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sleepwalker

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Insgesamt 475 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2024
Waiseninsel / Jessica Niemi Bd.4 (eBook, ePUB)
Seeck, Max

Waiseninsel / Jessica Niemi Bd.4 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Keine Ahnung, wie mir das passieren konnte, aber bislang kannte ich den finnischen Autor Max Seeck noch nicht. „Waiseninsel“ heißt der vierte Band seiner Serie um die Kriminalbeamtin Jessica Niemi, die in Helsinki ihren Dienst tut. Das Buch hatte auf mich eine starke Sogwirkung, einmal damit angefangen, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Keine Ahnung, wie gut oder schlecht die anderen Teile der Reihe sind, „Waiseninsel“ hat mich gepackt und begeistert.
Aber von vorn.
Jessica Niemi kämpft. Psychologisch gegen ihre Dämonen (man erfährt etwas über die Schizophrenie ihrer Mutter, ihre eigenen Halluzinationen und andere psychische Probleme weswegen sie in Therapie ist) aber auch physisch gegen den Hausmeister eines Mehrfamilienhauses, der sie bedrängt. Da dies gefilmt und im Internet veröffentlicht wird, schickt ihre Chefin sie in Zwangsurlaub. Dass die Reise sie ausgerechnet auf die zwischen Finnland und Schweden gelegenen Åland-Inseln führt, ist Zufall. Aber statt dort Ruhe und Erholung in einem kleinen Hotel zu finden, trifft sie auf die „Zugvögel“, eine kleine Gruppe Menschen über 80, die sich dort jährlich trifft. Als Kinder waren sie nach dem Zweiten Weltkrieg (genauer gesagt, nach dem Winter- und dem Fortsetzungskrieg) 1946 auf der Insel Smörregård im Kinderheim untergebracht. Ursprünglich sollten sie auf der Insel ihre Eltern treffen, nachdem sie im Krieg in die anderen skandinavischen Ländern in Sicherheit gebracht worden waren. Deren Schiff sank allerdings und die neun Kinder waren Waisen. Auch damals existierte Mobbing unter den Kindern, vor allem Maija litt unter der älteren Beth und ihren Freundinnen. Eines Nachts verschwand sie spurlos. Seither kursiert die Legende vom „Mädchen im blauen Mantel“. Das Mädchen wird immer wieder auf der Insel gesehen, meistens am Bootssteg, so auch 1982, als der Nachtwächter des Kinderheims zu Tode kommt, der auch schon 1946 dort war. Und jetzt, 2020, stirbt kurz nach der Ankunft ein Mitglied der „Zugvögel“ und die Zeichen stehen auf Mord. Jessica ermittelt heimlich, ausgebremst vom örtlichen Polizisten Johan Karlsson. Jessica fürchtet, dass auch die übrigen „Zugvögel“ in Gefahr sind, und möchte dem Mörder zuvorkommen.
Der Krimi war für mich ein überraschend wilder Ritt. Eine überaus düstere und mysteriöse Atmosphäre trifft auf einen historischen Hintergrund. Die Geschichte spielt in drei Zeitebenen: 1946 begleiten wir Maija in ihrem trostlosen Leben im Kinderheim. 1982 den Nachtwächter Martin bis zu seinem Tod am Bootssteg. Der umfangreichste Erzählstrang ist die Gegenwart, in der die Leserschaft von einem neutralen Erzähler das erfährt, was Jessica erlebt und was sie umtreibt. Für mich als Neuling in der Serie waren das fürs Verständnis wichtige Einblicke in ihr Leben und ihre Vergangenheit.
Die Spannungskurve des Buchs fand ich hervorragend, gegen Ende wurde es für mich fast unerträglich spannend, vor allem, da es einige Wendungen gibt. Die Atmosphäre wird vom Autor sehr gut ausgearbeitet. Die abgeschottete Insel, die wenigen Menschen, das ehemalige Waisenhaus, das eher an eine Kaserne erinnert als an eine Umgebung, in der Kinder aufwachsen sollen – das alles bietet Potenzial für Unbehagen und Gänsehaut. Dazu kam für mich ab und zu ein Gefühl der Surrealität. Ist das Mädchen im blauen Mantel nun eine Legende oder gibt es einen realen Aspekt. Jessicas Halluzinationen, Klarträume und „Gespräche“ mit nichtexistenten Personen machten das Ganze für mich nicht einfacher zu verstehen, aber umso gruseliger. Und dazu kommen dann die Morde und zahlreiche Verdächtige. Natürlich kann man das Setting als altbekannt und unoriginell sehen, natürlich hat man Krimis dieser Art schon hunderte Male gelesen, das fällt sogar dem Ermittler Johan Karlsson im Gespräch mit Jessica auf: „»Das ist ja wie eine Mischung aus Agatha Christies besten Werken«“. Mich hat das Buch trotzdem auf ganzer Linie überzeugt und begeistert. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 16.09.2024
Der letzte Atemzug / Kommissar Johan Rokka Bd.6
Ullberg Westin, Gabriella

Der letzte Atemzug / Kommissar Johan Rokka Bd.6


ausgezeichnet

Seit meiner ersten „Begegnung“ mit Johan Rokka in „Der Schmetterling“ bin ich ein Fan der schwedischen Krimi-Serie von Gabriella Ullberg Westin, deren Protagonist er ist. Mit „Der letzte Atemzug“ hat die Autorin bereits den sechsten Teil der Reihe vorgelegt und das Buch hat mich, wie erwartet, in seinen Bann gezogen. Stilistisch ist es genauso das, was ich mag. Am Inhalt hatte ich zugegebenermaßen etwas zu knabbern. Schweden droht der Ausbruch einer Pandemie und da wir uns ja immer noch mitten in der Corona-Pandemie befinden, musste ich an vielen Stellen heftig schlucken. Dennoch: für mich war es ein spannender und bedrückend aktueller Krimi mit einigem aus dem Privatleben (auch aus der Vergangenheit) der Ermittler Johan Rokka und Janna Weissmann.
Aber von vorn.
Eine junge Frau kommt verletzt in die Notaufnahme des Krankenhauses von Hudiksvall. Sie verweigert jegliche Auskunft, sowohl zu ihrer Identität als auch zur Herkunft ihrer Verletzungen. Parallel dazu ist die Beziehung zwischen Kriminalinspektor Johan Rokka und der Kriminaltechnikerin Janna Weismann kompliziert. Die beiden, die sich zwischenzeitlich nähergekommen waren, gehen getrennte Wege. Rokka hat mit der ehemaligen Krankenschwester und jetzigen Yoga-Lehrerin Elina eine Partnerin gefunden. In letzter Zeit wurden einige Frauen in der Abenddämmerung überfallen, eines Abends trifft es auch Janna. Ihre Hündin Jazz kann Schlimmeres verhindern, wird aber kurze Zeit später vergiftet. Sind es dieselben Täter wie bei den anderen Frauen oder stecken bei dem Überfall auf Janna andere Motive dahinter? Die Unbekannte im Krankenhaus wird zunehmend kränker und nach und nach wird allen klar: sie könnte Patient 0 einer neuen Pandemie sein, denn ihre Symptome weisen auf eine Art Pockeninfektion hin. Mit wem war die Patientin in Kontakt? Wie groß ist die Gefahr der Pandemie tatsächlich? Bei den Ermittlungen läuft Rokka und seinen Kollegen die Zeit davon.
„Der letzte Atemzug“ erschien im Original im März 2020, ganz zu Anfang der Corona-Pandemie. Auch deswegen fand ich das Buch zum Teil schwere Kost. Der Umgang mit (drohenden) Pandemien, die Naivität, gut vorbereitet zu sein – das alles war für mich schwer zu ertragen, vor allem mit Hinblick auf den schwedischen „Sonderweg“ bei der Corona-Pandemie, der unzählige Menschen das Leben gekostet hat. Das hat aber direkt nichts mit dem Buch zu tun. Das fand ich sehr spannend und gut und stimmig ausgearbeitet, der Spannungsbogen war für mich fast konstant sehr hoch. Sprachlich fand ich es sehr ansprechend, die Beschreibungen sind bildhaft und bei den medizinischen und biologischen Details konnte ich keine Fehler finden. Die Protagonisten sind wie gute alte Bekannte, die seit dem ersten Teil der Serie weiterentwickelt werden. So waren für mich die Exkurse ins Privatleben von Rokka und Janna angenehme Pausen von der nach und nach immer stärker werdenden Spannung. Pelle Almén kam für mich ein bisschen zu kurz, er fällt hauptsächlich durch seine Germophobie auf und ist immer auf der Suche nach Desinfektionsmittel. Ihn wollte ich anbrüllen: „Handdesinfektion hilft nicht bei luftübertragenenen Viren!“
Der Schluss nach einigen interessanten Plot Twists war schlüssig und natürlich darf ein Cliffhanger nicht fehlen. Erzählt ist die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven von einem neutralen Erzähler, so ist die Leserschaft beispielsweise einerseits der Polizei bei den Plänen des Täters einen Schritt voraus, tappt aber hinsichtlich seiner Identität und Motive genauso im Dunklen wie die Ermittler. Zwar hatte ich früh eine Ahnung, worauf alles hinauslaufen würde, manche Zusammenhänge haben mich aber trotzdem überrascht. Es ist der sechste Teil der Reihe, man kann ihn problemlos ohne Vorkenntnisse lesen, die anderen Bücher sind aber ebenso lesenswert und die Beziehung zwischen Rokka und Janna kann man sicher besser verstehen, wenn man Hintergründe kennt. Ich fand „Der letzte Atemzug“ spannend und bedrückend realistisch. Von mir gibt es fünf Sterne.

Bewertung vom 16.09.2024
Die Vermisste von Holnis
Johannsen, Anna

Die Vermisste von Holnis


sehr gut

Mit „Die Vermisste von Holnis“ geht Anna Johannsens „Inselkommissarin“ Lena Lorenzen schon in die elfte Runde. Für mich war es erst das zweite Buch aus der Reihe, allerdings bin ich ein „altdgedienter“ Fan der Enna-Andersen-Serie der Autorin. Und auch dieser Krimi hat mich nicht enttäuscht, er war zwar nur leidlich spannend, aber durchaus unterhaltsam und eine angenehme Lektüre mit viel norddeutschem und dänischen Lokalkolorit. Auch Einblicke in das Privatleben der Ermittler kommen nicht zu kurz. Für mich ein lesenswertes Buch.
Aber von vorn.
Als in der Nähe der dänischen Stadt Odense die Leiche einer jungen Frau gefunden wird, finden die dänischen Polizisten zu ihrer Überraschung bei ihr einen sehr gut gefälschten Ausweis. Als sich herausstellt, dass es sich in Wirklichkeit bei der Toten um die vor vier Jahren in Deutschland verschwundene Sophia Jepsen handelt, beginnt eine deutsch-dänische Zusammenarbeit zwischen Der Inselkommissarin Lena Lorenzen und ihrer Kollegin Naya Olsen. Aus dem alten Cold Case wird ein neuer Fall, aus dem spurlosen Verschwinden ein Tötungsdelikt. Die beiden Polizistinnen ermitteln akribisch im Umfeld von Sophia, befragen ihre Familie und alte Freundinnen und stoßen immer auf dasselbe: Sophia hatte sich vor ihrem Verschwinden sowohl optisch als auch charakterlich sehr verändert. Sie habe die Haare wachsen lassen und sich nicht mehr geschminkt, insgesamt sei sie erwachsener gewesen und, wie die ehemaligen Freundinnen erzählen, verliebt in einen Mann, aus dem sie ein großes Geheimnis gemacht hat. Waren es „übliche Teenagerwirren“ und ist sie damals mit einem Mann weggelaufen? Als die Gerichtsmedizin dann feststellt, dass Sophia längere Zeit vor ihrem Tod ein Kind geboren hat, läuft den Ermittlerinnen die Zeit davon. Lebt das Kind noch? Und wenn ja, wo ist es?
„Die Vermisste von Holnis“ war für mich eine angenehme Lektüre für Zwischendurch. Der Krimi besticht zwar nicht durch einen übermäßig hohen Spannungsfaktor, aber die Vielschichtigkeit der Geschichte sorgte dafür, dass ich das Buch nur schwer aus der Hand legen konnte. Die psychologische Komponente fand ich gut herausgearbeitet, wobei der eine oder andere Aspekt für mich ein bisschen zu oberflächlich behandelt wird. Da es aber sehr viele verschiedene Aspekte sind, die die Ermittler auf dem Weg zur Auflösung beleuchten müssen, würde eine tiefere Ausarbeitung vermutlich den Rahmen eines Romans sprengen. Gut beschrieben fand ich die charakterlichen Veränderungen der bei ihrem Verschwinden 16jährigen Sophia. Da konnte man als Leser:in so richtig schön miträtseln, was die Ursache dafür war. Die unterschiedlichen Möglichkeiten sind logisch und stimmig, mehr möchte ich dazu nicht sagen, ich möchte nicht spoilern. Die Charaktere sind für Kenner der Serie sicher einfacher zu verstehen, ich als quasi Neuling musste mich da ein bisschen einfinden, da mit Zusammenhänge zwischen Lena, Naya, Erck, Ole und wie sie alle heißen, fehlten. Aber Anna Johannsen tut ihr Bestes, auch hier keine Lücken entstehen zu lassen.
Keine Lücken gibt es auch bei der Auflösung des Falls, die gut und stimmig ist. Der Weg zur Lösung ist verworren, es gibt einige potenzielle Täter, einige mögliche Motive und dazwischen einiges an Privatleben, vor allem bei Naya Olsen. Die dänische Ermittlerin hat grönländische Wurzeln und kämpft mit ihrer Identität und ihrer Herkunft. Durch sie erfährt man einiges über grönländische Traditionen und die Probleme der indigenen Völker dort. Hier streift Anna Johannsen ein wenig die Gesellschaftskritik. Sie spricht sowohl die Folgen der Kolonialisierung Grönlands durch die Dänen an als auch das Robbenjagdverbot. Der Schreibstil von Anna Johannsen ist wie immer angenehm, die Geschichte an sich weitgehend unblutig und (bis auf den eigentlichen Mord) gewaltarm.
Für mich war das Buch auf jeden Fall eine runde Sache und macht mir Lust auf mehr. Von mir daher wegen der zögerlichen Spannung solide vier Sterne.

Bewertung vom 26.08.2024
Meeresfriedhof / Die Falck Saga Bd.1
Nore, Aslak

Meeresfriedhof / Die Falck Saga Bd.1


ausgezeichnet

Mit „Meeresfriedhof“ hat der norwegische Autor Aslak Nore den Auftakt zu einer Trilogie vorgelegt. Das Buch hat ein bisschen was von einem Thriller, aber auch viel von einem historischen Roman, einem Familien- und Kriegsdrama. Obwohl das Buch über die norwegische Unternehmerfamilie Falck anstrengend und stellenweise langatmig war, hat es mich gefesselt und ich freue mich auf die nächsten beiden Teile (im Original sind sie schon erschienen).
1940 befinden sich der Unternehmer Store-Thor Falck, seine Frau Vera und ihr Sohn Olav auf dem Hurtigrutenschiff DS Prinsesse Ranghild. Außer ihnen und vielen anderen Zivilisten sind auch eine Menge Soldaten der deutschen Besatzungsmacht an Bord. Nach einer Explosion wegen einer englischen Unterseemine am 23. Oktober 1940 sinkt das Schiff und Vera und Olav sind zwei der wenigen Überlebenden. 75 Jahre später begeht Vera Selbstmord. Ihre Nachkommen machen sich auf die Suche nach ihrem Testament und stellen fest, dass es sich dabei um ein Manuskript mit dem Titel „Meeresfriedhof“ aus den 1970er-Jahren handelt. Dieses war seinerzeit vom Staatsschutz beschlagnahmt worden. Ihre Enkelin Alexandra, genannt Sasha, möchte das Familiengeheimnis lösen. Dabei kommt sie den „Bergensern“ näher, dem verarmten Zweig der Familie, der aus Bergen stammt, während ihr Zweig in Oslo residiert. Unterstützt wird sie von John Omar Berg, einem etwas undurchsichtigen Elitesoldaten und Journalisten. Die beiden machen sich aus unterschiedlichen Motiven auf die Suche nach dem Manuskript, denn je nachdem, was mit damit ans Licht kommt, werden die Karten im Familienimperium der Falcks neue gemischt.
„Meeresfriedhof“ ist keine leichte Kost. Das Buch ist in jeder Hinsicht komplex. Die Vielzahl an Personen, von denen sehr viele den Nachnamen Falck tragen, war für mich am Anfang trotz des Stammbaums im Buch ebenso verwirrend, wie die verschiedenen Zeitebenen und die unterschiedlichen Handlungsorte. Aber nach den Anfangsschwierigkeiten konnte der Roman (ein wirklicher Thriller ist es für mich nicht) mich packen und ich habe mitgefiebert. Zwar konnte ich mich mit keinem der Charaktere wirklich anfreunden oder gar identifizieren, aber ich konnte mich in die Handlung einfühlen. Auf der Prinsesse Ranghild, zwischen deutschen Besatzern und Angehörigen des Widerstands, war ich ebenso von der dichten Atmosphäre gefesselt wie auf den Kriegsschauplätzen. Die Landschaftsbeschreibungen sind durchweg überaus gelungen, sei es nun in Norwegen, auf See oder im Nahen Osten.
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, die meisten völlig unsympathische Karrieristen oder undurchsichtige Gestalten, manche auch beides. Bei den beiden Falck-Familienzweigen (der „Oslo-Phalanx und den „Bergensern“) geht es nicht nur um einfache Streitereien. Es geht nicht wirklich darum, ob eine Unterseemine die Prinsesse Ragnhild versenkte, oder ob Store Thor Falck nun Kollaborateur oder Widerstandskämpfer war und zurecht mit dem Kriegskreuz mit Schwertern ausgezeichnet wurde. Diese Probleme könnte man wohl mit einer Lüge zudecken, wie so viele andere auch. Es geht auch nur zweitrangig um Veras Testament. Es geht vielmehr um Macht in Wirtschaft und Politik im In- und Ausland, denn das Falck-Familienimperium, die SAGA-Gruppe ist hervorragend vernetzt und schwerreich und der politische Einfluss reicht bis in die Welt der Geheimdienste.
Obwohl das Testament als „Buch im Buch“ verarbeitet, endet „Meeresfriedhof“ mit einem Cliffhanger und ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Teil. Sprachlich und stilistisch war das Buch nach meinem Geschmack: schnörkellos und trotzdem bildgewaltig mit subtiler, intelligent aufgebauter Spannung. Ich empfehle das Buch allen, die gerne komplexe und vielschichtige Geschichten mit politischen, historischen und familiären Verstrickungen lesen. Die Erzählung ist dicht und bis auf ein paar Längen packend erzählt. Vor allem, weil das Buch zum Teil auf wahren Ereignissen beruht, war es für mich ein Highlight. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 26.08.2024
Taubenschlag / Teit und Lehmann ermitteln Bd.2
Jürgensen, Dennis

Taubenschlag / Teit und Lehmann ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

„Teit und Lehmann. Das famose dänisch-deutsche Gespann und gute Beispiel für grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit.“ Das könnte die Überschrift für „Taubenschlag“ sein, den zweite Krimi des dänischen Autors Dennis Jürgensen aus der Reihe „Teit und Lehmann ermitteln“. Zwar fand ich das Buch nicht so spannend wie sein Vorgänger „Gezeitenmord“, für mich war viel zu früh klar, wer hinter den Morden steckt. Aber die Geschichte ist vielschichtig, gut ausgearbeitet und wartet mit zwei sehr unterschiedlichen Ermittlern auf, die hervorragend miteinander harmonieren.
Aber von vorn.
„Irgendwo über uns stand die Mauer. Wir sind im alten Ostberlin runtergegangen, jetzt sind wir in Westberlin.“ Beim Kartieren eines bis dahin unbekannten unterirdischen Bunkers finden zwei Mitarbeiter von Bunker Protocol die Leichen eines Ehepaars und dessen kleiner Tochter. Die drei Toten lagen schätzungsweise rund 40 Jahre im Bunker, vermutlich waren sie auf der Flucht in den Westen. Kurze Zeit später wird in Norddeutschland eine alte Frau erschossen aufgefunden. Sie wurde vor ihrem Tod gefoltert und an den Sessel gefesselt erschossen Es findet sich noch ein weiteres makabres Detail am Tatort: auf ihrem Schoß liegt eine tote Taube. Der Fall wird Rudi Lehmann übertragen, im Rahmen von CEPOL (Collège européen de police, diese fördert die europäische Polizeizusammenarbeit durch Ausbildung über die Landesgrenzen hinweg) wird die Kopenhagener Kriminalassistentin Lykke Teit vier Monate nach ihrer ersten Zusammenarbeit wieder an ihn „ausgeliehen“. Kurz darauf wird ein älterer Mann ebenfalls erschossen an einen Sessel gefesselt aufgefunden. Auch bei ihm liegt eine Taube. Als Lykke bei ihren eigenmächtigen Ermittlungen spät abends in einem der Opfer-Häuser beinahe zu Tode kommt, wird der Fall „doppelt so ernst“ und den Ermittlern droht die Zeit davon zu laufen. Hängen die Morde zusammen und handelt es sich beim Täter um einen Serienmörder?
Der Schreibstil von Dennis Jürgensen ist flüssig und nah am Leser. Einige handwerkliche Fehler in der Übersetzung fielen mir (berufsbedingt) auf, so ist die Mehrzahl von Schublade zum Beispiel ganz sicher nicht Schubläden und das/dass-Fehler finde ich schlicht ärgerlich. Fertig gemeckert, denn abgesehen davon gibt es keine Kritikpunkte. Inhaltlich kann der Krimi bei mir vor allem durch Komplexität auf mehreren Ebenen punkten. (DDR-) Vergangenheit trifft auf aktuelle Morde, wobei natürlich eine Verstrickung der Stasi nicht auszuschließen ist. Lykke Teit kämpft mit ihrer eigenen Vergangenheit, da sie schwer mit dem Verlust ihrer Tochter Gry zu kämpfen hat, die vor fünf Jahren durch den Angriff eines Kampfhundes zu Tode kam. Jetzt glaubt ihr ex Mann Thomas den Halter des Pitbull Terriers gesehen zu haben und reißt alte Wunden wieder auf. Und auch Rudi Lehmann sieht sich plötzlich mit seiner eigenen familiären Vergangenheit konfrontiert. Die Charaktere und auch die Schauplätze sind sehr gut und anschaulich beschrieben. Lykke und Rudi sind ein interessantes Ermittler-Paar, das, nicht zuletzt wegen des großen Altersunterschiedes, der kulturellen Unterschiede und ihrer eigenen familiären Hintergründe eine ganz spezielle zwischenmenschliche Dynamik hat.
Als erfahrener und langjähriger Krimileser wusste ich zwar schon sehr früh, wer der Mörder ist und der Autor verzichtet dahingehend auch weitgehend auf Überraschungen. Die Ermittlungen fand ich dennoch sehr spannend, vor allem, da das Motiv hinter den Taten lange unklar ist. Dadurch fand ich den Krimi überaus unterhaltsam und lesenswert. Da es erst der zweite Teil der Reihe ist, kann man das Buch problemlos ohne Vorkenntnisse lesen. Ich kann den ersten Band „Gezeitenmord“ aber allen ans Herz legen, die gerne vielschichtige und gut erzählte Krimis mit menschlichen und nahbaren Ermittlern mögen. Diesen empfehle ich natürlich auch „Taubenschlag“, ich habe das Buch sehr gern gelesen und vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 26.08.2024
Die Postkarte
Berest, Anne

Die Postkarte


ausgezeichnet

„Ephraïm Emma Noémie Jacques“. Diese vier Namen stehen auf der Postkarte, die Anne Berests Eltern 2003 erreicht. Die vier Menschen sind ihre Großeltern, ein Onkel und eine Tante. Sie wurden 1942 in Auschwitz ermordet. 16 Jahre später macht sie sich mithilfe ihrer Mutter auf die Suche nach dem Absender der Karte. Sie erfährt viel über die Geschichte der Familie ab 1919, sich selbst und darüber, was „jüdisch sein“ bedeutet. „Die Postkarte“ ist eine auf Tatsachen beruhende berührende Familienchronik, die angesichts der aktuellen politischen Situation nachdenklich macht.
„Wir mögen Juden nicht besonders“. Das bekommt Anne Berests sechsjährige Tochter Clara auf dem Schulhof zu hören. Der Satz weckt in der Autorin Erinnerungen an die anonyme Postkarte, die ihre Mutter vor 16 Jahren erhalten hat. Erst jetzt wird sie neugierig und macht sich auf die Suche nach dem Absender. Akribisch forscht sie nach. „Diese Menschen waren meine Vorfahren, und ich wusste nichts über sie. Hätte man mir ihre Porträts gezeigt, hätte ich sie unter Fremden nicht wiedererkannt. Dafür schämte ich mich.“ „Jüdisch sein“ war in ihrer Familie etwas, worüber nicht geredet wurde. Mit dem Judentum war sie überwiegend dann konfrontiert worden, wenn es in Zusammenhang mit Antisemitismus stand. „Etwas wiederholte sich, so viel stand fest.“
Es ist beeindruckend, wie sich Anne Berest die Chronik ihrer Familie erarbeitet. Sie zwingt ihre Mutter, sich zu erinnern, führt mit ihr Gespräche, zu denen sie eigentlich nicht bereit ist und schlägt einen Bogen zum Antisemitismus im heutigen Frankreich. Ihre Nachforschungen bringen die Geschichte der Familie Rabinovitch ans Tageslicht. Diese stammte ursprünglich aus Russland, zog nach der Revolution über Riga nach Palästina und ließ sich 1929 in Frankreich nieder. Sie wollten sich einbürgern lassen, fühlten sich als Franzosen. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurden Ephraïm, Emma, Myriam, Noémi und Jacques deportiert und in Auschwitz ermordet. Nur Myriam, die damals schon aus dem Haus war, konnte sich in Sicherheit bringen. Über ihren Mann Vicente (Sohn des Künstlers Francis Picabia) und dessen Schwester Jeanine kam sie zur Résistance, ihre Taten sind in mehreren Büchern erwähnt. Auch Noémie ist in die Geschichte eingegangen. Sie unterstützte im Lager die Ärztin Adélaïde Hautval, die in deren Buch „Medizin gegen die Menschlichkeit“ über sie schreibt.
Parallel zur Geschichte ihrer Familie und der Geschichte des Nationalsozialismus in Frankreich, erfährt Anne Berest viel über sich selbst und lässt die Leserschaft daran teilhaben. „Ich bin Jüdin, doch ich weiß nichts über diese Kultur.“ Durch ihre Nachforschungen lernt sie viel über ihre „verborgene Identität, eine geheimnisvolle Abstammung“. Und dennoch wirft ihr eine Bekannte vor, sie sie „immer nur dann Jüdin, wenn es dir in den Kram passt.“ Ihr Freund Gérard toppt die Aussage sogar noch, als er sie eine Antisemitin nennt. Identitätsstiftend sind für sie auch Namen. „Diese hebräisch klingenden Namen sind wie eine Haut unter der Haut.“ Anne heißt mit zweitem Vornamen Myriam, ihre Schwester Claire Noémi. „Unsere Eltern hätten uns vielleicht lieber nicht diese so schwer zu tragenden Namen aufbürden sollen“. Ihrem zweiten Kind möchte sie daher einen Namen geben, „der niemandem gehört.“
Stilistisch war „Die Postkarte“ ganz nach meinem Geschmack. Es ist eine Mischung aus Roman und journalistischer Erzählung. Anne Berest schreibt bildhaft und lebendig. Durch die verschiedenen Zeitebenen nimmt sie die Leserschaft mit auf die spannende Suche nach dem Absender der Karte, ihrer Herkunft und ihrer Identität. Die Karte und wer sie geschickt hat, ist der rote Faden, der das Buch zusammenhält. Dass zum Schluss das Geheimnis gelüftet wird, wurde für mich angesichts der berührenden Familiengeschichte und der aktuellen Brisanz des Themas durch den Rechtsruck der Politik, fast zur Nebensache.
Von mir gibt es keine Lese-Empfehlung, sondern eine Lese-Aufforderung. Und natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 29.07.2024
Tote Augen / Georgia Bd.3
Slaughter, Karin

Tote Augen / Georgia Bd.3


ausgezeichnet

Karin Slaughters Thriller „Tote Augen“ hatte ich schon vor einigen Jahren zum ersten Mal gelesen. Mit dem Wissen aus allen Büchern, die auf diesen ersten Teil der „Georgia-Serie“ gefolgt sind, ist es schwierig, dieses Buch zu rezensieren. Für mich ist es ein ganz spezielles Buch, denn zum ersten Mal (und unter äußerst unschönen Umständen) treffen GBI-Agent Will Trent und die seit drei Jahren verwitwete Ärztin Dr. Sara Linton aufeinander. Sonst ist das Buch genauso, wie ich es von Karin Slaughter erwartet habe: es strotzt vor Gewalt, Folter, Blut und als Sahnehäubchen gibt es einen Hauch aufkommender Zuneigung zwischen Will und Sara.
Aber von vorn.
Das ältere Ehepaar Henry und Judith Coldfield ist auf dem Heimweg von einer Familienfeier, als das Auto im Dunkeln etwas rammt. Aber es ist kein Tier, das Henry überfahren hat, sondern eine junge Frau. Bei ihrer Einlieferung in die Notaufnahme des Grady Hospital stellen die Ärzte fest, dass ihre schweren Verletzungen nicht nur vom Unfall stammen, sondern dass das Opfer schon vorher gefoltert wurde. Obwohl es eigentlich nicht ihre Aufgabe ist, beginnt das Agentengespann Will Trent/Faith Mitchell vom Georgia Bureau of Investigation mit Ermittlungen. Beim ersten Außeneinsatz stößt Will auf eine unterirdische Folterkammer, in der er Hinweise auf mindestens ein weiteres Opfer findet. Kurze Zeit später bewahrheitet sich seine Befürchtung, eine junge Frau wird tot in unmittelbarer Nähe der Erdhöhle gefunden. Als Pauline McGhee vor den Augen ihres Sohnes Felix von einem Supermarktparkplatz entführt wird, beginnt die Zeit Will und Faith davonzulaufen. Was verbindet die jungen Frauen miteinander? Kannten sie sich? Und wer ist der Sadist, der hinter alldem steckt?
Ich gebe es zu: ich bin ein großer Fan von Karin Slaughter und ein noch größerer von Will Trent. Slaughters Stil, ihre bildhaften Beschreibungen der blutigsten und grausamsten Verbrechen und die Art und Weise, wie sie ihre Charaktere ausarbeitet haben es mir einfach angetan. Ja, die viele Brutalität muss man mögen und damit ist das Buch auch nichts für schwache Nerven und empfindliche Mägen, sondern eher etwas für hartgesottene Thriller-Fans. Bis zum Ende sind die Ermittlungen ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Will und Faith werden von lügenden Zeugen in die Irre geführt, es ergeben sich neue Spuren und Sackgassen und dann haben sie auch noch mit Polizeibeamten zu kämpfen, die nichts Besseres zu tun haben, als ihre Arbeit zu sabotieren. Die Geschichte ist dicht und rasant erzählt, der Fall wird innerhalb von vier Tagen gelöst, das hohe Tempo erhöhte für mich die Spannung ins teilweise Unermessliche. Obwohl ich ein langjähriger Krimi-Leser bin, hat mich der Schluss vollkommen überrascht. Das Einzige, was mich etwas gestört hat, war das ständige Herumreiten auf Wills Legasthenie und seiner Vorliebe für dreiteilige Anzüge. Kaum ein Kapitel kommt ohne Hinweis darauf aus.
Mit diesem Buch führt sie die „Grant County-Reihe“ (die Hauptfiguren dort sind Dr. Sara Linton und ihr Mann Jeffrey Tolliver) und die „Atlanta-Reihe“ (Hauptfiguren dort Will Trent und Faith Mitchell) zusammen. Daher ist es zwar durchaus möglich, das Buch auch einzeln zu lesen, es empfiehlt sich aber eigentlich nicht. Ein gewisses Maß an Vorwissen (beispielsweise, warum Sara Linton diesen speziellen Brief seit Ewigkeiten mit sich herumträgt) schadet bei den Büchern von Karin Slaughter nicht. Saras jetziges Leben als Klinik-Ärztin knüpft nahtlos an ihr vorheriges Leben als Kinderärztin mit eigener Praxis und Coroner an. Will kämpft nach wie vor mit seinen Dämonen, die heißen Legasthenie, Selbstzweifel und Angie, wobei letztere seine Ehefrau ist. Und Faith dachte, jetzt, wo ihr Sohn Jeremy aus dem Haus ist, könnte ihr Leben wieder geregelter laufen – jetzt ist sie schwanger und leidet zudem unter Diabetes. Viel Privates trifft auf grausame Mord/Entführungsgeschichte, das ist ein Buch ganz nach meinem Geschmack. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 29.07.2024
Todesfalle / Emma Klar Bd.9
Peters, Katharina

Todesfalle / Emma Klar Bd.9


ausgezeichnet

„Todesfalle“ ist der Titel des neunten Teils von Katharina Peters‘ „Ostsee-Krimi“-Reihe um die Privatermittlerin Emma Klar. Mit diesem Buch hat die Autorin ihrem Publikum ein völlig verzwicktes, undurchsichtiges und perfides Spiel serviert, das alle Beteiligten (und vermutlich auch einige Lesende) an den Rand der Verzweiflung bringt. Ein bestens durchdachter, hervorragend kompliziert konzipierter Krimi.
Aber von vorn.
Nach den letzten aufreibenden Ermittlungen hatte Emma Klar eigentlich beschlossen, beruflich etwas kürzer zu treten. Sie zieht sich aus der aktiven Polizeiarbeit zurück und arbeitet für ihren Lebensgefährten Christoph Klausen in dessen Sicherheitsfirma. Als Ulrike Steiner auf sie zukommt und sie um Hilfe bittet, zögert sie allerdings nicht lang. Denn bei dem Fall, den ihr die Staatsanwältin anträgt, geht es um eine „diskrete Personensuche.“ Steiner kann es sich nicht leisten, dass etwas von ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit durchsickert, denn der Mann, den Emma suchen soll, ist ein Callboy, mit dem sie einige Jahre „ein Arrangement hatte“. Knifflig wird es für alle Beteiligten, als der junge Mann ermordet auf dem Betonschiff vor der Küste von Redentin aufgefunden wird. Ulrike Steiner vermutet, dass der äußerst brutale Mord mit einem großen Wirtschaftskriminalitäts-Fall zu tun hat, den sie gerade bearbeitet. Will man ihr was anhängen und damit mürbe machen? Da sie wohl die letzte war, mit der der Callboy gesehen wurde, ist sie plötzlich verdächtig, vor allem, als dann auch noch ein Hotelangestellter aussagt, dass sie sich mit Rico gestritten hätte.
Emma ermittelt zusammen mit ihrem Lebensgefährte Christoph Klausen und dem IT-Spezialisten Jörg Padorn im Umfeld von Ulrike Steiner, im Umfeld des Callboys und auch im Umfeld des Verdächtigen im Wirtschaftsfall der Staatsanwältin. Zuerst hat sie Rückendeckung bei den Vorgesetzten im BKA. Nachdem eine junge Staatsanwältin aus Steiners Team erst ins Fadenkreuz der Ermittler gerät und dann tot aufgefunden wird, wird Emma aber wegen ihrer eigenwilligen und eigenmächtigen Ermittlungsansätze von ihrer Chefin zurückgepfiffen. Aber Emma wäre nicht Emma, würde sie sich davon aufhalten lassen. Sie ermittelt weiter, tritt rechts und links Menschen auf die Füße, schreckt den einen oder anderen auf, denn ihrer Meinung nach steckt hinter allem „der große Unbekannte, der im Hintergrund die Fäden zieht und bisher nicht einen Moment erfasst wurde.“
„Todesfalle“ war für mich ein spannender Krimi, ideal, um ihn im Sommerurlaub an der See zu lesen, vor allem, da ich ihn sprachlich auch sehr angenehm fand. Leider hatte ich schon sehr früh die richtige Vermutung, wer hinter allem steckt, aber das tat meiner Lesefreude keinen Abbruch. Der Spannungsbogen wird kontinuierlich aufgebaut und ist stellenweise sehr hoch, unerwartete Wendungen geben der Geschichte zusätzlichen Schwung. Die Charaktere sind gekonnt und greifbar ausgearbeitet, vor allem die Staatsanwältin Ulrike Steiner hat mir angetan, sie ist spröde, unnahbar und doch zeitweise verletzlich und angreifbar. Als „Kenner“ der Serie konnte ich die Entwicklung von Emma, Christoph und Padorn miterleben und die finde ich wirklich hervorragend beschrieben, wobei ich Emmas unangepasste Art und ihre Ermittlungsmethoden manchmal etwas stressig finde. Hier bin ich, wie bei Serien üblich, bei der Frage: Kann man das Buch auch „alleinstehend“ lesen? Ja, kann man, aber warum sollte man? Die anderen Teile der Reihe sind mindestens genauso gut. Katharina Peters hat übrigens ein kleines „Crossover“ in dieses Buch eingebaut: Emma Klar trifft auf den Stralsunder Kommissariatsleiter Jan Riechter, den Ehemann von Romy Beccare aus den Rügen-Krimis.
„Todesfalle“ ist auf jeden Fall ein Buch, das ich gerne weiterempfehle und von mir gibt es natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 15.07.2024
Das schweigende Dorf / Akte Nordsee Bd.3
Almstädt, Eva

Das schweigende Dorf / Akte Nordsee Bd.3


weniger gut

Eigentlich mag ich die „Akte Nordsee“-Serie von Eva Almstädt gern. Aber der dritte Teil mit dem Titel „Das schweigende Dorf“ konnte mich nicht wirklich begeistern. Unterhaltsam ist der Krimi um die Anwältin Fentje Jacobsen zwar, mehr aber auch nicht. Eine schier unüberschaubare Menge an Charakteren und eine etwas konfuse und sehr konstruierte Handlung machte das Buch für mich chaotisch und nur leidlich spannend. Positiv fand ich nur die Nordseelandschaft und Fentjes eigenwillige und reichlich schrullige Oma war ein echter Lichtblick. Leider reicht das für einen gelungenen Krimi nicht aus.
Aber von vorn.
»Wir kennen uns nicht. Aber ich brauche Ihre Hilfe!« Mit diesen Worten zieht ein Unbekannter namens Sascha Anwältin Fentje Jacobsen kurz vor Mitternacht in einen komplizierten Fall. Denn es geht noch weiter: „Er ist tot. Tot! Ich glaube, ich habe gerade einen Mord begangen!“ Tags darauf muss die rührige Juristin feststellen, dass im kleinen Dorf Helenendeich nicht nur Eike Harms erschlagen in seiner Küche aufgefunden wurde, sondern auch ein Mann namens Sascha Janssen. Und das ist nur der Anfang, wobei sich Fentjes Recherchen enorm schwierig gestalten. Sie hat keinerlei Befugnisse, ihr mutmaßlicher Mandant ist tot und konnte sie nicht offiziell beauftragen. Zusammen mit dem Journalisten Niklas John ermittelt sie dennoch und sie stoßen in dem norddeutschen Dorf auf eine Mauer des Schweigens. Vor allem, als sich herausstellt, dass Sascha Eike Harms gar nicht ermordet und sich dann selbst erhängt hat, sondern beide Männer von einem Unbekannten getötet wurden, kann sie nicht auf Hinweise aus der Bevölkerung hoffen, das Dorf schweigt eisern. Auch die Informationen zu einem mehrere Jahre zurückliegenden Vermisstenfall und einem Selbstmord sind spärlich. Aber hängen die beiden Fälle überhaupt zusammen?
Stilistisch ist das Buch leicht und flüssig zu lesen. So viel zu den positiven Aspekten. Eigentlich liegt mir die ungewöhnliche Konstellation bei den „Akte Nordsee“-Krimis auch. Dass das Ermittlerteam aus einer Anwältin und einem Journalisten besteht, ist nicht alltäglich. Aber in diesem Band überschreitet Fentje ihre Kompetenzen meiner Meinung nach so eklatant, dass ihre Impertinenz zum Teil schon fast zum Fremdschämen war. Was für ein Glück, dass Niklas als Journalist einen guten Draht zur Polizei hat und ihr zu Hilfe eilen kann. Überhaupt hilft den beiden immer wieder Kommissar Zufall und irgendwelche Beziehungen zu irgendwem, der irgendwen kennt, der irgendwas weiß. Ihre eigene zwischenmenschliche Beziehung ist in der Schwebe, was Oma Gretje gar nicht passt. Sie versucht daher verzweifelt, Fentje an den Mann, genauer gesagt, an den neuen Tierarzt, einen schmucken Adligen zu bringen. Niklas hingegen muss sehr viel Charme spielen lassen, um als Witwentröster an Informationen zu den Morden zu kommen.
Leider schafft Eva Almstädt es nicht, einen konstanten Spannungsbogen aufzubauen. Über weite Teile plätschert das Buch vor sich hin, wirklich Fahrt nimmt die Handlung erst im letzten Drittel auf. Durch die große Zahl an Charakteren wird alles etwas unübersichtlich, zumal einige der Personen zur eigentlichen Geschichte nichts oder nur wenig beitragen. Obwohl ich, der ich in einem 200-Einwohner-Dorf lebe, vieles der Dynamik innerhalb der Ortsgemeinschaft nachvollziehen kann, hätte ich mit der Feindseligkeit nicht gerechnet. Doch, wie Fentje konstatiert: „»In Helenendeich ist aber nichts normal“.
Zusammen mit den Themen Kriminalität, Gewalt gegen Frauen und Mobbing hatte ich manchmal das Gefühl, die Autorin hat sich etwas verrannt, da nicht alles zufriedenstellend auserzählt wird. Selbst die Auflösung am Schluss konnte bei mir nicht punkten. Insgesamt fand ich „Das schweigende Dorf“ zu konstruiert, was in Anbetracht der guten Idee hinter dem Buch schade ist. Da hat die Autorin meiner Meinung nach sehr viel Potential verschenkt. Zusammen mit der fehlenden Spannung war das Buch für mich leider eine Enttäuschung und ich vergebe zwei Sterne.

Bewertung vom 15.07.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


weniger gut

„Schneesturm“ war das erste Buch der irischen Autorin Triona Walsh, das ich gelesen habe. Da ich aber mit ihrem Stil nicht ganz warm werden konnte, wird es vermutlich auch das letzte bleiben. Dabei ist die Idee hinter dem Krimi wirklich gut, richtig schlecht erzählt ist die Geschichte auch nicht, aber so ganz konnte die Autorin mich einfach nicht für sich gewinnen. Der Krimi wirkt durch die viele Bewegung der Charaktere (und das meine ich wörtlich: jeder scheint irgendwie ständig irgendwohin unterwegs zu sein) ein bisschen verfahren. Dazu gibt es den Schneesturm und Tote. Leidlich unterhaltsam ja, aber nicht wirklich gut.
Inishmore ist eine Insel mit rund 900 Einwohnern an der irischen Küste. Cara hat es dort wirklich nicht leicht. Als Polizistin hat sie kaum Autorität und ist eine Außenseiterin, die Einheimischen ignorieren sie gerne, da sie kein Gälisch spricht und dazu noch rote Haare hat, was laut des Aberglaubens der Ewiggestrigen Unglück bringen soll. Dass sie mit einem „von ihnen“ verheiratet war, zählt nicht, schließlich ist ihr Mann Cieran schon seit zehn Jahren tot. Anlässlich seines Todestages trifft sich der damalige Freundeskreis zu Silvester auf der Insel. Die frühere Vertrautheit und Freundschaft stellen sich aber nicht mehr ein. Es wird gestichelt und gestritten und als an den Steilklippen eine Leiche gefunden wird, kippt die Stimmung plötzlich völlig. Durch den Schneesturm kann niemand die Insel verlassen, der Mörder muss also noch vor Ort sein. Obwohl Cara als einfache Garda weder die Erfahrung noch die Kompetenz hat, beginnt sie zu ermitteln. Es bleibt ihr ja wenig anderes übrig, da wegen des Sturms auch keine Ermittler auf die Insel kommen können. Nach und nach kommen bei allen Beteiligten Geheimnisse und Lügen ans Tageslicht. Wem kann Cara überhaupt noch trauen, da zu ihrer eigenen Überraschung jeder, mit dem sie es zu tun hat, etwas zu verstecken zu haben scheint?
Die Idee, die hinter „Schneesturm“ steckt, ist wirklich gut. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, die Autorin wollte schlicht zu viel. Freundschaften, Feindschaften, Drogen, ein Schneesturm, Leichen, dann ein eher undurchsichtiges Doppelgänger-Spiel noch einiges mehr versucht sie verzweifelt in ihrem Krimi stimmig zu verarbeiten und leider gelingt es ihr in der Hauptsache nicht wirklich gut. Außer dem tollen Insel-Setting, das die Autorin in seiner Beklemmung und Düsternis wirklich gut einfängt, konnte mich nichts packen. Vor allem mit den Charakteren konnte sie bei mir nicht punkten. Am authentischsten fand ich Patrick Kelly, den seltsamen Stalker, der ist mir ans Herz gewachsen. Wirklich gut beschrieben fand ich eigentlich außer ihm keinen, dazu kamen langatmige, gewollt ausschweifende pseudo-poetische Passagen, die für mich die ganze Geschichte zäh und über weite Strecken quälend langweilig gemacht haben. Außerdem lässt die Autorin so gut wie kein Klischee aus: Cara hat rote Haare. Rothaarige Frauen bringen Unglück. Und Bewohner abgelegener Inseln sind immer alle hinterwäldlerisch und abergläubisch.
Die Übersetzung fand ich gelungen und die vielen Sätze auf Gälisch waren sicher passend. Da ich aber nur sehr wenig Gälisch spreche, wusste ich außer bei den Namen bei den meisten Wörtern nicht, wie man sie ausspricht, was mir den Lesefluss wirklich störte. Der Schluss der Geschichte ist gleichermaßen stimmig und für mich völlig überzogen. Denn natürlich löst Cara den Fall. Aber dass sie ihre Ermittlungsergebnisse in einem seitenlangen Monolog präsentieren muss, gab dem Buch für mich den Rest. Spätestens da habe ich so quergelesen, dass ich beinahe versäumt hätte, wer jetzt tatsächlich hinter allem steckt. Bei Krimis bin ich wirklich kein anspruchsvoller Leser, aber das Buch blieb sogar hinter meinen Erwartungen weit zurück. So viel nicht ausgeschöpftes Potential! Daher kann ich es nicht wirklich weiterempfehlen und vergebe zwei Sterne.