Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in BG, B, A, EW, DK, CZ, D, CY, H, GR, F, FIN, E, LT, I, IRL, NL, M, L, LR, S, R, P, PL, SK, SLO ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eines muss man vorwegschicken: "Kapital" des britischen Autors John Lanchester ist zuallererst und in allerschönster Form ein London-Roman. Seine zahlreichen Protagonisten, vom Banker bis zur Politesse, wohnen oder arbeiten alle in der Pepys Road in London. Doch das Buch ist auch ein Roman über die Krisenjahre des Finanzkapitalismus, wie man ihn selten findet. Glaubwürdig, lebendig und gleichzeitig kaum moralisierend. Der Investmentbanker, sonst gerne Repräsentant für das Böse, ist hier sogar eine Art inoffizieller Held. Und das Beste: Das Buch ist so unterhaltsam, dass 682 Seiten nicht zu viel sind.
lika.
John Lanchester: Kapital.
Klett-Cotta 24,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roman einer Epoche
Da ist Freddy, ein afrikanischer Fußballer mit seltsamer Haltung und Hoffnung auf ein Millionensalär. Roger, dem wegen Verschwendung die Pleite droht, wenn sein Banker-Bonus mal eine Million Pfund unterschreitet. Und Zbigniew, ein polnischer Handwerker, der in London in Aufträgen ertrinkt, weil seine britischen Konkurrenten überteuert sind und unzuverlässig. Freddy, Roger und Zbigniew sind drei der vielen Figuren, die der Autor leichthändig zu einem Epochenroman verwebt. Nein, das Wort ist nicht zu groß: John Lanchester setzte sich ein paar Jahre hin, um aus seinem Zeitalter die Essenz zu destillieren. Und „Kapital“ fängt mit seinen ganzen Figuren tatsächlich das London des Booms ein, des unerhörten Booms vor der Finanzkrise: den Hunger nach Aufstieg und die Gier der Aufgestiegenen, die Mühen der migrantischen Dienstleisterarmee und die Spekulation auf immer noch höhere Immobilienpreise.
Hauptfiguren dieses Romans sind nicht nur Menschen, sondern auch die Häuser einer Straße. Einer Straße im Süden Londons, einst Quartier für jedermann, heute Bankern und anderen Millionären vorbehalten: „Jetzt aber wurden die Häuser für die Menschen, die bereits darin wohnten, so wertvoll und für die, die gerade erst einzogen, so teuer, dass die Gebäude selbst die Rolle von Hauptdarstellern übernahmen.“
Der Titel Kapital hat zwei Bedeutungen: Es bezeichnet die Geldströme, die alles durcheinanderwirbeln – und das englische Wort für Hauptstadt. Wobei der Dickroman von John Lanchester nicht nur ein Panorama Londons ist, sondern auch das anderer Hauptstädte von Industriestaaten: die Einsamkeit der Alten, die Muslime unter Terrorverdacht, die Sehnsüchte der Normalverdiener – und der Reichtum einer Bankerkaste, der vermeintlich todsicheren Algorithmen entstammt, die Abteilungsleiter Roger längst nicht mehr versteht. Und dann schüttelt die weltweite Finanzkrise alles durch.
Ist der Roman daher nur Abbild der Vergangenheit? Von wegen. Londons Banker verdienen längst wieder prächtig. Und der Immobiliencrash, den Lanchester voraussah, kam gar nicht. Nach kurzer Delle steigen die Preise erneut, weil sich Vermögende aus aller Welt in London einkaufen. Diesmal, bekennt der Autor im Gespräch ratlos, sieht er nicht, wie es einen Crash geben könnte. Obwohl er die Immobilienpreise so übertrieben findet.
Setz’ dich hin, Mann, und schreib weiter.
ALEXANDER HAGELÜKEN
John Lanchester:
Kapital. Klett-Cotta.
682 Seiten. 24,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de