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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 59 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen


gut

Das ist so oft das Problem mit dem Anschließen wollen an vorigen Erfolg: Es gelingt eben nicht immer. In dem letztes Jahr erschienenen Band erzählte Trude Teige die Geschichte von Tekla, ihrer Tochter Lilla und ihrer Enkelin Juni. Jener Roman war spannend und vor allem berichtete er von einem unbekannten Stück Historie aus dem zweiten Weltkrieg und der Zeit danach.
Nun, so laut Vor- und Nachwort, die ein bisschen alibimäßig angeklebt wirken, möchte Juni uns von ihrem Großvater Konrad erzählen, von seinen Erlebnissen in Asien während des Krieges. Er gerät erst in Seenot, gelangt halb tot an Land, kommt ins Krankenhaus und begegnet dort der Krankenschwester Sigrid. Schließlich geraten beide in japanische Gefangenschaft, wie auch Konrads Bruder Sverre.
Sigrid, ihre alkoholsüchtige Mutter Henny und die kleine autistische Schwester Ingerid werden in einem Frauenlager gefangen gehalten. Sigrid kann den dort eingesperrten Frauen medizinische Hilfe leisten, so gut es ohne Medikamente geht. Sie erlebt Misshandlung, Folter, grausame Bestrafungen ebenso wie Zusammenhalt, aber auch Streit und Missgunst.
Konrad und Sigrid lieben einander und können sich auch im Lager begegnen. Sigrid ist für Konrad eine ungewöhnliche Frau, sie lässt sich nichts sagen, will ihren eigenen Weg finden, ungewöhnlich für die Zeit, in der sie lebt.
Spannung kommt in diesem Roman leider wenig auf, auch weil man ja die Fortsetzung der Geschichte aus dem Vorgängerroman kennt. Die Figuren sind ebenfalls wenig fesselnd, sondern eher Abziehbilder dessen, was man in solchen Romanen gemeinhin erwartet. Denn solche Geschichten, in denen Menschen über sich selbst hinauswachsen, immer anderen zuerst helfen, mutig und selbstlos sind, alles hinnehmen und daran wachsen, gibt es zuhauf. Daher bietet der Roman wenig Überraschendes, so sind beispielsweise auch die japanischen Bewacher und Soldaten schablonenhaft als grob, gemein und böse dargestellt.
Empathie für die Protagonisten kann daher kaum entstehen, auch wenn die beiden Hauptfiguren nicht unsympathisch sind. Doch Trude Teige gelingt es irgendwie nicht, Gefühle nachvollziehbar zu schildern, macht es schwer, sich in die Figuren einzufühlen. Die Dialoge sind seicht und oft recht platt und nichtssagend. Auch stilistisch ist der Roman wenig herausfordernd, sondern eher schlicht. Wobei man hier nicht weiß, ob das im Original liegt oder an der Übersetzung.
Schade, dass mich der Roman nicht mehr überzeugen konnte, denn thematisch wäre er doch vielversprechend gewesen.
Trude Teige - Und Großvater atmete mit den Wellen
aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
S. Fischer Verlag, März 2024
Gebundene Ausgabe, 415 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 24.04.2024
Mord am Lago Maggiore
Holenstein, Alexandra

Mord am Lago Maggiore


ausgezeichnet

So wünscht man sich einen Kriminalroman, so ist ein Krimi, den man nicht mehr aus der Hand legt, bevor die letzte Seite erreicht ist.
Wenn nur dieses arg langweilige Cover und der noch nichtssagendere Titel nicht wären, die dem Inhalt wirklich nicht gerecht werden. Es ist zu hoffen, dass sich davon niemand abhalten lässt und dieses Buch viele Leserinnen und Leser findet.
Worum geht es: Tabea Kummer (Nomen est omen) hat kein gutes Verhältnis zu ihrem Schwiegervater Herbert. Auch ihr Mann Ludwig hält lieber Abstand zu seinem stets Unfrieden stiftenden Vater. Doch weil sie ihre Wohnung in Zürich aufgeben müssen, bietet sich Herberts wunderschöne Villa in Ascona als möglicher neuer Wohnsitz an.
Aber dann findet Tabea ihren Schwiegervater tot auf. Es stellt sich heraus, dass Herbert Kummer keines natürlichen Todes starb, sondern offensichtlich vergiftet wurde. Da nun auch jeder davon ausgeht, dass Ludwig zu den Haupterben von Haus und Vermögen gehört, steht vor allem Tabea zunächst in Verdacht. Doch wie das so ist, gibt es natürlich noch mehrere andere Menschen in Herberts Umfeld, die als Täter oder Täterin in Frage kämen. Denn der Dahingeschiedene verdarb es sich wirklich mit jedem und jeder, wie sich nach und nach herausstellt.
Tabea, deren Ehemann mehr als nötig die Nähe der überaus gutaussehenden Kriminalkommissarin sucht, beginnt nun selbst, nachzuforschen. Nur gibt es leider viele Hinweise, aber keine echte Spur. Nach und nach steckt Tabea also ihre Nase immer tiefer in die Angelegenheiten derjenigen, die ein Motiv für den Mord an Herbert zu haben scheinen. Das aber bekommt ihr irgendwann nicht gut, ja sie gerät selbst in arge Bedrängnis.
Das Ende, die Auflösung, ist dann vollends überraschend und somit perfekt gelungen, denn man kann sie, da die durchaus vorhandenen Spuren so geschickt versteckt sind, nicht vorausahnen.
Wenn man die Handlung so zusammenfasst, klingt das nicht sehr spektakulär. Der Plot, so wendungsreich er sein mag, ist aber auch nicht das, was diesen Roman zu etwas besonders empfehlenswerten macht. Es ist der Schreibstil von Alexandra Holenstein, die selbst dort lebt, wo ihr Krimi spielt, sich dort also bestens auskennt.
Immer mit einem Augenzwinkern, mit einem sympathischen Verständnis für die Verschrobenheiten der Menschen, erzählt sie diese Geschichte. Tabea, aus deren Perspektive die Ereignisse erzählt werden, im Wechsel mit der Sicht von Ludwig (was es vielleicht gar nicht gebraucht hätte), zeigt sich immer wieder fassungslos über die unverständlichen Aktivitäten mancher Leute und findet dafür herrliche Worte, plastische Beschreibungen, so dass man beim Lesen immer wieder laut lachen muss. So ist eine der besten Szenen die des Besuchs Tabeas bei Herberts Putzfrau, wo die beiden Frauen im Laufe des Gesprächs ständig aneinander vorbeireden. Herrlich. Die Sätze und Beschreibungen in diesem Buch, die einer wie die andere begeistern, sind nicht mit der Kettensäge, sondern mit allerfeinster Feile geschliffen.
Einzig die ständig vorhandenen Einsprengsel in italienischer Sprache hätte es nicht gebraucht. Diese immer wieder in Romanen verwendete Methode, Lokalkolorit zu vermitteln, ist nicht nötig, sondern wirkt oft fehl am Platz. Wenn sich Tabea und Ludwig unterhalten und dabei italienische Ausdrücke einflechten, macht das keinen Sinn. Und auch nicht, wenn ein Dialog auf Italienisch geführt wird. Aber sei es drum, wenn das das einzige Manko ist.
Auf die allerletzte Szene, wenn sich alle, wie die Bewohner des berühmten gallischen Dorfs beim Wildschweinbraten, um einen Grill versammeln, hätte man auch verzichten können. Davon unbenommen ist der neue Roman von Alexandra Holenstein uneingeschränkt zu empfehlen – und lässt auf Fortsetzungen hoffen.
Alexandra Holenstein - Mord am Lago Maggiore
emons, April 2024
Taschenbuch, 384 Seiten, 15,00 €

Bewertung vom 22.04.2024
Keine Spaghetti sind auch keine Lösung
Neumayer, Silke

Keine Spaghetti sind auch keine Lösung


gut

Wer „Die Dienstagsfrauen“ von Monika Peetz gelesen oder als Filme im Fernsehen gesehen hat, kann sich diesen Roman sparen. Denn was Mia, Poppy, Schröder und die zwar verstorbene, aber irgendwie immer anwesende Amelie erleben, ist nicht viel mehr als eine leicht abgewandelte Kopie.
Besagte Amelie ist vor einigen Jahren in die Toskana ausgewandert, plötzlichen Anwandlungen, Künstlerin sein zu wollen, folgend. Dort erwarb sie eine Behausung, von der ihre drei in Hamburg verbliebenen Freundinnen – alle etwa Mitte Fünfzig – annehmen, es handele sich um ein schmuckes Castello. Als Amelie jedoch plötzlich stirbt und die drei anderen sie beerben sollen und deswegen spontan nach Italien aufbrechen, erweist sich das angeblich herrschaftliche Anwesen als Bruchbude, Amelie als wenig künstlerisch begabt. Und ihre jahrzehntealte Freundschaft als nicht sehr haltbar.
Leider aber entwickelt sich spätestens ab jetzt die Geschichte zu einem einzigen Klischee, mit allen allzu bekannten Zutaten. So sind die Hauptfiguren der typische Zusammenfall aller Stereotypen: die Gluckenmutter, die glaubt, ihre Familie kann nicht ohne sie; die toughe Geschäftsfrau, männerverschlingend und gleichzeitig unfähige Mutter; die einsame Singlefrau, zu dick, zu gutmütig, zu alles. Und dann gibt es natürlich die Ehefrau, deren Mann sie ständig betrügt; diejenige, die eine Krebserkrankung überstehen musste sowie die, die ständig Tabletten schluckt; die Freundin, die mit dem Mann der anderen eine Affäre hat und diejenige, die den Sohn der anderen vernascht (Doppelnennungen sind vorhanden). Gekrönt wird das Ganze dann vom irre gut aussehenden Italiener in der Nachbarvilla.
Geschrieben ist das Ganze ja halbwegs unterhaltsam, nur fragt man sich immer wieder, wieso der Klappentext behauptet, die drei Frauen wären Freundinnen. Sie vertrauen einander nicht, sie streiten ständig, sie verheimlichen einander gerade die wichtigen Dinge in ihrem Leben.
Aber die Ereignisse sind so überstrapaziert, so aufgebauscht die Probleme und das Ende dann natürlich so zuckersüß, wenn sich alle wieder liebhaben, dass mich der gesamte Roman zwar eine Weile unterhalten konnte, insgesamt aber eher enttäuscht hat. Dabei sind die Figuren nicht einmal unsympathisch, auch wirken sie, von den Klischees abgesehen, halbwegs lebensecht, aber alles ist dann doch arg überzogen. Dazu viel Sonne, Tomate und Mozzarella und dolce far niente.
Es ist zu hoffen, dass es nicht, wie bei den „Dienstagsfrauen“ mehrere Fortsetzungen gibt.
Silke Neumayer - Keine Spaghetti sind auch keine Lösung
Ullstein, März 2024
Taschenbuch, 304 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 19.04.2024
Tod zur See / Mai und Lorenz ermitteln auf Usedom Bd.3
Scheunemann, Frauke

Tod zur See / Mai und Lorenz ermitteln auf Usedom Bd.3


gut

Wenn die Hauptfiguren dieser Krimireihe nicht so sympathisch wären, würde die Lektüre nur halb so viel Spaß machen. Denn an sich ist der Roman eher seicht – und auch arg unrealistisch.
Wieder einmal wird Franzi May, die zusammen mit ihrem Volontär Janis für das Bäderradio auf Usedom arbeitet, in einen Mordfall hineingezogen. Ziehen tut es sie auch zum Kommissar Kay Lorenz, der ebenfalls deutliche Gefühle für sie hegt. Vermutlich deswegen erlaubt er ihr auch immer wieder derart tiefe Einblicke in seine Ermittlungen – das ist der unrealistische Teil dieser Krimireihe.
Doch Franzi wäre nicht Franzi, wenn sie nicht lieber auf eigene Faust den oder die Täter suchen würde. Ihre Ausrede sind die Reportagen, die sie als natürlich taffe Journalistin bringen muss, auch auf Druck ihres Chefs. Als also bei einer Vorführung der Jet-Ski des Stuntmans Bruno Wunderlich explodiert und schnell klar ist, dass das kein Unfall war, beginnt Franzi nachzuforschen. Immer an ihrer Seite, nur vorübergehend wegen einer bei dieser Explosion erlittenen Verletzung außer Gefecht gesetzt, ihr Volontär Janis.
Wegen ihrer Eigenmächtigkeit und weil Franzi wenig Geduld hat mit Kays Zurückhaltung bei der Weitergabe seiner eigenen Ermittlungsfortschritte geraten die Beiden immer wieder mal in Streit. Dazu trägt auch Kays Eifersucht bei, denn plötzlich taucht Franzis Ex Henning auf, scheinbar ihre Nähe suchend.
Dann überschlagen sich die Ereignisse, Drogenhandel ist plötzlich Thema, Janis ermittelt undercover, was für ihn schmerzhafte Folgen hat, Einbrüche und ein weiterer Todesfall geschehen. Und immer ist Franzi im Mittelpunkt der Ereignisse, stets einen frechen Spruch auf den Lippen. Überhaupt ist Franz eher ein Plappermaul als eine verschwiegene Ermittlerin, was immer wieder zu Verwicklungen und Gefahren führt.
Insgesamt zwar ein durchaus flotter, auch nett geschriebener Roman, aber manche Dialoge sind dann schon arg oberflächlich. Die Sprache ist einfach, die Witze spaßig, aber leider auch oft recht flach. Da wiederholt sich auch viel, vor allem hinsichtlich der dümpelnden Beziehung zwischen Franzi und Kay. Deren Verhalten in diesem Zusammenhang wirkt arg aufgesetzt, hat so offensichtlich nur den Zweck, das Ganze in die Länge zu ziehen. Ein weiterer Band dieser Reihe ist damit sehr wahrscheinlich.
Ein bisschen mehr Spannung, ein bisschen mehr Straffung und ein größeres Maß an Realitätssinn hätten dem Roman gut getan. So bleibt es ein recht seichter, wenn auch unterhaltsamer Krimi.
Frauke Scheunemann - Tod zur See
Scherz, März 2024
Taschenbuch, 367 Seiten, 17,00 €

Bewertung vom 17.04.2024
Der wunderbare Garten der Mrs P.
Paris, Helen Frances

Der wunderbare Garten der Mrs P.


sehr gut

Wieder einmal wäre es klüger gewesen, den englischen Originaltitel des Romans schlicht ins Deutsche zu übersetzen – denn er passt viel besser als der etwas kitschige deutsche Titel. „Der Club der unsichtbaren Frauen“ – darum geht es vor allem in diesem manchmal etwas arg rührseligen, meist aber sehr anrührenden Roman.
Im Mittelpunkt steht die 72-jährige Janet, deren Einsamkeit man fast mit Händen greifen kann. Sie macht es ihren Mitmenschen aber auch wirklich nicht leicht, mit ihr in Kontakt zu treten. Weder ihrer freundlichen Nachbarin Beverley, die so offensichtlich ihren Anschluss sucht, noch den anderen Pächtern in der Kleingartenanlage, wo Janet ihren geliebten Garten hat.
Nur dort ist sie glücklich, nur dort fühlt sie sich wohl und lebendig. Ihr Wissen um Kräuter und Pflanzen ist schier unerschöpflich, doch manchmal drängt sie es ihren Parzellennachbarn ungefragt auf und sorgt damit beständig für Missverständnisse.
Dann soll jedoch die gesamte Gartenanlage geschlossen werden. Denn man hat dort angeblich den Japanischen Staudenknöterich entdeckt, eine invasive Art, die geradezu gemeingefährlich ist für alle anderen Arten von Pflanzen, die sie schlicht verdrängt. Janet will sich das nicht gefallen lassen und greift auf ihre Erfahrungen und Kontakte aus ihrer Zeit beim britischen Geheimdienst zurück.
Dabei findet sie ungewollt Hilfe durch ihre Nachbarin Beverley. Die Hebamme steckt mitten in den Wechseljahren, ist aber eine unerschütterliche Optimistin und ebenso unerschütterlich hilfsbereit. Auf ihrer Reise durch England erleben es die Beiden immer wieder, dass sie übersehen, missachtet werden – so wie es vielen Frauen ab einem gewissen Alter immer wieder passiert. Die beiden ungleichen Frauen geraten schließlich sogar fast in Lebensgefahr, kommen sich dadurch aber näher und lernen sich besser kennen und vor allem verstehen.
Dazwischen gibt es immer wieder winzige Einblicke in Janets Vergangenheit, über die vielen Verletzungen, die ihr zugefügt wurden und die Verluste, die sie erlitt. Die aber auch ihre schroffe, zurückweisende Art in gewisser Weise erklären.
Der Roman ist wunderbar leichtfüßig geschrieben, keine hochkarätige Literatur, aber sehr unterhaltsam, mit einer Prise Humor, einer großen Dosis Gefühl, ein wenig Tränen, etwas Liebe und sehr viel vom Thema Pflanzen und Kräuter. Das Ende, die allerletzten Zeilen nach dem eigentlichen Schluss, die hätte es aber dann doch eher nicht gebraucht.
Helen Frances Paris - Der wunderbare Garten der Mrs P.
aus dem Englischen von Sophie Zeit7
dtv, März 2024
Klappenbroschur, 318 Seiten, 17,00 €

Bewertung vom 08.04.2024
Die Erfindung der Bundesrepublik
Böhne-Di Leo, Sabine

Die Erfindung der Bundesrepublik


sehr gut

Wer die Geschichte unseres Landes verfolgt, dem erzählt die Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Professorin Sabine Böhne-Di Leo zunächst mal nichts weltbewegend Neues.
Denn die Ereignisse rund um die Entstehung des Grundgesetzes, um die Gründung der Bundesrepublik vor 75 Jahren, sind grundsätzlich bekannt. Doch die Autorin blickt eben ein wenig hinter die Kulissen, berichtet von streitbaren Politikern, versöhnlichem Humor und vom Einfluss der damaligen Siegermächte in den ersten Nachkriegsjahren.
In ihrem Buch geht sie manchmal ganz nah ran an die Hauptpersonen dieser Geschehnisse. Wir beobachten Konrad Adenauer und Carlo Schmidt, wir hören Ernst Reuter die berühmten Worte in Berlin sagen, wir fliegen mit den Rosinenbombern über die Luftbrücke.
Denn damit beginnt das Buch, mit der Blockade Berlins durch die Sowjetunion 1948 als Reaktion auf die Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen. Hier lernen wir Louise Schroeder kennen, die amtierende Oberbürgermeisterin Berlins. Mir war diese Frau bislang nicht bekannt, die ihr Amt nur der Tatsache zu verdanken hatte, dass die Sowjets das eigentlich gewählte Stadtoberhaupt, Ernst Reuter, ablehnten.
In mehreren Treffen der Ministerpräsidenten der Länder wird die Gründung des neuen deutschen Landes geplant, wird, nach Anweisung und Anleitung durch die Alliierten der Parlamentarische Rat gegründet. Dabei schwebt dann immer die Angst über allem, dass die Westmächte sich doch mit den Russen einigen und es keinen freien deutschen Staat gibt.
Und während die Amerikaner, Briten und Franzosen täglich, auch im Winter, zwischen 6 und 12 Tonnen Lebensmittel, Kohle und sogar Autos nach Berlin bringen, ringen im dafür freigeräumten Museum König in Bonn die Mitglieder des Parlamentarischen Rates – 61 Männer und 4 Frauen – um jedes Wort und jedes Komma im neuen Grundgesetz. Welche Bedeutung jede Formulierung, welche Wirkung und Auswirkung ein unklarer Satz, eine misszudeutende Aussage in diesem Gesetz haben könnte, all das muss bedacht werden.
Dabei bleiben auch die Querelen zwischen den Parteien, allen voran CDU/CSU und SPD, nicht unerwähnt. Der Streit um die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, um den Einfluss der Kirche, um die Gleichberechtigung der Frau, von all diesen schwierigen Schritten berichtet die Autorin in diesem lesenswerten Buch. Ein paar interessante Fotos finden sich auf den Seiten, die allerdings oft ein bisschen sehr unscharf sind.
Ihr Stil ist flüssig und gut lesbar, sie vermeidet komplizierte Schilderungen und lockert die trockene Atmosphäre der Politik mit einigen Anekdoten aus dem Leben der Politiker auf. Für mehr Details, für mit Tiefe muss man sicher zu ausführlicheren Werken greifen, als kurze Geschichte der Erfindung unserer Republik ist dieses Buch aber empfehlenswert.
Sabine Böhne-Di Leo - Die Erfindung der Bundesrepublik
Kiepenheuer & Witsch, März 2024
Gebundene Ausgabe, 431 Seiten, 22,00 €

Bewertung vom 04.04.2024
Hanns und Rudolf
Harding, Thomas

Hanns und Rudolf


sehr gut

Erst bei der Trauerfeier für seinen Großonkel Hanns erfuhr Thomas Harding dessen Geschichte. Erfuhr, was Hanns Alexander während und nach dem zweiten Weltkrieg geleistet und vor allem, wen er verhaftet hatte.
Diese Geschichte des Jägers Hanns Alexander, Jude aus Deutschland, und des Gejagten Rudolf Höss, Leiter des Konzentrationslagers Auschwitz, erzählt der Autor nun in dieser Doppelbiografie.
Doch bevor aus Hanns der Jäger und aus Rudolf der Gejagte wurde, war es umgekehrt. Rudolf Höss, 1901 in Baden-Baden geboren und zeit seines Lebens williger Befehlsempfänger, hatte keine Skrupel, Juden, Andersdenkende und Kriegsgefangene zu jagen, einzusperren, zu quälen und zu töten.
Hanns Alexander, 1917 in Berlin geborener Sohn eines sehr angesehenen jüdischen Arztes, musste mit seiner Familie schon früh Deutschland verlassen und auf abenteuerlicher Flucht nach England emigrieren. Was das für ihn, seinen Zwillingsbruder Paul, seine Schwestern und seine Eltern bedeutete, schildert Thomas Harding anschaulich, eindringlich und akribisch chronologisch.
Beide Biografien sind detailreich und fesselnd. So kann man Rudolf Höss im ersten Weltkrieg erleben, an dem er teilnehmen kann, weil er über sein Alter lügt, und in dem er recht schnell Karriere macht. Insbesondere wohl, weil er bedingungslos Befehle verfolgt, ohne sie infrage zu stellen. Augenfällig ist auch seine stete Suche nach Leitfiguren, denen er folgen und die er beeindrucken will.
Das Buch schildert den Werdegang von Höss durch die verschiedenen Funktionen, die er während der Zeit der Nazidiktatur einnahm. Er war Leiter mehrere Konzentrationslager, tat auch Dienst in der für die Kontrolle der Lager zuständigen Amtsgruppe.
Hanns hingegen ist lange eher ein Luftikus. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Paul heckt er ständig Streiche aus und nimmt, trotz der Emigration und der Luftangriffe auf London, wo sie nun wohnen, das Leben leicht. Das ändert sich erst sukzessive, als er und Paul in eine Militäreinheit der Briten eintreten, die speziell für deutsche Emigranten vorgesehen ist – denen die Briten noch nicht so recht vertrauen. In seiner Funktion gehört Hanns zu denjenigen, die das Konzentrationslager Belsen befreien – ein einschneidendes Erlebnis, das ihn stark verändert. Von nun an verfolgt er die geflüchteten Nazigrößen und wird schließlich ausdrücklich auf Rudolf Höss angesetzt.
Der Schreibstil von Thomas Harding ist gut und flüssig lesbar, die Schilderungen sind anschaulich und lebendig. An manchen Stellen ist das Buch jedoch fast ein bisschen zu detailliert, sind die Erzählschritte etwas kleinteilig. So kommt dann das eigentlich wichtige, das spannende erst nach mehr als 200 Seiten. Dieser Teil, in welchem Hanns die Spur von Rudolf Höss verfolgt, die Verhaftung und die Anklage geschildert wird, dieser Teil ist so spannend wie ein Thriller. Umso überraschender, dass Hanns Alexander Zeit seines Lebens nicht über diese Dinge sprach, so dass, wie oben erwähnt, seine Nachkommen davon nichts wussten.
Am Ende des Buches gibt es noch sehr lesenswerte Anhänge, so z.B. einen Bericht über ein Treffen mit der Tochter von Rudolf Höss oder den Besuch in Ausschwitz zusammen mit der Schwiegertochter und dem Enkel von Höss.
Ein Manko ist, dass die vielen Anmerkungen, die ebenfalls im Anhang sind, lediglich mit einer Seitenzahl versehen sind, auf der jeweiligen Seite sich aber keinerlei Hinweis darauf findet. So entdeckt man die durchaus interessanten Zusatzinformationen erst nach der Lektüre. Schade.
Insgesamt ein wirklich lesenswertes und fesselndes Buch um zwei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Thomas Harding - Hanns und Rudolf
aus dem Englischen von Michael Schwelien
Jacoby & Stuart, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 408 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 01.04.2024
Aller-Rache (eBook, ePUB)
Reimann, Bettina

Aller-Rache (eBook, ePUB)


sehr gut

Da sind sie wieder unterwegs, die drei Generationen der Familie Blume-Kamphusen: Der ehemalige Kommissar Carsten, seine Tochter Anna, die Hotelbesitzerin und Flora, deren Tochter, ihres Zeichens Bloggerin.
Diesmal bekommen sie es mit einer merkwürdigen Mordserie zu tun. Jemand tötet Menschen, um einen Ex-Richter dazu zu bewegen, Selbstmord zu begehen. So lauten jedenfalls die Botschaften, die jeweils bei den Leichen gefunden werden.
Auf den ersten Blick findet sich keine Verbindung zwischen den Getöteten oder von ihnen zu diesem Richter. Um ihn zu schützen, wird er vorübergehend im Hotel der Kamphusens untergebracht. Nur leider ist Richter Hager kein Menschenfreund, im Gegenteil, seine Besessenheit, jeden Fehltritt geahndet sehen zu wollen, hat es ihm mit jedem und jeder in seiner Nachbarschaft verdorben. Was natürlich zu vielen möglichen Verdächtigen führt.
Die zuständige Polizei ist völlig unterbesetzt und so lässt die ermittelnde Kommissarin Heinecke es zu, dass sich die privaten Familiendetektive wieder vehement einmischen. Dies ist für mich der leider ziemlich unrealistische Teil dieser wirklich guten und sehr unterhaltsamen Krimireihe von Bettina Reimann. Ich kann es mir nun mal kaum vorstellen, dass so etwas in Wirklichkeit geschieht. Ein Ex-Kommissar wird vielleicht noch zur Beratung hinzugezogen, aber eine Bloggerin, die ausgerechnet einen Blog über Kriminalfälle betreibt? Aber das bremst die Freude und den Spaß beim Lesen ebenso wenig wie die Spannung, die die Autorin jedes Mal geschickt aufbaut.
Da gibt es keinen unwichtigen, unnötig ablenkenden Nebenstrang, da gibt es gut ausgearbeitete Figuren (nur der Wandel des misanthropischen Richters zum liebenswürdigen Menschenfreund ging mir dann doch etwas zu schnell vonstatten). Da gibt es falsche und authentische Spuren, die es schwer machen, zu erraten, wer der Täter ist. Auch wenn wieder einmal zwischendurch Szenen aus dessen Sicht eingeflochten sind, etwas, was ich eigentlich nicht gut leiden kann, weil es die Täteridentifizierung oft zu leicht macht für mich als Leserin. Aber das ist nun wirklich Geschmackssache.
So ist auch dieser dritte Band der Krimireihe wieder gelungen, trotz der erwähnten kleineren Mängel, und lässt durchaus auf weitere Fortsetzungen hoffen.
Bettina Reimann - Aller-Rache
be!media, März 2024
Taschenbuch, 284 Seiten, 14,98 €

Bewertung vom 27.03.2024
Buchhandlungen und ihre Geschichten
Ivashkina, Maria

Buchhandlungen und ihre Geschichten


sehr gut

Ungewöhnliche Buchhandlungen aus aller Welt mal nicht mit Fotos, sondern mit Zeichnungen vorzustellen ist eine schöne und hier gelungene Idee. Leider jedoch finden sich in diesem Buch keine Informationen zur Autorin und Zeichnerin. Nur die Tatsache, dass dieses Buch zuerst in Moskau erschien und aus dem Russischen übersetzt wurde, weist zumindest darauf hin, dass sie Russin sein könnte. Doch man erfährt es nicht.
Das tut natürlich der Freude beim Blättern in diesem dünnen Buch keinen Abbruch. Mit gedeckten Farben gezeichnet, zeigt sie uns außergewöhnliche Buchhandlungen, alte und neue, moderne und verwinkelte, solche in Portugal ebenso wie in Indien, in England oder Frankreich, in Indien oder Südkorea.
Bei manchen bekommt man zusätzlich zu den ansprechenden Zeichnungen auch noch einen historischen Abriss zur jeweiligen Buchhandlung. So beispielsweise, dass die „Livraria Bertrand“ in Lissabon die älteste noch in Betrieb befindliche Buchhandlung der Welt ist. Oder Ivashkina erzählt die Geschichte von „Shakespeare & Company“, der berühmten Pariser Buchhandlung, die so eng mit dem Namen George Whitman verbunden ist.
Am ungewöhnlichsten ist vielleicht die Buchhandlung „Morioka Shoten“ in Tokio, wo jede Woche immer nur ein einziges Buch ausgestellt und angeboten wird. Jede neue Woche wählt der Besitzer mit Bedacht ein weiteres Buch aus, welches er zeigt. Begleitet wird diese Buchvorstellung von einer passenden Ausstellung, beispielsweise von Fotos oder Gegenständen, die zum jeweiligen Buch in Beziehung stehen.
Auch wenn man sich vielleicht mehr Informationen wünschen möchte zu mancher der vorgestellten Buchhandlungen, auch wenn die Auswahl vielleicht ein wenig willkürlich wirkt, so ist das Buch als Ganzes ein traumhaftes Bilderbuch für Buchverliebte.
Maria Ivashkina - Buchhandlungen und ihre Geschichten
aus dem Russischen von Edmund Jacoby
Jacoby & Stuart, März 2024
Gebundene Ausgabe, 64 Seiten, 25,00 €

Bewertung vom 25.03.2024
Sieben Tage einer Ehe
Keane, Mary Beth

Sieben Tage einer Ehe


sehr gut

Ein Ehepaar mit unerfülltem Kinderwunsch ist das Zentrale in diesem ruhig und einfühlsam geschriebenen Roman. Sprachlich reicht er an die früheren Werke der Autorin heran, dabei ist er jedoch irgendwie ein wenig leblos.
Malcolm, Barkeeper und damit in seinem Traumberuf tätig, hat sich vor einer Weile seinen größten Wunsch erfüllt und eine Bar als Eigentümer übernommen. Jess, überbeschäftigte Anwältin, wartet hingegen seit Jahren auf die Erfüllung ihres größten Wunsches, ein Kind.
Viele langwierige, bedrückende und vor allem teure Therapien und Behandlungen haben sie in den vergangenen Jahren über sich ergehen lassen. Für Malcolm ist dieses Thema nun inzwischen irgendwie erledigt, für Jess jedoch nicht. Doch in ihren Berufen suchen beide Ausgleich, auch Ablenkung von den wachsenden Problemen in ihrer Ehe, von der Tatsache, dass sie sich auseinanderleben, dass sie nicht mehr alles miteinander teilen, nicht mehr über alles miteinander sprechen.
Und so ist Jess irgendwann gegangen, hat ihn verlassen, zurückgelassen. Vier Monate ist das jetzt her und nun erst erfährt Malcolm von guten Freunden, dass Jess offenbar einen anderen Mann hat. Passend zu seinem inneren Sturm zieht über der Stadt ein heftiger Schneesturm auf, der alles lahmlegt. Der Strom fällt aus, der Verkehr bricht zusammen. Zeit, sich den eigenen Gedanken zu stellen, Zeit, sich der Wahrheit zu stellen. Vielleicht auch Zeit, sich wieder zusammenzufinden?
Darum geht es in diesem langsam, langatmig, in vielen Rückblenden erzählten Roman. Man erfährt die Geschichte des Paares mal aus Sicht von Malcolm, mal aus der von Jess. Die Rückblenden sind oft verwirrend plötzlich, der Wechsel vom aktuellen Geschehen zum Blick in die Vergangenheit nicht immer sofort erkennbar.
Dabei gelingt es Mary Beth Keane, wie auch schon in den von mir sehr gelobten vorigen Büchern, die Emotionen ihrer Figuren geradezu perfekt in Worte zu fassen. Wenn Malcolm weiß, dass er unter Hunderten das Knie von Jess erkennen würde, dann ist das ein wunderschönes Bild für die Liebe, die er uneingeschränkt für sie empfindet. Die Autorin drückt dabei nie zu stark auf die Emotionen, bleibt immer nah an der Figur, ohne ihr zu sehr auf den Leib zu rücken. Ein sprachlich vollauf gelungener Roman voller prägnanter Bilder, auch für die Schilderungen des dramatischen Wetters.
Und doch hat mich dieser Roman nicht so recht erreicht. Die Geschichte von Malcolm und Jess war vielleicht schlicht zu alltäglich, um für eine ganze Romanhandlung zu reichen.
Mary Beth Keane - Sieben Tage einer Ehe
aus dem Amerikanischen von Heike Reissig
Eisele, Februar 2024
Gebundene Ausgabe, 336 Seiten, 24,00 €