetragen, nicht haben können. "Sind Erinnerungen verlässlich?", fragte die Schriftstellerin Marica Bodrozic vor zwei Jahren in ihrem Buch "Die Arbeit der Vögel", das - mehr reflektierend und in der Möglichkeitsform erzählt - ebenfalls Walter Benjamins letzten Weg über die Pyrenäen nachzeichnete. Auch in Wittstocks Buch muss man bei jeder Szene mitdenken: So könnte es gewesen sein.
Das daraus folgende zweite Problem wiegt schwerer. Es ist das einer gewissen Einseitigkeit. Wohl war unter jenen Fluchtsuchenden jeder in seiner Notsituation mit sich allein. Jeder war aber auch Teil eines Kontextes, der trotz der häufigen Szenenwechsel im Buch nicht ganz deutlich wird. Dass Fry und das amerikanische Emergency Rescue Committee um die Rettung nicht speziell der deutschen, sondern der europäischen Intellektuellen besorgt war, geht manchmal vergessen. Denn aus den persönlichen Erinnerungen ergibt sich zwangsläufig eine Perspektivenverengung, die der Autor Wittstock nicht immer korrigiert. Der erwähnte Brief Heinrich Manns an seinen Bruder schildert Eindrücke vom antifaschistischen europäischen Schriftstellertreffen im Juni 1935 in Paris. Sein Vortrag sei stürmisch begrüßt worden, berichtet der Briefschreiber. André Gide habe ihn danach, so lesen wir bei Wittstock, ins Café Les Deux Magots eingeladen, ihn dort aber zusammen mit seiner Begleiterin Thea Sternberg einfach sitzen lassen und sich mit anderen Leuten unterhalten - wohl um verständlich zu machen, dass er, Gide, hier der intellektuelle Platzhirsch sei. Das mag den beiden Deutschen so vorgekommen sein. In Gides eigenem Tagebuch klingt es aber anders. Als Mitveranstalter des von Moskau mitgetragenen Treffens war er vor allem damit beschäftigt, den Unmut der teils von weit her angereisten und wegen der zahlreichen Redner am Auftritt verhinderten Gäste zu besänftigen.
Wenig erfährt man auch darüber, was die Exilanten neben dem Warten und Gesuchestellen sonst noch gedacht, geschrieben, gemalt, gemacht haben. Die von Frys Schützling André Breton in der Marseiller Fluchthelfervilla Air-Bel veranstalteten Treffen waren jedenfalls etwas mehr als surrealistische Epigonenspäße. Mit der in Marseille angesiedelten Zeitschrift "Cahiers du Sud", dem Landsitz der Mäzenin Lily Pastré in Montredon, dem Kreis der "Croque-Fruits" um den Theatermann Sylvain Itkine war die Hafenstadt ein Schmelztiegel, in dem trotz der Not das künstlerische Schaffen weiterging.
Doch das Fazit bleibt: Wittstock bietet eine beeindruckende und solide recherchierte Materialfülle, abgesehen von einigen unerheblichen Datierungsfehlern und Namensfalschschreibungen. Das Bild der französischen Polizisten und der Bevölkerung unter dem Vichy-Regime zwischen Wohlwollen, Bürokratie, Schlamperei und spontaner Hilfsbereitschaft wirkt ausgewogen. Schlüssig werden auch die wachsenden Spannungen zwischen dem von New York aus auf strikte Visabeschaffung ausgerichteten Emergency Rescue Committee und dem in Marseille mit Ausweisfälschung und aktiver Fluchthilfe mutig in die Illegalität sich begebenden Kreis um Varian Fry dargestellt. Vor allem aber liest sich dieses anekdotengespickte Buch wie ein historischer Thriller. Was man aus den zahlreich überlieferten literarischen Zeugnissen da und dort aufgeschnappt hat, ist hier zu einem Storyboard gebündelt, das man bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen mag. JOSEPH HANIMANN
Uwe Wittstock: "Marseille 1940". Die große Flucht der Literatur.
Verlag C. H. Beck, München 2024. 351 S., Abb., geb.,
26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandfunk im März 2024:
Ein packendes Buch über Schicksalsdramen und Menschlichkeit.
"Ein detailreich recherchiertes, komplex gebautes und spannendes Buch ... Ein Lehrstück über die große Kraft der Solidarität zwischen Menschen und Völkern.
Süddeutsche Zeitung, Hilmar Klute
"Liest sich wie ein historischer Thriller. Was man aus den zahlreich überlieferten literarischen Zeugnissen da und dort aufgeschnappt hat, ist hier zu einem Storyboard gebündelt, das man bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen mag.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Joseph Hanimann
Anschaulich und atemlos Im Grunde gibt es kaum ein
Ein packendes Buch über Schicksalsdramen und Menschlichkeit.
"Ein detailreich recherchiertes, komplex gebautes und spannendes Buch ... Ein Lehrstück über die große Kraft der Solidarität zwischen Menschen und Völkern.
Süddeutsche Zeitung, Hilmar Klute
"Liest sich wie ein historischer Thriller. Was man aus den zahlreich überlieferten literarischen Zeugnissen da und dort aufgeschnappt hat, ist hier zu einem Storyboard gebündelt, das man bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen mag.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Joseph Hanimann
Anschaulich und atemlos Im Grunde gibt es kaum ein
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historisches Thema, das für unsere Gegenwart so relevant sein könnte wie Marseille 1940 ... Hier erfährt man en détail, wie Schweigen, Opportunismus und falsch verstandene Zurückhaltung eine brachiale Gewalt ermöglichen und wie schwer es ist, die Würde zu behalten, wenn die Willkür regiert."
DIE ZEIT, Florian Illies
Großartig Ein sehr wichtiges, ein ganz tolles Buch und ich lege Ihnen das sehr ans Herz.
SPIEGEL Online, Elke Heidenreich
Elegant, lebendig und mit einer Fülle überraschender Details
Die Presse, Anne-Catherine Simon
Ein Buch, das von der Gewalt der Herrschenden, dem Überlebenskampf der Verfolgten und dem Mut der Helfer und Helferinnen erzählt. Es erscheint in einer Zeit, die von weltweiten Flüchtlingsströmen gezeichnet ist. Nicht zuletzt das macht es so wichtig.
Frankfurter Rundschau, Wilhelm von Sternburg
Um die zweifache Sicht geschichtsgetreu zu vermitteln, hat der Autor zahllose autobiografische und briefliche Dokumente mit einer dichterisch-emphatischen Sprachkraft nacherzählt, wie man ihr nur selten in Sachbüchern begegnet.
Tagesspiegel, Paul Michael Lützeler
Wirklich gut erzählt ist und mit vielen interessanten Details in die Tiefe des Geschehens vordringt.
Kleine Zeitung, Ernst Sittinger
Uwe Wittstock erzählt ebenso packend wie kenntnisreich.
TAGESSPIEGEL, Denis Scheck
Wittstock erweist sich in seiner spannend und glänzend geschriebenen szenischen Darstellung als ein Meister des Metiers der narrative nonfiction.
Cicero, René Schlott
"Wittstocks sorgfältig recherchiertes, detailreiches Buch liest sich wie ein Krimi."
WDR 5, Peter Meisenberg
Ein außergewöhnlich spannend erzähltes Lehrstück über Verzweiflung und Mut in finsteren Zeiten.
mdr Kultur, Stefan Nölke
Es ist fast makaber, wie spannend es ist und wie gerne man es liest ... Er reiht eine filmreife Szene an die andere.
Bayern 2 Diwan, Julie Metzdorf
Extrem spannend und meisterhaft arrangiert ... Ein fesselnder Wettlauf gegen den Zugriff der Nazis, dem man gebannt folgt.
Abendzeitung, Volker Isfort
Es liest sich wie ein spannender Roman, dessen Protagonisten Figuren der Geistesgeschichte sind. Man kann bei der Lektüre nicht umhin, an heutige Gefahren der Demokratie zu denken.
Der siebte Tag, Nils Minkmar
In diesen Tagen zunehmender Abschottung und eines Kriegs mitten in Europa ist dieses Werk ein wichtiges, eindringliches und beeindruckendes Buch, dem mindestens der Erfolg zu wünschen ist, den Wittstock mit seinem vorherigen erzählenden Sachbuch landen konnte!
Buch-Haltung, Marius Müller
Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von der literarischen WELT, NZZ, RBB Kultur und Radio Österreich 1 im März 2024
Derart gut gelungen, dass man es in einem Zug durchlesen möchte.
ORF, Helmut Zechner
Enorm spannend.
ZEIT ONLINE-Podcast "Was liest du gerade?", Alexander Cammann
Atemlos, man fliegt da durch.
ZEIT ONLINE-Podcast "Was liest du gerade?", Maja Beckers
Wittstock hat die Quellen zur Geschichte des ERC in einem spannend erzählten, streng chronologisch geordneten und von Empathie geprägten Buch zusammengeführt.
Welt am Sonntag, Wolf Lepenies
Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von WELT, NZZ, RBB Kultur und Radio Österreich 1 im März 2024
Geschickt konstruiertes und fesselndes Buch. So detailliert, so spannend, umfassend und temporeich wie der Literaturkritiker Uwe Wittstock hat noch niemand diese Geschichte von Bedrohung und Ende des literarischen und intellektuellen Exils in ihren historisch-politischen Rahmen gesetzt.
Neue Zürcher Zeitung, Cord Aschenbrenner
Extrem spannendes historisches Kaleidoskop. Kenntnisreich und kundig collagiert, ein grandioser historischer Bilderbogen, spannend wie ein Thriller.
Denis Scheck
Kluges, ausgezeichnet lesbares Panorama vielfältiger Geschichten deutscher, jüdischer Literaten und Intellektueller auf der Flucht. Außerdem ein gelungenes Beispiel des Genres der Doku-Erzählung.
Literarische WELT, Mara Delius
Dass sich das lesend zuweilen anfühlt als sei man dabei, so detailreich sind Wittstocks Berichte, so anschaulich, so farbig, so nah am Fühlen und Denken der Protagonisten, ihren Ängsten, Hoffnungen und Plänen das, liegt an den Quellen, derer sich Wittstock bedient: Briefen und Tagebüchern, Erinnerungen, Autobiographien und Interviews der Protagonisten.
Das Parlament, Beilage zur LBM24, Michael Schmidt
Packende Episodendokumentation Auf atemberaubende Weise rekonstruiert der Autor und Literaturkritiker die verzweifelten Rettungsaktionen europäischer Dichter, Künstler, Avantgardisten aus Frankreich Hat eine Hand dafür, Monate von verdichteter Geschichte so zu erzählen, als wäre das lesende Publikum unmittelbar dabei
Falter, Robert Misik
Mit Marseille 1940 zeigt Uwe Wittstock wie unmittelbar Geschichtsschreibung sein kann.
OE1, Wolfgang Popp
Ein Buch über Schicksalsdramen und Menschlichkeit.
ZEIT Newsletter was wir lesen
Atemberaubend dicht, spannend und bedrückend.
Oberösterreichische Nachrichten, Wolfgang Braun
Wittstock hält sich an die Fakten. Unterhaltsam ist er aber auch. Fesselndes, sehr informativen Buch.
Berliner Zeitung, Sabine Rohlf
Nominiert für den Bayern 2 - Publikumspreis
Spannend und lehrreich
Die Zeit Newsletter Was wir lesen, Burghart Klaußner
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen.
Instagram @jellahaase, Jella Haase
DIE ZEIT, Florian Illies
Großartig Ein sehr wichtiges, ein ganz tolles Buch und ich lege Ihnen das sehr ans Herz.
SPIEGEL Online, Elke Heidenreich
Elegant, lebendig und mit einer Fülle überraschender Details
Die Presse, Anne-Catherine Simon
Ein Buch, das von der Gewalt der Herrschenden, dem Überlebenskampf der Verfolgten und dem Mut der Helfer und Helferinnen erzählt. Es erscheint in einer Zeit, die von weltweiten Flüchtlingsströmen gezeichnet ist. Nicht zuletzt das macht es so wichtig.
Frankfurter Rundschau, Wilhelm von Sternburg
Um die zweifache Sicht geschichtsgetreu zu vermitteln, hat der Autor zahllose autobiografische und briefliche Dokumente mit einer dichterisch-emphatischen Sprachkraft nacherzählt, wie man ihr nur selten in Sachbüchern begegnet.
Tagesspiegel, Paul Michael Lützeler
Wirklich gut erzählt ist und mit vielen interessanten Details in die Tiefe des Geschehens vordringt.
Kleine Zeitung, Ernst Sittinger
Uwe Wittstock erzählt ebenso packend wie kenntnisreich.
TAGESSPIEGEL, Denis Scheck
Wittstock erweist sich in seiner spannend und glänzend geschriebenen szenischen Darstellung als ein Meister des Metiers der narrative nonfiction.
Cicero, René Schlott
"Wittstocks sorgfältig recherchiertes, detailreiches Buch liest sich wie ein Krimi."
WDR 5, Peter Meisenberg
Ein außergewöhnlich spannend erzähltes Lehrstück über Verzweiflung und Mut in finsteren Zeiten.
mdr Kultur, Stefan Nölke
Es ist fast makaber, wie spannend es ist und wie gerne man es liest ... Er reiht eine filmreife Szene an die andere.
Bayern 2 Diwan, Julie Metzdorf
Extrem spannend und meisterhaft arrangiert ... Ein fesselnder Wettlauf gegen den Zugriff der Nazis, dem man gebannt folgt.
Abendzeitung, Volker Isfort
Es liest sich wie ein spannender Roman, dessen Protagonisten Figuren der Geistesgeschichte sind. Man kann bei der Lektüre nicht umhin, an heutige Gefahren der Demokratie zu denken.
Der siebte Tag, Nils Minkmar
In diesen Tagen zunehmender Abschottung und eines Kriegs mitten in Europa ist dieses Werk ein wichtiges, eindringliches und beeindruckendes Buch, dem mindestens der Erfolg zu wünschen ist, den Wittstock mit seinem vorherigen erzählenden Sachbuch landen konnte!
Buch-Haltung, Marius Müller
Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von der literarischen WELT, NZZ, RBB Kultur und Radio Österreich 1 im März 2024
Derart gut gelungen, dass man es in einem Zug durchlesen möchte.
ORF, Helmut Zechner
Enorm spannend.
ZEIT ONLINE-Podcast "Was liest du gerade?", Alexander Cammann
Atemlos, man fliegt da durch.
ZEIT ONLINE-Podcast "Was liest du gerade?", Maja Beckers
Wittstock hat die Quellen zur Geschichte des ERC in einem spannend erzählten, streng chronologisch geordneten und von Empathie geprägten Buch zusammengeführt.
Welt am Sonntag, Wolf Lepenies
Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von WELT, NZZ, RBB Kultur und Radio Österreich 1 im März 2024
Geschickt konstruiertes und fesselndes Buch. So detailliert, so spannend, umfassend und temporeich wie der Literaturkritiker Uwe Wittstock hat noch niemand diese Geschichte von Bedrohung und Ende des literarischen und intellektuellen Exils in ihren historisch-politischen Rahmen gesetzt.
Neue Zürcher Zeitung, Cord Aschenbrenner
Extrem spannendes historisches Kaleidoskop. Kenntnisreich und kundig collagiert, ein grandioser historischer Bilderbogen, spannend wie ein Thriller.
Denis Scheck
Kluges, ausgezeichnet lesbares Panorama vielfältiger Geschichten deutscher, jüdischer Literaten und Intellektueller auf der Flucht. Außerdem ein gelungenes Beispiel des Genres der Doku-Erzählung.
Literarische WELT, Mara Delius
Dass sich das lesend zuweilen anfühlt als sei man dabei, so detailreich sind Wittstocks Berichte, so anschaulich, so farbig, so nah am Fühlen und Denken der Protagonisten, ihren Ängsten, Hoffnungen und Plänen das, liegt an den Quellen, derer sich Wittstock bedient: Briefen und Tagebüchern, Erinnerungen, Autobiographien und Interviews der Protagonisten.
Das Parlament, Beilage zur LBM24, Michael Schmidt
Packende Episodendokumentation Auf atemberaubende Weise rekonstruiert der Autor und Literaturkritiker die verzweifelten Rettungsaktionen europäischer Dichter, Künstler, Avantgardisten aus Frankreich Hat eine Hand dafür, Monate von verdichteter Geschichte so zu erzählen, als wäre das lesende Publikum unmittelbar dabei
Falter, Robert Misik
Mit Marseille 1940 zeigt Uwe Wittstock wie unmittelbar Geschichtsschreibung sein kann.
OE1, Wolfgang Popp
Ein Buch über Schicksalsdramen und Menschlichkeit.
ZEIT Newsletter was wir lesen
Atemberaubend dicht, spannend und bedrückend.
Oberösterreichische Nachrichten, Wolfgang Braun
Wittstock hält sich an die Fakten. Unterhaltsam ist er aber auch. Fesselndes, sehr informativen Buch.
Berliner Zeitung, Sabine Rohlf
Nominiert für den Bayern 2 - Publikumspreis
Spannend und lehrreich
Die Zeit Newsletter Was wir lesen, Burghart Klaußner
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen.
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Die Flucht der Dichter und Denker aus Nazi-Deutschland und Österreich setzt recht bald nach der Machtübernahme Hitlers ein. Trotzdem gibt es viele, die ihre Heimat nicht verlassen wollen, die nicht glauben können, dass das „Land von Schiller und Goethe“ zu solchen …
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Die Flucht der Dichter und Denker aus Nazi-Deutschland und Österreich setzt recht bald nach der Machtübernahme Hitlers ein. Trotzdem gibt es viele, die ihre Heimat nicht verlassen wollen, die nicht glauben können, dass das „Land von Schiller und Goethe“ zu solchen barbarischen Mitteln greift, wie man es sich leise und hinter vorgehaltener Hand erzählt: Alle jene, die nicht ins Regime passen, weil sie jüdischer Abstammung oder Regime kritisch sind, werden gnadenlos verfolgt, eingesperrt und vernichtet. Letztendlich befinden sich Tausende deutschsprachige Intellektuelle in Frankreich als die deutsche Wehrmacht die Niederlande und Belgien überrollt bis nach Paris vorstößt und 1940 Teile Frankreichs besetzt hat.
Die Flucht geht innerhalb Frankreichs weiter bis sie in Marseille landen und auf eine Möglichkeit hoffen, eine Ausreise- bzw. Einreiseerlaubnis in die USA erhalten zu können. Doch die USA will in die Angelegenheiten Europas nicht verwickelt werden und stellt für die jüdischen Flüchtlinge kaum Einreisebewilligungen aus. Hier kommt nun Varia Fry, Mitarbeiter des Emergency Rescue Committee ins Spiel, der namhaften europäischen Intellektuellen, Künstlern, Politikern und Gewerkschaftlern die Ausreise ermöglichen soll.
Ursprünglich war die Aktion als befristetet Maßnahme geplant. Doch sie entwickelte eine eigene Dynamik. Zwischen Juni 1940 und Juni 1942 gelingt es Varian Fry und seinem Team rund 2.000 Menschen aus dem besetzten Frankreich zu retten. Die Liste jener, die auf abenteuerlichen und gefährlichen Wegen wie über die Pyrenäen in Sicherheit begracht werden konnten, liest sie wie das Who is Who der deutschen Intellektuellen: von Hannah Arendt über Maler Marc Chagall, Lion Feuchtwanger, die Manns, Alma Mahler und Franz Werfel sowie Marc Ophüls und Alfred Polgar, um nur einige zu nennen. Nicht allen gelingt die Flucht. Walter Benjamin begeht Suizid.
Bevor die Flüchtlinge noch ihre gefährliche Reise antreten konnten, mussten sie noch aus den diversen Internierungslagers wie Gurs herausgeholt werden. Das gelingt Fry & Co oft nur unter in letzter Minute, dann gilt es, Geld und die notwendigen Ausreisedokumente sowie Einreisezertifikate aufzutreiben. Amerika stellt bald keine mehr aus, so sind dann südamerikanische Staaten das Ziel oder das französische Insel Martinique, auf der die Geflohenen erst recht wieder interniert werden.
Varian Fry fällt in Amerika mit seinen Bemühungen, möglichst viele Menschen, darunter auch solche, die weder berühmt noch Fürsprecher in den USA haben, aus dem besetzten Frankreich herauszuholen, recht bald in Ungnade. Besonders für jene, die als sozialistische Gewerkschafter um ihre Leben fürchten müssen, ist in den USA kein Platz.
Fry widersetzt sich mehrmals den Aufforderungen nach Amerika zurückzukehren, setzte seine Ehe aufs Spiel und muss, um seiner Verhaftung durch französische Behörden, selbst fliehen.
Wer zu diesem Thema noch mehr lesen möchte, dem sei Varian Frys Buch „Auslieferung auf Verlangen – Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41“ sowie Herbert Lackners „Die Flucht der Dichter und Denker. Wie Europas Künstler und Wissenschaftler den Nazis entkamen“.
Fazit:
Diesem Stück Zeitgeschichte, das aufzeigt, dass auch das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, ziemlich beschränkt und begrenzt war. „America first“ - dieser Spruch ist nicht erst seit Trump bekannt. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne und eine Leseempfehlung.
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Ich bin ein großer Frankreichfan und interessiere mich für Geschichte und Literatur. Über die Besetzung und die Flucht vieler Künstler und Schriftsteller habe ich schon einige Sachbücher, aber auch Romane gelesen, die dies zum Thema hatten.
Dieses Buch ist dennoch etwas …
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Ich bin ein großer Frankreichfan und interessiere mich für Geschichte und Literatur. Über die Besetzung und die Flucht vieler Künstler und Schriftsteller habe ich schon einige Sachbücher, aber auch Romane gelesen, die dies zum Thema hatten.
Dieses Buch ist dennoch etwas ganz Besonderes, denn es ist so umfassend und zugleich spannend geschrieben. Für mich war es gerade weil ich schon einiges zu dem Thema wusste ein so überaus großartiges Buch, denn so konnte ich meine Kenntnisse vertiefen und mein Halbwissen durch Wissen ersetzen.
Der amerikanische Journalist Varian Fry und seine vielen Helfer haben so vielen Menschen - über 2.000 - die Flucht ins Exil ermöglicht und somit ihr Leben gerettet. Es ist immer wieder schön von so mutigen Menschen zu lesen, die für andere ihr eigenes Leben riskieren und einfach alles geben und immer wieder neue Wege suchen. Denn solche Aktionen laufen nicht immer ohne Fehlschläge und Rückschläge ab.
Sehr gut recherchiert und am Ende gibt es eine gute Bibliographie. Zudem flüssig und fesselnd geschrieben.
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Gebundenes Buch
Ein wirklich beeindruckendes Buch
Mit Beginn des Vormarsches der deutschen Wehrmacht gegen Frankreich im Jahr 1940, war bei den vorwiegend deutschen emigrierten Künstlern jeglicher Couleur nichts mehr wie zuvor – das Gefühl der Sicherheit wich und nahm unberechenbare Züge an. …
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Ein wirklich beeindruckendes Buch
Mit Beginn des Vormarsches der deutschen Wehrmacht gegen Frankreich im Jahr 1940, war bei den vorwiegend deutschen emigrierten Künstlern jeglicher Couleur nichts mehr wie zuvor – das Gefühl der Sicherheit wich und nahm unberechenbare Züge an. Somit bot sich vielen Exilanten kein anderer Ausweg als erneut zu fliehen und zugleich das nun gewohnte Leben bereits zum zweiten Mal aufzugeben.
Anhand ausgewählter Schicksale, u.a. von Heinrich und Golo Mann, Lion und Marta Feuchtwanger, Franz und Alma Mahler-Werfel sowie Anna Seghers und ihrer Familie schildert Uwe Wittstock präzise die unterschiedlichen Facetten der Flucht.
Zugleich gibt das Buch einem gewissermaßen den Glauben an die Menschlichkeit in Zeiten der Inhumanität zurück. Dafür in erster Linie verantwortlich ist der amerikanische Journalist Varian Fry, der, zusammen mit seinem späteren Team und hilfsbereit-unterstützenden Franzosen, mehren hundert Menschen die Flucht aus dem besetzten Frankreich arrangierte.
Uwe Wittstock hat mit diesem Werk ein großartiges Sachbuch geschrieben, welches dem Leser ermöglicht, sich in den einzelnen Geschichten zu verlieren. Aufgrund der enormen Fülle an Informationen, auf Basis von Tagebüchern, Briefen, Autobiografien, etc., ist es eine beachtliche Leistung, die Geschichten einzelner Persönlichkeiten so detailliert und mitreißend aufzubereiten.
Somit ist dieses Buch sowie wie dessen Vorgänger „Februar 33“ eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die sich für die Literatur sowie den Leben der ins Exil getriebenen Schriftsteller zur Zeit des Nationalsozialismus interessieren, damit beschäftigen und mehr darüber wissen möchten.
Wer sich darüberhinaus noch mit der Thematik befassen möchte, dem sei die inhaltlich ähnliche Kurzserie „Transatlantic“ von Netflix sehr ans Herz gelegt.
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Gebundenes Buch
Ein Thriller könnte nicht spannender sein
Uwe Wittstock : Marseille 1940
Diese Geschichte stiller Helden, mutiger Frauen, kluger Männer und eines grausamen Krieges ist so fesselnd, so spannend und gleichzeitig so berührend, dass man sie geradezu verschlingt.
Der Autor Uwe …
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Ein Thriller könnte nicht spannender sein
Uwe Wittstock : Marseille 1940
Diese Geschichte stiller Helden, mutiger Frauen, kluger Männer und eines grausamen Krieges ist so fesselnd, so spannend und gleichzeitig so berührend, dass man sie geradezu verschlingt.
Der Autor Uwe Wittstock, dessen Buch „Februar 1933“ ich bisher noch nicht kenne (was ich aber unbedingt nachholen muss), erzählt hier von den vor dem Naziregime geflüchteten Literaten, Künstlern, Philosophen und ihrer Hoffnung auf Rettung. Ihrer Hoffnung auf Aufnahme in einem anderen Land, einen Land, dass sie nicht, wie das „freie“ Frankreich, an die Deutschen ausliefern würde.
Fliehend vor der näher rückenden deutschen Armee, die 1940 in einem beispiellosen Durchmarsch Paris und den größten Teil Frankreich erobert, stranden so berühmte Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Maler wie Marc Chagall, Kommunistinnen wie Anna Seghers und Philosophinnen wie Hannah Arendt in Marseille.
Dort hat der Amerikaner Varian Fry eine Fluchthilfeorganisation aufgebaut, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, gerade diese Künstler und Künstlerinnen zu retten. Er verschafft ihnen Einreisevisa nach Amerika oder versucht es zumindest. Immer wieder werden ihm und ihnen Steine in den Weg geworfen, auch von amerikanischen Politikern und ihren Vertretern in den Konsulaten vor Ort.
Doch Fry gibt nicht auf. Auch als ihm selbst Gefahr droht, als er die Unterstützung seines Vereins, seiner Gönner und Spender zu verlieren droht, bleibt er in Marseille. Er ist davon überzeugt, dass er die Menschen, die von den Nazis verfolgt werden, retten muss.
Die Franzosen bekommen Listen mit Namen derjenigen, die sie ausliefern sollen. Und das Regime unter Pétain unterstützt dies. Also bleibt diesen Künstlern nur die Flucht. Auf abenteuerlichen Wegen, über die Pyrenäen, ohne Papiere oder nur mit gefälschten, versuchen sie, nach Lissabon zu kommen, dem einzigen Hafen auf dem europäischen Kontinent, von dem noch Schiffe nach Übersee aufbrechen.
Akribisch chronologisch geordnet, blitzlichtartig mal den einen Künstler, mal die eine Schriftstellerin auf der Flucht beobachtend, berichtet Uwe Wittstock in unübertrefflicher Weise von diesen gejagten Menschen, die oftmals all ihre Habe zurücklassen, teils in menschunwürdigen Sammellagern ausharren mussten, oft von ihren Angehörigen getrennt, ohne Nachricht von jenen.
Dabei macht der Autor durchaus darauf aufmerksam, dass es so vielen Menschen erging wie diesen berühmten, die jeder kennt. Nur von den namenlosen ist keine Geschichte hinterlassen, die man so anschaulich erzählen könnte. Deswegen nimmt er sich die Literaten zum Beispiel, um diese Schicksale zu zeigen.
Spannend wie ein Thriller, berührend und auch ermutigend aufgrund der zahlreichen Franzosen, die ungefragt helfen, die die Flüchtenden aufnehmen und verstecken, ist dieses Buch, das noch lange nachwirkt. Dabei bleibt dann auch unvergessen das Verhalten so manchen Amerikaners, der sich weigert, die vor allem jüdischen Menschen in den USA aufzunehmen. Da drängt sich der Gedanke auf, dass sich manches doch leider immer wiederholt.
Uwe Wittstock – Marseille 1940
C.H.Beck, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 351 Seiten, 26,00 €
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Gebundenes Buch
Wichtiger, geschichtlicher Beitrag - 1940 greift Hitler Frankreich an. Das Land, das vielen als Zuflucht vor den Nazis galt, erfährt eine furchtbare Fluchtbewegung gen Süden. Unter den Flüchtenden auch zahlreiche Personen aus Literatur, Kunst, Politik und öffentlichem Leben, die …
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Wichtiger, geschichtlicher Beitrag - 1940 greift Hitler Frankreich an. Das Land, das vielen als Zuflucht vor den Nazis galt, erfährt eine furchtbare Fluchtbewegung gen Süden. Unter den Flüchtenden auch zahlreiche Personen aus Literatur, Kunst, Politik und öffentlichem Leben, die in dem Land Schutz vor Verfolgung und Vernichtung suchten. Sie alle versuchen nun, das Land über die südlichen Grenzen Richtung Spanien und Übersee zu verlassen, um ihr Leben zu retten.
In Marseille hat der Amerikaner Varian Fry als Vertreter des Emergency Rescue Committee gemeinsam mit engen Vertrauten ein geheimes Netzwerk etabliert, um möglichst vielen Menschen die Flucht aus Frankreich zu ermöglichen. Bestückt mit einer in den USA definierten Liste an „zu rettenden Kunstschaffenden“ ist es an ihm, diese ausfindig zu machen und sie in Sicherheit zu bringen. Am Ende werden es über Tausend sein, Künstler, Juden, politisch Verfolgte, Andersdenkende, alliierte Soldaten – Menschen, denen er und seine Mitstreiter unter größter Gefahr des Entdeckt-Werdens zur Flucht verhelfen.
Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt und Heinrich Blücher, Anna Seghers und ihre Familie, Lisa und Hans Fittko, Franz und Alma Werfel, Marc Chagall, Max Ernst und so viele mehr. Sie alle verdanken ihr Überleben dem riskanten Einsatz von Varian Fry und seinen Unterstützern und Weggefährten. Doch kennen die Wenigsten von uns wohl diesen Amerikaner und seine Lebensgeschichte.
Und so ist für mich dieses Buch in erster Linie ein Zeugnis von Menschenliebe, Aufrichtigkeit und Hilfe unter größten Gefahren, um in unmenschlichsten Zeiten das Leben Unzähliger zu retten. Nicht allein große Namen, sondern auch so viele andere, die Frys Hilfe in Anspruch nahmen. „Sich für einen weltberühmten Mann einzusetzen, um ihn zu schützen, ist vergleichsweise einfach. Wie viel schwieriger ist es, einen unbekannten Flüchtling zu retten.“ - Ein authentisches und ergreifendes Stück Geschichte und ein emotionaler „Nachruf“ auf einen stillen, wenig bekannten Mann, der Großes leistete, Varian Fry.
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Gebundenes Buch
Man muss sich wundern: Wurde bisher tatsächlich der Fluchthelfer Varian Fry in der deutschen Geschichte so gut wie vergessen? Wittstock ruft mit seinem Buch nicht nur diesen mutigen und engagierten Journalisten in die Erinnerung zurück, sondern auch die unmenschlichen Zustände, denen …
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Man muss sich wundern: Wurde bisher tatsächlich der Fluchthelfer Varian Fry in der deutschen Geschichte so gut wie vergessen? Wittstock ruft mit seinem Buch nicht nur diesen mutigen und engagierten Journalisten in die Erinnerung zurück, sondern auch die unmenschlichen Zustände, denen die Kulturelite Deutschland auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ausgesetzt war. Marseille 1940 ist ein markantes Eckdatum, denn hier sammeln sich die Unerwünschten und „Entarteten“, die zunächst ins sicher geglaubte Frankreich (sehr beliebt: Sanary-sur-Mer) geflohen waren und sich dann von der heranrückenden Wehrmacht in Marseille sammelten in der Hoffnung auf Ausreise.
Wittstocks Buch bedient sich an einer Fülle von Quellen und entscheidet sich für einen Episodenstil, ähnlich wie in „Winter 1933“ und für eine chronologische Darstellung. Seine kurzen Darstellungen schneidet er wie in einem Film mit Statements zur politischen Lage. Wie mit einem Schlaglicht nimmt er Monat für Monat das Schicksal der Flüchtlinge und ihrer Helfer in den Blick. Das wirkt unruhig und erschwert die Konzentration des Lesers, aber auf der anderen Seite wird damit die rasant steigende Bedrohung der Geflüchteten deutlich. Und er erreicht damit diese ganz besondere Mischung eines Sachbuchs mit Protagonisten, die wie Romangestalten wirken, aber keine sind.
Wittstock konzentriert sich auf einige wenige Größen, allen voran Lion Feuchtwanger, erfolgreich und international bekannt, oder den frankophilen Heinrich Mann und seinen Neffen Golo, Hannah Arendt und ihren Ehemann, Max Ernst, Marc Chagall, Andrè Breton, die unbeirrbar stalintreue Anna Seghers und andere. In seinen Episoden sorgt er für Empörung und Mitleid, wenn er z. B. die barbarische Situation in den südfranzösischen Lagern und zugleich die Untätigkeit der französischen Exilregierung schildert. Er sorgt aber auch für Kopfschütteln, wenn er das Schicksal Rudolf Breitscheids und Rudolf Hilferdings erzählt, die sich wider besseres Wissen auf ihren internationalen Ruf und einen französischen Rechtsstaat verlassen. Auch heitere Episoden fehlen nicht, wenn man liest, dass Alma Mahler-Werfel mit 12 Koffern flüchtete und es tatsächlich schaffte, diese 12 Koffer in die USA mitzunehmen.
Im Mittelpunkt steht natürlich Fry, aber Wittstock vermeidet die Zeichnung eines Helden, sondern zeigt ihn in all seiner Widersprüchlichkeit und vor allem immer als Teil einer Gruppe. Deutlich wird auch, wie sehr die Arbeit von Frys Organisation auf Geld angewiesen wird, und ebenso deutlich wird das Problem, dass Fry nicht jeden retten kann, sondern auswählen muss. Die bürokratischen Hürden werden immer höher und die Fluchtwege immer komplizierter, und sehr anschaulich beschreibt Wittstock die mühsame Flucht zu Fuß auf geheimen Pfaden über die Pyrenäen, die die Geistesgrößen durchstehen müssen.
Wittstock vergisst nicht die französischen Kollaborateure der Gestapo, aber vor allem vergisst er nicht die vielen Menschen wie Grenzsoldaten, Verwaltungsbeamte und dörfliche Nachbarn, die mit persönlichem Mut Tragödien verhinderten. Ein wohltuendes Beispiel menschlicher Solidarität.
Dieses spannende und informationsreiche Buch lege ich nicht nur Literaturfreunden ans Herz, sondern vor allem den Unbelehrbaren und Geschichtsvergessenen unserer Tage. Dazu darf ich Magnus Brechtken („Vom Wert der Geschichte“) zitieren: „Wir können, wenn überhaupt, NUR aus der Geschichte lernen. Etwas anderes ist uns ... nicht verfügbar.“
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Gebundenes Buch
Als die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 Frankreich besiegt hatte und in der französischen Hauptstadt Paris einmarschierte, waren viele Emigranten, die ab 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen waren, in höchster Gefahr, denn im …
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Als die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 Frankreich besiegt hatte und in der französischen Hauptstadt Paris einmarschierte, waren viele Emigranten, die ab 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach Frankreich geflohen waren, in höchster Gefahr, denn im Waffenstillstandsvertrag war ein Passus verankert, dass Deutsche auf Verlangen ausgeliefert werden mussten. Um nun aus Frankreich herauszukommen, brauchten die Bedrohten Pässe, Transit- und Einreisevisa, Tickets für die Passage nach Amerika. Oder einen Fluchtweg zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien oder Portugal.
Um wenigstens einige von ihnen zu retten, gründet der junge Amerikaner Varian Fry die Hilfsorganisation Emergency Rescue Committee. Mit nur einigen handverlesenen Mitarbeitern beschafft er Unterkünfte, Geld, Bürgschaften und Ausreisevisa. Mit Hilfe seiner Mitarbeiter gelingt es Fry rund 2000 Emigranten zu retten. Es ging ums nackte Überleben. Fry ist auf Unterstützung aus New York angewiesen, denn die Fluchthilfe verschlingt enorme Summen. Einmal kaufen sie ein ganzes Schiff, doch auf dem Seeweg scheitern sie. Mehr Erfolg haben sie auf verborgenen Schmugglerpfaden durch die Pyrenäen.
Der Schriftsteller und Journalist Uwe Wittstock schildert in seinem Buch „Marseille 1940“ die dramatischen Ereignisse, die tödliche Gefahr und die Ängste der jüdischen und politischen Flüchtlinge – besonders an den aufwühlenden Schicksalen von Anna Seghers, Franz Werfel, Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger und Golo Mann. Wittstock (und natürlich die Leser*innen) ist verwundert, dass diese Geschichte bisher so wenig bekannt ist und Fry, der sich selbst ständig in Gefahr begab, bisher kaum gewürdigt wurde. Die erstaunliche Neuerscheinung ist ein erster und wichtiger Schritt. Eine absolute Leseempfehlung, nicht nur für Literatur-Kenner !
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Gebundenes Buch
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30.01.1933 nimmt das Unheil seinen Anfang. Grundrechte werden abgeschafft, Regimekritiker schikaniert, verfolgt, verhaftet. Angst um Leib und Leben greift um sich. Zahllose Intellektuelle verlassen daraufhin Deutschland, viele von ihnen …
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Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30.01.1933 nimmt das Unheil seinen Anfang. Grundrechte werden abgeschafft, Regimekritiker schikaniert, verfolgt, verhaftet. Angst um Leib und Leben greift um sich. Zahllose Intellektuelle verlassen daraufhin Deutschland, viele von ihnen suchen Zuflucht in Frankreich. Doch was anfangs als sicherer Hafen erscheint, erweist sich spätestens nach dem nationalsozialistischen Einmarsch und der Auflösung der Dritten Französischen Republik durch das Vichy-Regime als Illusion. Die Lage ist für die Emigranten dramatisch, spitzt sich zu, ihre Sicherheit ist in Gefahr. Wenn sie ihr Leben retten wollen, müssen sie auf dem schnellsten Weg das Land verlassen.
Hier setzt Uwe Wittstocks Chronologie „Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur“ an, denn es ist die französische Hafenstadt im Süden, die Anna Seghers, Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger, Walter Benjamin, Heinrich und Golo Mann, und noch viele andere hoffen lässt, dieser ausweglosen Situation zu entkommen. Nicht zuletzt, weil es von dort aus Fluchtrouten Richtung Westen gibt. Zu Fuß über die Pyrenäen, Spanien durchquerend nach Portugal, oder im direkten und besten Fall mit einem Schiff nach Amerika.
Hilfestellung dabei leisten dabei der amerikanische Journalist Varian Fry und das von ihm gegründete „Emergency Rescue Committee“. Fry kümmert sich mit seinen Helfern vor Ort um die Exilanten, besorgt Pässe, Transit- und Aus- und Einreise-Visa, auch wenn das amerikanische Konsulat ihm immer wieder Steine in den Weg legt und die Hilfe verweigert, weil sie panische Angst davor haben, Linksintellektuelle ins Land zu lassen.
Nicht alle konnten gerettet werden, und dennoch, trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten können Varian Fry und seine Helfer weit über 2000 Menschen die Flucht ermöglichen und sie so vor dem sicheren Tod bewahren.
Wittstock hat sich in seiner chronologischen Darstellung an die Fakten gehalten und auf die Quellen gestützt (siehe dazu auch die umfangreiche Bibliografie am Ende des Buches). Und obwohl es ein Sachbuch ist, hat es durch die Vielzahl der beschriebenen Schicksale fast schon romanhafte Züge und ist wegen der anschaulich und feinfühlig beschriebenen Schicksale sehr anrührend, aber gleichzeitig auch unglaublich spannend. Das Buch schafft ein literarisches Denkmal für Varian Fry und seine Helfer, beschreibt deren Tatkraft, Mut und Menschlichkeit. Aber es ist auch ein Denkmal für alle diejenigen, die ihre Heimat verlassen mussten und zu einem Neuanfang gezwungen waren, sowie eine Erinnerung an all die Literaten, Künstler, Intellektuelle, an die Menschen, denen dies nicht gelungen ist. Ganz große Leseempfehlung!
Ergänzend dazu empfehle ich Jean Malaquais‘ Roman „Planet ohne Visum“ und die siebenteilige Miniserie „Transatlantic“, aktuell bei Netflix verfügbar.
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Gebundenes Buch
Schicksalsfrage Flucht – spannend und bewegend
Wer sich für Geschichte und Literatur und auch Kunst gleichermaßen interessiert, liest bei Uwe Wittstock wie in einem Kompendium dicht gedrängt und doch auch wie in einem spannenden Roman über die schicksalhaften Ereignisse …
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Schicksalsfrage Flucht – spannend und bewegend
Wer sich für Geschichte und Literatur und auch Kunst gleichermaßen interessiert, liest bei Uwe Wittstock wie in einem Kompendium dicht gedrängt und doch auch wie in einem spannenden Roman über die schicksalhaften Ereignisse am Beginn des 2. Weltkriegs in Frankreich. Dieses Land, oft der Sehnsuchtsort von Künstlern und Intellektuellen, wurde nach 1933 Zufluchtsort für Emigranten vor allem aus Deutschland, Österreich, später auch aus der Tschechei. Einige verließen die Heimat freiwillig, weil sie frühzeitig ahnten, was nach Hitlers Machtübernahme geschehen würde, viele flohen in letzter Minute, um Verhaftungen zu entgehen. Unter ihnen überdurchschnittlich viele Juden, aber auch Kommunisten, Sozialisten, Dichter und Denker.
In Amerika formiert sich die Hilfe nur schleppend, ein höchster Aufwand und teilweise unüberwindliche bürokratische Hürden stellen sich Asylsuchenden in den Weg. Einer, der das Schicksal der Verfolgten und Gefährdeten in Frankreich nicht länger passiv mitansehen, sondern aktiv zu ihrer Rettung beitragen will, ist der junge Amerikaner Varian Fry. Das neu gegründete Emergency Rescue Committee (ERC) wird ihn für vier Wochen nach Marseille senden, damit er die auf einer Liste zusammengefassten und am meisten gefährdeten Schriftsteller rettet. Als Fry Anfang August 1940 in Marseille ankommt, ahnt noch niemand, welche Entwicklung sich anbahnt.
Fry muss nun einerseits Mitarbeiter und Helfer für sein Vorhaben finden, andererseits aber den Kontakt zu den zu Rettenden finden. Bekannte Namen wie Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Walter Mehring und Heinrich Mann und deren Ehefrauen finden sich auf Frys Liste, doch binnen weniger Wochen werden es immer mehr, die dringend Hilfe benötigen.
Aus Frys Kurzreise wird am Ende ein ganzes Jahr geworden sein und der Leser erfährt unheimlich viele Details über die einzelnen Menschen, über die ständig wechselnde politische Lage im unbesetzten Frankreich, das am Ende die Judenverfolgung und -vernichtung mit größter Vehemenz für die Nazis in die Tat umsetzt. Dass die US-amerikanische Regierung unterdessen eher auf Abstand geht, wenn es um Einreisevisa geht, kommt erschwerend hinzu. Kein leichtes und noch dazu gefährliches Unterfangen, auf das sich Fry da eingelassen hat. Es sind trotzdem einige Hundert, die durch Frys Aktivitäten und man muss sagen, seine Dickköpfigkeit und seinen Gerechtigkeitssinn, vor den Henkern gerettet werden.
Dass nicht jede Fluchtgeschichte zu einem glücklichen Ende führte, ist umso tragischer, wenn man die Details liest, gerade die Suizide von Ernst Weiß und Walter Benjamin sind da schreckliche Beispiele.
Mich hat dieses Buch sehr bewegt, auch wenn mir einige Schicksale schon vorher bekannt waren. Diese Rettungsgeschichten so komprimiert noch einmal zu lesen, und das in einem eher romanhaften Stil, hat mich von diesem Buch vollkommen überzeugt. Spannend bis zur letzten Seite, womit ich auch die Kurzbiografien und den gesamten, sehr informativen Anhang meine.
Dass dieses Buch außerdem dazu anregt, sich (noch einmal) der Literatur und den Biografien der Protagonisten zu nähern, ist ein guter Nebeneffekt. Auch Wittstocks Vorgängerbuch Februar 33: Der Winter der Literatur steht nun auf meiner Wunschliste weit oben.
Varian Fry ergeht es nach seiner Rückkehr ähnlich wie anderen Diplomaten, die sich für die Rettung von Juden und anderen Naziverfolgten eingesetzt haben. Ich denke da an den Portugiesen Aristides de Sousa Mendes und den Japaner Chiune „Sempo“ Sugihara, aber auch an Oskar Schindler. Erst spät wurde ihnen die Ehre, Gerechte der Völker genannt zu werden, gewährt. Gut das Uwe Wittstock hier auch ein Erinnerungsbuch an Fry und seine Helfer veröffentlicht hat.
Warum von Zeit zu Zeit plötzlich vollkommen überflüssige Doppelnennungen wie Amerikanerinnen und Amerikanern oder Autoren und Autorinnen den Lesefluss hemmen, erschließt sich mir nicht. Und es fiel mir auf, dass Anna Seghers einen falschen Geburtsnamen erhielt. Auf ihrer Geburtsurkunde steht Netti, nicht Annette. Aber das sind auch schon alle Kritikpunkte, die mir aufgefallen sind.
Fazit: unbedingt lesen!
#Marseille1940 #NetGalleyDE
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