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Benutzername: 
Magnolia
Wohnort: 
Bayern

Bewertungen

Insgesamt 576 Bewertungen
Bewertung vom 24.07.2024
Komm tanzen!
Seldeneck, Lucia Jay von

Komm tanzen!


sehr gut

„Komm tanzen!“ ist ein schmales Buch mit viel Inhalt. Es ist ein Buch, dem man sich ganz widmen, dem man Zeit geben sollte. Es ist ein Buch, das nachdenklich macht. Und es ist ein Buch, gefüllt mit Leben.

Sie sind jung, sie feiern gern und ausgiebig, denn „der Sommer ist ja wohl immer noch der beste Grund, um zu feiern.“ Und so lassen sie sich wegtragen von der Musik, schwelgen in ihren gemeinsamen Erlebnissen, haben ihre Lieblingsorte, ihre Lieblingswitze und ihre Lieblingssongs. Der laue Abend gehört ihnen, sie sind am Wannsee, es gibt genug zu trinken, heute vergessen sie alle Sorgen. Auch Claire ist dabei, auf ihren elfjährigen Sohn passte ein Freund auf, ihre Geschichte ist nicht ganz einfach. Lucia Jay von Seldeneck lässt tief blicken, auch erfahre ich von den anderen der Freundes-Clique - wie sie leben, was sie bewegt.

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen – dieser Satz blitzt beim Lesen immer wieder auf. Denn nicht alles ist eitel Sonnenschein. Und da sind sie jetzt – mit vielen Gesprächen, mit viel Bowle. Sie tanzen sich frei von allen Themen, denn Tanzen ist die eigentlich schönste Form, um loszulassen. So lese ich es sinngemäß und genau so sehe ich es auch, mit dieser Aussage bin ich sehr einverstanden.

Um mich vollends einzufangen, hat dieser kleine, feine, gerade mal 137 Seiten umfassende Roman einige Seiten gebraucht. Anfangs waren gefühlt alle Personen sofort da, was mich kurz überfordert hat. Aber dann nimmt die Geschichte Fahrt auf. Es ist schon weit nach Mitternacht, als sie es hören – das Sirren der Havelnixe. Und auch wenn ich meine, dieses Mystische eher nüchtern zu betrachten, so lockt auch mich die Nixe…

Bewertung vom 24.07.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


ausgezeichnet

Ben, der Anti-Held

Ben Oppenheim ist eher Anti-Held denn strahlender Sieger. Er ist liebenswert verpeilt, sieht sich immer in der Opferrolle und entzaubert sich dabei immer wieder selbst. Julia ist seine Freundin, seine Geliebte, auch wenn er noch mit Marina verheiratet ist und trotz Trennung mit den beiden Kindern überwiegend in der gemeinsamen Wohnung in Zürich lebt. Für zwei Wohnungen fehlt schlichtweg das nötige Kleingeld. Er lebt vom Schreiben, seit seinem letzten Roman ist jedoch schon einige Zeit verstrichen. Ach ja, Jude ist er auch und als solcher sieht er sich dem nahenden Krieg hilflos ausgeliefert. Nichts wie weg, auch Marina ist dieser Ansicht. Kurzentschlossen kauft sie für die Kinder, für Ben und für sich selbst Flugtickets. Schon heute geht es gen Brasilien. Dabei ist ihm, dem Schriftsteller, Stefan Zweig ein leuchtendes Vorbild, wenngleich er nicht wie dieser im Exil in Petrópolis landet, sondern im nördlich davon gelegenen Recife.

Ben wandelt auf Stefan Zweigs Spuren – was will ein Schriftsteller mehr. Wenn ihm dabei nicht ständig das profane Leben dazwischenkommen würde. Außerdem ist er hin- und hergerissen zwischen seiner Noch-Ehefrau und seiner Geliebten. Er lechzt nach Anerkennung, setzt dabei Prioritäten, die sich viel zu oft als falsch gesetzt erweisen.

Das Buch ist ein Quell aus köstlichen Dialogen, nicht immer witzig für Ben, eher für Außenstehende, für die Leser. Der drohende Atomkrieg ist Thema, genau so das Judentum an sich, wenngleich Ben hier mit allzu großen Wissenslücken glänzt. Sein dominanter Vater, seine kaputte Ehe und die damit einhergehenden prekären Wohnverhältnisse machen seine Situation nicht gerade angenehmer. Und da ist noch Julia, die er zurückgelassen hat. Ben ist ein Getriebener seiner selbst.

„Sobald wir angekommen sind“ ist amüsant zu lesen, das Buch ist trotz des aus Bens Sicht beängstigendem Hintergrundes launig erzählt. Ein gar kurzweiliger, vergnüglicher Lesespaß.

Bewertung vom 23.07.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Wenn die Vergangenheit dich einholt

„Frauen muss man glauben – ohne Wenn und Aber.“ Ist das wirklich so? Die Eltern von dem 7jährigen Luca werden in die Schule zitiert, ihr Sohn soll sich einem Mädchen gegenüber ungebührlich verhalten haben. Was genau das war, darüber kann man eher rätseln, denn Lucas „Verfehlung“ wird eher angedeutet und umschrieben. Auch die Aussage „Jungen sind Täter und Mädchen sind Opfer“ empfinde ich als sehr unangenehm, ja direkt übergriffig. So werden Vorurteile gelebt. Nun, Lucas Vater Jakob steht voll hinter ihm, er glaubt keine Sekunde an die Anschuldigung. Bei Pia, seiner Mutter, sieht es da schon anders aus.

Jessica Lind geht noch sehr viel tiefer, sie lässt Pia zurückblicken, lässt sie von ihrer Herkunftsfamilie erzählen. Von ihren Schwestern Romi und Linda und davon, was damals geschehen ist. Diese Geschichte ist es, die den Großteil des Buches einnimmt und dabei immer wieder Bezug zu den aktuellen Vorwürfen nimmt.

Die beiden Zeitebenen fließen übergangslos ineinander. Anfangs habe ich diese Erzählweise als sehr sprunghaft und lesehemmend empfunden, ich habe ein wenig gebraucht, um mich ganz auf Pia und ihre Geschichte einlassen zu können. Und auch, wenn ich der Person Pia emotional nicht näher gekommen bin, so konnte ich ihre Gedanken schon irgendwie nachvollziehen, wenngleich ich sie nie gutheißen konnte. Auch die anderen Familienmitglieder sind gut gezeichnet und doch alle irgendwie unnahbar, nicht so recht greifbar.

So nach und nach erfährt man von einem traumatisierenden Familiendrama. Auch nach vielen Jahren wird klar, dass die Zeit keine Wunden heilt. Es genügt ein beunruhigendes Ereignis und schon sind die Geister der Vergangenheit wieder allgegenwärtig. „Kleine Monster“ zerlegt die Figuren, offenbart schonungslos jede Kleinigkeit. Ein tragischer Verlust zieht sich durch ihre Leben und wirkt auch dann noch nach, wenn die Verhältnisse ganz andere sind - das Kindheitstrauma hallt nach. Es ist ein sehr emotionaler Roman, ein tiefgehendes psychologisches Drama, das schockiert. Das mich trotz und gerade wegen des ernsten Themas sofort ins Geschehen gezogen hat.

Bewertung vom 22.07.2024
Gier ist ein Luder
Neubauer, Ralph

Gier ist ein Luder


sehr gut

Südtirol-Krimi

Alles spricht dafür, dass der Tote im Stollen durch einen Herzinfarkt verstorben ist. Francesca Giardi und Fabio Fameo ermitteln, nachdem an seiner Identität erhebliche Zweifel aufkommen. Bald steht fest, dass dieser als Christos Charalambous eingecheckte Hotelgast mit Georg Pinggera, dem Hotelier aus Trafoi, geschäftlich zu tun hatte. Dieser Pinggera hat große Pläne, will er doch die alten Stollen nutzen und diese zu einem unterirdischen Kellersystem ausbauen. Seine anvisierten Projekte, wie etwa eine Weinwelt, ein Bergbaumuseum, ein Bikerhotel und noch so einiges mehr sollen zahlungskräftige Kunden anlocken.

Dem ersten Toten folgt ein weiterer und nicht genug damit, es kommt noch so einiges mehr auf die Ermittler zu.

„Ralph Neubauer entführt seine Leser nach Schenna, in den oberen Vinschgau nach Trafoi und Stilfs sowie auf die Mendel und in das Weindorf Girlan.“ Eine landschaftlich sehr reizvolle Gegend, die sowohl Touristen als auch Investoren anlockt. Denn die „Gier ist ein Luder“ – treffender könnte man es nicht formulieren.

Der Krimi ist spannend erzählt, er hat mich gut unterhalten. Die Charaktere haben Biss, allen voran dieser gewitzte Hotelier Georg Pinggera, aber auch der Polizeichef Marzollo ist nicht ohne. Daneben ist es dem Autor auch ein Anliegen, die Auswüchse des Tourismus näher zu beleuchten. Denn nicht immer wird auf die Landschaft und die Bewohner Rücksicht genommen. Im sehr informativen Nachwort befasst er sich nochmal näher damit und zum guten Schluss bekommt man eine Quiche mit Pilzen serviert – sehr köstlich.

Bewertung vom 22.07.2024
Letzte Lügen / Georgia Bd.12
Slaughter, Karin

Letzte Lügen / Georgia Bd.12


ausgezeichnet

Grandios

Tief erschüttert klappe ich den mittlerweile zwölften Band der Georgia-Serie um den Ermittler Will Trent zu. Bevor ich mich so richtig in das Lügengespinst all jener, von denen ich bald mehr erfahren werde, einwickeln lasse, weiß ich, dass ausgerechnet Will eine tote Frau findet und ihn sein Beruf, sein Ermittler-Instinkt, einmal mehr einholt. Der Zeitpunkt könnte schlechter nicht sein, denn Will und Sara wollen hier, in der McAlpine Lodge, ihre Flitterwochen verbringen. Das idyllisch gelegene Urlaubsresort in den Bergen Georgias ist exklusiv für betuchte Gäste ausgelegt, eine dem Text vorangestellte Übersichtskarte zeigt das weitläufige Areal mit den einzelnen Häusern und Hütten inklusive des Sees mit Badeplattform.

Will und Sara wollen ihr nächtliches Badevergnügen im See so richtig genießen, als ein Hilfeschrei sie aufschreckt. Dann ein zweiter Schrei – er kommt aus dem entgegengesetzten Ende des Schwimmbereichs, sie sprinten los und finden sie, schwer verletzt. Noch ist sie am Leben „sagen sie ihm… er muss weg…“

Das erste Kapitel beginnt zwölf Stunden vor dem Mord. Hier lerne ich die anderen Gäste des Resorts kennen, auch die McAlpines, die Betreiberfamilie, wird näher durchleuchtet. Karin Slaughter führt ihre Leser an all die Charaktere heran - allesamt sind sie verschroben, verdächtig, versoffen und verlogen. Nachdem die Tote dem zuständigen Sheriff gemeldet wird, bequemt dieser sich zwar, den Berg hinauf zu kommen, er scheint aber eher desinteressieret zu sein. Derweilen nimmt Will Trent Kontakt zu seinen Kollegen auf und auch wenn sie nicht zuständig sind, so ersinnen sie doch einen Plan, hier mitzumischen.

Je mehr ich von ihnen allen weiß, desto schockierter bin ich. Es geht um Betrug und Missbrauch, um Gewalt in vielfältiger Form, um lange zurückliegende Verbrechen, die bis heute ungesühnt sind, um extreme Kaltherzigkeit und Abhängigkeit, es ist beileibe kein Buch für schwache Nerven. Brutale Szenen wechseln sich ab mit unerbittlicher Härte, dabei werden immer wieder neue Lügen in die Welt gesetzt.

Trotzdem es hart zur Sache geht, bin ich von Slaughters neuestem Werk restlos begeistert. Einmal angefangen, konnte ich das Buch nicht mehr weglegen. Diese „Letzte Lügen“ sind genau meins, es war von Anfang bis Ende spannend. Ein wendungsreicher Thriller, der die Auszeichnung brillant absolut verdient.

Bewertung vom 20.07.2024
Gefährliches Komplott
Baldacci, David

Gefährliches Komplott


sehr gut

Spannende, wendungsreiche Story

Neues von David Baldacci – aber immer doch, den Thrillern aus seiner Feder kann und mag ich nicht widerstehen. Sein „Gefährliches Komplott“ ist ein gar bedrohliches Unterfangen, zumindest für Mickey Gibson, der alleinerziehenden Mutter zweier Kleinkinder. Die ehemalige Polizistin arbeitet nun hauptsächlich von daheim aus, sie macht vermögende Steuer- und Kreditbetrüger ausfindig und ist damit sehr erfolgreich. Ihr Leben hat sie einigermaßen im Griff, bis es das Telefonat mit Arlene Robinson komplett auf den Kopf stellt. Diese Frau, die sich ihr als Kollegin von ProEye, einer global agierenden Privatdetektei, vorstellt, bittet sie um einen Auswärtstermin. Die Inventarisierung für ein altes Herrenhaus in Mickeys Nähe soll entgegen der sonst üblichen Internetrecherche direkt vor Ort mitsamt der Inneneinrichtung vorgenommen werden. Arlene zerstreut Mickeys Bedenken hinsichtlich dieser unüblichen Vorgehensweise, da sie über genug Insiderwissen verfügt. Also bittet sie ihre Eltern, auf die Kinder aufzupassen und macht sich auf den Weg.

Am Zielort angekommen, findet sie die Leiche eines Mannes. Mickey erkennt, dass diese Anruferin sie regelrecht hierhergelockt hat, denn hier stimmt so einiges nicht. Die Frage, ob der Tatort arrangiert war, drängt sich auf. Im Haus gab es bei Mickeys Ankunft keinen Strom, die Tür zu einem geheimen Zimmer stand einen Spalt offen, sodass sie direkt auf den Toten treffen musste. Sie ruft die Staatspolizei von Virginia, der Kriminalbeamte Wilson Sullivan hört sich ihre Story an und es kommt, wie es kommen muss, Sullivan verdächtigt Mickey. Für sie beginnt ein gar gefährliches Spiel, aus dem sie sich nicht mehr herauswinden kann. Und wieder ruft Arlene bei Mickey an, sie nennt sich von nun an Clarisse, sie gibt Anweisungen, drängt sie immer weiter und Mickey lässt sich darauf ein.

Gebannt folge ich dem Geschehen und nicht nur einmal frage ich mich, warum Mickey nicht aussteigt. Der Einfachheit halber nenne ich diese geheimnisumwitterte Frau nun Clarisse, von der ich so einiges erfahre und doch ist es nicht genug, um den Grund ihrer Kontaktaufnahme zu Mickey herauszulesen. Sie scheint eine schillernde, zudem eine sehr selbstbewusste, ja eine äußerst manipulative Persönlichkeit zu sein. Dabei bin ich mir keineswegs sicher, ob mich mein Empfinden nicht doch trügt.

In dem vielschichtig angelegten Thriller spielen mächtige Gegner eine nicht zu unterschätzende Rolle, die beiden Hauptakteure Mickey und Clarisse sind interessante Persönlichkeiten, die – jede für sich – gut dargestellt sind. Lange tappe ich im Dunkeln, die Story drängt rasant vorwärts, es bleibt spannend bis – ja, bis zum Schluss, dem ich so gar nichts abgewinnen kann. Dieses Ende passt einfach nicht zum Rest der Geschichte, als ob das Ende eines ganz anderen Buches hier hineingerutscht wäre. Dies einmal ausgeblendet ist es ein Thriller, den ich gerne gelesen habe, der mich ansonsten gut unterhalten und mich neugierig hat immer weiterlesen lassen.

Bewertung vom 17.07.2024
Ex-Wife
Parrott, Ursula

Ex-Wife


sehr gut

„Wegen seiner Schlüpfrigkeit wurde das Buch zuerst anonym veröffentlicht“ verrät Mareike Fallwickl in ihrem Vorwort. Und weiter schreibt sie, dass es sich innerhalb kürzester Zeit mit neun Auflagen mehr als 100.000 Mal verkauft und die zunächst nicht benannte Autorin reich und nachdem ihre Identität gelüftet wurde, auch berühmt gemacht hat - Ursula Parrott. Sie war eine gefragte Autorin ihrer Zeit, „Ex-Wife“ wurde in den 1920er Jahren von ihr geschrieben, die Neuauflage habe ich gerade zugeklappt.

Patricia ist mit Peter verheiratet. Mit gerade mal 24 Jahren steht sie vor den Scherben ihrer Ehe. Ihr Mann betrügt seit eh und je und auch sie gönnt sich den ein oder anderen Liebhaber. Trotzdem er sie für eine andere verlässt, verbringen sie so manchen feuchtfröhlichen Abend und die darauffolgende Nacht miteinander. Sie wohnt mittlerweile mit einer Freundin zusammen und hofft noch immer, ihn zurückzubekommen.

Wir sind in New York City in den goldenen 20er Jahren, die Vergnügungssucht, der Lebenshunger ist deutlich spürbar. Ohne Alkohol geht es in diesen Kreisen, in denen Patricia verkehrt, so gar nicht. Cocktails, Gin, Absinth und andere harte Getränke sind im Trend und werden reichlich genossen.

„Eine Ex-Frau ist eine Frau, die auf Partys immer über die Freuden des Unabhängigsein schwafelt, solange sie nüchtern ist… und nach einem Drink zu viel lässt sie sich entweder über die Tugenden oder die Gemeinheiten ihres früheren Mannes aus“ sinniert Patricias Freundin, die gelegentlich auch zu dem Schluss kommt, dass „eine Ex-Frau einfach eine überschüssige Frau ist.“ Gut, diese Aussagen sind eher dem Alkohol geschuldet, denn Pat, wie sie kurz genannt wird und auch Lucia, ihre Freundin, sind unabhängige Frauen, die für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen. Sie sind junge, attraktive Frauen, die sich nehmen, was sie wollen. Sie sind selbstbewusst, werden von vielen Männern hofiert, haben Affären, sie genießen mit allen Sinnen.

Es ist ein gesellschaftliches Porträt dieser Zeit, wobei es die Frauen sind, von denen Moral erwartet wird. Mann darf sich fremd amüsieren, eine Ehefrau hat eher häuslich zu sein. Dieses enge Korsett einer Frau wird hier ganz bewusst gesprengt, auch wenn es mit der Gleichberechtigung vor hundert Jahren noch nicht weit her war, das Patriarchat schimmert stets durch. Und doch ist es Patricia, eine emanzipierte Frau, von der ich hier lese, die sich nicht unterkriegen lässt. Ganz im Gegensatz zur Autorin dieses Buches, Ursula Parrott, die trotz ihres fulminanten Erfolges keine Artikel in den Zeitungen veröffentlichen durfte, diese aber alle über sie schrieben. Vor hundert Jahren tickten die Uhren für die Frauen im Allgemeinen doch noch sehr viel anders, wenngleich es auch Ausnahmen gab.

Bewertung vom 15.07.2024
Der 1. Patient / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.4
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Der 1. Patient / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.4


sehr gut

Justiz-Krimi

Welchen praktischen Nutzen hat KI in der Medizin? Die Chefärztin der Chirurgie im Klinikum Spreehöhe, Sasha Müller, diskutiert diese brandaktuelle Frage in einer Gesprächsrunde als Talkgast, zu der auch Professor Gunther Sonnenberg, Neurochirurg an der Berliner Charité, geladen ist. Das Für und Wider wird lebhaft diskutiert, wobei Müller eher die Vorteile sieht, wohingegen Sonnenberg die Fehler aufzeigt.

Dieser Justiz-Krimi ist in drei Teile gegliedert. Los geht es mit dem Tod eines Patienten, der bei einem Routineeingriff auf dem OP-Tisch verstirbt. Diese von KI unterstützte Operation wird unter Leitung von Doktor Sasha Müller durchgeführt und nun ist sie als verantwortliche Chirurgin angeklagt, den Tod des Patienten fahrlässig herbeigeführt zu haben.

Sasha Müller wendet sich an den Strafverteidiger Rocco Eberhardt, der sich in diese noch ziemlich neue Materie gründlich einarbeitet, unterstützt wird er neben seiner Bürochefin Klara Schubert von seinem guten Freund Tobi Baumann, auch mischt der Facharzt für Rechtsmedizin, Doktor Justus Jarmer, wieder mit. Daneben ist es die schwedische Firma Augmentum, die KI immer mehr alltagstauglich macht. Sie erstellt hier einen speziell auf jeden einzelnen Patienten zugeschnittenen Behandlungsplan, nachdem alle relevanten Vorerkrankungen, Allergien, Unverträglichkeiten und dergleichen im Vorfeld erfasst sind. Das Klinikum Spreehöhe arbeitet schon länger erfolgreich damit.

Der zweite Teil dann gibt Einblick in den Prozess und Teil drei gipfelt in den wendungsreichen Showdown. Der Prozess wird natürlich auch von den Medien verfolgt. Neben all den anklagenden Kommentaren macht auch die Boulevardpresse mit ihren in dicken Lettern verfassten Schlagzeilen ordentlich Stimmung. Rocco Eberhardt lässt sich davon nicht beeinflussen, er legt Gutachten vor, die Staatsanwältin hält dagegen.

Künstliche Intelligenz hat unseren Alltag schon lange erobert, sie ist Arbeitserleichterung, sie ist schlichtweg nicht mehr wegzudenken. Schwiecker und Tsokos haben sich dieses aktuellen Themas angenommen. Unsere Smartphones etwa werden immer intelligenter, sie lernen aus den Nutzerdaten und auch diese hier beschriebene schwedische Firma bedient sich dieser Methodik im medizinischen Bereich. Wer ist für Fehler verantwortlich? Ist es die hier eingesetzte KI? Ist es der behandelnde Arzt? Eine spannende Frage.

Es ist er mittlerweile vierte Justiz-Krimi, natürlich habe ich auch die Vorgängerbände gelesen. Beide Autoren wissen, wovon sie schreiben. Florian Schwiecker hat viele Jahre als Strafverteidiger gearbeitet und Michael Tsokos, der Professor für Rechtsmedizin, ist mir als Autor vieler Bücher ein Begriff. „Der 1. Patient“ ist ein sehr unterhaltsamer, kurzweiliger Krimi, den ich – einmal angefangen – nicht weglegen mochte. Die einzelnen Handlungsstränge waren allesamt gut geschildert und nachvollziehbar, die hier agierenden Personen glaubhaft dargestellt. Meine ansonsten sehr gute Bewertung schmälert letztendlich das nicht nachvollziehbare Motiv, das zum Tode des Patienten führt.

Bewertung vom 12.07.2024
Feuerjagd
French, Tana

Feuerjagd


ausgezeichnet

Goldgräberstimmung

Die 15jährige Trey lebt mit ihrer Mutter Sheila und den kleineren Geschwistern oben auf dem Berg. Meist aber ist sie unten bei Cal, dem ehemaligen Cop aus Chicago, der sich hier ein Haus gekauft hat. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er nun mit Schreinerarbeiten und dabei hilft ihm Trey nur zu gerne. Beide sind sie in ihrem Element, wenn sie alten Möbeln zu neuem Glanz verhelfen können. Aber nicht nur das, auch ein neues Möbelstück wird gerne mal in Auftrag gegeben. Den nötigen Halt geben ihr Cal und auch Lena, beide sind sie verbandelt, leben jedoch nicht zusammen. Als dann Treys Vater Johnny wieder mal unerwartet auftaucht und mit ihm ein Engländer, der den Dörflern viel verspricht, kommt Unruhe in diese Gegend.

„Feuerjagd“ ist der zweite Band, der im bergigen Westen von Irland angesiedelt ist. „Der Sucher“, das erste Buch um Cal Hooper, habe ich nicht gelesen und doch hatte ich nie das Gefühl, dass mir Entscheidendes fehlen würde, denn das für dieses Buch wichtige Vorgeschehen ist hier gut integriert.

Das Buch beschreibt eine Dorfidylle, die mehr ist als der äußere Schein. Es ist eine Milieustudie, ein Konglomerat unterschiedlicher Charaktere. Da sind Johnny und der Engländer, die den Leuten vom schnellen Reichtum erzählen und felsenfest davon überzeugt sind, dass alle hier in Ardnakelty dem vermeintlichen Goldrausch erliegen. Nun, irgendwann liegt ein Toter in den Bergen. Hat sein Tod mit dieser Goldgräberstimmung zu tun?

Tana French ist eine exzellente Beobachterin. Ihre Figuren sind charakterstarke Persönlichkeiten, vom Leben geprägt. Trey etwa musste schon früh lernen, dass ihr Vater viel verspricht, er davon wenig bis gar nichts davon einhält, er eher mit Abwesenheit glänzt und nur dann zurückkommt, wenn er keinen anderen Ausweg für sich sieht. Cal hingegen ist ganz anders, er ist verlässlich, die Dorfbewohner jedoch sehen ihn, den Zugezogenen, nicht immer wohlwollend an, was Cal durchaus bewusst ist.

Der sehr ruhige, unaufgeregte Schreibstil war mir stellenweise zu ausführlich, hatte jedoch mehr und mehr eine Sogwirkung, die weitertreibt. Dabei dringt man tief vor in das Seelenleben der einzelnen Charaktere, menschliche Abgründe tun sich auf, vermeintlich gut gehütete Geheimnisse drängen an die Oberfläche. Das Verbrechen ist schon auch da, wird jedoch eher hintangestellt. Hier geht es vielmehr um das fein ausbalancierte Zwischenmenschliche. Um Verlässlichkeit und Fürsorge, aber auch um Schlitzohrigkeit, um Hinterhältigkeit und Betrug.

Es ist ein Roman, direkt aus dem Leben gegriffen. Eine fein nuancierte Charakterstudie vor dem Hintergrund des irischen Berglandes, meisterhaft in Szene gesetzt.

Bewertung vom 08.07.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

VIEWS


ausgezeichnet

Brisantes Thema, leider nur zu aktuell

Zuletzt habe ich mir von Marc-Uwe Kling den „Spurenfinder“ vorlesen lassen. Witzig und spritzig ist diese Fantasy-Kriminalgeschichte…

…und nein, so ist sein neuestes Werk garantiert nicht. „Views“ ist erschreckend aktuell. Wenngleich ich mir dieses Szenario nicht wünsche, so sind wir doch auf dem besten Weg hin zu diesen krassen Fake-Filmen, die dank KI immer besser werden. Mit Fake-News werden wir schon länger belästigt und leider gibt es viel zu viele, die diese „Nachrichten“ glauben. Auch ist hinlänglich bekannt, dass rechte Parteien Social-Media für sich nutzen, um ihre gefakten Parolen unter die Leute zu bringen.

Drei Tage ist die 16jährige Lena nun schon verschwunden, als ein schockierendes Video auftaucht. Es verbreitet sich rasend schnell, neben all den Hass-Kommentaren kommt es auf den Straßen zu gewalttätigen Szenen. Eine rechtsradikale Gruppierung nutzt diese Stimmung nicht nur für sich, sie stachelt sie auch zusätzlich an. Die BKA-Kommissarin Yasira Saad ermittelt, kommt aber nicht recht voran. Bis sie einen ganz neuen Ermittlungsansatz verfolgt, mit dem sie jedoch ziemlich alleine dasteht.

Ich habe mich für das vom Autor gelesene Hörbuch (6 Stunden und 10 Minuten) entschieden und es nicht bereut. Er bringt die jeweilige Stimmung perfekt auf den Punkt, er hat mich nach den erwarteten Anfangsszenen dann komplett in diese Story abtauchen lassen, er beschreibt ein verstörendes Abbild unserer Zeit. Nun, eine gewisse Klientel springt auf all die KI generierten Bilder und Filme an und genau dies manchen sich dunkle Mächte zu eigen.

„Views“ ist ein Thriller, der sehr nachdenklich macht, der unsere schöne Medienwelt auf beklemmende Weise hinterfragt. Der Schluss passt für mich perfekt in diese Thematik, man ahnt – nein – man weiß, wie es enden wird. Ein interessantes Thema, spannend und hochaktuell umgesetzt.