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Am Rand der südkoreanischen Metropole Seoul liegt die "Blumeninsel", eine gigantische Müllhalde, Lebensgrundlage und Wohnstätte einer Kolonie von Ausgestoßenen. Hier landet der Held des Romans, der 14-jährige "Glupschaug", zusammen mit seiner Mutter, für die sich ein in der Hackordnung weit oben stehender Müllhaldenbewohner interessiert. Dieser "Baron" ist für den Helden eine verhasste Stiefvaterfigur. Mit "Glatzfleck", dem Sohn des Barons, freundet sich "Glupschaug" jedoch an und lernt von ihm alles, was man zum Überleben wissen muss."Vertraute Welt" ist eine Kritik an der modernen W...
Am Rand der südkoreanischen Metropole Seoul liegt die "Blumeninsel", eine gigantische Müllhalde, Lebensgrundlage und Wohnstätte einer Kolonie von Ausgestoßenen. Hier landet der Held des Romans, der 14-jährige "Glupschaug", zusammen mit seiner Mutter, für die sich ein in der Hackordnung weit oben stehender Müllhaldenbewohner interessiert. Dieser "Baron" ist für den Helden eine verhasste Stiefvaterfigur. Mit "Glatzfleck", dem Sohn des Barons, freundet sich "Glupschaug" jedoch an und lernt von ihm alles, was man zum Überleben wissen muss."Vertraute Welt" ist eine Kritik an der modernen Wegwerfgesellschaft. Der Roman zeigt, was hinter dem raschen wirtschaftlichen Aufstieg eines Landes steckt, das Menschen ebenso aussondert wie Müll. Unverhofftes Opfer des zweifelhaften Fortschritts ist auch eine Bande altkoreanischer Kobolde, mit denen sich "Glupschaug" und "Glatzfleck" anfreunden. Für die beiden Jugendlichen wendet sich damit das Blatt, zumindest vorerst ...
Hwang Sok-yong wurde 1943 im damaligen Mandschukuo (heute China) geboren. Schon als Jugendlicher gewann er mehrere Schreibwettbewerbe, brach aber die Schule ab, um als Wanderarbeiter auf Baustellen und in Fabriken Land und Leute seiner Heimat kennenzulernen. Als Philosophiestudent engagierte er sich im Widerstand gegen die Militärdiktatur und für den Schutz von Arbeiterrechten. Die Auseinandersetzung mit der politischen Unterdrückung und ökonomischen Ausbeutung durch die militant antikommunistische Regierung Südkoreas sollte ab den frühen 1970er-Jahren kennzeichnend für sein Werk werden. Wegen Verstoßes gegen das »Sicherheitsgesetz« wurde er 1993 in Seoul zu sieben Jahren Haft verurteilt, 1998 vom neugewählten Präsidenten Kim Dae-jung begnadigt. Eine Verarbeitung des Gefängnisaufenthalts ist der Dissidentenroman Der ferne Garten (1999). Seither hat Hwang in einer Reihe von Romanen, unter anderem Die Lotosblüte (2003) und Prinzessin Bari (2007), seine bisherigen Interessen mit dem Thema der internationalen Migration verknüpft, während er gleichzeitig verstärkt auf Stoffe und Motive aus der vormodernen koreanischen Erzähltradition zurückgreift. Mit zahlreichen nationalen und internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet, gilt Hwang Sok-yong als Südkoreas aussichtsreichster und würdigster Nobelpreiskandidat.
Produktdetails
- Verlag: Europa Verlag München
- Artikelnr. des Verlages: 26000303
- Seitenzahl: 204
- Erscheinungstermin: 1. Juli 2021
- Deutsch
- Abmessung: 217mm x 140mm x 21mm
- Gewicht: 369g
- ISBN-13: 9783958903036
- ISBN-10: 3958903037
- Artikelnr.: 60483909
Herstellerkennzeichnung
Europa Verlag GmbH
Waltergasse 6/Top 11
1040 Wien, AT
sp@europa-verlag.com
www.europa-verlag.com
Leben im Müll
Hwang Sok-yong beschreibt den Abstieg einer Familie
Tiefer als der dreizehnjährige Protagonist, den man Glupschaug nennt, kann man nicht sinken. Seine Kindheit verbringt er in den engen Gassen eines Armenviertels. Sein Vater kommt in ein Umerziehungslager. Mutter und Sohn schlagen sich mit Gelegenheitsjobs auf einem Markt durch. Schließlich landen sie dort, wo die Überflussgesellschaft sich unnützer Dinge entledigt: auf der Müllkippe. Sie leben im Müll, essen Müll, atmen ihn gar. Auch wenn Autor Hwang Sok-yong die Stadt, in der sein Roman "Vertraute Welt" spielt, nicht beim Namen nennt, lässt sich in den Beschreibungen das Seoul der Siebziger- oder Achtzigerjahre erkennen. Die Präsidenten Park
Hwang Sok-yong beschreibt den Abstieg einer Familie
Tiefer als der dreizehnjährige Protagonist, den man Glupschaug nennt, kann man nicht sinken. Seine Kindheit verbringt er in den engen Gassen eines Armenviertels. Sein Vater kommt in ein Umerziehungslager. Mutter und Sohn schlagen sich mit Gelegenheitsjobs auf einem Markt durch. Schließlich landen sie dort, wo die Überflussgesellschaft sich unnützer Dinge entledigt: auf der Müllkippe. Sie leben im Müll, essen Müll, atmen ihn gar. Auch wenn Autor Hwang Sok-yong die Stadt, in der sein Roman "Vertraute Welt" spielt, nicht beim Namen nennt, lässt sich in den Beschreibungen das Seoul der Siebziger- oder Achtzigerjahre erkennen. Die Präsidenten Park
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Chung-hee und Chun Doo-hwan regierten Korea autoritär. Gleichzeitig begann aber ein rasanter wirtschaftlicher Aufstieg.
Diese Ambivalenz schlägt sich auch in Hwangs Roman nieder: Menschen verschwinden, und Beamte lassen sich schmieren. Doch wo früher karges Ackerland war, stehen nun Hochhäuser. Selbst die Geister, mit denen Glupschaug in Kontakt tritt, wissen nicht mehr wohin mit sich, ihre vertraute Welt ist verschwunden. Hwang beschreibt ein Land, das unerbittlich danach strebt, eine Industrienation zu werden - und jene aussortiert, die nicht zum Aufstieg beitragen. Seine Sprache passt sich den Umständen der Figuren an. Auch der Übersetzer Andreas Schirmer scheut sich nicht vor vulgären Beschreibungen. Glupschaug beispielsweise findet eine bereits geöffnete Packung Würstchen auf der Deponie und macht sich genüsslich über die mit Dreck überzogenen Fleischwaren her.
Hwang setzt sich in seinen Werken kritisch mit der jüngeren Geschichte Koreas auseinander. Seit seiner Jugend war er Teil des demokratischen Widerstands. Mehrmals wurde er für seinen politischen Aktivismus verhaftet. Zuletzt Anfang der Neunzigerjahre, weil er mit einer Reise nach Nordkorea gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstieß. Im Zentrum seiner Erzählungen stehen, sicherlich nicht ohne autobiographische Bezüge, Solidarität zwischen Menschen am Rande der Gesellschaft und der Verlust von Heimat. Auch in "Vertraute Welt" teilen die Bewohner der Deponie das wenige, das sie haben, miteinander. Pragmatisch schließen sich Verlassene zu neuen Familien zusammen. Wohltäter aus der Stadt hingegen lassen sich mit hungrigen Kindern ablichten, um ihr gesellschaftliches Ansehen aufzuwerten. Die Rollenverteilung mag dem hiesigen Leser eindimensional vorkommen. Hwangs Erfolg im heutigen Südkorea dürfte jedoch damit zu erklären sein, dass er eine in weiten Teilen der Gesellschaft verankerte Skepsis gegenüber Wirtschaftsgrößen und Politikern aufgreift. Korruptionsskandale, in die bekannte Großkonzerne und Vertreter beider Seiten des politischen Spektrums verwickelt sind, haben viele Koreaner desillusioniert.
Erfolg im Ausland scheint Hwang ohnehin unwichtig zu sein. Im vergangenen Jahr wurde er bei einer Pressekonferenz darauf angesprochen, dass er als Koreas aussichtsreichster Kandidat für den Literaturnobelpreis gilt. Hwang sagte dazu: "Früher dachten wir, dass wir zur westlichen oder europäischen Literaturwelt aufschließen müssen, als ob wir bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnen würden." Die Schwedische Akademie, sagte Hwang, liege irgendwo in Europa auf dem Lande. ANNA SCHILLER
Hwang Sok-yong:
"Vertraute Welt". Roman.
Aus dem Koreanischen von Andreas Schirmer. Europa Verlag, Berlin 2021. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diese Ambivalenz schlägt sich auch in Hwangs Roman nieder: Menschen verschwinden, und Beamte lassen sich schmieren. Doch wo früher karges Ackerland war, stehen nun Hochhäuser. Selbst die Geister, mit denen Glupschaug in Kontakt tritt, wissen nicht mehr wohin mit sich, ihre vertraute Welt ist verschwunden. Hwang beschreibt ein Land, das unerbittlich danach strebt, eine Industrienation zu werden - und jene aussortiert, die nicht zum Aufstieg beitragen. Seine Sprache passt sich den Umständen der Figuren an. Auch der Übersetzer Andreas Schirmer scheut sich nicht vor vulgären Beschreibungen. Glupschaug beispielsweise findet eine bereits geöffnete Packung Würstchen auf der Deponie und macht sich genüsslich über die mit Dreck überzogenen Fleischwaren her.
Hwang setzt sich in seinen Werken kritisch mit der jüngeren Geschichte Koreas auseinander. Seit seiner Jugend war er Teil des demokratischen Widerstands. Mehrmals wurde er für seinen politischen Aktivismus verhaftet. Zuletzt Anfang der Neunzigerjahre, weil er mit einer Reise nach Nordkorea gegen das nationale Sicherheitsgesetz verstieß. Im Zentrum seiner Erzählungen stehen, sicherlich nicht ohne autobiographische Bezüge, Solidarität zwischen Menschen am Rande der Gesellschaft und der Verlust von Heimat. Auch in "Vertraute Welt" teilen die Bewohner der Deponie das wenige, das sie haben, miteinander. Pragmatisch schließen sich Verlassene zu neuen Familien zusammen. Wohltäter aus der Stadt hingegen lassen sich mit hungrigen Kindern ablichten, um ihr gesellschaftliches Ansehen aufzuwerten. Die Rollenverteilung mag dem hiesigen Leser eindimensional vorkommen. Hwangs Erfolg im heutigen Südkorea dürfte jedoch damit zu erklären sein, dass er eine in weiten Teilen der Gesellschaft verankerte Skepsis gegenüber Wirtschaftsgrößen und Politikern aufgreift. Korruptionsskandale, in die bekannte Großkonzerne und Vertreter beider Seiten des politischen Spektrums verwickelt sind, haben viele Koreaner desillusioniert.
Erfolg im Ausland scheint Hwang ohnehin unwichtig zu sein. Im vergangenen Jahr wurde er bei einer Pressekonferenz darauf angesprochen, dass er als Koreas aussichtsreichster Kandidat für den Literaturnobelpreis gilt. Hwang sagte dazu: "Früher dachten wir, dass wir zur westlichen oder europäischen Literaturwelt aufschließen müssen, als ob wir bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnen würden." Die Schwedische Akademie, sagte Hwang, liege irgendwo in Europa auf dem Lande. ANNA SCHILLER
Hwang Sok-yong:
"Vertraute Welt". Roman.
Aus dem Koreanischen von Andreas Schirmer. Europa Verlag, Berlin 2021. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Anna Schiller lernt mit Hwang Sok-yongs Roman eine drastische soziale Realität kennen. Die Geschichte spielt unter den Ärmsten der Armen von Seoul in den 1970er und 80er Jahren, beschreibt, wie Menschen auf einer Müllkippe leben, und zwar in einer ungeschönten, deutlichen Sprache, wie Schiller erklärt. Auch wenn die Parteinahme des Autors und Aktivisten für seine Randexistenzen der Rezensentin mitunter allzu eindeutig vorkommt, leuchtet ihr die Spannung ein zwischen dem geschilderten Elend und den hochtrabenden wirtschaftlichen Ambitionen Koreas seinerzeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Koreanisches Sozialdrama
Vertraute Welt von Hwang Sok-Yong ist im Original schon von 2011 und weniger opulent gestaltet als sein historischer Roman Die Lotusblüte.
Aber auch hier gibt es viel Atmosphäre und intensive Sprachbilder.
Wer in dem Vorort von Seoul nahe der großen …
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Koreanisches Sozialdrama
Vertraute Welt von Hwang Sok-Yong ist im Original schon von 2011 und weniger opulent gestaltet als sein historischer Roman Die Lotusblüte.
Aber auch hier gibt es viel Atmosphäre und intensive Sprachbilder.
Wer in dem Vorort von Seoul nahe der großen Müllhalde lebt, befindet sich im sozialen Abseits. Die Kinder und Jugendliche, die hier aufwachsen, haben wenig Perspektiven.
Manche versuchen, von den Funden auf der Blumeninsel, wie die giftige Müllhalde genannt, zu leben. Eine ganz eigene Hierarchie bestimmt hier das Leben. Das Leben als Müllsammler ist hart.
Die Stärke des Romans ist, dass die Jugendlichen Glubschaug und Glatzfleck im Mittelpunkt stehen. Das gemeinsame Schicksal macht sie zu Brüder.
Hwang Sok-Yong hat ein packendes Sozialdrama geschrieben.
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Glubschaug ist dreizehn, als sein Vater ins Gefängnis kommt und er mit seiner Mutter auf die Blumeninsel zieht, eine riesige Müllhalde am Rande Seouls, wo die beiden, dank der Hilfe eines Freundes des Vaters, als Müllsortierer eine Stelle finden. Glubschaugs Mutter beginnt bald eine …
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Glubschaug ist dreizehn, als sein Vater ins Gefängnis kommt und er mit seiner Mutter auf die Blumeninsel zieht, eine riesige Müllhalde am Rande Seouls, wo die beiden, dank der Hilfe eines Freundes des Vaters, als Müllsortierer eine Stelle finden. Glubschaugs Mutter beginnt bald eine Beziehung mit diesem Freund, während Glubschaug selbst sich mit dessen jüngeren Sohn Glatzfleck anfreundet. Glatzfleck gilt allgemein als schwachsinnig, aber es wird schnell klar, dass in ihm mehr steckt, als ihm zugetraut wird. Er zeigt Glubschaug nicht nur einen Unterschlupf, das „Hauptquartier“, in dem einige Söhne der Müllsortierer ihre gefundenen Essensrationen teilen und sich zurückziehen können, wenn Gestank und Elend ihnen zu viel wird, sondern macht ihn auch mit dem „Höker-Opa“ und „Schrumpels Mama“ bekannt, Vater und Tochter, die etwas abseits der Halde wohnen und sich um die streunenden Hunde der Insel kümmern. Vor allem kann Glatzfleck aber die blauen Lichter sehen, die Geister der Familie Kim, die in einer Parallwelt weiter ihren Bauernhof auf der Blumeninsel bewirtschaften.
Gemeinsam schaffen die Jungen es, sich eine halbwegs erträgliche Existenz aufzubauen. Aber das Leben auf der Halde ist gefährlich, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zur Katastrophe kommen muss.
Hwang Sok-yong ist einer der bekanntesten Schriftsteller Südkoreas und vor allem dafür bekannt, sich kritisch sowohl mit der Geschichte, als auch der sozialen Gegenwart seines Landes auseinanderzusetzen. Für mich war es meine erste Begegnung mit ihm, und einem Südkorea, dass ich so nicht kannte. Wenn ich an dieses Land denke, habe ich vor allem einen modernen Staat vor Augen, denke an Skylines, technische Entwicklung, eine Leistungsgesellschaft, für die vor allem der Fortschritt zählt. „Vertraute Welt“ zeichnet ein anderes Bild, und doch eins, das man hätte erwarten können: die Kehrseite der Medaille. Hier ist der Fokus auf dem, was hinten runter fällt und unten bleibt, wenn alle versuchen, nach oben zu kommen. Hwang Sok-yong zeichnet hier eine intensive Kritik an der modernen Wegwerfgesellschaft, die auch vor Menschen nicht halt macht, und obwohl das Wissen um Slums und Armut nicht neu ist, hat sich mir dieses Bild tief eingeprägt und mich neu erschüttert.
Trotzdem habe ich einen großen Kritikpunkt an diesem Roman, der mir das Lesevergnügen beträchtlich verringert hat: die Übersetzung. Ich kann kein Koreanisch und habe deswegen keine Möglichkeit, zu beurteilen, wie nah der deutsche Text an dem Original dran ist, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Hwang Sok-yong dermaßen verstaubt und sperrig schreibt. Ich bin teilweise auf Begriffe gestoßen, die, übertrieben ausgedrückt, Goethe vielleicht noch als zeitgemäß, wenn auch nicht unbedingt als literarisch wertvoll empfunden hätte. Bei allem Respekt vor der harten Arbeit eines Übersetzers ist es mir ein Rätsel, was hier passiert ist, und warum das Lektorat nicht eingegriffen hat. Meines Wissens wurden andere Werke des Autors von anderen Übersetzern ins Deutsche übertragen, und ich hoffe, mir in naher Zukunft ansehen zu können, wie sie mit seinen Texten umgegangen sind. Bis dahin kann ich nur mit Bedauern festhalten, dass ich dem Roman zwar Leser wünsche, aber vor allem eine Überarbeitung.
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Als der 13-jährige Glupschaug zusammen mit seiner Mutter die Slums in der Nähe Seouls verlässt, um sich zur "Blumeninsel" aufzumachen, weiß er noch nicht, was die beiden dort erwartet: eine überdimensionierte Müllkippe, auf der sie fortan als Arbeiter unter …
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Als der 13-jährige Glupschaug zusammen mit seiner Mutter die Slums in der Nähe Seouls verlässt, um sich zur "Blumeninsel" aufzumachen, weiß er noch nicht, was die beiden dort erwartet: eine überdimensionierte Müllkippe, auf der sie fortan als Arbeiter unter der Anleitung des "Barons" eingesetzt werden. Eine unerträgliche Situation, die für Glupschaug vor allem dadurch leichter wird, dass er sich mit Glatzfleck, dem zehnjährigen Sohn des Barons anfreundet. Gemeinsam müssen sich die beiden beweisen, in dieser von Erwachsenen dominierten Welt des Schmutzes...
Hwang Sok-Yong zeichnet in "Vertraute Welt", im koreanischen Original bereits 2011 erschienen, das düstere Bild einer Wegwerfgesellschaft zu Beginn der 1980er-Jahre, das noch immer erschreckend aktuell wirkt. In knappen, lakonischen Sätzen, lässt Hwang von Beginn an keinen Zweifel daran, wem seine Sympathien gelten: den Armen und Schwachen, den von der Gesellschaft Ausgestoßenen und Weggeworfen. Und natürlich den Kindern, denn Protagonist Glupschaug ist mit großem Abstand die wichtigste Figur. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es keine einzige Szene, die ohne ihn auskommt.
Ganz wunderbar gelingt es dem Autoren, die Empathie für Glupschaug und Glatzfleck auf die Leser:innen zu übertragen. Das führte so weit, dass ich in ständiger Sorge um den kleinen Glatzfleck war und überall Gefahren witterte, wo häufig gar keine waren. Der Schreibstil wirkt dabei ein wenig aus der Zeit gefallen, vielleicht gar altmodisch, was mich aber nicht störte. Gerade in den Dialogen der Kinder fühlte ich mich manchmal an diese alten wunderbaren DEFA-Filme erinnert, wo die jungen Darsteller ihre Beiträge auch häufig einmal mit dem Ausruf "Mensch..." einleiteten.
Insbesondere das erste Drittel des Romans hat mir in diesem Zusammenhang sehr gut gefallen. Sensibel und mit dem nötigen Ernst schildert Hwang die sich leise anbahnende Freundschaft zwischen Glupschaug und Glatzfleck, die später und aufgrund des Verhältnisses zwischen Glatzflecks Vater, dem Baron, und Glupschaugs Mutter sogar zu einer brüderlichen Beziehung wird.
Leider kann der Roman diese Intensität nicht über die vollen gut 200 Seiten bewahren. Gerade mit der Zunahme von metaphysischen Erscheinungen und geisterhaften Gestalten kam ich nicht so gut zurecht, da der Roman zu Beginn doch auf eine harte Realität setzt. Das mag aber auch mit der fernöstlichen Literatur allgemein zusammenhängen, wo Geisterwesen wohl des Öfteren eine größere Rolle spielen.
Auch das Ende überzeugte mich nicht vollends. Ohne zu viel zu verraten, passiert etwas so Drastisches, über das in meinen Augen einfach zu schnell hinweg gegangen wird. Auch innere Konflikte werden in der Folge dieses Ereignisses nicht austariert.
Leichte Kritikpunkte an einem insgesamt aber überzeugenden Roman über die dunklen Seiten Südkoreas, der gleichermaßen aufrüttelt wie berührt.
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Südkorea ist ein moderner erfolgreicher Industriestaat. Die Anforderungen an Schüler und Berufstätige sind sehr hoch. Aber nicht jeder wird erfolgreich. Einige fallen durchs Raster und landen in Slums oder noch schlimmer – wie in Hwang Sok-yongs Buch beschrieben – auf …
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Südkorea ist ein moderner erfolgreicher Industriestaat. Die Anforderungen an Schüler und Berufstätige sind sehr hoch. Aber nicht jeder wird erfolgreich. Einige fallen durchs Raster und landen in Slums oder noch schlimmer – wie in Hwang Sok-yongs Buch beschrieben – auf einer Mülldeponie, wo sie wohnen und ihren Lebensunterhalt damit bestreiten, verwertbares Material aus dem Müll auszusortieren.
Der Autor beschreibt das Leben des 13-jährigen Glupschaug und seinem Freund Glatzfleck auf einer riesigen Müllhalde am Rande von Seoul. Selbst auf dieser untersten Skala der Gesellschaft gibt es eine Hackordnung und werden Claims abgesteckt. Die Menschen leben in einfachen Bretterbuden und ernähren sich von den Abfällen der Zivilisation.
Das rauhe Leben prägt die Menschen, formt ihren Charakter. Die gigantischen Müllberge und ihre Bewohner bilden den Schatten der modernen kapitalistischen Wegwerfgesellschaft, nicht nur in Seoul, sondern weltweit. Hwang Sok-yong beleuchtet diese Welt ohne Bewertung bzw. Kritik am System. Er macht aufmerksam auf Probleme, die uns zu denken geben sollten.
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Aussortiert und Weggeworfen
Hwang Sok-Yongs Romanhandlung lässt sich zu weiten Teilen auf der sogenannten Blumeninsel am Rande der südkoreanischen Metropole Seoul verorten. Nur der Name erinnert an die dort einst intakte Natur. In den 1980er Jahren, als der 13-jährige Glubschaug mit …
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Aussortiert und Weggeworfen
Hwang Sok-Yongs Romanhandlung lässt sich zu weiten Teilen auf der sogenannten Blumeninsel am Rande der südkoreanischen Metropole Seoul verorten. Nur der Name erinnert an die dort einst intakte Natur. In den 1980er Jahren, als der 13-jährige Glubschaug mit seiner Mutter dort hinzieht, hat sich die Blumeninsel längst in eine gigantische, stinkende Mülldeponie verwandelt. Der Autor zeigt das Alltagsleben der Menschen, die auf der Müllhalde in notdürftig erbauten Baracken leben und jeden Tag den neu angelieferten Müll nach brauchbaren Materialien und Essen durchsuchen. Hwang Sok-Yong gewährt einen Einblick in die Organisation der Arbeitsabläufe und in ein System aus Lizenzen, das genau vorgibt wer welchen Müll zuerst durchsuchen darf. Ich konnte sehr schnell in diese fremde Welt eintauchen. Die beschriebenen Verhältnisse, unter denen die Müllsucher leben, sind sehr hart. Die Kritik daran, dass Menschen und auch Tiere genauso aussortiert werden wie Nahrungsmittel und alles andere, was nicht mehr gebraucht wird, ist deutlich formuliert. Allerdings lenkt der Autor seinen Blick auf die Menschen, für die die Blumeninsel gefährlicher Wohn- und Arbeitsort zugleich ist, und vor allem auf die Freundschaft, die Glubschaug mit dem drei Jahre jüngeren Glatzfleck eingeht, der ebenfalls auf der Deponie lebt. Mir gefällt der unprätentiöse Blick auf die Menschen, für die das Leben dort die Normalität - die vertraute Welt ist - und die das beste aus ihrer Situation zu machen versuchen. Hwang Sok-Yong gibt diesen Abgehängten, den aus der Gesellschaft Aussortierten an diesem trostlosen Ort durch seine Art zu schreiben Würde zurück - jedenfalls vermittelte sich mir dieses Gefühl beim Lesen. Glubschaug und Glatzfleck unterstützen die Erwachsenen immer mal wieder beim Sortieren des Mülls; sie haben aber auch viel Zeit durch die Gegend zu streifen und das eine oder andere Abenteuer zu erleben. Diese Freundschaft steht im Mittelpunkt des Romans und hat mir viele schöne, aber auch traurige Momente beschert. In „Vertraute Welt“ bestehen drei Lebensbereiche nebeneinander, die nur auf den ersten Blick getrennt voneinander existieren: 1. Die Menschen, die Teil einer Wegwerfgesellschaft sind und gigantische Mengen an Müll produzieren. 2. die Menschen, die den Müll nach Brauchbarem durchsuchen und so ihr Überleben sichern. 3. Eine Geisterwelt, die den Leser*innen einen Einblick in die Vergangenheit gewährt als auf der Blumeninsel noch Erdnüsse angebaut wurden und Blumen blühten. Die Geisterwelt nimmt im Roman einen größeren Raum ein - auch sie leidet unter der Umweltverschmutzung und darunter, dass für den „modernen“ Menschen schamanistische und shintoistische Traditionen an Bedeutung verlieren.
"Vertraute Welt“ hat mir sehr gut gefallen. Der Roman lädt zum kritischen Reflektieren des eigenen Konsumverhaltens ein, benennt ohne erhobenen Zeigefinger Probleme, die mit Wirtschaftswachstum einhergehen, hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, zeigt die Kehrseite des Konsums und die Verantwortung, die jeder einzelne hat. „Vergiss nicht, dass alles auf der Welt - jedes Lebewesen und jedes Ding - mit dir verbunden ist wie in einem Netz (…) man will dich nur auf Leistung dressieren und sonst nichts (…) Aber weißt du (…) du kannst aussteigen.“ (S. 186-187).
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In diesem Buch lernen wir den 13 jährigen Jungen "Glubschaug" kennen und begleiten ihn ein Stück auf seinem Lebensweg. Und sein Leben ist kein einfaches. Denn erst lebt er mit seiner Mutter in einem Berghangslum am Rande von Seoul. Und nachdem sein Vater in eine Umerziehungslager …
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In diesem Buch lernen wir den 13 jährigen Jungen "Glubschaug" kennen und begleiten ihn ein Stück auf seinem Lebensweg. Und sein Leben ist kein einfaches. Denn erst lebt er mit seiner Mutter in einem Berghangslum am Rande von Seoul. Und nachdem sein Vater in eine Umerziehungslager gesteckt wird und für die Familie nicht mehr da ist, zieht seine Mutter mit ihm zu einem anderen Mann auf die sogenannte Blumeninsel. Leider bezieht sich der Name auf eine vergangene Zeit dieses Gebietes, denn heute ist es eine riesige Müllhalde, auf der die ärmsten Menschen leben und arbeiten. Allerdings hat der Autor in der Erzählung die Erinnerung an die schöneren Zeiten der Insel in einem kleinen Bereich beibehalten. Das ist aber eher im geistigen Sinne zu verstehen und bringt den westlichen Leser mit den Geisterwesen einer anderen Kultur zusammen. Für mich war das Lesen dieses Buches auf der einen Seite sehr interessant und lehrreich, aber auf der anderen Seite wird man mit den negativen Folgen des Überflusses an materiellen Dingen in der Welt konfrontiert und regt zum Nachdenken an. Es ist kein Roman für vergnügliche Stunden. Man erlebt die fürchterlichen Lebensbedingungen unter denen die Menschen dort leben müssen. Eine richtige glückliche Kindheit erleben wir jedenfalls für die Protagonisten nicht. Allerdings zeigt es sich hier auch, dass Kinder sich ihren eigenen Raum schaffen und dort auch spielen und träumen können. Unvorstellbar für mich, aber es zeigt den Überlebenswillen und die Anpassungsfähigkeit der Kinder, wenn es lebensnotwenig ist. Es gibt Freundschaften und enge Beziehungen, wie auch Glupschaug (ein Spitzname, wie ihn die meisten Kinder haben) feststellen muss. Er freundest sich mit dem Sohn seines fast Stiefvaters an. Auch Glatzfleck leidet unter seinem Vater und so finden die beiden Jungen zueinander. Glatzfleck zeigt ihm seine Welt auf der Blumeninsel und dadurch findet auch Glubschaug seinen Platz unter den Bewohnern. Die Schilderungen über die Lebensbedingungen sind sehr authentisch und man mag es manchmal einfach nicht glauben, unter welchen Umständen die Menschen hier leben. Aber sie haben sich irgendwie damit arrangiert und hoffen immer auf eine Verbesserung ihrer Lage. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Welten könnten nicht klarer dargestellt sein. Man erlebt es überall. Besonders zeigt es sich, wenn die Slumbewohner mal in die anderen Stadtteile fahren. Es gibt sogar dafür besondere Vorbereitungen zu treffen, damit die Leute nicht sofort auffallen. Aber es lässt sich nie verheimlichen, woher sie kommen. Und dementsprechend werden sie auch behandelt. Man kommt den Protagonisten sehr nahe und erlebt ihre Emotionen hautnah. Das macht es für den Leser nicht einfach, denn man wünscht sich ein anderes Leben für sie. Es ist ein interessantes Buch und macht den Leser nachdenklich. Ich habe mich sehr betroffen gefühlt und die Problematik unseres überfüllten Lebens wieder klar vor Augen gesehen. Dieses Buch zeigt dem Leser, welche Folgen ein Leben im Überfluß und im Zuge der Wegwerfgesellschaft hat. Es regt zum Nachdenken und zum Ändern von Gewohnheiten an. Ich fand das Buch sehr lesenswert und kann es gut weiterempfehlen. Denn es zeigt uns eben eine sehr fremde Welt, die zwar weit weg ist, aber auch wir mit zu Verantworten haben. Die Geschichte rüttelt den Leser auf und bringt ihm zum Nachdenken. Und vielleicht auch zum Handeln.
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„Vertraute Welt“ von Autor Hwang Sok-yong nimmt unsere Wegwerfgesellschaft aufs Korn und legt den Finger tief in die Wunde unserer modernen Welt.
Die „Blumeninsel“ am Rande der südkoreanischen Metropole Seoul wird zu Glubschaugs neuem Zuhause. Auf der Mülldeponie …
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„Vertraute Welt“ von Autor Hwang Sok-yong nimmt unsere Wegwerfgesellschaft aufs Korn und legt den Finger tief in die Wunde unserer modernen Welt.
Die „Blumeninsel“ am Rande der südkoreanischen Metropole Seoul wird zu Glubschaugs neuem Zuhause. Auf der Mülldeponie herrschen eigene Regeln. Teil seiner Patchworkfamilie wird Glatzfleck. Die beiden freunden sich an und lüften ein Geheimnis.
„Seinen Namen verriet der Junge nie. Schon gar nicht seinen Familiennamen.“ Glubschaugs Geschichte ist voller ungewöhnlicher Spitznamen. Hinter jedem steckt eine passende Erklärung. Vom Berghangslum zur Mülldeponie, Glubschaug ahnt anfangs nicht, wohin es ihn und seine Mutter verschlägt. Die Arbeit auf der Mülldeponie ist alles andere als einfach und ungefährlich, und trotzdem schaffen es die beiden, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Die Themen, Außenseiter, Umweltzerstörung, Wegwerfgesellschaft werden in eine ungewöhnliche Geschichte verpackt, in der unterschwellig immer eine gewisse Hoffnung herrscht. Es geht um eine wachsende Freundschaft, Zusammenhalt und tägliche Herausforderungen. Auf der Suche nach Schätzen im Abfall herrscht eine strenge Hierarchie und Ordnung. Was Andere wegwerfen, kann für die Müllsammler zum Highlight des Tages werden. Glatzfleck erweist sich als pfiffiger als gedacht. Wie alle hat auch er seine Geheimnisse. Bald wird die Mülldeponie auch für Glubschaug zur vertrauten Welt. Zeitweise wirken die Alltagserlebnisse etwas langatmig erzählt. Das ändert sich mit einem schicksalhaften Ereignis. Wendungen und Auflösungen sind gut inszeniert. Von einem auf den anderen Moment wird alles auf den Kopf gestellt. Verzweiflung und kleines Glück liegen dicht beieinander. Zum Nachdenken regen Bemühungen an, die Natur wenigstens schrittweise wieder herzustellen. Ist alles verloren? Nicht, wenn ein Umdenken erfolgt. Das Schicksal mischt die Karten für Glubschaug und Glatzfleck immer wieder neu. Ein Happy End scheint aussichtslos.
Der Titel spielt auf das Leben auf der Mülldeponie an, kann aber auch als Provokation gelten. Wie gehen wir mit der Natur und den Lebewesen am Rande der Gesellschaft um? „Vertraute Welt“ ist eine aufrüttelnde Geschichte und hält uns den Spiegel vor. Wollen wir weiter so machen oder etwas ändern? Es ist die Geschichte zweier Kinder und am Ende die von uns allen.
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Seoul – die Megacity produziert Unmengen von Müll. Eine der reichsten Städte karrte seinen Unrat in den 1980er Jahren auf die riesige Deponie, an dessen Rand diejenigen ihr Dasein fristeten, die in all dem Weggeworfenen nach erneut Verwertbarem suchten.
Auf mehr Einkommen …
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Seoul – die Megacity produziert Unmengen von Müll. Eine der reichsten Städte karrte seinen Unrat in den 1980er Jahren auf die riesige Deponie, an dessen Rand diejenigen ihr Dasein fristeten, die in all dem Weggeworfenen nach erneut Verwertbarem suchten.
Auf mehr Einkommen hoffend, zieht es Glupschaug und seine Mutter mitten hinein in die „Blumeninsel“. Blumig ist weder ihr neues Zuhause noch sind es die Gerüche, die ihnen anhaften. Ihre ärmlichen Hütten bilden eine eigene Stadt neben einem riesigen Müllhaufen vor der großen, pulsierenden Großstadt. Sie sind unter sich - Menschen am Rande der Gesellschaft.
Die Überflussgesellschaft wirft weg, kauft neu, entsorgt wieder. Die Müllberge werden immer mehr und hier entstanden Arbeitsplätze für diejenigen, die all den Überfluss wieder und immer wieder umschichteten, sich das Wiederverwertbare herausfischten und so ihr Auskommen einigermaßen sichern konnten.
Es geht strukturiert zu, jeder hat seinen Platz. Der Müll wird an vorderster Reihe systematisch durchforstet und erst wenn es diese Vorhut dahin drängt, wo der nächste LKW seine Ladung abkippt, dürfen die nächsten ran. Neben dem ständigen Versprühen von Insektiziden lauern hier noch viele andere Gefahren, aber da müssen sie alle durch, hier haben sie ihre Lebensgrundlage.
Hwang Sok-Yong erzählt von Glupschaug und Glatzfleck und ihrem Umfeld, von zwei Jungen, die auch mit anpacken und doch auch Kind sein wollen, sich ihre Zufluchtsorte schaffen. Bruderherz, so nennt Glatzfleck seinen Freund und Kameraden. Ihr Leben auf der Deponie ist hart und entbehrungsreich, sie holen ihr Essen aus dem Müll. Genug wird weggeworfen, trotzdem möchte man bei so mancher kulinarischen Beschreibung nicht unbedingt Gast sein.
Neben dem doch oftmals desillusionierenden Alltag blitzt immer wieder ein blaues Licht auf. Meister Kim und seine Familie nimmt sie mit in eine Traumwelt. Es sind die früheren Bewohner als durchscheinende Gestalten, als Geister, die sich ihnen zeigen, um dann im Nebel zu entschwinden. Dieses mystische Bild, die heile Welt, weit entfernt vom Ist-Zustand, hat was Tröstliches. Ein Wunschland gar nicht weit weg und doch unerreichbar. Da ist einerseits das nicht Greifbare, Nebulöse und andererseits der nüchterne Alltag. Dieses immer wieder aufflackernde wunderschöne Gemälde vermittelt Geborgenheit.
Der Autor nimmt seine Leser mit in eine Welt, von der wir alle wissen, dass sie existiert. Beschreibt das Leben derer, die hier leben, sehr einfühlsam. Sie arbeiten, leben und lieben, lachen und sind traurig wie jeder von uns. Deren „Vertraute Welt“ hat nichts anrüchiges, seine Sprache ist leicht verständlich.
Südkoreas bekanntester Schriftsteller Hwang Sok-Yong bringt seinen Lesern sowohl das Mystische seiner Heimat als auch den Konsumirrsinn mit seinen nur zu bekannten Auswüchsen näher. Nicht anklagend, aber doch sehr eindringlich. Auf der Sonnenseite sind diejenigen, die bald achtlos all diese Dinge entsorgen, die den anderen ein bescheidenes Auskommen sichern. So schließt sich der Kreis des Konsums, des Wegwerfen und Wiederverwertens. Ein Buch, das alle möglichen Gefühle freisetzt. Es ist traurig und doch schimmert immer wieder ein Hoffnungsstrahl durch, es ist entmutigend und dann wieder so voller Leben.
Seoul hat sie nicht mehr, die unendlich weiten Mülldeponien. Sie sind den modernen Projekten zur Müllbeseitigung gewichen, wir waren in der Vergangenheit. Glupschaug und die seinen haben einen Einblick in ihre „Vertraute Welt“ gewährt. Gerne habe ich hineingeblickt, bin ein Stück ihres Weges mitgegangen.
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Es geht um eine große Freundschaft in einer unvorstellbaren Welt des Drecks, Gestanks und Ungeziefers. Die beiden 10- und 13-jährigen Jungen Glupschaug und Glatzfleck lernen sich auf einer Müllhalde kennen, da ihre beiden Eltern ein Verhältnis miteinander eingehen, und sie …
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Es geht um eine große Freundschaft in einer unvorstellbaren Welt des Drecks, Gestanks und Ungeziefers. Die beiden 10- und 13-jährigen Jungen Glupschaug und Glatzfleck lernen sich auf einer Müllhalde kennen, da ihre beiden Eltern ein Verhältnis miteinander eingehen, und sie werden unzertrennlich, überwinden schwierige Momente, erkunden ihre Umgebung, durchleben Abenteuer, lernen voneinander und passen aufeinander auf. Ist so viel Normalität in einer so unfassbaren Welt möglich? Die Sehnsucht nach Verlässlichkeit, Freundschaft, Gemeinsamkeit und Glück ist überall die Gleiche.
Wir Leser werden aber von einer Umgebung eingeholt, die mit nichts zu vergleichen ist - die Ärmsten der Armen leben vom Müll der Reichen, durchforsten ihn nach Brauchbarem, Essbarem, trennen, sortieren und verwenden oder verkaufen auch noch den letzten Rest und versuchen, sich ein Leben in Würde in diesen menschenunwürdigen Verhältnissen der Armut und des Zerfalls zu bewahren.
Die Beschreibung der Müllberge ist faszinierend - fast zärtlich und liebevoll wirken sie wie ein Pastell: Im Licht der aufgehenden Sonne färbt sich der Himmel rötlich und der Müll wird mit allen Sinnen dargestellt - farbig, funkelnd, dehnbar, Geruch ausströmend, zum ohnmächtig werden - aber vor allem kommt er Glupschaug zu Beginn "fremd und unvertraut" vor: die "jungfräulich daliegende Kipperladung".
Sprachlich bezaubert Hwang Sok-Yong durch ungewöhnliche Metaphern, lässt Bilder entstehen und kreiert eine völlig unbekannte Umgebung. Die Ebene des Traumhaften, die Suche nach Schönheit und Hoffnung auf Veränderung, das blaue, geheimnisvolle Licht erinnern an die blaue Blume der Romantik. Aber es ist jeweils die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach dem Traum, der absoluten Schönheit. Das Übernatürliche bildet eine reizvollen Gegenwelt, Elemente des magischen Realismus werden gekonnt eingewoben in den düsteren Alltagskampf ums Überleben.
Allerdings wirken die Dialoge des Romans immer wieder etwas steif und unauthentisch, was im Gegensatz zu dem sonst so bildhaften und elegantem Stil steht. In Verbindung mit der teilweise etwas langatmigen Beschreibung der Müllverwertung entstehen einzelnen Längen.
Trotzdem ist der Roman eine klare Leseempfehlung - ein Besuch in einer anderen Welt, der zum Nachdenken und Überdenken eigener Verhaltensmuster anregen kann.
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Ein Leben im Müll der Gesellschaft
Faszinierend, bewegend, erschütternd. In seinem Roman beschreibt Hwang Sok-Yong, wie ein Jugendlicher und seine Mutter auf die tiefste Stufe der Gesellschaft hinabrutschen. Mit dem Umzug auf die Blumeninsel landen sie inmitten einer Barackensiedlung auf …
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Ein Leben im Müll der Gesellschaft
Faszinierend, bewegend, erschütternd. In seinem Roman beschreibt Hwang Sok-Yong, wie ein Jugendlicher und seine Mutter auf die tiefste Stufe der Gesellschaft hinabrutschen. Mit dem Umzug auf die Blumeninsel landen sie inmitten einer Barackensiedlung auf der größten Müllkippe Seouls, wo die Bewohner unter unwürdigen Bedingen Urban Mining betreiben. Täglich rollen die Laster an und laden den Müll der Gesellschaft dort ab. Und täglich durchkämmen die Müllsammler die Abfälle nach verwertbaren Rohstoffen, welche von Recyclern aufgekauft werden.
Nicht nur das dortige Leben an sich, welches der Autor erschreckend detailreich und einfühlsam beschreibt, ist bewegend, sondern vor allem der Umstand, dass dieses System der menschlichen Müllsortierer von den Verantwortlichen sogar durch käufliche Lizenzen noch regelrecht gefördert wird. Ein weiterer Aspekt, welcher thematisiert wird, ist der schwindende Glaube an das Volk in der Anderswelt, eine Art Naturgeister, welches dem dortigen Glauben nach parallel zu den Menschen das Land bevölkert und dessen Lebensraum durch den Raubbau und die Vergiftung der Natur zunehmend schwindet.
Ein sehr bewegender, gesellschaftskritischer Roman, welcher eine Welt beleuchtet, die den meisten wohl nicht vertraut ist und den Opfern der Konsumgesellschaft eine überzeugende Stimme verleiht.
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