Der neueste Roman der Erfolgsautorin Jodi Picoult, Originaltitel "Second glance", von dem sie selbst sagt, dass es bislang ihr bestes Werk ist, enthält einige ziemlich schwierige Themen für mich.
Ross Wakemann verlor auf tragische Weise seine über alles geliebte Verlobte Aimee bei einem Autounfall
und leidet seitdem einerseits unter Todessehnsucht, um mit Aimee wieder vereint zu sein und…mehrDer neueste Roman der Erfolgsautorin Jodi Picoult, Originaltitel "Second glance", von dem sie selbst sagt, dass es bislang ihr bestes Werk ist, enthält einige ziemlich schwierige Themen für mich.
Ross Wakemann verlor auf tragische Weise seine über alles geliebte Verlobte Aimee bei einem Autounfall und leidet seitdem einerseits unter Todessehnsucht, um mit Aimee wieder vereint zu sein und andererseits unter schweren Selbstvorwürfen, weil er nach Aimee auch noch eine andere Frau aus dem brennenden Auto des Unfallgegners rettete, anstatt sich ausschließlich um Aimee zu kümmern. Die Frage, ob er Aimee hätte retten können, wenn er nicht für andere den Helden gespielt hätte, bestimmt sein weiteres Leben und so sucht er Antworten (und wenn möglich Kontakt zu Aimee) bei Leuten, die Geistererscheinungen und -begegnungen hatten.
Da kommt ihm der Auftrag, herauszufinden, ob es auf einem geplanten Baugrundstück seines Heimatstaates Vermont spukt, gerade recht. Einige Leute behaupten, der geplante Supermarkt solle auf einem ehemaligen Indianerfriedhof der ortsansässigen Abenaki errichtet werden, andere sind der Ansicht, das dort auch abzureißende Haus der angesehenen Familie Pike beherberge das Geheimnis um einen mysteriösen und auch nach 70 Jahren noch nicht geklärten Doppelmord an Cecilia Pike und deren neugeborener Tochter.
In mehreren unterschiedlichen Erzählsträngen, die von der Autorin virtuos verflochten werden bis zu einem schlußendlich stimmigen Gesamtbild, erfahren wir nach und nach, was vor 70 Jahren wirklich geschah, welche Verbindungen es zu Ross Schwester Shelby gibt, die einen Sohn großzieht, der an einer unheilbaren Lichtallergie sterben wird. Wir lernen die Ärztin Meredith kennen, die verzweifelten Eltern durch die Invitro-Befruchtung zu gesundem Nachwuchs verhilft und deren Tochter von Geisterbegegnungen geplagt wird. Der schon 102 Jahre alte Indianer Gray Wolf, der fast ebenso alte Spencer Pike, Meredith Großmutter Ruby und nicht zuletzt der Geist Lia helfen - oft ungewollt - Ross und Eli, den ortsansässigen Polizisten, bei der Aufklärung und Entwirrung der Geschehnisse, die vor 70 Jahren die Ursache für unfaßbar viel Schmerz und Leid darstellten. Es fällt mir nicht gerade leicht, daran zu glauben, dass ein verstorbener Mensch als Geist wieder mit lebenden Menschen in unserer realen Welt Kontakt aufnehmen kann.
Zum anderen wußte ich bis dato nicht, dass es in 33 Staaten Amerikas und angeblich auch vielen anderen Teilen der Welt ein Projekt gab, das die Bezeichnung Eugenik trägt, welches durch Hitler im 2. Weltkrieg mit den allseits bekannten unglaublich perfiden und menschenverachtenden Folgen auf die Spitze getrieben wurde. Von angesehenen, gebildeten Wissenschaftlern, Ärzten, Politikern und vielen anderen einflußreichen Persönlichkeiten gab es in der Zeit zwischen 1920 bis 1930 tatsächlich Bestrebungen, die Bevölkerung der Staaten von sogenanntem degenerierten Erbgut zu schützen und zu befreien. Der Hang zum Alkoholismus, jede Art von Andersartigkeit, Lernschwächen, Krankheiten galten als vererbbar und als Gendefekte, vor denen man die "normale" Bevölkerung schützen wollte.
Es wurden mit viel monetärem Aufwand Familienstammbäume zur Untermauerung dieser Thesen erstellt und die lebenden Abkömmlinge von nachweislich degenerierten Familien zwangssterilisiert. Dass man Gott spielte, war vielen nicht bewußt und wenn doch, meinte man sicherlich, dass der Zweck die Mittel heiligte.Und damit sind wir beim dritten Themenkreis angekommen, den Jodi Picoult in dem Roman anspricht: vorab im Reagenzglas entscheiden zu können, welcher von einer Vielzahl von DNA-Trägern geboren werden darf und welcher nicht, Babys, mit der Anlage zu schweren Krankheiten gar nicht erst im Mutterleib heranwachsen zu lassen.
Darin liegt Jodi Picoults großartiges Talent. Sie schreibt dem Leser nicht vor, welche Ethik er haben soll, woran er glauben soll, sondern zeigt differenziert, präzise und doch ausführlich alle möglichen Facetten.
Lesenswert.