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Sommer 1969. Während auf den Straßen gegen den Vietnamkrieg protestiert wird, fiebert der elfjährige Tobias am Stadtrand von Köln der ersten Mondlandung entgegen. Zugleich trübt sich die harmonische Ehe seiner Eltern ein. Seine Mutter fühlt sich eingeengt, und als im Nachbarhaus ein linkes, engagiertes Ehepaar einzieht, beschleunigen sich die Dinge. Tobias, eher konservative Eltern freunden sich mit den neuen Nachbarn an, und deren dreizehnjährige Tochter, Rosa, eigenwillig und klug, bringt ihm nicht nur Popmusik und Literatur bei, sondern auch Berührungen und Gefühle, die fast so spannend…mehr

Produktbeschreibung
Sommer 1969. Während auf den Straßen gegen den Vietnamkrieg protestiert wird, fiebert der elfjährige Tobias am Stadtrand von Köln der ersten Mondlandung entgegen. Zugleich trübt sich die harmonische Ehe seiner Eltern ein. Seine Mutter fühlt sich eingeengt, und als im Nachbarhaus ein linkes, engagiertes Ehepaar einzieht, beschleunigen sich die Dinge.
Tobias, eher konservative Eltern freunden sich mit den neuen Nachbarn an, und deren dreizehnjährige Tochter, Rosa, eigenwillig und klug, bringt ihm nicht nur Popmusik und Literatur bei, sondern auch Berührungen und Gefühle, die fast so spannend sind wie die Raumfahrt. Auch die Eltern der beiden verbringen viel Zeit miteinander, zwischen den Paaren entwickelt sich eine wechselseitige Anziehung - "Wahlverwandtschaften" am Rhein. Und während Armstrong und Aldrin sich auf das Betreten des Mondes vorbereiten, erleben Tobias und seine Mutter beide eine erotische Initiation...
Ulrich Woelk erzählt spannend, atmosphärisch dicht und herzzerreißend von einem Aufbruch, persönlich und politisch, der tragisch endet.
Autorenporträt
Ulrich Woelk, geboren 1960, studierte Physik und Philosophie in Tübingen. Sein erster Roman, "Freigang", erschien 1990 und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Woelk lebt als freier Schriftsteller und Dramatiker in Berlin. Seine Romane und Erzählungen sind unter anderem ins Englische, Französische, Chinesische und Polnische übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2019

Wie das Neue ins Vertraute kam
Ulrich Woelks Roman „Der Sommer meiner Mutter“ über das Jahr 1969
Bücher mit einer Jahreszahl im Titel haben Konjunktur. Florian Illies hat es im Jahr 2013 mit „1913“ vorgemacht. Seither gibt es viele Nachahmer, denn die Methode besitzt den Vorteil, dass sich numerisch jederzeit ein rundes Jubiläum ergibt, so wie es der Buchmarkt gerne mag. Nun ist 1919 dran, aber auch Frank Böschs „Zeitenwende 1979“ hat den Sprung auf die Bestsellerlisten geschafft. Literarisch findet das Prinzip ebenfalls Anwendung. Der neue Roman von Ulrich Woelk heißt zwar einfach nur „Der Sommer meiner Mutter“, doch es geht um den Sommer 1969, der nun exakt 50 Jahre zurückliegt. Dieses Jahr liegt vielleicht im historischen Aufmerksamkeitsschatten von 1968, ist aber herausgehoben durch die Apollo-Missionen und die erste bemannte Mondlandung. Die Menschheit fieberte mit den Astronauten mit und bekam zum ersten Mal auch die verschattete Rückseite des Mondes zu sehen.
Diese Ereignisse prägen Woelks Geschichte. Der elfjährige Tobias, der als Einzelkind mit seinen Eltern am Stadtrand von Köln aufwächst, bastelt Raketenmodelle und verpasst keine Sondersendung im Fernsehen. Er kennt alle technischen Details und kann es nicht fassen, dass die Mannschaft der Apollo 10, die die Mondlandung testet ohne sie bis zum Ende ausführen zu dürfen, tatsächlich 15 Kilometer über der Mondoberfläche umkehrt, weil die Landung der Apollo 11 vorbehalten bleibt. Das kommt ihm vor, als wäre man wochenlang unterwegs in den Urlaub, um schließlich auf dem Hotelparkplatz umzukehren. Dieses Moment gesteigerter Erwartung in Aufschub und Verzicht prägt sich ihm ein, und es gibt diesem intensiven, einfühlsamen Liebes- und Adoleszenzroman seine emotionale Grundlage.
Nähe- und Ferneverhältnisse geraten in der überschaubaren Vorortsiedlung gehörig durcheinander, als neben Tobias’ eher traditionell geprägter Familie – der Vater arbeitet als Ingenieur und die Mutter führt den Haushalt – ein zeitgemäß revolutionär gestimmtes Paar mit einer dreizehnjährigen Tochter einzieht: Der Mann ist Lehrer und Kommunist, die in bunte Tücher gehüllte Frau arbeitet als Übersetzerin. Wider Erwarten freunden die beiden Familien sich über alle politischen Gegensätze hinweg an, grillen gemeinsam und spielen Krocket im Garten. Es ist absehbar, dass Tobias mit der etwas älteren und erfahreneren Rosa seine erotische Initiation erleben wird. Auch die Eheverhältnisse geraten aus dem Lot. Dass die Sache nicht gut ausgehen wird, verrät der erste Satz des Romans: „Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben.“
Bis es so weit kommt, hat Woelk noch einige Überraschungen zu bieten. Er erzählt behutsam und zurückhaltend und erzeugt dadurch eine unnachahmliche emotionale Spannung. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, weil die emanzipativen Ideale der neuen Zeit unwiderstehlich sind, den Figuren aber noch ganz äußerlich anhaften, so wie neue, ungewohnte Bekleidung. Die kostümtragende Mutter probiert einmal Jeans an, wagt es dann aber nicht, die modernen Hosen zu tragen. Wenn sie, die nie geraucht hat, plötzlich zu rauchen beginnt, tut sie es mit gespitzten Lippen und saugenden Bewegungen, mehr paffend als inhalierend. Von solchen präzisen Beobachtungen lebt diese beeindruckende Geschichte. Eine besondere Pointe besteht darin, dass die beiden so unterschiedlichen Männer sich in der Beziehungskrise ähnlich verhalten und ihre Frauen mit nur geringfügig modifizierten Argumenten verurteilen. Die Konvention siegt noch einmal über den gesellschaftlichen Wandel.
Woelk, 1960 geboren und in Köln aufgewachsen, hat sich in seinem mittlerweile schon sehr umfangreichen Werk auf Liebesverhältnisse und auf bundesdeutsche Geschichte spezialisiert. Er ist erfahren und erzählerisch versiert genug, um mit Staunen zu bemerken, wie das eigene Leben allmählich historisch zu werden beginnt und sich kapitelweise in Epochen aufteilen lässt. Dazu gehören eben auch die Vibrationen, die das Jahr 1968 ausgelöst hat. Gekonnt verknüpft Woelk die Ebenen – Mondfahrt, Liebes- und Familienleben –, indem er den jungen Tobias die Erfahrung machen lässt, dass kein Ereignis im Kosmos ohne Folgen bleibt. Der dunklen Seite des Mondes entspricht das Rätsel der erwachenden Sexualität. Er begreift nicht, was ihm widerfährt und was sich da zwischen ihm und dem Nachbarsmädchen ereignet. Was er als beglückend erlebt, endet für die Mutter in der Katastrophe, und Tobias ist nicht ohne Schuld an ihrem Tod.
Das mag auch einer der Gründe sein, warum er Jahrzehnte später die Geschichte dieses Sommers aufschreibt. Woelk erzählt also aus der Perspektive eines erwachsenen Mannes, der sich an diesen weit zurückliegenden Sommer erinnert. Trotz der Ich-Form handelt es sich um einen nahezu allwissenden, jedenfalls immer souveränen Erzähler, der jedes Gespräch und jede Stimmungslage mit irritierender Genauigkeit wiederzugeben weiß.
Am Ende hat Woelk dann aber auch noch eine Antwort auf die Frage parat, warum und wem er seine Geschichte so eindrücklich aufschreiben muss. Die Perspektive, die nicht ganz aufzugehen scheint, wird dann doch noch ins Lot gebracht. Woelk, studierter Physiker und Philosoph, ist als Erzähler ein präziser Techniker. Das geht erstaunlicherweise nicht auf Kosten der Spontaneität und Direktheit, sondern erzeugt ganz im Gegenteil eine enorme emotionale Wärme. Er ist sehr nah bei seinen Figuren, die ganz individuell und besonders sein dürfen und die doch Repräsentanten ihrer Zeit, ihrer Versprechungen und ihres Verhängnisses sind. Das macht aus „Der Sommer meiner Mutter“ einen in seiner Schlichtheit und sprachlichen Schmucklosigkeit grandios gelungenen Roman.
JÖRG MAGENAU
Der Erzähler weiß jede Stimmung,
jedes Gespräch mit irritierender
Genauigkeit wiederzugeben
Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter.
Roman. C.H. Beck, München 2019. 190 Seiten,
19,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2019

Abkopplung vom Mutterschiff
Der offene Himmel lockt: Ulrich Woelk erzählt in "Der Sommer meiner Mutter" von einer Mondlandung im Kinderzimmer

Eigentlich will Eva ja nur Hosen für ihren elfjährigen Sohn Tobias kaufen, aber dann probiert sie im neuen "Jeansstore" spaßeshalber selbst eine dieser neumodischen Schlaghosen an. Die Jeans sitzen wie angegossen, die Verkäuferin raspelt Süßholz, nur Tobi mault: "Jeans waren keine Hosen für Erwachsene, wie ich sie kannte - und ich wollte auch, dass das so blieb." Und so bleibt es dann auch. Die Mutter bricht ihre kleine Revolte ab: Jeans schicken sich nicht für eine 38 Jahre alte Hausfrau und Mutter aus einem Kölner Vorort, jedenfalls nicht 1969. Tobias lernt: Wenn er, der bisher widerspruchslos alles anzog, was seine Mutter ihm hinlegte, von ihr plötzlich in Modesachen um Rat gefragt wird, ist entweder sie unsicherer oder er erwachsener als gedacht. Die Jeans sind jedenfalls die Vorboten großer Umbrüche, sie bringen die versteinerten Verhältnisse im Hause Ahrens zum Tanzen und das morsche Gebälk ihrer heilen Welt zum Einsturz.

Tobias' Vater, als Ingenieur ein klassischer Homo Faber, sieht die zaghaften Befreiungsbewegungen seiner Frau naturgemäß mit Skepsis und Misstrauen, aber als dann nebenan eine Achtundsechziger-Familie wie aus dem Bilderbuch einzieht, gerät auch sein rational festgezurrtes Leben ins Rutschen. Herr Leinhard, Adorno-Fan und Unidozent, nennt sich stolz Kommunist, seine Frau Uschi raucht, flirtet und geht allein auf Vietnam-Demos. Und ihre dreizehnjährige Tochter Rosa - natürlich nach Rosa Luxemburg - hört Janis Joplin und ist auch politisch und sexuell ziemlich aufgeklärt. Tobi lebt dagegen noch hinter dem Mond. Das Modell der Saturn-V-Rakete auf dem Nachttisch, die Mondposter an der Wand, Bücher wie "Der offene Himmel" von Heinz Haber bedeuten ihm alles. Tobias weiß alles über den Weltraum und die Zukunft, aber nichts über die Welt, die Mädchen und die Gegenwart. Rosa zeigt ihm ihre Plattensammlung und dann auch ihre Brüste, und das beeindruckt den ahnungslosen Nerd dann doch.

In Rick Moodys "Eissturm" kommen ungefähr zur selben Zeit Kinder unter die Räder, als ihre Eltern plötzlich wie die Hippies Schlüsselparty und Partnertausch spielen wollen. Auch bei Ulrich Woelk mündet die Emanzipation, die sich als kreuzweise Wahlverwandtschaft der Unterschiede anbahnt, in einer Katastrophe. Die flippigen Leinhards freunden sich überraschend mit ihren prüden, spießigen Nachbarn an: Beide Männer, der Ingenieur wie der Kommunist, sind zukunftsgläubige Optimisten, beide Frauen träumen von einem Sommer der Liebe und Freiheit vom Kochen und Kinderkriegen. Unter Uschis Einfluss legt Eva ihre Hausfrauenschürze und Demut ab und beginnt amerikanische Krimis zu übersetzen, freche Sachen wie "Mädchen sind so". Tobis Vater, der Mann der praktischen Vernunft, sieht mit Wohlgefallen die gebatikten Blusen und offenherzigen Blumenkleider der Nachbarin, und der linke Herr Leinhard versteht sich sogar prächtig mit Onkel Hartmut, dem Ex-Kriegshelden und Altnazi. So lösen sich Verklemmungen und Verhärtungen, und so gehen alte Elemente neue chemische Verbindungen ein. Just in der Nacht, als alle in Onkel Hartmuts Farbfernseher die Landung von Apollo 11 anschauen, macht Rosa Tobias zum Mann. Er erlebt sein erstes Mal als Raketenstart, bleibt aber als Erzähler wissenschaftlich exakt und zurückhaltend: "Obwohl ich es ja miterlebt hatte, blieb meine Vorstellung von dem, was dort unten wirklich geschehen war, eher vage."

Die erste Mondlandung, die sich bald zum fünfzigsten Male jährt, haben auch andere Autoren schon als Startrampe für Coming-Out- und Coming-of-Age-Dramen genutzt, etwa Alberto Muñoz Molina ("Mondwind") oder jüngst Norbert Zähringer ("Wo wir waren"). Woelk ist freilich kein großer Erzähler. Er kann die Jugendkultur der sechziger Jahre anhand der üblichen Erkennungssignale (2CV, Jeans, schwarzer Rolli, Doors) routiniert evozieren, kommt dabei aber selten über Klischees und Phrasen hinaus. Der Roman beginnt fulminant: "Im Sommer 1969, ein paar Wochen nach der ersten bemannten Mondlandung, nahm sich meine Mutter das Leben." Aber Woelk kann die lakonische Härte des ersten Satzes nicht halten und verliert sich mehr und mehr in vagen Pubertätsdramen und Szenen bundesdeutscher Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Ähnlich wie F.C. Delius in "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde" will er Zeit- mit Emanzipationsgeschichte verknüpfen. Aber wo bei Delius der Junge durch das "Wunder von Bern" aus sonntäglicher Bigotterie und Langeweile erlöst wird, nimmt Evas Revolte hier ein böses Ende: Linke und rechte Männer und selbst der eigene Sohn verbünden sich gegen die Frau, die mit ihrer Mondlandungsmission zu früh kam. Die Mutter scheitert mit ihrer Selbstbefreiung schon im Jeansladen, ihr Sohn koppelt sich vom emotionalen Mutterschiff ab, ohne den Machtbereich des väterlichen Kontrollzentrums zu verlassen.

Tobias, ganz der Papa, wird Wissenschaftler bei der Europäischen Raumfahrtagentur, Rosa Schriftstellerin. Bei einer Lesung nach vielen Jahren erkennt sie ihn nicht wieder, und das passt auch zu diesem Roman, in dem Literatur und Naturwissenschaft nie zusammenfinden. Ulrich Woelk hat selbst Astrophysik studiert und Weltraumbücher wie "Die Einsamkeit des Astronauten" geschrieben. "Der Sommer meiner Mutter" ist gute Unterhaltung für die reifere Jugend, aber die Engführung von Emanzipations-, Zeit- und Technikgeschichte wirkt wie am Reißbrett konstruiert und die Sprache manchmal so nüchtern und emotionslos wie Ingenieurprosa. Die Mondlandung war ein großer Schritt für die Menschheit. Woelks dreizehnter Roman ist allenfalls in seiner persönlichen Erfolgsgeschichte ein kleiner Sprung vorwärts.

MARTIN HALTER

Ulrich Woelk: "Der Sommer meiner Mutter". Roman.

Verlag C. H. Beck, München 2019. 189 S., geb., 19,95 [Euro].

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