"Das 1984 fürs Internetzeitalter" Zeit online
Das Kultbuch jetzt auf Deutsch
Leben in der schönen neuen Welt des total transparenten Internets: Mit "Der Circle" hat Dave Eggers einen hellsichtigen, hochspannenden Roman über die Abgründe des gegenwärtigen Vernetzungswahns geschrieben. Ein beklemmender Pageturner, der weltweit Aufsehen erregt.
Huxleys "Schöne neue Welt" reloaded: Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim "Circle", einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann. Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz, so ein Ziel der "drei Weisen", die den Konzern leiten, wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterneköche kostenlose Mahlzeiten für die Mitarbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden. Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles
Mit seinem neuen Roman "Der Circle" hat Dave Eggers ein packendes Buch über eine bestürzend nahe Zukunft geschrieben, einen Thriller, der uns ganz neu über die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit nachdenken und den Wunsch aufkommen lässt, die Welt und das Netz mögen uns bitte manchmal vergessen.
Das Kultbuch jetzt auf Deutsch
Leben in der schönen neuen Welt des total transparenten Internets: Mit "Der Circle" hat Dave Eggers einen hellsichtigen, hochspannenden Roman über die Abgründe des gegenwärtigen Vernetzungswahns geschrieben. Ein beklemmender Pageturner, der weltweit Aufsehen erregt.
Huxleys "Schöne neue Welt" reloaded: Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim "Circle", einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann. Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz, so ein Ziel der "drei Weisen", die den Konzern leiten, wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterneköche kostenlose Mahlzeiten für die Mitarbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden. Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles
Mit seinem neuen Roman "Der Circle" hat Dave Eggers ein packendes Buch über eine bestürzend nahe Zukunft geschrieben, einen Thriller, der uns ganz neu über die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit nachdenken und den Wunsch aufkommen lässt, die Welt und das Netz mögen uns bitte manchmal vergessen.
Der Circle, Dave Eggers
Am 14.August 2014 erscheint Der Circle, der neue Roman von Dave Eggers endlich auch auf Deutsch. Mae Holland, gerade erst ihren Studienabschluss in der Tasche, erhält schon einen Job bei der weltweit größen Tech-Firma „Circle“. Die Devise der Organisation: Das Erreichen völliger Transparenz jedes einzelnen Menschen und die komplette Abschaffung von Privatsphäre. In rasantem Tempo macht Mae Karriere und wird zum Aushängeschild von „Circle“. Natürlich sind nicht alle Menschen begeistert von den Plänen des Unternehmens und stehen diesen skeptisch gegenüber, doch nur wenige erkennen das ganze Ausmaß der Gefahren, die von „Circle“ ausgehen. Um die Firma zu stoppen brauchen deren Gegner allerdings Hilfe aus dem inneren Kreis und wenden sich deshalb hoffnungsvoll an Mae …
In Der Circle zeigt Dave Eggers eine Dystopie auf, die bei genauerer Betrachtung gar nicht so unrealistisch erscheint wie man zunächst denken mag. Die Charaktere spielen in Der Circle eher eine untergeordnete Rolle und dienen vielmehr der Veranschaulichung der unterschiedlichen Sichtweisen denn der Möglichkeit für den Leser sich in diese hineinzuversetzen. Dies tut dem Buch allerdings keinen Abbruch, denn Dave Eggers schafft es einen von der ersten Seite an durch und durch spannenden Roman abzuliefern, der nicht nur gute Unterhaltung bietet, sondern auch zum Nachdenken anregt. – Ein Buch das man gelesen haben sollte.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Schaudernd hat Katharina Granzin Dave Eggers Roman aus der schönen neuen Social-Media-Welt gelesen, und er hat ihr ein für allemal "Transparenz" und "soziale Offenheit" verleidet. Die Geschichte der Jungen Mae, die für ihren Aufstieg im hippen Internet-Unternehmen Circle den kompletten Verlust ihrer Privatsphäre in Kauf nimmt, erscheint ihr sehr klarsichtig und in keiner Weise als Science Fiction. "Die fleischgewordene Apokalypse" hat sie in dieser Figur erlebt. Über die literarische Qualitäten des Buches sagt Granzin nichts, aber dass allgegenwärtige und totale Überwachung nicht nur vom Staat ausgeht, sondern auch von den kalifornischen Tech-Unternehmen, weiß die Rezensentin jetzt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2014Es ist kein Teufelskreis
Dave Eggers dämonisiert die Konzerne. Das hilft keinem. Was wir brauchen, ist Kritik
Als Luther 1521 die Bibel übersetzt, unterscheidet er nicht zwischen dem einen "diabolus" und den vielen "dæmones" und macht alle zu "Teufeln". Der Begriff "Dämon" taucht in der Lutherbibel nicht mehr auf. Die einzige Übersetzungsvariation, die sich Luther kaum dreimal gestattet, ist ein Wort von simpler, roher Schönheit. Es heißt "Feldteufel", und es ist so selten geworden, dass es nicht einmal mehr im "Lexikon der bedrohten Wörter" auftaucht. Leider. Denn der "Feldteufel" ist die perfekte sprachliche Abbildung dessen, was einen Dämon ausmacht, die Balance nämlich zwischen der Alltäglichkeit und dem absolut Bösen.
Während Dämonen selbst heute kaum eine Rolle mehr spielen, kennt die Kultur- und Medienlandschaft samt der sie fütternden Politik aber eine blitzaktuelle Ableitung: die Dämonisierung. Eigentlich sollte es besser Verfeldteufelung heißen, denn so würde die Medienfigur ihre zwei Hauptfunktionen viel besser erkennen lassen: die Darstellung der Alltäglichkeit oder Allgegenwart und die Hervorhebung des abgrundtief Bösen.
Lieblingsziele der medialen Dämonisierung sind, von politischen Teufeln abgesehen, Internetkonzerne im Allgemeinen und Google und Amazon im Besonderen. In der "Zeit" erschien im Sommer 2012 eine Schmähschrift über Amazon, die das Wort "Teufel" in den ersten drei Absätzen sagenhafte 15 Mal unterzubringen schaffte. Das ergibt rekordverdächtige 0,6 Teufel je Zeile. Auf den Tag zwei Jahre später nehmen 19 Autoren aus aller Welt wiederum in der "Zeit" Stellung zu Amazon. Außer Kathrin Passig äußern sich alle mehr oder weniger skeptisch bis hasserfüllt, in verstörender Einmütigkeit. Gäbe es überhaupt ein einziges anderes Thema, wo 18 von 19 Großintellektuellen beinahe einer Meinung wären? Schärfer wird nur noch Google dämonisiert, die Töne der laufenden Debatte werden zunehmend schrill. Erzkapitalisten fordern Zerschlagung, Enteignung oder Rückbesinnung auf genau die Werte, die ihnen bei den eigenen Konzernentscheidungen noch vor kurzem schnurz waren.
Die Dämonisierung der Internetunternehmen hat nun - endlich! - ein eigenes Standardwerk bekommen, einen Deutungsroman der Netzära: "The Circle" von Dave Eggers. Im "Spiegel" wurde Eggers als "Profi für gegenwartsgesättigte Reportageromane" bezeichnet, professionell ist auch sein Gespür für das, was Hardcoverbuchkäufer der westlichen Welt interessiert. Das Buch handelt vordergründig von einer jungen Frau, die für den Digitalmoloch "The Circle" arbeitet, eine fiktive Firma mit den Inhaltsstoffen 55 Prozent Google, 30 Prozent Facebook und 15 Prozent Apple. In Wahrheit ist das Unternehmen Hauptfigur des Romans und lässt immer mehr die Maske runterrutschen. Bis - seit Seite fünf erwartbar - eine digitaltotalitäre Fratze zum Vorschein kommt.
Das Buch ist trotz einer gewissen Plätscherigkeit clever konstruiert und unterhaltsam erzählt, man fällt gern auf sein unüberraschendes Manipulationsziel herein. Es besteht in der Printausgabe aus edlem Papier. Auf dem Cover ein Signet, ein orange ausgestanztes Muster im silbernen Kreis. In einer Mischung aus Mandala und Netzwerk prangt mittig ein "C"; ein Hakenkreuz kann man aber beim besten Willen nicht entdecken.
Diese gestalterischen Komponenten sind heraushebenswert, weil das ganze Buch in Wort und Form perfekt die Ästhetik der Dämonisierung durchdekliniert. Buch und Umschlag sehen bereits aus wie ein Schrein, in dem Verblendete ihre durchtriebenen Pläne zur Weltherrschaft aufbewahren. Dave Eggers hat keinen Roman verfasst, sondern ein Werk geschaffen, um es den digitalen Feldteufeln entgegenzusetzen. Von der äußeren Anmutung über die ständig wiederholten Mantras bis zur plakativen Inszenierung des Unternehmens als seelenfressende Tech-Sekte, die doch nur Gutes tun will - ein buchgewordener Kassandraruf. Mit dem feinen Unterschied, dass die Rufe zwar auch diesmal vergeblich sein mögen. Aber weltweit hochwillkommen sind.
Deshalb ist das Buch zwar ein programmierter Bestseller. In seiner Wirkung aber ist es im besten Fall egal, im wahrscheinlichsten Fall kontraproduktiv und im schlechtesten Fall vielleicht gefährlich. Denn diese Form der Dämonisierung, die "The Circle" meisterhaft den Internetkonzernen überstülpt und mit der Kraft der Erzählung noch in den letzten Intellektuellenkopf hineinpressen möchte, ist ungefähr das Letzte, was die Debatte um die digitale Welt gebrauchen kann.
Und das liegt gewiss nicht an der Harmlosigkeit von Google und Co. Die digitale Welt wird in der Tat beherrscht von wenigen ebenso mächtigen wie rücksichtslosen Konzernen, deren Entscheidungen faktisch mit Gesetzesschwere über Institutionen, Firmen, Menschen hereinbrechen können. Aber die größten Probleme liegen nicht dort, wo am lautesten Jehova gerufen wird, ungefähr wie auf einem Schlachtfeld gerade nicht die Sterbenden schreien, sondern die Leichtverletzten. Dabei ist sogar unwichtig, ob man speziell Google als gut oder böse empfinden mag; Google ist zu groß, um gut zu sein. Andererseits möchte man lieber nicht herausfinden, was etwa der Axel-Springer-Verlag anstellen würde mit nur einem Zehntel von Googles Macht.
Im Buch finden sich so viele kluge, hellsichtige Passagen, dass man sich leicht dazu verleiten lässt, der dämonisierenden Grundthese zu glauben, es ginge um nichts weniger als alles. Eggers ist ein guter Erzähler; wenn man das Buch unvorbereitet liest, wird man danach ängstlich schlottern und überall Anzeichen dafür entdecken, dass es schon morgen so weit ist mit dem digitalen Weltuntergang.
Die wirklichen Bedrohungen durch digitale Multimonopolisten sind aber nicht die, die sich im Rahmen einer Dämonisierung am eindrucksvollsten in Romanform inszenieren lassen. Sie resultieren nämlich eher aus der Rücksichtslosigkeit der Netzkonzerne als aus einem faschistoiden Weltbild, wie "The Circle" unterstellt. Es handelt sich deshalb viel eher um seit langem bekannte Gefahren des Kapitalismus als um Gefahren mit einem einzelnen, angeblich besonders bösartigen Konzern.
Die tatsächliche Gefahr ist, dass die Konzerne die derzeitige Entwicklung der digitalen Sphäre mit großem Vorsprung am besten verstehen. Und weil die gesamte Ökonomie sich in eine fast alles umfassende Datenwirtschaft verwandelt, ist dieser Vorsprung für fast alle Branchen ausschlaggebend. Denn dass die kapitalistische Effizienzradikalität durch die digitale Vernetzung noch einmal gesteigert werden kann, steht außer Frage. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in zehn Jahren Google und Apple die Automobilbranche beherrschen, weil sie die Betriebssysteme kontrollieren. Mercedes, VW, BMW wären dann bloß noch nokiahafte Hardwarehersteller, die Regeln des Automarktes würden in Kalifornien gemacht. Vielleicht eine Horrorvision, aber eben eine, hinter der klügere Digitalkapitalisten stehen und nicht dämonische Totalitäre. Die aus dieser ungeheuren Intelligenz resultierende Macht einzelner Konzerne muss dringend begrenzt werden, und dafür sind auch politische Mittel wie eine präzise Regulierung notwendig. Vor allem aber braucht es technologische Alternativen, und die entstehen nicht in einem Klima der Dämonisierung.
In den kommenden Jahren wird eine essentielle Debatte geführt werden, die das exakte Gegenteil der Dämonisierung braucht, um produktiv zu sein: Differenzierung. Die größte Gefahr für Netzskeptiker wie für Internetoptimisten ist dabei, am eigenen Wunschdenken entlangzudiskutieren. So wird eine Gefühlsgemengelage aus privatem Gerechtigkeitsempfinden, Sympathien und Antipathien eher bedient als funktionierende Lösungsansätze. Man kann nicht nur in Schönheit, sondern auch in Selbstgerechtigkeit sterben.
Wenn man nur minimal an die politische Kraft der Debatte glaubt, und sei es aus schierer Verzweiflung, dann wird das zusammendiskutierte Ergebnis darüber mitbestimmen, was für eine Gesellschaft die digitale Gesellschaft werden wird. Die schlechteste Voraussetzung dafür ist, aus einer Position hoffnungsloser, angsterfüllter Unterlegenheit zu agieren. Genau das aber passiert bei einer Dämonisierung, die immer auch ein Eingeständnis der eigenen Schwäche ist, plus Vereinfachung der Verantwortlichkeiten. Nicht etwa eigene, bekämpfbare Unzulänglichkeit ist Schuld an der Misere, sondern der furchterregende Dämon, gewaltig, gewalttätig und böse. Dave Eggers liefert phantastisches, lesenswertes Futter für diese schädliche Dämonisierung. Ja, es gibt fiktionale Werke, die Gesellschaften prägen und so die Welt verändern können. Die Lutherbibel gehört fraglos dazu. "The Circle" sollte nicht dazugehören.
SASCHA LOBO
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dave Eggers dämonisiert die Konzerne. Das hilft keinem. Was wir brauchen, ist Kritik
Als Luther 1521 die Bibel übersetzt, unterscheidet er nicht zwischen dem einen "diabolus" und den vielen "dæmones" und macht alle zu "Teufeln". Der Begriff "Dämon" taucht in der Lutherbibel nicht mehr auf. Die einzige Übersetzungsvariation, die sich Luther kaum dreimal gestattet, ist ein Wort von simpler, roher Schönheit. Es heißt "Feldteufel", und es ist so selten geworden, dass es nicht einmal mehr im "Lexikon der bedrohten Wörter" auftaucht. Leider. Denn der "Feldteufel" ist die perfekte sprachliche Abbildung dessen, was einen Dämon ausmacht, die Balance nämlich zwischen der Alltäglichkeit und dem absolut Bösen.
Während Dämonen selbst heute kaum eine Rolle mehr spielen, kennt die Kultur- und Medienlandschaft samt der sie fütternden Politik aber eine blitzaktuelle Ableitung: die Dämonisierung. Eigentlich sollte es besser Verfeldteufelung heißen, denn so würde die Medienfigur ihre zwei Hauptfunktionen viel besser erkennen lassen: die Darstellung der Alltäglichkeit oder Allgegenwart und die Hervorhebung des abgrundtief Bösen.
Lieblingsziele der medialen Dämonisierung sind, von politischen Teufeln abgesehen, Internetkonzerne im Allgemeinen und Google und Amazon im Besonderen. In der "Zeit" erschien im Sommer 2012 eine Schmähschrift über Amazon, die das Wort "Teufel" in den ersten drei Absätzen sagenhafte 15 Mal unterzubringen schaffte. Das ergibt rekordverdächtige 0,6 Teufel je Zeile. Auf den Tag zwei Jahre später nehmen 19 Autoren aus aller Welt wiederum in der "Zeit" Stellung zu Amazon. Außer Kathrin Passig äußern sich alle mehr oder weniger skeptisch bis hasserfüllt, in verstörender Einmütigkeit. Gäbe es überhaupt ein einziges anderes Thema, wo 18 von 19 Großintellektuellen beinahe einer Meinung wären? Schärfer wird nur noch Google dämonisiert, die Töne der laufenden Debatte werden zunehmend schrill. Erzkapitalisten fordern Zerschlagung, Enteignung oder Rückbesinnung auf genau die Werte, die ihnen bei den eigenen Konzernentscheidungen noch vor kurzem schnurz waren.
Die Dämonisierung der Internetunternehmen hat nun - endlich! - ein eigenes Standardwerk bekommen, einen Deutungsroman der Netzära: "The Circle" von Dave Eggers. Im "Spiegel" wurde Eggers als "Profi für gegenwartsgesättigte Reportageromane" bezeichnet, professionell ist auch sein Gespür für das, was Hardcoverbuchkäufer der westlichen Welt interessiert. Das Buch handelt vordergründig von einer jungen Frau, die für den Digitalmoloch "The Circle" arbeitet, eine fiktive Firma mit den Inhaltsstoffen 55 Prozent Google, 30 Prozent Facebook und 15 Prozent Apple. In Wahrheit ist das Unternehmen Hauptfigur des Romans und lässt immer mehr die Maske runterrutschen. Bis - seit Seite fünf erwartbar - eine digitaltotalitäre Fratze zum Vorschein kommt.
Das Buch ist trotz einer gewissen Plätscherigkeit clever konstruiert und unterhaltsam erzählt, man fällt gern auf sein unüberraschendes Manipulationsziel herein. Es besteht in der Printausgabe aus edlem Papier. Auf dem Cover ein Signet, ein orange ausgestanztes Muster im silbernen Kreis. In einer Mischung aus Mandala und Netzwerk prangt mittig ein "C"; ein Hakenkreuz kann man aber beim besten Willen nicht entdecken.
Diese gestalterischen Komponenten sind heraushebenswert, weil das ganze Buch in Wort und Form perfekt die Ästhetik der Dämonisierung durchdekliniert. Buch und Umschlag sehen bereits aus wie ein Schrein, in dem Verblendete ihre durchtriebenen Pläne zur Weltherrschaft aufbewahren. Dave Eggers hat keinen Roman verfasst, sondern ein Werk geschaffen, um es den digitalen Feldteufeln entgegenzusetzen. Von der äußeren Anmutung über die ständig wiederholten Mantras bis zur plakativen Inszenierung des Unternehmens als seelenfressende Tech-Sekte, die doch nur Gutes tun will - ein buchgewordener Kassandraruf. Mit dem feinen Unterschied, dass die Rufe zwar auch diesmal vergeblich sein mögen. Aber weltweit hochwillkommen sind.
Deshalb ist das Buch zwar ein programmierter Bestseller. In seiner Wirkung aber ist es im besten Fall egal, im wahrscheinlichsten Fall kontraproduktiv und im schlechtesten Fall vielleicht gefährlich. Denn diese Form der Dämonisierung, die "The Circle" meisterhaft den Internetkonzernen überstülpt und mit der Kraft der Erzählung noch in den letzten Intellektuellenkopf hineinpressen möchte, ist ungefähr das Letzte, was die Debatte um die digitale Welt gebrauchen kann.
Und das liegt gewiss nicht an der Harmlosigkeit von Google und Co. Die digitale Welt wird in der Tat beherrscht von wenigen ebenso mächtigen wie rücksichtslosen Konzernen, deren Entscheidungen faktisch mit Gesetzesschwere über Institutionen, Firmen, Menschen hereinbrechen können. Aber die größten Probleme liegen nicht dort, wo am lautesten Jehova gerufen wird, ungefähr wie auf einem Schlachtfeld gerade nicht die Sterbenden schreien, sondern die Leichtverletzten. Dabei ist sogar unwichtig, ob man speziell Google als gut oder böse empfinden mag; Google ist zu groß, um gut zu sein. Andererseits möchte man lieber nicht herausfinden, was etwa der Axel-Springer-Verlag anstellen würde mit nur einem Zehntel von Googles Macht.
Im Buch finden sich so viele kluge, hellsichtige Passagen, dass man sich leicht dazu verleiten lässt, der dämonisierenden Grundthese zu glauben, es ginge um nichts weniger als alles. Eggers ist ein guter Erzähler; wenn man das Buch unvorbereitet liest, wird man danach ängstlich schlottern und überall Anzeichen dafür entdecken, dass es schon morgen so weit ist mit dem digitalen Weltuntergang.
Die wirklichen Bedrohungen durch digitale Multimonopolisten sind aber nicht die, die sich im Rahmen einer Dämonisierung am eindrucksvollsten in Romanform inszenieren lassen. Sie resultieren nämlich eher aus der Rücksichtslosigkeit der Netzkonzerne als aus einem faschistoiden Weltbild, wie "The Circle" unterstellt. Es handelt sich deshalb viel eher um seit langem bekannte Gefahren des Kapitalismus als um Gefahren mit einem einzelnen, angeblich besonders bösartigen Konzern.
Die tatsächliche Gefahr ist, dass die Konzerne die derzeitige Entwicklung der digitalen Sphäre mit großem Vorsprung am besten verstehen. Und weil die gesamte Ökonomie sich in eine fast alles umfassende Datenwirtschaft verwandelt, ist dieser Vorsprung für fast alle Branchen ausschlaggebend. Denn dass die kapitalistische Effizienzradikalität durch die digitale Vernetzung noch einmal gesteigert werden kann, steht außer Frage. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in zehn Jahren Google und Apple die Automobilbranche beherrschen, weil sie die Betriebssysteme kontrollieren. Mercedes, VW, BMW wären dann bloß noch nokiahafte Hardwarehersteller, die Regeln des Automarktes würden in Kalifornien gemacht. Vielleicht eine Horrorvision, aber eben eine, hinter der klügere Digitalkapitalisten stehen und nicht dämonische Totalitäre. Die aus dieser ungeheuren Intelligenz resultierende Macht einzelner Konzerne muss dringend begrenzt werden, und dafür sind auch politische Mittel wie eine präzise Regulierung notwendig. Vor allem aber braucht es technologische Alternativen, und die entstehen nicht in einem Klima der Dämonisierung.
In den kommenden Jahren wird eine essentielle Debatte geführt werden, die das exakte Gegenteil der Dämonisierung braucht, um produktiv zu sein: Differenzierung. Die größte Gefahr für Netzskeptiker wie für Internetoptimisten ist dabei, am eigenen Wunschdenken entlangzudiskutieren. So wird eine Gefühlsgemengelage aus privatem Gerechtigkeitsempfinden, Sympathien und Antipathien eher bedient als funktionierende Lösungsansätze. Man kann nicht nur in Schönheit, sondern auch in Selbstgerechtigkeit sterben.
Wenn man nur minimal an die politische Kraft der Debatte glaubt, und sei es aus schierer Verzweiflung, dann wird das zusammendiskutierte Ergebnis darüber mitbestimmen, was für eine Gesellschaft die digitale Gesellschaft werden wird. Die schlechteste Voraussetzung dafür ist, aus einer Position hoffnungsloser, angsterfüllter Unterlegenheit zu agieren. Genau das aber passiert bei einer Dämonisierung, die immer auch ein Eingeständnis der eigenen Schwäche ist, plus Vereinfachung der Verantwortlichkeiten. Nicht etwa eigene, bekämpfbare Unzulänglichkeit ist Schuld an der Misere, sondern der furchterregende Dämon, gewaltig, gewalttätig und böse. Dave Eggers liefert phantastisches, lesenswertes Futter für diese schädliche Dämonisierung. Ja, es gibt fiktionale Werke, die Gesellschaften prägen und so die Welt verändern können. Die Lutherbibel gehört fraglos dazu. "The Circle" sollte nicht dazugehören.
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»Wir müssen uns davor verbeugen und froh sein, dass es das Buch gibt. Jeder muss es lesen.« Juli Zeh 20140813