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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 456 Bewertungen
Bewertung vom 28.08.2023
Der finstere Pfad
Blackhurst, Jenny

Der finstere Pfad


sehr gut

Da mir Jenny Blackhursts Buch „Dein dunkelstes Geheimnis“ ziemlich gut gefallen hat, war ich auf „Der finstere Pfad“ sehr gespannt. Und tatsächlich folgt die Autorin ihrem bewährten Muster: sie lässt die Leserschaft fast das ganze Buch über im völlig Unklaren über das, was wirklich hinter dem Fall steckt, und legt unzählige Finten. Dennoch konnte mich das Buch spannungstechnisch nicht hundertprozentig überzeugen, dafür zog es sich für mich teilweise zu sehr in die Länge. Dennoch fand ich es unterhaltsam und alles in allem nett zu lesen.
Aber von vorn.
„Menschliche Überreste gefunden“. Diese drei Worte bringen das perfekte Leben von Laura Johnson komplett durcheinander. Dabei hatte es sich die Designerin personalisierter Geschenke so schön eingerichtet: Mann, zwei Kinder, Haus und Hund. Und dann holt sie plötzlich ihre Vergangenheit ein. Als 20-Jährige war sie vor über 15 Jahren auf dem West Coast Trail, einem berühmten Fernwanderweg im Südwesten Kanadas unterwegs. Sie hatte, wie vermutlich die meisten, die sich auf eine Wanderung dieser Art begeben, einige neue Bekanntschaften geschlossen. „Ich werde nie hinter mir lassen können, was in Kanada geschah.“ – was aber geschah, erfährt die Leserschaft des Krimis nur häppchenweise. Fakt ist: Anders als die meisten Wanderer hatte sie sich am Ende der Wanderung als Teil einer Mordermittlung wiedergefunden, denn kurz vor dem Ziel kam es zu einem Verbrechen. Ihre Mitwanderin Seraphine wurde vermisst, mutmaßlich ermordet von einem Bekannten. Überreste wurden nie gefunden – bis jetzt. Denn nach all der Zeit wird in der Nähe des Wanderwegs ein Skelett gefunden. Und als Laura plötzlich anonyme Geschenke mit Bezug zur damaligen Wanderung bekommt und ihre Familie bedroht wird, bekommt ihre schöne Fassade Risse und um sich und ihre Familie zu schützen, ist sie bereit wirklich alles zu tun.
Psychologisch gesehen ist das Buch spannend, allerdings hat die Autorin das Potential meiner Meinung nach bei weitem nicht voll ausgeschöpft, da wäre noch viel mehr drin gewesen. Dann hätte das Buch auch weniger Längen und mehr Spannung gehabt. Der stete Wechsel der sehr kurzen Kapitel zwischen den beiden Handlungssträngen (einer spielt heute, der andere bei der Wanderung 1999) schaffte bei mir leider nicht den von der Autorin gewünschten Effekt der Spannungssteigerung, sondern oft eher Verwirrung und verleitete mich häufig dazu, die „Heute“-Abschnitte quer zu lesen. Diese fand ich alles in allem ein wenig langatmig und handlungsarm. Die Vergangenheits-Kapitel hingegen finde ich zunehmend packend, die Atmosphäre zwischen den an der Wandung Beteiligten mit den wechselnden Beziehungsgefügen zwischen Ric, Seraphine ist gut und spannend beschrieben und das langsame, aber stetige Umschlagen der Laune ist psychologisch gekonnt aufgebaut. Die Charaktere finde ich teilweise sehr gut beschrieben, teilweise aber ein bisschen sehr stereotyp und eindimensional. Sympathisch fand ich auf jeden Fall keinen davon.
Sprachlich fand ich das Buch gut und leicht zu lesen. Die Autorin baut in ihre Erzählung zudem Zeitungsartikel und Podcasts ein, was ich stilistisch wirklich clever fand. Der Schluss kam für mich als alter Krimi-Hase nur teilweise überraschend. Ein lesenswerter Psycho-Thriller mit einigen Längen, der aber trotzdem gut unterhält. Das Buch ist weitestgehend unblutig, die Spannung wird eher unterschwellig und mehr als ständiges ungutes Gefühl im Magen erzeugt, da baut die Autorin mehr auf eine stete bedrückende Atmosphäre statt auf tatsächliche Gewaltszenen. Der Schluss kam für mich ein bisschen abrupt, die Ereignisse überschlagen sich sehr plötzlich, was nach so viel langer „Vorarbeit“ fast wie eine kalte Dusche wirkt. Aber alles in allem eine gelungene Lektüre, von mir vier Sterne.

Bewertung vom 14.08.2023
Dunkle Tiefen
Kay, Elizabeth

Dunkle Tiefen


gut

„Es ist nun neun Jahre her, seit Jess ihre Schwestern zum letzten Mal gesehen hat, und es wäre gelogen, wenn sie behaupten würde, dass sie sich auf das Wiedersehen freut.“ – so beginnt Elizabeth Kays Thriller „Dunkle Tiefen“. Zwar kann man sich meiner Meinung nach darüber streiten, ob es nun ein Thriller ist oder nicht, aber alles in allem fand ich das Buch düster und auf psychologischer Ebene herrschte für mich konstant eine düstere Atmosphäre, die mir ein sehr ungutes Gefühl im Magen verursachte. Zu einem tollen Buch wurde es für mich trotzdem nicht.
Aber von vorn.
20 Jahre nach dem Tod ihrer jüngsten Schwester Rosa treffen sich die drei Schwestern Jess, Ella und Lydia kurz vor Weihnachten in dem Cottage an der See wieder, in dem sie in ihrer Kindheit ihre Ferien verbracht haben. Alle drei haben Einladungsschreiben bekommen, unterschrieben jeweils von einer der anderen Schwestern. Und keine der drei hat tatsächlich eine der anderen eingeladen. Einmal im Cottage angekommen, wollen alle drei eigentlich nur eines: weg. Nach einer Weile versuchen sie, das Beste aus der Situation zu machen. Das gestaltet sich allerdings schwierig und es geschehen seltsame Dinge, noch dazu begegnet ihnen ihre direkte Nachbarin Marianne mit unverhohlener Ablehnung, hatten die Schwestern ihr vor Jahren doch viele seltsame Streiche gespielt. Die Stimmung im Cottage kippt schnell, denn jede der Schwestern hütet ein Geheimnis. Und dann taucht auch noch ihre Mutter Bernadette auf, zu der die drei den Kontakt schon lange abgebrochen haben. Die Geheimnisse wiegen immer schwerer, die Atmosphäre wird immer klaustrophobischer und es gibt nur einen Ausweg: die Wahrheit über die Geschehnisse rund um Rosas Tod muss endlich ans Licht kommen.
Klassifiziert ist das Buch als Thriller. Das kann ich so nicht unterschreiben. Viel Psycho, wenig Thriller – das macht es nicht zu einem Psychothriller. Es ist ein gut geschriebenes, ansprechend übersetztes, leidlich spannendes Psychogramm einer Familie, die durch Schweigen und dunkle Geheimnisse letztendlich zerbrochen ist. Beim Lesen muss man sich wirklich konzentrieren, denn die Geschichte wird von einem allwissenden Erzähler in zwei Zeitebenen erzählt, die eine im Jetzt und Hier und die andere vor 20 Jahren. Die Autorin springt für meinen Geschmack ein bisschen zu wild zwischen den beiden Ebenen und innerhalb derselben hin und her, was mir einiges an Konzentration abverlangte. Dazu wird ein und dieselbe Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt, jede der Schwestern präsentiert ihre eigene Wahrheit und als Leser:in ist man in dem Dilemma, dass lange unklar ist, wer in der Geschichte lügt (Spoiler: im Endeffekt lügen einfach alle).
Insgesamt fehlte mir an dem Buch die Spannung und das konnte die gut ausgearbeitete psychologische Komponente nicht hundertprozentig auffangen. Schade, denn das Thema hätte sehr viel Potential gehabt. Die düstere und klaustrophobische Atmosphäre des abgelegenen Cottages am Meer baut die Autorin sehr gekonnt auf, ein kaputtes Auto, eine kaputte Heizung und das Misstrauen zwischen den Frauen, die so viel trennt und doch so viel vereint, schuf bei mir Gänsehaut. Die Charaktere sind gut beschrieben, wobei ich am Anfang gewisse Schwierigkeiten hatte, die drei Schwestern auseinanderzuhalten. Eine wirkliche Beziehung konnte ich allerdings zu keiner der Beteiligten aufbauen, am ehesten konnte ich mich mit der schrulligen Nachbarin Marianne anfreunden.
Nach mäßiger Spannung bei vielen teils verwirrenden Wiederholungen, bei denen ich lange nicht wusste, wohin das alles führen wurde, fand ich den Schluss leider auch eher unbefriedigend und für mich nicht wirklich nachvollziehbar. Das Buch ist für mich auch durch die Vielzahl der kurzen Kapitel ein Puzzle, dessen Bild man erst sehen kann, wenn man es komplett zusammengesetzt hat. Daher bleibt für mich für „Dunkle Tiefen“ nur ein „kann man lesen, muss man aber nicht“ und ich vergebe für das Familiendrama drei Sterne.

Bewertung vom 05.08.2023
Böser Abschied / Sylt Bd.9
Ehley, Eva

Böser Abschied / Sylt Bd.9


ausgezeichnet

„Wie konnte das Ganze nur so aus dem Ruder laufen?“ – das fragen sich alle Beteiligten in Eva Ehleys Sylt Krimi „Böser Abschied“. Und auch die Leserschaft steht vor der Frage, wieso der Junggesellenabschied am Hörnumer Strand mit einem Toten endet und wieso Oberkommissar Sven Winterberg, der bei der Feier seine Waffe dabeihatte, spurlos verschwindet. Die meisten Beteiligten leiden an alkoholbedingtem Gedächtnisverlust und Kommissarin Silja Blanck und ihr Team haben in ihrem neun Fall mit den Ermittlungen alle Hände voll zu tun.
Aber von vorn.
„Oberkommissar Sven Winterberg hat die ganze Zeit gewusst, dass es ein Fehler war.“ – aber wie groß der Fehler war, stellt er erst spät fest. Zu spät. Er sitzt mit acht ehemaligen Klassenkameraden am Hörnumer Strand, trinkt zu viel, raucht und stellt fest, dass er die anderen Teilnehmer des Junggesellenabschieds schon zu Schulzeiten nicht leiden konnte und dass sich daran auch die ganzen Jahre nach dem Abitur nichts geändert hat. Beim Aufeinandertreffen von Malte (dem zukünftigen Bräutigam), Jan-Hendrik, Holger, Paul, Guido, Flo, Fabi und Mahmut ist es wie bei den üblichen Klassentreffen: Und du? Verheiratet? Kinder? Mein Haus, mein Boot, mein Auto. Bei diesem Treffen kurz vor Maltes Hochzeit sind aber auch noch große Mengen Alkohol im Spiel. Als Sven um Mitternacht „einen ordentlichen Salut auf unseren Bräutigam“ schießt, sind die Anwohner in Strandnähe nicht besonders erbaut. Sie hatten sich auch schon wegen des Lärms bei der Polizei beschwert. Am nächsten Morgen wird ein Toter in den Dünen gefunden, der mit der Feier überhaupt nichts zu tun hatte, sondern sich zu einem Schäferstündchen mit einer Frau getroffen hat. Hat Sven wirklich einen Menschen auf dem Gewissen?
Das Buch ist für mich fast überladen mit den vielen Charakteren, Zeugenaussagen, Gedächtnislücken, den Fragen nach „wer mit wem?“ und den vielen (auch überraschenden) Querverbindungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Alles in allem habe ich ziemlich lang gebraucht, um in die Geschichte zu finden, was vielleicht auch daran liegt, dass es mein erstes Buch der Autorin war. Hat man sich aber einmal in den Krimi heineingefuchst und es geschafft, die jeweiligen Personen auseinanderzuhalten, dazu aber im Hinterkopf behalten, wer zu wem gehört – dann ist das Buch wirklich spannend.
Die Charaktere sind gut beschrieben, die Landschaft noch besser und der Plot ist kompliziert, aber clever konzipiert. Die neun Teilnehmer am Junggesellenabschied, die Rivalitäten, der viele Alkohol, die umfassenden Gedächtnislücken – alles beinhaltet auch eine gewissen psychologische Komponente, die dem Buch ein gewisses Etwas gibt. Sprachlich ist das Buch gut geschrieben und leicht zu lesen. Der kurze Zeitrahmen von etwa 48 Stunden, in dem sich die Handlung abspielt, gibt dem Ganzen noch etwas mehr Tempo (die Geschichte beginnt am Samstag, 21. Juni um 23.34 Uhr und endet mit der Lösung des Falls am Montag, 23. Juni um 23.51 Uhr). Damit ist der Spannungsbogen verhältnismäßig hoch, dazu gibt es eingeschobene kurze Kapitel mit innerem Monolog eines unbekannten Menschen, der um sein Leben kämpft.
Nachdem ich mich am Anfang mit dem Buch sehr schwergetan habe, bin ich froh, dass ich es nicht beiseitegelegt habe. Es war unterhaltsam und spannend und die Charaktere haben mir so gut gefallen, dass ich gerne noch weitere Teile der Serie lesen möchte. Von mir daher fünf Sterne.

Bewertung vom 05.08.2023
Düstergrab / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.6
Fölck, Romy

Düstergrab / Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn Bd.6


ausgezeichnet

Romy Fölcks Serie um die Ermittler Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn verfolge ich schon seit dem ersten Teil. Jetzt hat die Autorin mit „Düstergrab“ den sechsten Band der Reihe vorgelegt und, was soll ich sagen? Wieder ein Lesegenuss für mich. Die beiden parallel verlaufenden Fälle, in denen die Polizei ermittelt, haben es in sich, das Buch ist gut geschrieben, flott zu lesen und einfach nur gut. Was will man mehr?
Aber von vorn.
Frida Paulsen muss einen zwei Jahre älteren ehemaligen Schulkameraden zu Grabe tragen. Tags darauf wendet sich einer der Totengräber an sie, denn das frische Grab scheint geschändet worden zu sein. Eine erneute Graböffnung zeigt, dass er recht hat. Nicht nur wurde das Grab noch einmal aufgebuddelt und die Kränze und Blumen hinterher anders angeordnet, im Sarg liegt eine zweite Leiche. Die Untersuchungen ergeben schnell, dass es sich bei der toten jungen Frau um die seit vier Jahren vermisste Lilly handelt. Die damals Zwölfjährige war zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Sophie aus dem Haus ihrer Pflegeeltern verschwunden und danach hatte von den beiden jede Spur gefehlt. Während Frida noch über das weitere Vorgehen nachdenkt, wird vor ihren Augen auf ihren Partner Leonard Bootz geschossen. Zusammen mit ihrem Kollegen Bjarne Haverkorn, der ihrer Dienststelle von der Kieler „Cold Case Unit“ ausgeliehen wird, nimmt sie also die Ermittlungen in zwei Fällen auf. Aber die gestalten sich schwierig, denn Leo scheint etwas vor ihr zu verheimlichen. Und als er dann auch noch spurlos aus dem Krankenhaus verschwindet, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Wo ist Leo? Und ist Sophie noch am Leben?
Das Buch ist, wie man es von der Autorin gewohnt ist, gut geschrieben und die Geschichte gekonnt konstruiert. Die Charaktere sind wie üblich detailliert gezeichnet und werden von Band zu Band weiterentwickelt. Neben Frida und Bjarne trifft man auch wieder ihre jeweiligen Partner Torben und Sonja, außerdem Bjarnes Tochter Henrikje und die beiden Boxtrainer Milan und Jo wieder, die alle mehr oder weniger zur Geschichte beitragen. Torben lebt vorübergehend in Bayern, wo er eine Bodyfarm aufbaut, Henrikje macht eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin und Jo bekommt neben ihrer Arbeit im Boxclub ausgerechnet von Leonard Bootz einen Auftrag, als Privatdetektivin tätig zu werden. Es ist also eine Menge los, aber auch das kennt man aus den anderen Büchern der Reihe. Natürlich kann man das Buch aber auch einzeln lesen, auch ohne „Vorkenntnisse“ hat man keine Verständnisprobleme, da Romy Fölck alles Wichtige noch einmal aufgreift.
Die beiden parallel zueinander verlaufenden Ermittlungen sind spannend beschrieben, der Spannungsbogen mit Ausnahme der Exkurse ins Privatleben konstant hoch und das Buch alles in allem sehr gut zu lesen. Möglicherweise konzentriert sich die Autorin bei den Protagonisten in diesem Teil ein bisschen zu sehr auf das Privatleben, aber da der „Ermittlungs-Teil“ nicht zu kurz kommt, fand ich die Geschichte dennoch ausgewogen erzählt. Der Schluss ist stimmig, kam für mich allerdings nicht wirklich überraschend, dafür aber überraschend schnell. Ich habe mich aber auf jeden Fall über das „Wiedersehen“ mit Frida, Bjarne und allen anderen aus den Vorgängerbänden liebgewonnenen Charakteren gefreut und kann das Buch jedem empfehlen, der atmosphärische Krimis mit sympathischen Ermittlern mag. Ich mag sie auf jeden Fall und vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 05.08.2023
Todesküste / Emma Klar Bd.8
Peters, Katharina

Todesküste / Emma Klar Bd.8


sehr gut

Mit „Todesküste“ geht Katharina Peters in die achte Runde ihrer Reihe um die ehemalige Polizistin und jetzige Privatermittlerin Emma Klar. Die meisten der Bücher der Serie habe ich gelesen, das aktuelle lässt mich etwas zwiegespalten zurück. Für mich wäre es sicher unmöglich, es einzeln und ohne die Vorkenntnisse aus dem vorherigen Teil zu lesen, denn es bezieht sich fast ständig darauf. Spannung kam bei mir auch nur sehr zögerlich auf. Andererseits war das Buch aus psychologischer Sicht packend und ging unter die Haut.
Aber von vorn.
Michaela Ritter bittet die Privatermittlerin Emma Klar, ihren verschwundenen Mann Paul zu suchen. Dieser ist für Emma keine Unbekannter, er hatte vor einiger Zeit (die Handlung findet im vorherigen Teil der Serie statt) den Kopf eines Verbrechernetzes getötet. Er selbst kam straffrei davon. Als Ritters Leiche gefunden wird, ist zunächst unklar, ob es sich um einen Suizid handelt, da er vorher aber an einer Tankstelle noch etwas zu Essen gekauft und getankt hat, hat Emma Zweifel. Erst nach dem Fund der Leiche eines weiteren ebenfalls in einem Verfahren wegen grausamer Verbrechen straffrei gebliebenen Mannes steht der Mordverdacht fest und die Ermittlungen kommen in Gang. Und die gestalten sich als schwieriger als erwartet und breiten sich fast sternförmig in alle möglichen Richtungen aus und in den Fokus rückt plötzlich ein Polizist.
Wer die Bücher von Katharina Peters kennt, weiß, worauf er sich einlässt, ob die Ermittlerin nun Emma Klar, Romy Beccare, Hanna Jakob oder Sarah Pirol heißt. Ihre Bücher sind eigentlich immer Garanten spannende und verzwickte Fälle. „Todesküste“ war für mich allerdings nicht ganz so spannend wie gewohnt. Das lag vermutlich hauptsächlich daran, dass das Buch sehr stark auf dem Vorgänger „Todesbrandung“ aufbaut und die Autorin einen Teil des Buchs drauf verwenden muss, Wissenslücken für diejenigen zu schließen, die den vorangegangenen Teil nicht kennen. Für die, die das Buch gelesen haben ist es natürlich eine Auffrischung des Wissens, aber es gibt dem Buch auch eine gewisse Länge in der keinerlei Spannung aufkommt. Dadurch war der Spannungsbogen nicht konstant, sondern ein bisschen wie eine Achterbahnfahrt.
Die Charaktere sind wie immer gut beschrieben, mein Liebling ist nach wie vor der Journalist und IT-Experte Jörg Padorn, der Emma wie üblich bei den Ermittlungen unter die Arme greift, statt endlich mal auf den Pulitzerpreis hinzuarbeiten. Mit von der Partie ist auch wieder Emmas Lebensgefährte Christoph Klausen, der in ihrer Beziehung der Vernünftige und der ruhende Pol ist. Emma ist mir nach wie vor zu unruhig, zu verbissen und alles in allem ein kantiger Charakter. Ihre Herangehensweise an diesen Fall fand ich schwierig. Sie geht mit Scheuklappen an die Ermittlungen heran, verbeißt sich in eine bestimmte Spur, die in ihr Schema passt und braucht daher sehr lange, um wirklich die richtige Richtung zu finden.
Schwierig ist auch das Thema des Buchs. Die Tatsache, dass Verbrecher trotz erdrückender Beweise und eindeutiger Schuld straffrei ausgehen können (sei es wegen eines Formfehlers oder weil sie die hervorragende Anwälte hatten) ist den meisten nicht-Juristen nicht einleuchtend und vor allem für das persönliche Umfeld der Opfer der blanke Horror. Nur zu gerne würde der eine oder andere da vermutlich zur Selbstjustiz greifen. Dieses Thema behandelt Katharina Peters gekonnt und mit Fingerspitzengefühl.
Ich lege das Buch jedem ans Herz, der psychologisch interessante Krimis mit kantigen Ermittlerinnen mag, empfehle aber, zumindest „Todesbrandung“ vorher zu lesen, denn das Buch baut wirklich sehr stark darauf auf. Von mir wegen der vielen spannungsarmen Längen und wegen der über lange Zeit einseitigen Ermittlungsarbeit von Emma einen Punkt Abzug, vier Sterne.

Bewertung vom 27.07.2023
Die letzte Nacht / Georgia Bd.11
Slaughter, Karin

Die letzte Nacht / Georgia Bd.11


ausgezeichnet

Lange hat Karin Slaughter die Fans ihrer „Georgia-Reihe“ warten lassen, bis sie jetzt mit „Die letzte Nacht“ den elften Teil der Serie veröffentlicht hat. Das Buch hat es, wie auch die anderen Teile der Reihe, in sich. Es strotzt vor Spannung und Brutalität, hat neben bodenständiger Ermittlungsarbeit einige Ausflüge ins Private, wartet mit blutigen Szenen und Episoden voller Liebe und Zuneigung auf. Ein fast rundum gelungenes Buch.
„Schreib eine Liste von allem, was dir Angst macht. Das bin ich.“ – junge Frauen werden gestalkt, unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Eine von ihnen stirbt im Grady in Atlanta, in dessen Notaufnahme Dr. Sara Linton Dienst tut. Drei Jahre später steht die Ärztin als Zeugin vor Gericht, der Angeklagte ist Tommy, der Sohn ihres ehemaligen Kommilitonen und Konkurrenten Mac McAllister. Plötzlich reißen bei Sarah alte Wunden auf und sie fühlt sich in die Zeit vor über 15 Jahren zurückversetzt, als sie selbst von einem Uni-Hausmeister brutal vergewaltigt worden ist. Noch dazu sorgt ein Aufeinandertreffen mit Britt McAllister, einer ebenfalls ehemaligen Kommilitonin und Mutter des Angeklagten dafür, dass Sarah beginnt, ihre Vergewaltigung mit dem aktuelleren Fall in Verbindung zu bringen. Aber gibt es die überhaupt? Ihr Verlobter, der GBI-Agent Will Trent und seine Partnerin Faith Mitchell unterstützen sie nach Kräften bei ihren Nachforschungen und das, was sie herausfinden, ist ungeheuerlich.
Manche Bücher fangen mit einem Paukenschlag an, andere hören mit einem auf. Dieses Buch hier schafft beides UND ist dazwischen rasant spannend mit sehr wenigen Erholungspausen für die Leserschaft. Die Geschichte ist hervorragend konzipiert und ausgearbeitet, die Autorin schont ihr Publikum bei den Beschreibungen wie immer nicht. Sie sind brutal, blutig und die Sprache ist oft vulgär und abstoßend. Wenn man Karin Slaughter kennt, weiß man, worauf man sich einlässt. Der Schreibstil ist fesselnd und der Spannungsbogen sehr hoch. Da ist man als Leser für ein paar Exkurse zu den Hochzeitsvorbereitungen von Will und Sarah (welches Kleid trägt sie und natürlich die Frage: lernt Will vor der Zeremonie tanzen?) dankbar. Und auch bei den Einblicken ins Privatleben von Faith mit ihrer neuen Beziehung zum FBI-Agenten Aiden Van Zandt kann man dann wenigstens mal Luft holen und die abgeknabberten Fingernägel beweinen. Wie immer ist es der Autorin auch gelungen, die psychologischen Komponenten der Geschichte voll auszuschöpfen, wobei sie wie gewohnt, mit dem „Kopfkino“ ihrer Leserschaft spielt.
Ein bedrückend realistisches Buch mit Einblicken in die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche und einem Eindruck davon, was passiert, wenn man den moralischen Kompass völlig verloren hat. Konkurrenzdenken, falsche Loyalität, gefährliche Freundschaften treffen auf echte und aufrichtige Gefühle und das alles gibt dem Buch nicht nur enormen Zündstoff, sondern macht es zu einem absoluten Pageturner.
Eine uneingeschränkte Lese-Empfehlung von mir also, gäbe es da nicht ein „Aber“. Die Übersetzung ist in meinen Augen nicht wirklich gelungen. Als „Mensch vom Fach“ habe ich mir den Spaß gegönnt und mir das englische Original besorgt. Angesichts von mindestens einem Dutzend zum Teil gravierenden handwerklichen Fehlern frage ich mich, wie so etwas passieren kann. Das Buch hätte eine bessere Übersetzung und ein angemessenes Schluss-Lektorat verdient. Ein Beispiel gefällig? „Normalerweise hatten sie zu dieser Nachtstunde alle Hände voll mit Schuss- und Stichwunden, Autounfällen, Überdosen und einem gerüttelt Maß an Herzinfarkten zu tun.“ Und das ist beileibe nicht der einzige grobe Fehler, mehr aufzuführen würde aber hier den Rahmen sprengen.
Das Buch ist der elfte Teil der Reihe, man kann es aber gut allein lesen, aber ehrlich: wieso sollte man? Da das Buch aber sonst überragend gut ist, vergebe ich trotz der mangelhaften Übersetzung fünf Sterne und empfehle allen, die der englischen Sprache mächtig sind, sich lieber das Original zu besorgen.

Bewertung vom 24.07.2023
Düster ruht die See / Ben Kitto Bd.6
Penrose, Kate

Düster ruht die See / Ben Kitto Bd.6


ausgezeichnet

Die Scilly-Inseln, auf denen Kate Penroses sechster Ben-Kitto-Krimi „Düster ruht die See“ spielt, sind idyllisch und das Leben könnte für Ben (Abkürzung für Benesek) und seine Lebensgefährtin Nina so schön sein. Sie sind glücklich zusammen und demnächst soll ihr gemeinsames Kind zur Welt kommen. Doch dann taucht plötzlich auf einer höchst umstrittenen Baustelle ein Skelett auf und bringt dunkle Unwetterwolken mit sich. Kurze Zeit später wird auch noch einer der größten Gegner der Baumaßnahmen tot aufgefunden. Noch dazu hat ein im Sterben liegender Gangsterboss Ben und allen anderen an seiner Verhaftung Beteiligten Rache geschworen. Und plötzlich ist das Skelett auf einmal nicht mehr Bens einziges Problem.
Aber von vorn.
Oder auch nicht. Denn das Bisschen, was ich da beschrieben habe, ist praktisch eine Essenz des Buchs. Und so unscheinbar es möglicherweise aussehen mag – das Buch hat es in sich! Es wird in zwei parallel verlaufenden Handlungssträngen erzählt, die auf den ersten Blick simpel scheinen, es natürlich aber nicht sind. So erlebt man im einen Erzählstrang aus der Sicht von Ben das, was auf seiner Heimatinsel Bryher geschieht. Dort wollen Maeve und Danny Trenwith ein Zentrum für Outdoor-Aktivitäten errichten, was bei vielen Inselbewohnern für viel Unmut sorgt. Viele glauben, dass die renommierten Architekten sich die Baugenehmigung ergaunert haben und mit ihrem Bauvorhaben sowohl den Frieden auf der Insel als auch die Natur zerstören werden. Das auf den Baustelle gefundene Skelett stoppt die Arbeiten erst einmal, allerdings liegen die Knochen und der Schädel schon seit 20 bis 30 Jahren dort im Boden, was die Identifizierung schwer macht. Und dann sind die Knochen auch noch plötzlich verschwunden.
Parallel dazu erlebt man die Geschichte aus Sicht der Täterin Ruby. „Leg noch heute los, Ruby. Zeig’s den Mistkerlen, die mich eingebuchtet haben. Nichts anderes zählt. Wenn’s Probleme gibt, knöpf dir ihre Familien vor. Hinterlass eine Spur der Verwüstung, damit uns niemand vergisst.“ – mit diesen Worten hat ihr Vater sie auf ihrem Krankenbett aufgefordert, seine Rachepläne zu verwirklichen. Leichen pflastern Rubys Weg und ihr finales Opfer soll Ben sein. Der hatte seinerzeit ihren Vater als Undercover-Ermittler zur Strecke gebracht. Ben kämpft an allen möglichen Fronten: er sucht einen Mörder, muss das gefundene Skelett identifizieren, ist auf der Flucht vor einem unbekannten Serienkiller – und noch dazu steht seine aufs Festland in Sicherheit gebrachte Lebensgefährtin Nina kurz vor der Niederkunft.
Da hat sich Kate Penrose für ihren sechsten Teil der Ben-Kitto-Reihe eine ganze Menge vorgenommen. Und sie hat alle Elemente, wie gewohnt, gekonnt ausgearbeitet und zu einem stimmigen Schluss geführt. Sprachlich ist das Buch äußerst angenehm zu lesen und der Spannungsbogen ist, trotz aller Ruhe und Idylle durch die Landschaftsbeschreibungen, konstant hoch. Die Charaktere sind Freunden der Serie zum Teil schon bekannt, aber auch sie bekommen einen weiteren Feinschliff verpasst, durch den man neue Facetten an ihnen erkennt. Auch die „neuen“ Charaktere sind sehr bildhaft beschrieben, vor allem natürlich Ruby als designierte Gegenspielerin von Ben und seinen Kollegen. Fast könnte man ihre Intentionen ja verstehen – aber nur fast. Die psychologische Komponente an diesem Krimi ist hervorragend ausgearbeitet. Sowohl Rubys pflichtbewusstes und emotionsloses Verhalten wie auch Bens schmerzhafte Erinnerungen an den traumatischen Undercover-Einsatz geben dem Buch eine sehr spezielle Tiefe, die über den bloßen Krimi hinausgeht.
Das Wiedersehen mit Ben Kitto und den anderen liebgewonnenen Charakteren und die Ermittlungen machen den Krimi für mich wieder einmal zu einem ganz besonderen Vergnügen. Vor allem aber die Atmosphäre auf den Scilly-Inseln, die zwischen klaustrophobisch, einsam und idyllisch hin- und herschwankt hat es mir angetan. Von mir natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 19.07.2023
Kalt lächelt die See / Guernsey-Krimi Bd.1 (eBook, ePUB)
Corbet, Ellis

Kalt lächelt die See / Guernsey-Krimi Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Enge Familienbande, schwierige Familienverhältnisse, außereheliche Verhältnisse, vermisste und ermordete Personen – und das alles vor der malerischen Kulisse der Kanalinsel Guernsey, damit wartet „Kalt lächelt die See“ von Ellis Corbet auf. Hinter dem Pseudonym Ellis Corbet verbirgt sich eine erfolgreiche deutsche Autorin, die mit diesem Krimi einen gelungenen Auftakt zu einer neuen Serie vorgelegt hat. Inzwischen ist auch der zweite Teil um Inspector Kate Langlois und ihr Team erschienen.
Aber von vorn.
Beim Angeln bemerkt Rentner Rob vor der Küste der Kanalinsel Guernseys ein ziellos im Wasser treibendes Segelboot. Als ehemaliger Feuerwehrmann schaut er auf der „Aventura“ nach, ob jemand Hilfe braucht und entdeckt nicht nur, dass das Boot verlassen ist, sondern findet auch Blut an der Reling. Inspector Kate Langlois und ihr neuer, frisch aus London eingetroffener, Kollege Tom Walker machen sich an die Ermittlungen. Komplizierter wird der Fall, als klar ist, dass das Boot von Stephanie und Greg Harmon gechartert worden war. Zwei Jahre zuvor war Ava, die kleine Adoptivtochter des Ehepaares, spurlos verschwunden. Vermutlich wurde sie aus ihrem Zimmer entführt, während die Eltern bei den Nachbarn zu Besuch waren. Hat das Verschwinden des Ehepaares etwas mit der Entführung ihrer Tochter zu tun? Hat der Mediziner Dr. Hobbs, ein Tennispartner und ehemaliger Praxiskollege des verschwundenen Mannes etwas mit der Sache zu tun? Die beiden sind zwar im Sport Partner geblieben, die Praxisgemeinschaft wurde aber im Streit aufgelöst. Und was ist mit Emily und David Baynes, dem Ehepaar, bei dem die Harmons zu Besuch waren, als ihre Tochter verschwand? Nach und nach finden sich einige Verdächtige, vor allem, als sich herausstellt, dass die Blutspur im verlassenen Boot nicht mit einem der beiden Harmons übereinstimmt. Und als dann auch noch Emily Baynes vermisst wird, läuft den Ermittlern die Zeit davon.
Kleine Kinder mit dem Babyphone allein zu Hause zu lassen, während man selbst bei den Nachbarn auf einen Drink ist, ist keine gute Idee. Da erinnert der Fall „Ava“ sehr an das Verschwinden von Madeleine McCann, die 2007 in Portugal verschwand. Auch ihr Vater ist Arzt, auch sie verschwand spurlos.
Ellis Corbet hat mit „Kalt lächelt die See“ für mich einen spannenden Krimi geschaffen, der mich von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann gezogen hat. Sie schafft genau die richtige Ausgewogenheit zwischen Krimi, Ermittlungen und persönlichen Beziehungen und das alles vor der malerischen Kulisse Guernseys. Sprachlich gelungen, wird der Krimi in einem Haupterzählungsstrang und mehreren eher angedeuteten Nebensträngen erzählt, was den Krimi nicht unübersichtlich macht, sondern der Leserschaft tiefere Einblicke gibt und sie den Ermittlern immer einen Schritt voraus sein lässt.
Familie spielt bei Inspector Kate Langlois eine große Rolle, sie ist mit ihrem Großvater und ihrer Mutter eng verbunden. Tom Walker hingegen scheint ein eher „einsamer Wolf“ zu sein. Und auch seine Herangehensweise an die Ermittlungen ist völlig anders als die seiner Kollegin. Da sind Reibereien vorprogrammiert und die Autorin hat detailliert ausgearbeitet, wie der „Großstädter“ nach und nach mit den Gepflogenheiten der Insel vertraut gemacht wird. Überhaupt fand ich die Landschaft und die Charaktere sehr gut und bildhaft dargestellt. Einzig der französische Archäologe Nicolas, der Kate mit seinem Wissen unter die Arme greift, ist noch ein wenig blass. Und ganz nebenbei erfährt man noch einige Besonderheiten über Guernsey, seine Geschichte und man lernt einige Wörter auf Guernésiais, eine Sprache, von der ich nicht einmal wusste, dass sie existiert.
Also. Kriminalfall, Ermittlungen, Landschaft, Charaktere, Zwischenmenschliches – alles vorhanden. Ein paar falsche Fährten steigern die Spannung, die Geschichte ist gut konstruiert, die Leserschaft wird zum Miträtseln animiert und der Schluss ist stimmig. Was bleibt mir da anderes, als fünf Sterne zu vergeben?

Bewertung vom 07.07.2023
Die kranke Frau
Cleghorn, Elinor

Die kranke Frau


gut

„Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse“ – meine Generation wuchs mit diesem Satz aus der Tampon-Werbung auf. Aber, wie das Buch „Die kranke Frau“ von Elinor Cleghorn zeigt, war nicht nur der weibliche Zyklus, sondern der ganze weibliche Körper lange ein Rätsel für die männerdominierte Medizin. War? Kann man dem Buch mit dem Untertitel „Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen“ glauben, ist die Frau in der Medizin immer noch unterrepräsentiert. Das mag in vielen Bereichen stimmen, der Maßstab vieler medizinischer Studien ist auch heute noch ein 75kg schwerer Mann. Aber so schwarz-weiß und frauenfeindlich, wie die Autorin es darstellt, ist das ganze Thema vermutlich auch nicht. Die Empörung, die sie an den Tag legt, war so unverblümt, dass sie die vielen interessanten Fakten und den Lesegenuss für mich störte. Statt eines aufrüttelnden Buchs schuf sie für mich eher ein Ärgernis. Schade.
Aber von vorn.
Lange Zeit war die Medizin ausschließlich männlich. Seit der Antike standen Männer im Mittelpunkt, Frauen waren eher „unbekannte Wesen“. Das änderte sich auch in der Neuzeit nicht. Frauen durften nicht körperlich untersucht werden, selbst ihre Obduktion war lange verboten. Bis ins späte 19. Jahrhundert durften Frauen nicht studieren, somit gab es also keine Ärztinnen, Aberglaube war überall präsent. Krankheiten wurden bei Frauen sehr lange (zum Teil auch heute noch) auf psychische Probleme (Stichwort: Hysterie) oder „wahrscheinlich sind es einfach die Hormone.“ reduziert. Wenigstens glauben moderne Mediziner nicht mehr an die „wandernde“ oder „erstickende“ Gebärmutter oder dass Frauen (vor allem während der Menstruation) andere Menschen verhexen könnten. Da spielte die ausschließlich männliche Medizin der (ebenfalls ausschließlich männlichen) Hexenverfolgung hervorragend in die Hände. Allerdings ist manchen Medizinern bis heute nicht bewusst, dass manche Krankheiten bei Männern und Frauen unterschiedliche Symptome aufweisen. Da haben sicher viele noch einiges zu lernen.
Für mich scheint sich die Autorin manchmal in ihrem Feldzug zu verrennen, einiges von dem, was sie sagt, ist nicht ganz korrekt. Weder ihre Aussagen zum Hippokratischen Eid noch die zu Gicht („Gicht ist eine dieser altmodischen Krankheiten, die durch zu viel Käse und Alkohol entstehen“) stimmen und auch in anderen Bereichen scheint ihr der Effekt wichtiger zu sein als die faktische Belegbarkeit. Ihre Schreibe ist emotional, das Buch flüssig zu lesen. Sie kämpft für die Sichtbarkeit der Frauen in der Medizin und das ehrt sie. Ihre eigene Betroffenheit und die Arzt-Odyssee, die sie auf dem Weg zu ihrer Lupus-Diagnose (Lupus erythematodes ist eine seltene Autoimmunkrankheit) durchmachen musste, spiegelt sich aber in jedem Abschnitt des Buchs, das dadurch für mich nichts Halbes und nichts Ganzes wurde. Es ist kein medizinhistorisches Werk, keine Autobiografie und kein Fachbuch. Es ist eine Mischung aus allem und verliert durch die fehlende Konstanz für mich eine Menge Kraft, die im Thema gesteckt hätte.
Ja, das Buch macht die Leserschaft stellenweise fassungslos und vielleicht hat man beim nächsten Arztbesuch (vor allem als Frau) ein unguteres Gefühl als sonst, aus Angst, man könnte eventuell nicht ernstgenommen werden. Und vor allem heute kämpfen viele mit LongCovid-Symptomatik gegen die sprichwörtlichen Windmühlen, allerdings sowohl weiblich als auch männlich gelesene Menschen. Aber das „nicht Ernstgenommen werden“ – und das weiß ich aus erster Hand – trifft nicht nur Frauen. Es trifft ebenso Homosexuelle, trans Menschen, Menschen südländischer Herkunft (Stichwort: Morbus mediterraneus) und alles in allem liegt es nicht an DER Medizin (dem „medizinischen Establishment“) oder an DEN männlichen Ärzten, sondern am jeweiligen Charakter. Da ist in der medizinischen Ausbildung noch einiges zu tun, das Buch hätte ein guter Wegweiser sein können, ist es für mich aber nicht geworden. Von mir drei Sterne.

Bewertung vom 29.06.2023
Der Teufelshof / Akte Nordsee Bd.2
Almstädt, Eva

Der Teufelshof / Akte Nordsee Bd.2


sehr gut

Bodenständiger Krimi mit (für mich) überraschendem Ende – so kann ich „Akte Nordsee - Der Teufelshof“, den neuen Fentje-Jacobsen-Krimi aus der Feder von Eva Almstädt knapp und auf den Punkt beschreiben. Aber natürlich gibt es zu dem Buch noch mehr zu sagen. Fakt ist aber: der zweite Teil der Reihe um die junge Anwältin ist ein ruhiger, überwiegend unblutiger Krimi mit sympathischen Charakteren und einer gut ausgearbeiteten Geschichte und einem Schluss, der mich etwas zwiegespalten zurücklässt.
Aber von vorn.
Henning Fehnsen, ein Nachbar und alter Freund von Anwältin Fentje Jacobsen feiert seine Hochzeit mit Anna mit einem großen Fest. Am nächsten Morgen findet eine Nachbarin Hennings Eltern erschossen in ihrem Haus, Henning selbst ist schwer verletzt. Anna wird nach langer Suche völlig verstört in der Scheune gefunden, sie ist von Anfang an die Hauptverdächtige für die Polizei und für viele, die die Familie kennen. Viele glauben, die junge Frau, die aus Lettland für ein landwirtschaftliches Praktikum nach Deutschland gekommen ist, nur auf der Suche nach einem deutschen Mann war. Und jetzt ist sie auch noch schwanger!
Fentje beschließt, Anna anwaltlich zu vertreten und beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen. Dabei trifft sie auf einen alten Bekannten: der Journalist Niklas John ist ebenfalls an dem Fall dran, wenn auch aus anderen Gründen. Er und Anna waren früher einmal ein Paar. Und da ist dann auch noch Annas Ex-Mann Thomas Mayer, der einen eher zweifelhaften Ruf genießt. Aber wäre er zu einem Doppelmord fähig? Als dann ein Brandanschlag auf die Wohnung von Niklas verübt und Fentje überfallen wird, beginnen die Dinge, sich zu überschlagen.
Wenn man ruhige und gut konstruierte Krimis in angenehmer Sprache sucht, ist man bei Eva Almstädt immer an der richtigen Adresse. Schon mit ihrer Pia Korittki-Serie konnte die Autorin punkten und die detektivisch veranlagte, engagierte Anwältin Fentje Jacobsen als zentrale Figur in ihrer neuen Reihe ist ebenso ein Garant für spannende Unterhaltung mit der Aufforderung zum Miträtseln. Zusammen mit ihrem Gegenpart/Mitstreiter, dem Journalisten Niklas John, bildet sie ein interessantes Duo.
Das Buch ist der zweite Teil einer Serie, kann natürlich auch allein gelesen und verstanden werden, aber die Lektüre des ersten Bandes („Akte Nordsee – Am dunklen Wasser“) kann ich nur empfehlen. Einige Elemente aus dem ersten Teil werden „weitergesponnen“, so beispielsweise Fentjes Leben auf dem Hof ihrer Familie samt ihrer Nichte Sofia und ihrer Großmutter Gretje, einem echten norddeutschen Original. Eines der größten Probleme von Oma Gretje ist auf jeden Fall nicht ihre eigene zunehmende Tüddeligkeit, sondern die Tatsache, dass Fentje nach wie vor nicht verheiratet ist.
Die gut und facettenreich ausgearbeiteten Charaktere sind neben den verschiedenen Erzählperspektiven und der stellenweise beklemmenden Atmosphäre ein tragendes Element des Krimis. Allerdings kommt der stellenweise so ruhig daher, dass er ein paar Längen hat. Alles in allem ist er allerdings spannend und sehr gut konzipiert, wenn auch der Schluss für mich zwar stimmig ist, aber etwas überstürzt und überraschend kam. So überraschend, dass er für mich nicht hundertprozentig zum Rest des Buchs passt. Schade fand ich auch, dass die Geschichte hinter dem Titel „Teufelshof“ zwar sehr kurz erzählt wird, aber nicht wirklich etwas mit der Krimi-Handlung zu tun hat. Allerdings fand ich das Buch alles in allem besser als den ersten Teil der Reihe, die Entwicklung der Charaktere ist deutlich zu erkennen und ich freue mich jetzt schon auf den nächsten Band. Einziger Kritikpunkt für mich bleibt also der überstürzte Schluss und daher vergebe ich vier Punkte.