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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 458 Bewertungen
Bewertung vom 01.02.2024
Inselmord / Romy Beccare Bd.12
Peters, Katharina

Inselmord / Romy Beccare Bd.12


ausgezeichnet

Nachdem ich mit „Bornholmer Finale“, dem letzten Buch von Katharina Peters, etwas über Kreuz war, war ich auf „Inselmord“, dem 12. Band der Romy-Beccare-Serie sehr gespannt. Und ich wurde nicht enttäuscht, das Buch hat mich auf ganzer Linie überzeugt. Der Krimi ist durchweg vielschichtig, spannend und psychologisch enorm gut konstruiert. Dazu kommen, wie von einem „Rügen-Krimi“ nicht anders zu erwarten, einige Landschaftsbeschreibungen und Wissenswertes über die Insel.
Aber von vorn.
Die Leiche der 25-jährigen Svenja Bellheim wird auf der Halbinsel Mönchgut im Südosten Rügens gefunden. Die junge Frau wurde offenbar erdrosselt, außerdem weist ihr Körper Spuren erheblicher Gewalt auf. Die Stelle, an der ihre sterblichen Überreste entdeckt wurden, heißt Nonnenloch und der Sage nach wurden dort unkeusche Nonnen bestraft. Als Rügen-Liebhaberin war Svenja oft auf der Insel und hatte sich bei einem Landschaftsarchitekten um einen Job beworben. Nach einiger Recherche wird dem Ermittler-Team um Kommissarin Romy Beccare klar, dass die Tote vor sieben Jahren auf Klassenfahrt auf Rügen war. Aus ihrer Klasse war damals eine Mitschülerin verschwunden, deren Leiche mehrere Monate später ebenfalls ganz in der Nähe von Mönchgut gefunden wurde. Gehören die beiden Fälle zusammen? Hat jemand die jungen Frauen „bestraft“? Und falls ja, weswegen? Und wer steckt hinter dem Ganzen?
Wow. Was für eine Konstellation. Eine Leiche, ein Cold Case und über allem eine Gruppe toxischer Männer, die die Frauen daran erinnern wollen, was ihre wahre Aufgaben im Leben sind und wo ihr Platz wirklich ist. Romy Beccare und ihre Kollegen stehen vor einer schwierigen Aufgabe bei der Lösung des Falls. Ein paar Verdächtige sind schnell ausgemacht, allerdings wird es für das Team schwer, die Zusammenhänge herauszuarbeiten und den Täter zu überführen, zumal die Ermittler bei manchen Spuren auf eine Mauer aus Schweigen und Ablehnung stoßen. Für Romy Beccare ist es allerdings klar, dass die Fälle zusammenhängen und ihre Verbissenheit und Sturheit werden nur von ihrem Ermittlungsgeschick und ihrer Kombinationsgabe getoppt.
Die Charaktere sind wie gewohnt sehr gut ausgearbeitet. Die Protagonisten kennt man ja schon aus den vorherigen Teilen der Reihe („Inselmord“ ist schon Band 12 der Serie), sie werden aber immer weiter ausgebaut und inzwischen sind sie mir alle ans Herz gewachsen. Romy ist mir manchmal ein bisschen zu verbissen, ihre Kollegen Max und Finn wirken da eher als Ruhepol in der Geschichte und auch ihre Mann Jan ist wesentlich besonnener als sie. Aber auch alle anderen Charaktere des Buchs sind dreidimensional und facettenreich beschrieben, sowohl die sympathischen als auch die unsympathischen Beteiligten.
Der Spannungsbogen ist teilweise fast unerträglich hoch, das Buch war für mich ein absoluter Pageturner. Der Schluss ist stimmig, hat mich allerdings komplett überrascht. Leider finden sich ein paar sehr ärgerliche Fehler in dem Buch, die durchaus vermeidbar gewesen wären. Da der Krimi aber durch seine spannende Geschichte und die tollen Charaktere überzeugt, empfehle ich „Inselmord“ uneingeschränkt für alle, die die Ostsee, Rügen, gut konstruierte und menschliche Krimis im Allgemeinen und Romy Beccare und ihr Team im Speziellen mögen. Von mir fünf Sterne und ich freue mich jetzt schon auf die Fortsetzung.

Bewertung vom 01.02.2024
Seelendunkel
Bryndza, Robert

Seelendunkel


sehr gut

„Seelendunkel“ war mein erstes Buch des britischen Autors Robert Bryndza, aber vermutlich nicht mein letztes, schließlich ist es auch schon der dritte Band der Serie um das ungleiche Ermittlerduo Kate Marshall und Tristan Harper. Nach einem etwas schleppenden Einstieg hat der Krimi mich erst überrascht und dann überzeugt. Die Geschichte nimmt zwar nur langsam Fahrt auf und die Ermittlungen laufen zeitweise etwas diffus und ziellos in verschiedene Richtungen, aber im Endeffekt wird aus dem Durcheinander ein solider und spannender Krimi.
Aber von vorn.
Kate Marshall und der um einige Jahre jüngere Tristan Harper haben sich mit einer Detektei selbstständig gemacht. Die ehemalige Polizistin der Londoner Polizei und Dozentin für Kriminologie und der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität sind ein sehr ungleiches Paar. Ihr Unternehmen läuft eher schleppend, daher sind die beiden froh, als Bev Ellis und ihr Lebensgefährte Bill sie beauftragen, nach ihrer seit 13 Jahren verschwundenen Tochter Joanna Duncan zu suchen. Die engagierte Journalistin war eines Abends spurlos aus einem Parkhaus verschwunden, inzwischen wurde sie für tot erklärt und die Mutter ist überzeugt davon, dass sie das auch ist. Also suchen die beiden Privatermittler nach einer Leiche und nach einem Mörder, die Suche führt sie bis in Politikerkreise. Anhaltspunkte für ihre Recherchen finden sie in der umfangreichen Fallakte der Polizei, die kein besonders gutes Licht auf die damaligen Ermittler wirft. Diese scheinen eher halbherzig ermittelt zu haben und inzwischen ist der Fall ein Cold Case. Woran hatte die Journalistin gearbeitet, als sie verschwand? War sie jemandem auf die Füße getreten? Und hat es etwas mit den zahlreichen verschwundenen jungen Männern in der Gegend zu tun?
Ich kannte vor der Lektüre des Buchs die beiden Protagonisten nicht, daher habe ich keinen Vergleich zur Qualität der Vorgängerbände der Serie. Die beiden Hauptfiguren wirken authentisch, sympathisch, kompetent und ehrgeizig. Ihr jeweiliges Privatleben wird eher am Rande dargestellt, sodass auch Neulinge der Reihe sie näher kennenlernen. Dabei schafft es der Autor allerdings überwiegend, dass die Balance aus Privatem und Ermittlungen stimmt. Als Neuling der Serie brauchte ich die aufgegriffenen Informationen aus Kates bewegter Vergangenheit auch dringend. Auch die anderen Charaktere in der Geschichte sind gut beschrieben, so gut wie jeder hat gründlich ausgearbeitete Eigenheiten, die zum Teil auch psychologisch sehr interessant sind. Die Beschreibungen der Landschaft in Devon und Cornwall, die ich sehr liebe, sind sehr gelungen.
Die Sprache des Autors fand ich angenehm und das Buch insgesamt leicht zu lesen. Mit dem Spannungsbogen hingegen tat ich mich etwas schwer. Da die Ermittler mit ihrer Arbeit bei null anfangen müssen, gehen ihre Ermittlungsansätze in sehr viele Richtungen und sind daher für mich als Leser etwas unübersichtlich und manchmal etwas langatmig, vor allem am Anfang. Der Schluss kam für mich überraschend und war nicht hundertprozentig stimmig. Mehr möchte ich dazu allerdings nicht sagen, nur so viel: das Motiv hinter der Tat überzeugte mich nicht ganz.
Dennoch fand ich das Buch spannend, nachdem ich schwer in die Geschichte gefunden habe, war ich überrascht, dass ich es nach etwa einem Drittel gar nicht mehr aus der Hand legen wollte. Für Kenner der Serie mag es eine Enttäuschung sein, das kann ich als Neuling nicht beurteilen. Da ich keine Probleme mit dem Verständnis hatte, kann ich mit Fug und Recht sagen, dass man den dritten Teil der Serie ohne Probleme unabhängig von den anderen lesen kann. Ich fand das Buch lesenswert und gut, allerdings nicht überragend. Von mir vier Sterne.

Bewertung vom 19.01.2024
Bornholmer Finale / Sarah Pirohl ermittelt Bd.4
Peters, Katharina

Bornholmer Finale / Sarah Pirohl ermittelt Bd.4


sehr gut

„Bornholmer Finale“ ist der Titel von Katharina Peters neuem Buch aus der Sara-Pirol-Serie. Und der vierte Teil der Reihe ist tatsächlich ein Finale, wer die Autorin kennt, weiß allerdings, dass es vermutlich nicht das Ende ist. Allerdings findet die Geschichte um Saras Vater Bernd Pirohl und seine rechtsextremistischen Verstrickungen ein (vorläufiges) Ende und für den Moment sind keine Fragen offen. Allerdings machte die Masse an Informationen und Aufklärungen das Buch für mich trotz reichlich Spannung ein wenig überladen.
Aber von vorn.
Sara Pirohl ist Verbindungsbeamtin des BKA auf der dänischen Insel Bornholm. Ihr Vater Bernd, ehemals angesehener Anwalt, hatte Verbindungen ins rechtsextreme Milieu und war von seiner Tochter enttarnt worden. Angeblich starb er bei einer Operation während seiner Haftzeit. Als aber auf Bornholm eine Leiche gefunden wird, erkennt Sara ihn sofort als das Schussopfer. Offenbar war ihr Vater unter dem Namen Georg Hansen ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden und hatte unter neuer Identität gelebt. Wollte er sie auf Bornholm treffen? Hatte er auch nach seiner Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm seine Finger immer noch in dem rechten Netzwerk? Und wer hat ihn trotz seiner Tarnung gefunden und erschossen? Sara findet sich unversehens in Ermittlungen wieder, die sie mit allen möglichen Bekannten aus den vorherigen Teilen der Serie noch einmal zusammenführen sollen. Und sie werden wie gewohnt gefährlich für alle Beteiligten, nicht zuletzt für ihren untergetauchten Ex-Freund, den Journalisten Frederik.
Wow. Also selbst für altgediente Fans von Katharina Peters war das Buch wirklich kompliziert. Ich musste tief im Gedächtnis graben, weil sie sich auf Dinge aus alten Fällen und anderen Büchern bezieht und reichlich Menschen sowohl aus den anderen Teilen der Serie als auch aus ihren anderen Serien auftauchen. Das ist echt Training für meine grauen Zellen gewesen. Zum Glück ist der Schreibstil wie gewohnt eher einfach und sehr geradlinig, sonst wäre das Buch für das Genre fast zu anstrengend geworden. Ungewohnt anstrengend fand ich auch den Einstieg ins Buch, der mir zu langatmig war. Die Geschichte nahm langsam Fahrt auf, wurde aber für mich auch immer wieder etwas ausgebremst, da die Autorin sehr oft in Erklärungen auf die Vorgängerbände zurückblickt. Zwar schafft sie es so, auch für „Neulinge“, die die anderen Teile nicht kennen, keine Lücken entstehen zu lassen, für Kenner der Reihe wird es allerdings etwas langatmig, um nicht zu sagen, es wird stellenweise langweilig.
Mit der Zeit wurde das Buch allerdings sehr spannend und sehr politisch aktuell. Rechte Netzwerke, die Corona-Pandemie, Kompetenzgerangel unter Kollegen und Intrigen, wohin man sieht, dazu reichlich Spuren für die Ermittelnden in alle möglichen Richtungen. So bin ich es von der Autorin gewohnt. Spannend war für mich auch, dass ich zwischendurch das Gespür dafür verloren habe, wer in der Geschichte gut und wer böse ist, das passiert mir eher selten. Die Charaktere sind wie immer gut beschrieben, die meisten kannte ich ja schon aus den anderen Teilen der Serie, ihre Entwicklung konnte man miterleben. Der Schluss kam überraschend, ist aber stimmig und es gibt keine losen Enden. Natürlich könnte man das Buch einzeln lesen, ohne die anderen Teile der Serie zu kennen, aber ganz ehrlich, warum sollte man? Die anderen Bücher sind mindestens genauso gut. Von mir für diesen gelungenen Schlusspunkt wegen der zahlreichen etwas langatmigen Passagen und der ungewohnt vielen Fehler vier Sterne.

Bewertung vom 19.01.2024
Everything Fat Loss
Carpenter, Ben

Everything Fat Loss


ausgezeichnet

„Es wird dich nicht schockieren, dass ich viele Diätbücher für Müll halte.“ – deshalb hat Ben Carpenter sein eigenes „Diätbuch“ geschrieben und es „Everything Fat Loss“ genannt. Ich kenne ihn seit einiger Zeit aus den sozialen Medien. Ich bin absolut kein Freund von Influencern im Allgemeinen und von Fitness-Influencern noch viel weniger. Aber Ben Carpenter hat mich von der ersten Minute an begeistert. Sein Buch war daher für mich ein Muss. Das enorm umfangreiche und sehr minutiös erarbeitete Werk an sich war für mich sehr interessant und ich werde sicher des Öfteren darauf zurückgreifen, selbst ich als „alter Hase“ in Bezug auf Körpergewicht konnte noch Neues dazulernen. Die Übersetzung konnte mich jedoch leider nicht begeistern und ich musste mir zusätzlich zur deutschen auch noch die Originalfassung besorgen.
Aber von vorn.
Eines ist ganz klar: Ben Carpenter weiß, wovon er schreibt. Alles, was er schreibt und auch das, was er in seinen Videos in den sozialen Medien sagt, hat Hand und Fuß, zu allem gibt es fundierte Quellen und sein Studium der Studien ist bemerkenswert. Er schreibt, wie er spricht, manchmal derbe („Seien wir ehrlich: Ein Großteil der Diätindustrie ist im Allgemeinen Müll.“), manchmal sehr bildhaft, aber immer schonungslos ehrlich, wohlüberlegt und fundiert und nah am Leser, den er auch immer wieder direkt anspricht. Er macht in seinem Buch von Anfang an klar, wie individuell Gewichtsabnahme ist und dass es keine ultimative Diät gibt, die bei jedem gleich gut funktioniert. Dabei ist er nie oberlehrerhaft, sondern immer auf Augenhöhe mit der Leserschaft, wie ein guter Kumpel.
Er bespricht die verschiedenen bekanntesten Diäten und Ernährungsformen, beleuchtet objektiv deren Vor- und Nachteile. Er zitiert und evaluiert Studien, bringt lebensnahe Beispiele und geht mit den verbreitetsten Ernährungsmythen und beliebtesten Fehlinformationen ins Gericht. So erläutert er die Wichtigkeit von ausreichend Schlaf, genügend Flüssigkeit und Sport ebenso wie die Frage, wie oft und wie schnell man essen sollte, wie schlecht hochverarbeitete Lebensmittel, Alkohol und Zucker sind. Vieles von dem, was er schreibt, wird der Leserschaft ein Nicken entlocken, denn vieles ist altbekannt oder schlicht gesunder Menschenverstand. Vieles von dem, was Ben Carpenter schreibt, ist aber selbst für mich neu gewesen und auch seine wissenschaftliche Einordnung mit der Nennung enorm vielen Studien, war interessant und informativ.
Allerdings macht er auch sehr deutlich, dass sich der Alltag nicht um Gewicht oder Körpermaße drehen sollte. „Dein Glücksgefühl wird nicht garantiert steigen, wenn dein Körperfettanteil sinkt. Und dich obsessiv mit deinem Aussehen zu befassen, kann mit eigenen psychologischen Risiken einhergehen.“ Der psychologische Aspekt ist ihm merklich wichtig, was in vielen anderen Abnehmratgebern (ob nun in Buchform, Video oder Hochglanzmagazin) nicht so ist. Da sieht er den Menschen als Ganzes und nicht nur seinen BMI oder seinen Körperfettanteil. „WIE KANNST DU DAS IN DIE TAT UMSETZEN?“ – diese Frage stellt er am Ende jedes Kapitels. Denn eines ist klar: Gewichtsverlust ist individuell und jede Ernährungsumstellung ist nur so gut wie sie in den jeweiligen Alltag passt, sodass man dauerhaft damit leben kann.
Das Buch ist voller Information, manchmal muss man beim Lesen innehalten und sie verdauen, sonst könnten sie einen erschlagen. Aber es ist interessant, menschlich und man kann die Begeisterung des Autors für das Thema in jeder Zeile lesen. Einzig die Übersetzung fand ich teilweise holprig, da ich die Sprache von Ben Carpenter im Original kenne, finde ich, dass das Buch stellenweise Besseres verdient hätte. Von mir aber trotzdem fünf Sterne.

Bewertung vom 03.01.2024
Glutspur / Liv Jensen Bd.1 (MP3-Download)
Engberg, Katrine

Glutspur / Liv Jensen Bd.1 (MP3-Download)


gut

Ich hatte von Katrine Engberg schon einen Krimi gelesen, der mir sehr gut gefallen hat, daher dachte ich, ich könnte mit „Glutspur“ nichts falsch machen. Tja, was soll ich sagen? Ich lag falsch. Das Hörbuch, wurden schnell zu einem der anstrengendsten und langatmigsten Hörerlebnisse des Jahres. Als gegen Ende etwas Spannung aufkam und alle losen Fäden langsam begannen, sich zu einem Ganzen zusammenzufinden, hatte ich schon gründlich die Lust verloren und habe nur bis zum Schluss durchgehalten, weil ich einfach jemand bin, der Dinge gern zu Ende bringt. Das Buch ist der erste Teil der neuen Reihe um die ehemalige Polizistin und jetzige Privatdetektivin Liv Jensen und für mich muss Frau Engberg nicht nur eine Schippe drauflegen, damit mich die Serie begeistern kann, sondern jede Menge. Schade, dabei war der Klappentext so vielversprechend.
Aber von vorn.
Liv Jensen hat ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen. Sie ist aus dem Polizeidienst in Aalborg ausgeschieden und lässt sich als Privatdetektivin in Kopenhagen nieder. Dort bespitzelt sie für Versicherungsgesellschaften Versicherungsnehmer, die deren Meinung nach Leistungen erschleichen. Dazu tritt ein ehemaliger Kollege an sie heran, dem der über drei Jahre alte Fall eines ermordeten Kulturjournalisten zu schaffen macht. Während sie in diesem Fall ermittelt, passieren weitere Dinge in ihrer direkten Umgebung. Hannah Leon, die Tochter ihres Vermieters, recherchiert selbst im Fall ihres toten Zwillingsbruders Daniel. Der hatte wegen des Mordes an seiner ex-Frau im Maßregelvollzug gesessen und während eines Freigangs Suizid begangen. Und als dritter Fall kommt noch der Mord an einer Museumsangestellten dazu, die eine Affäre mit Nima Ansari, dem Chef der benachbarten Autowerkstatt, hatte.
Drei Fälle, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Dazu kommt das Privatleben der Ermittlerin, die sich nach dem Ausstieg aus dem Polizeiberuf und ihrem Umzug von Jütland nach Kopenhagen ein neues Leben aufbauen muss. Und ein Bauunternehmer, der aus einem jütländischen Naturschutzgebiet ein Luxus-Resort machen will. Und die Rückblicke ins Jahr 1943 auf die jüdische Familie Leon, die Dänemark wegen der Nazis verlassen muss. Und und und. Die Autorin hat für mich viel zu viel in den Auftakt ihrer neuen Serie gepackt, sich heillos verzettelt und das Potential der Geschichte nicht annähernd ausgeschöpft. Sprachlich war das Buch leserfreundlich, manche handwerkliche Übersetzungsfehler ließen mich allerdings fassungslos zurück. Einzig die Beschreibungen von Kopenhagen und der jütländischen Landschaft fand ich lesenswert und charmant.
Der Rest der Geschichte besticht durch langatmige Langeweile und langwierige, teils ziel- und planlose Ermittlungsarbeiten. Das Hörbuch zog sich für mich wie Kaugummi, weitgehend ohne Spannung und eher dröge dahinplätschernd, dazu fand ich auch den Sprecher nur mäßig ansprechend. Weniger wäre mehr gewesen, für mich war es überladen und aufgeblasen, sodass es kaum einen Spannungsbogen gibt. Die Charaktere fand ich ebenfalls überwiegend blass und etwas hölzern, selbst die Protagonisten konnten bei mir nicht punkten. Die immer wieder eingestreuten „Prophezeiungen“ (Sätze, die Hannas verstorbener Bruder an die Wand seiner Zelle in der JVA geschrieben hat), fand ich eher verwirrend und nervig als hilfreich. Der Schluss hat mich dann allerdings für die rund 350 Seiten Vorgeplänkel entschädigt, der hat mich nämlich wirklich überrascht und mit dem Werk etwas versöhnt. Dann ergibt nämlich auch der Nachsatz des Titels „Die Wurzeln des Schmerzes“ einen Sinn. Alle Fäden laufen zusammen, es gibt keine losen Enden, wobei die Fälle meiner Meinung nach eher durch Zufall, denn durch wirkliche Ermittlungen gelöst werden. Trotzdem bin ich gespannt, was sich Katrine Engberg im zweiten Teil (auf Dänisch ist er schon erschienen und heißt „De hvide nætter“) der Serie ausdenkt. Von mir solide drei Sterne.

Bewertung vom 18.12.2023
Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. In den Fängen der Zauberin. Mit Farbschnitt nur in der 1. Auflage! (Flüsterwald, Staffel II, Bd. 3)
Suchanek, Andreas

Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. In den Fängen der Zauberin. Mit Farbschnitt nur in der 1. Auflage! (Flüsterwald, Staffel II, Bd. 3)


ausgezeichnet

Ich bin ja wirklich seit dem ersten Band ein sehr großer Freund von Andreas Suchaneks „Flüsterwald“-Reihe. Der dritte Teil der zweiten Staffel mit dem Titel „Flüsterwald - Eine neue Bedrohung: In den Fängen der Zauberin“ führt Lukas und seine Freunde nach Australien auf ein neues, spannendes Abenteuer. Ein lesenswertes Buch mit ansprechenden Charakteren und ausgeklügelter Handlung.
Nachdem Lukas Ella länger nicht erreichen kann, muss er feststellen: seine Freundin wurde entführt und die böse Zauberin (man kennt sie schon aus dem vorhergehenden Teil der Serie) steckt dahinter! Zusammen mit seinen Flüsterwald-Freunden muss er sich auf die Suche nach Ella machen, denn sie scheint nicht in „ihrem“ Flüsterwald zu sein, sondern wo anders. Tatsächlich wurde sie in den australischen Flüsterwald verschleppt, wo Lukas, der Menok Rani, die Elfe Felicitas und ihre Beschützerkatze Punchy ihre ganzen magischen Fähigkeiten brauchen, um sie zu befreien. Und natürlich nicht nur das, denn der Plan der Zauberin ist nach wie vor, alle zu versteinern. Unterstützt werden die Freunde bei ihrer Mission von den australischen Flüsterwald-Beschützern Noah, Zoe und einem Regenbogengürteltier namens Dundi. Schaffen sie es auch dieses Mal, die böse Zauberin aufzuhalten, bevor alle zu Stein werden?
Wie immer ist es ein mitreißendes Buch voller Spannung, Abenteuer und Freundschaft. Aber Andreas Suchanek flicht auch Themen wie Umweltverschmutzung ein („»Ihr Menschen habt mit eurem Müll unser Wasser verschmutzt, das ganze Meer ist eine Jauchegrube. Und obwohl alle es gesehen haben, hat keiner etwas dagegen unternommen oder uns geholfen. Ihr habt uns Geschöpfe der Meere einfach vergessen.«“) Die Leserschaft erfährt außerdem einiges über den heiligen Berg Uluru (in ihm versteckt sich die Waldseele des australischen Flüsterwaldes), Traumzeitpfade und darüber, dass in Australien sehr viele Tiere giftig sind. Nicht nur Schlangen und Spinnen können tödlich sein, „»Es gibt Frösche, die musst du nur anfassen und das war’s. Kontaktgift.«“ erklärt Noah Ella beispielsweise.
Sprachlich fand ich das Buch wie immer sehr flüssig zu lesen, sicher eignet es sich auch gut als Vorlesebuch. Die wechselnden Perspektiven bringen unterschiedliche Blickwinkel und Abwechslung in die Geschichte. Die Charaktere haben sich im Verlauf der Reihe sehr stark weiterentwickelt, sie sind liebevoll und mit vielen Facetten ausgearbeitet. Leider hat der Menok Rani, der bisher mein erklärter Liebling war, durch seine Schubphase (die ist der menschlichen Pubertät sehr ähnlich) inzwischen Potential eine wirkliche Nervensäge zu werden. Zwar ist er auch mit Pickeln immer noch ein niedlicher Lügenbold, aber manchmal fand ich ihn an der Grenze zum Unerträglichen. Ja, und ob man Vokabeln wie „ghostet“ in einem Buch für Kinder ab neun Jahren wirklich braucht, ist für mich fraglich.
Alles in allem war das Buch wieder ein großes Lesevergnügen mit kurzweiliger Spannung und unerwarteten Wendungen. Von mir die volle Punktzahl und ich warte nach dem Cliffhanger am Ende wie immer ungeduldig auf den nächsten Teil.

Bewertung vom 18.12.2023
Die letzten Stunden
Rice, Luanne

Die letzten Stunden


ausgezeichnet

„Die letzten Stunden“ waren mein erstes Buch von Luanne Rice und ich muss sagen, dass ich es wirklich lesenswert finde. Abgesehen von ein paar Längen, die weder zur Handlung noch zur Spannung nennenswert beitragen, war es ein spannender und überraschender Krimi mit einem völlig unerwarteten Schluss und einer interessanten psychologischen Komponente.
Als die im sechsten Monat schwangere Galeristin Beth Lathorp ermordet in ihrem Schlafzimmer aufgefunden wird, nimmt Detective Conor Reed diesen Fall sehr persönlich, denn er kennt das Opfer. Beth war vor vielen Jahren zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Kate entführt worden. Die Mutter der beiden starb damals und Conor hatte sich geschworen, die beiden Mädchen zu beschützen. Diese sind inzwischen erwachsen, er hat sie aber nie aus den Augen verloren. Und jetzt sind Beth und ihr ungeborenes Kind tot und ihr untreuer Ehemann Pete ist für den Ermittler der Hauptverdächtige. Als Teenager haben sich Beth, Kate, Scotty und Lulu ewige Freundschaft geschworen und außerdem, dass sie sich immer die Wahrheit sagen würden. Nach Beths Tod kommen aber immer mehr Geheimnisse ans Tageslicht und was hat alles mit dem Bild „Moonlight“ zu tun, wegen dem vor Jahren schon die Mutter von Beth und Kate sterben musste?
Obwohl das Buch sehr umfangreich ist, habe ich mich an keiner Stelle wirklich gelangweilt, allerdings könnte man einige Passagen ersatzlos streichen und das Buch würde qualitativ nichts einbüßen. Die Geschichte wird in zwei Strängen erzählt, sie umfasst 60 Kapitel, aufgeteilt auf drei Teile. Sprachlich fand ich es sehr ansprechend und alle Charaktere sind gründlich und mit Liebe zum Detail ausgearbeitet, ebenso die (vielleicht etwas ausschweifenden) Beschreibungen von Landschaften und Kunstwerken. Ebenso viel Detailliebe steckt im Plot, das bis zum (für mich) überraschenden Schluss sehr viele Wendungen und Kleinigkeiten bietet. Als Leser:in ist man immer auf dem gleichen Wissensstand wie die Polizei, was mich manchmal ein bisschen zur Verzweiflung brachte, weil ich ebenso im Dunklen tappte, wie der Ermittler.
Die Perspektivwechsel geben der Handlung den gewissen Pfiff, steigern die Spannung und leider auch die Verwirrung. Der Schluss hat mich dann doch überrascht, vor allem auch das Motiv hinter der Tat, wobei ich zugeben muss, dass mich das nicht wirklich überzeugen konnte. Der Spannungsbogen ist nicht übermäßig hoch und nach einem eher langsamen Anfang steigt er stetig. Außer dem Mord kommt das Buch weitgehend unblutig daher, statt Gewalt gab es für mich eher eine ständig wahrnehmbare latente Bedrohung, mehr ein ungutes Gefühl im Magen, als dass tatsächlich etwas passieren würde. Die nach und nach ans Licht kommenden Lügen und Geheimnisse sind hervorragend konstruiert und aufgearbeitet. Der psychologische Aspekt kommt hierbei auch sehr deutlich zum Tragen. Die Freundinnen, die sich vor Jahrzehnten geschworen haben, sich immer die Wahrheit zu sagen, sind allesamt in ein Netz aus Lügen und Intrigen verstrickt. Keine ist so, wie sie auf den ersten Blick scheint und vor allem auch nicht so, wie sie auf die anderen wirkt. Da herrscht sehr viel Schein und sehr wenig Sein.
Alles in allem fand ich das Buch ansprechend, es hat mich bestens unterhalten und die Detailliebe (oder besser gesagt Detailversessenheit) der Autorin ist bemerkenswert. Von mir gibt es daher fünf Sterne.

Bewertung vom 13.12.2023
'Ich will fortleben, auch nach meinem Tod'
Sparr, Thomas

'Ich will fortleben, auch nach meinem Tod'


ausgezeichnet

Die Biografie eines Buchs – so kann man sich „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod“ von Thomas Sparr im Großen und Ganzen vorstellen. Er begibt sich auf die Spuren des Tagebuchs der Anne Frank, ordnet die Entstehung ein und verfolgt minutiös die Verbreitung des Buchs weltweit und auch die Umsetzung in anderen Medien wie Film, Musical oder Theaterstück. Für mich war es kein leserfreundliches Buch, was es umso besser macht, da ich gezwungen war, es langsam und sehr gründlich zu lesen.
Aber von vorn.
Anne Frank hatte einen großen Traum: sie wollte Schriftstellerin werden. Seite um Seite füllte sie daher erst das karierte Poesiealbum, das sie zu ihrem 13. Geburtstag am 12. Juni 1942 bekommen hat. Als dieses vollgeschrieben ist, führt sie ihr Tagebuch ab dem 5. Dezember 1942 in zwei Heften, später auf über 300 losen Blättern fort. Sie redigierte ihre Aufzeichnungen selbst, daher gibt es nicht DAS Tagebuch, sondern von vornherein mehrere Fassungen. „Von Beginn an ändert Anne es, in der Namensnennung, der Tilgung von Episoden, im Ergänzen und Umschreiben.“ Eine dritte Version entstand durch die Veränderungen, die ihr Vater Otto Frank und das Lektorat für die erste Verlagsfassung 1947 vorgenommen wurden. Ihrem Vater war es wichtig, „das Andenken der Untergetauchten zu schonen“, heißt: er „kürzte und ließ aus, wenn es um das Verhältnis des Mädchens zur Mutter, die Liebesgeschichte mit Peter oder die erwachende Sexualität der Heranwachsenden ging“. Das zog allerdings nach sich, dass ihm später der Vorwurf gemacht wurde, er sei selbst der Autor der Tagebücher oder habe sie zu sehr verfälscht oder schlicht gefälscht. Otto Frank musste sich juristisch dagegen wehren, graphologische Gutachten bestätigen die Authentizität. In den Niederlanden ist es inzwischen strafbar, die Echtheit des Tagebuchs der Anne Frank zu leugnen. Heute zählt das Tagebuch zu den meistgelesenen Büchern der Welt. Es wurde übersetzt, verfilmt, als Theaterstück und für den Broadway adaptiert und zahllose andere Autoren nahmen darauf Bezug.
Thomas Sparr hat in mühevoller Recherchearbeit zusammengetragen, wo sich Spuren des Tagebuchs von Anne Frank finden. „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod“ ist daher ein äußerst komplexes Werk, das die Leserschaft manchmal durch die geballte Information etwas überfordern könnte, den sachlichen Schreibstil fand ich manchmal auch ein wenig spröde. Seit meiner Jugend habe ich das „Tagebuch der Anne Frank“ mehrfach gelesen, mein Großvater hat es mir ans Herz gelegt. Mit Thomas Sparrs Buch habe ich sehr viel Neues über das Buch erfahren, über das ich vorher noch nie nachgedacht hatte. Auch die vielen verschiedenen Adaptionen waren mir gar nicht bewusst gewesen. Die Schwierigkeiten, die den Weg zur Veröffentlichung pflasterten, waren für mich ebenfalls völlig neu. Die beiden Erzählebenen verbinden die persönliche Familiengeschichte der Familie Frank, die Weltgeschichte und die Geschichte des Buchs seit seiner Entstehung und der niederländischen Erstveröffentlichung 1947 (auf Deutsch erschien das Buch 1950). Die aktuelle Weltpolitik zeigt, dass Anne Franks Tagebuch heute wichtiger ist, denn je. Thomas Sparrs Herangehensweise an das ikonische Werk war für mich überraschend, sein Recherchefleiß beeindruckend und die Präsentation seiner Ergebnisse überwältigend, von mir daher fünf Sterne.

Bewertung vom 01.12.2023
Die Wahrheiten meiner Mutter
Hjorth, Vigdis

Die Wahrheiten meiner Mutter


ausgezeichnet

Eine junge Frau bricht mit ihrer Familie, da sie sich unwohl und unverstanden fühlt. Sie bricht ihr Studium ab, zieht mit einem Mann in die USA, dem die Eltern „nicht über den Weg trauten“, wird Künstlerin und hat mit den Eltern und der jüngeren Schwester in der alten Heimat nur sporadisch Kontakt. Moment mal, schreibt Vigdis Hjorth in „Die Wahrheiten meiner Mutter“ etwa über mich? So kam es mit bei der Lektüre fast vor, selten habe ich mich in einem Buch so wiedergefunden. Ein enorm schwieriges Buch über eine völlig dysfunktionale Mutter-Kind-Beziehung, das mich nachdenklich zurücklässt.
Aber von vorn.
Vor über 30 Jahren hat Johanna ihre Familie verlassen. Sie brach ihr Jurastudium ab, verließ ihren erst kürzlich angetrauten Ehemann und folgte Marc, dem Lehrer ihres Malkurses nach Amerika. Sie heiratete ihn, bekam einen Sohn und wurde eine anerkannte Künstlerin. In der Familie wurde sie durch ihren Ausbruch zum schwarzen Schaf und zur Persona non grata, sie können weder ihre Liebes- noch ihre Lebensentscheidung verstehen. Ihren Mann halten sie für zweifelhaft und den gewählten Beruf für fragwürdig. Dass sie nicht zur Beerdigung des Vaters nach Hause kam, machte alles noch schwieriger. Mit fast 60 Jahren reist sie, inzwischen verwitwet, zurück nach Norwegen und versucht, sich der Mutter wieder anzunähern. Da diese aber jeglichen Kontakt ablehnt, muss sie sich ihr virtuell annähern. Sie rekapituliert ihr Leben, ruft sich große und kleine Ereignisse ihrer Kindheit und Jugend ins Gedächtnis, immer auf der Suche nach Antworten. Wieso wurde sie so, wie sie heute ist? Wer und vor allem, wie ist ihre Mutter wirklich? Im Endeffekt führt die Reise Johanna nicht nach Hause, sondern führt zu einer zweiten, endgültigen Abnabelung.
„Du sollst Vater und Mutter ehren“ – so steht es schon in der Bibel. Johanna sieht es anders. „Haben Eltern nicht ein Leben lang eine Verpflichtung, die das Kind nicht hat?“ Es war ja schließlich die Entscheidung der Eltern für das Kind, nicht andersherum. Der Versuch Johannas, sich der Mutter wieder nähern zu können, ist nachvollziehbar, aber schwierig. Sie stalkt sie praktisch, verfolgt sie auf Schritt und Tritt und versucht, ihren Tagesablauf zu ergründen, um sich ihr nahe zu fühlen und um sie besser verstehen zu können. Außerdem versucht sie immer wieder, sie anzurufen. Alles andere, was sie über ihre Mutter „erfährt“, ist reine Spekulation und geschieht nur vor ihrem geistigen Auge. Ihre eigene innere Zerrissenheit projiziert sie auf ihre Mutter und ihre Schwester – möglicherweise lässt sich ihre Trauer nur so verarbeiten. Sie ist ihren eigenen Weg gegangen, etwas, was ihre Mutter ihrer Meinung nach nie geschafft hat. („Es gibt so viele Möglichkeiten, eine Mutter zu verlassen, über fünfzig.“ Da singt in meinem Hinterkopf Paul Simon „50 ways to leave your lover“.) Sie spinnt sich zusammen, dass ihre Mutter als Ehefrau und Mutter unglücklich war, dass sie selbst ausbrechen wollte, es aber nie gewagt hat. Wahrheit oder Wunschdenken? Die Leserschaft erfährt es nicht wirklich, das Buch besteht in der Hauptsache aus Erinnerungen, innerem Monolog und Vermutungen, vage und subjektiv.
Aber genau das macht das Buch aus, dazu die poetische Sprache, der rein deskriptive Stil, die hervorragende Übersetzung und die greifbare Sehnsucht, die die Protagonistin an den Tag legt. Sie trauert etwas hinterher, das es möglicherweise so gar nie gegeben hat, sie wünscht sich eine Zweisamkeit mit der Mutter, die es nie gab und nie geben wird. Zwei Frauen, so unterschiedlich und doch so ähnlich. So schwierig Johannas Charakter ist, so sehr habe ich mich darin wiedergefunden. Eine starke Frau und dennoch voller Selbstzweifel, jemand, der den eigenen Weg ging und sich nur eines von der Mutter wünscht: Zuneigung, Anerkennung und eine nachträgliche Absolution. Das Buch ist sicherlich nicht jedermanns Sache, für mich war es aber genau das Richtige und wird mich noch lange beschäftigen. Daher gibt es von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 01.12.2023
Happy New Year - Zwei Familien, ein Albtraum
Stehn, Malin

Happy New Year - Zwei Familien, ein Albtraum


ausgezeichnet

Spannend, unerwarteter Schluss aber für mich etwas zu lang
Familien, die eigentlich nichts mehr verbindet als alte Gewohnheiten, feiern gemeinsam Silvester. Ein Silvester, das für zwei Familien nicht nur ein neues Jahr einläutet, sondern eine komplett neue Zeit. Das ist grob das Thema von Malin Stehns Roman „Happy New Year. Zwei Familien. Ein Albtraum“. Das Buch ist als Roman klassifiziert, es ist aber wesentlich mehr. Es ist für mich ein gelungenes Psychodrama, fast ein Psychothriller, der Panik, Schuldgefühle und post-pubertäre Teenager gekonnt vereint, mit der Frage, die über allem schwebt: Wie gut kenne ich meine Lieben eigentlich? Für mich ein spannendes und lesenswertes Buch, auch wenn es ein bisschen lang geraten ist.
Nina und Fredrik feiern aus alter Gewohnheit zusammen mit gemeinsamen Freunden im Haus von Lollo und Max Silvester. Ihre Töchter Smilla und Jennifer sind 17 Jahre alt und feiern eine eigenen Party im Haus von Nina und Fredrik. Bei den Erwachsenen zeigt sich schnell, dass sie außer der Tradition zur gemeinsamen Feier nichts mehr verbindet und selbst die verkommt zum Pflichttermin, auf den kaum jemand Lust hat. Es ist mehr eine Zuschaustellung des Erreichten (im Sinne von „mein Haus, mein Boot), mit zunehmendem Alkoholgenuss kommen auch rassistische Einstellungen ans Tageslicht. Aber auch die beiden Teenager haben Differenzen und als die Erwachsenen am nächsten Morgen verkatert aufwachen ist klar: Jennifer ist in der Nacht weder nach Hause gekommen, noch schläft sie, wie abgesprochen, bei Smilla. Nach und nach müssen alle Beteiligten feststellen, dass sie weder ihre Freunde noch ihre Familienmitglieder besonders gut kennen und als schlussendlich klar ist, was in der Silvesternacht passiert ist, ist nichts mehr wie vorher.
Stilistisch und sprachlich hat mich das Buch überzeugt, die Übersetzung aus dem Schwedischen ist hervorragend gelungen. Erzählt wird die Geschichte in zum Teil sehr kurzen Kapiteln aus drei Perspektiven, die jeweils in der „ich-Perspektive“ geschrieben sind. Jedes Kapitel ist mit Datum und dem Namen des Ich-Erzählers überschrieben, trotzdem kam ich manchmal durcheinander, was aber nicht tragisch war. Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet, jeder hat seine eigenen psychologischen Besonderheiten. Lollo ist Innenausstatterin mit eigenem Blog, Max ist Immobilienmakler und ein arroganter, rassistischer Schnösel. Bei beiden ist Geld der Maßstab für Erfolg. Nina und Fredrik sind beide Lehrer und können finanziell keine großen Sprünge machen. Und da sind dann auch noch Malena und ihr Sohn Theo. Sie bringt jedes Jahr einen anderen Mann mit zur Party und scheint ein wenig unstet. Allerdings ist sie die einzige der Frauen in der Runde, die zu sich selbst zu stehen scheint. Lollo und Nina scheinen sich von ihrer Herkunft distanzieren und neu erfinden zu wollen, sie bestehen darauf, nicht bei ihren eigentlichen Namen Louise und Carolina genannt zu werden.
Zu den sehr gut geschilderten Charakteren kommt eine durchweg bedrückende Atmosphäre. Selbst die Silvesterparty, die eigentlich locker und fröhlich sein sollte, zeigt die Oberflächlichkeit der Beteiligten und verkommt zum metaphorischen Maskenball. Dass die Masken dann im Verlauf der Geschichte fallen, hat mich nicht überrascht. Die Art und Weise wie sie fallen, umso mehr. Das Verschwinden Jennifers ist dabei nur der Auslöser, der alles ins Rollen bringt, das Verhältnis zwischen den Protagonisten war ohnehin schon länger nur eine Farce. Die einen wollen den schönen Schein wahren, die anderen sind neidisch und wollen mithalten können. Alle haben mit sich, ihren Beziehungen und dem Leben zu kämpfen und über allem schwelen Selbstzweifel und Schuldgefühle, beziehungsweise Schuldzuweisungen.
Wow. Da hat Malin Stehn uns einen pikanten schwedischen psycho-Eintopf serviert. Ein bisschen lang und zwischendrin ein bisschen fade, aber es kommt immer wieder etwas Neues an die Oberfläche und vor allem im Abgang ist die Krimi-Suppe völlig überraschend. Von mir die volle Punktzahl.