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Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem gefeierten Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Sie spürt den Sollbruchstellen im Leben ihrer Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.
Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die
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Produktbeschreibung
Wahrhaftig und einfühlsam erkundet Deniz Ohde in ihrem gefeierten Debütroman die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Sie spürt den Sollbruchstellen im Leben ihrer Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.

Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis der Hausrat aus allen Schränken quoll. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, ehe sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.


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Autorenporträt
Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie heute auch lebt. Für ihren Debütroman Streulicht, der 2020 auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, wurde sie mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung und dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Sinem Kilic liest Deniz Ohdes Geschichte nicht als Betroffenheits- oder Bildungsroman, der die Herkunft der Protagonistin denunziert, auch wenn die Enge und Aussichtslosigkeit einer bildungsfernen, von Rassismen geprägten Kindheit und Jugend am Rand eines westdeutschen Industrieparks in den späten 90ern für Kilic in den Erinnerungen der Figur spürbar wird. Wie der Heldin schließlich über eine eigene Sprache der Ausbruch aus dem Milieu gelingt, zeigt die Autorin laut Kilic in überzeugenden "Nahaufnahmen". Für Kilic ein empfehlenswertes deutsches Gegenstück zu Eribon oder Ernaux.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2020

Geschenke
für
den Kopf
Man muss nicht alles positiv sehen,
aber sagen wir es mal so:
Jetzt kommen noch stillere Tage als sonst um
Weihnachten, das bedeutet extra viel Zeit
für Bücher, Filme, Musik! Dazu ein
paar Empfehlungen aus der SZ-Redaktion
COLLAGEN: STEFAN DIMITROV
Jens-Christian Rabe
EINE HILFE
Das neue Grundlagenwerk zu Geschichte und Gegenwart der Krisen der Demokratie, in dessen Mittelpunkt dennoch die essayistisch tastende Überzeugung steht, dass wir uns in gefährlichen Zeiten vor allem anderen darüber klar werden müssen, was wir alles nicht wissen, bevor wir entscheiden können, was zu tun ist.
Adam Przeworski: Krisen der Demokratie. Suhrkamp, 2020. 254 Seiten, 18 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Ein so kluger wie warmherziger und unterhaltsamer Essay über Stil, Geschmack und Sinn im Pop anhand von Enya, der Königin der sphärischen New-Age-Kitschmusik? Geht natürlich nicht. Es sei denn, Chilly Gonzales schreibt ihn.
Chilly Gonzales: Enya. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 96 Seiten, 10 Euro.
EIN AUFREGER
Ist Haiyti die intellektuellste deutsche Gangsta-Rapperin oder die nervöseste Gangsta-Intellektuelle des Landes? Sagen wir so: Auf jeden Fall ist sie das Pop-Genie, das das Land noch nicht verdient hat.
Haiyti: „Sui Sui“ (Haiyti Records).
EIN GROSSER SPASS
Was Comedians von allen anderen Menschen unterscheidet, ist, dass ihr Leben bestenfalls nicht nur ein Witz ist. Sondern mehrere. Der Stand-up-Comedy-Superstar Jerry Seinfeld hat seine Autobiografie netterweise gleich als Gag-Sammlung geschrieben. Das Trost-Buch zur Zeit.
Jerry Seinfeld: Is This Anything? Simon & Schuster, 2020. 470 Seiten, 20 Euro.
Theresa Hein
EIN LIEBESBEWEIS
Vom unbedingten Brauchen eines anderen Menschen und der unaufhaltsamen Veränderung von ebenjenem handeln ein paar der schönsten Indie-Songs seit Langem. Und das alles von den mittlerweile mittelalten Strokes, produziert von Goldhändchen Rick Rubin: Midlife endlich ohne Krise, von der es dieses Jahr ja genug gab, mit einem Kunstwerk von Jean-Michel Basquiat als Cover.
The Strokes: The New Abnormal, RCA, 12,99 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Mehr als das. Der Film „Für Sama“ ist eine schwere, schreckliche Probe. Eine Dokumentation aus dem Syrienkrieg, man sieht: wirklich alles von Geburt bis Tod. Gerade in der Zeit des gemütlichen Wegguckens und Einigelns ein Appell. Das alles passiert wirklich.
Für Sama, Regie: Waad al-Kateab, Edward Watts. Filmperlen, 95 Min. DVD,
13,78 Euro.
EIN GENUSS
Die Erzählerin in Deniz Ohdes Debütroman gehört jetzt, wie ihr Lehrer am Gymnasium nicht müde wird ihr einzutrichtern, zur „Elite“. Was aber auch egal ist, wenn die Mutter auszieht. Ohde erzählt von den Auf- und Abs in einem System, das wahre Chancengleichheit eben doch nur ermöglicht, wenn man sie von Geburt aus hat, daneben humorvoll, traurig über eine Kindheit und Jugend in Deutschland zur Jahrtausendwende. Wirkt lange nach.
Deniz Ohde: Streulicht. Roman. Suhrkamp, Berlin 2020. 291 Seiten, 22 Euro.
Laura Hertreiter
EIN GROSSER SPASS
Nahe Zukunft, pandemisch gesehen ist das Schlimmste vorbei und Alard von Kittlitz schickt seinen geschmackssicheren Romanhelden anderweitig ins Verderben. Eine netflixartig erzählte Techno-Utopie über Hochleistungsgehirne und menschliche Begrenztheit. Rund um den Globus, während man zu Hause in der Corona-Gegenwart festsitzt.
Alard von Kittlitz, Sonder. Roman. Piper, München 2020. 320 Seiten, 22 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
Lässige Kindermärchen von Olli Schulz, Feridun Zaimoglu, Juli Zeh, Paul Maar, Flake, Nora Gantenbrink und anderen. Vor allem für Eltern, die Tiger, Bär und Tante Gans nicht mehr sehen können.
Flo, das Flummi und der Schnack, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 224 S., 22 Euro.
EINE HILFE
1945 gingen in Demmin Menschen aus Angst vor der Roten Armee in einen Fluss, Steine in den Taschen. Jahrzehnte später wächst dort Neuntklässlerin Larry auf, Ich-Erzählerin, rotzfrecher Schnodderton, Berufsziel Kriegsreporterin. Verena Keßler schreibt humorvoll über Sprachlosigkeit und Geschichte, die bleibt.
Verena Keßler, Die Gespenster von Demmin. Roman. Hanser, München 2020.
240 Seiten, 22 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Seit 2008 haben die Berliner Philharmoniker eine digitale Konzerthalle, ein Glück.
Digitalconcerthall.com, Abo-Tickets ab 9,90 Euro für sieben Tage.
Catrin Lorch
EIN GENUSS
Die Bilder hatten etwas von einer Flaschenpost. Es passte, dass der Maler – der im Jahr 1926 geborene Frank Walter – aus Antigua kam, ein Autodidakt am Rand der Zivilisation, sozusagen. Die Ausstellung, die Susanne Pfeffer ihm als Direktorin im Frankfurter MMK in diesem Frühjahr eingerichtet hatte, war eine Sensation. Der opulente Katalog spiegelt das Leben eines Künstlers, der neben 5000 Bildern auch 50 000 Seiten Manuskripte hinterließ. Eine Lektüre, die Lust macht auf weitere Entdeckungen von Kuratoren, die sich auf dem Gebiet des so sperrig betitelten „Kolonialen Diskurses“ bewegen.
Frank Walter. Eine Retrospektive. Hg. v. Susanne Pfeffer. Walther König, London 2020. 424 Seiten, 39,80 Euro.
EIN AUFREGER
Dieser Katalog dokumentiert zeitgenössische Ignoranz, Oberflächlichkeit und Feigheit: „Philip Guston Now“ ist die Publikation zu einer Tournee mit Werken des amerikanischen Malers durch bedeutende Museen. Doch die Vernissage fiel aus. Aus Angst vor „Fehlinterpretationen“, wie die Verantwortlichen mitteilten – wohl weil man fürchtete, die Figuren mit Ku-Klux-Klan-Mützen, die durch Gustons Bildwelten geistern, könnten falsch aufgefasst werden. Nach dem Protest von Hunderten von Künstlern wird im nächsten Jahr Eröffnung gefeiert, wenn Schau und Katalog überarbeitet und entschärft sind. Insofern: schnell zugreifen.
Philip Guston Now. Hg. v. Harry Cooper/Mark Godfrey. D. A. P. /National Gallery of Art. 280 Seiten, 47,99 Euro.
Johanna Adorján
EIN GENUSS
Ein zutiefst befriedigendes Buch über die Hauptfiguren des Surrealismus, das voller Exzentrik, Wahnsinn und Vergnügen steckt.
Desmond Morris, Das Leben der Surrealisten. Unionsverlag. 352 Seiten, 26 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Kann mich nicht erinnern, wann ich dieses Jahr sonst so laut gelacht hätte wie bei der Tanzszene in „Borat 2“. Oder überhaupt gelacht.
Borat 2: Anschluss Moviefilm, von und mit Sacha Baron Cohen (und Maria Bakalova!). Amazon prime.
EIN AUFREGER
Irgendwas von Woody Allen zu empfehlen ruft neuerdings reflexartig Empörung hervor. Dies ist seine Autobiografie. Fantastisches Buch, lustig und sorgfältig.
Woody Allen: Ganz nebenbei. Rowohlt, 2020. 448 Seiten, 25 Euro.
EINE HILFE
Die englische Schauspielerin, Autorin, Regisseurin und Produzentin Michaela Coel, 33, hat eine Fernsehserie über sexuellen Missbrauch gemacht, die einem den Glauben an die Menschheit zurückgeben kann. Nicht nur ist diese Serie, so modern, schnell und cool sie ist, auch noch gut geschrieben, mit unvergesslichen Charakteren. Sie hat auch einen so wahnsinnig schönen Kern: Man weiß nie, was der andere gerade durchmacht, darum geht es. Um Mitgefühl.
„I May Destroy You“, von und mit
Michaela Coel. Auf Sky.
Jens Bisky
EIN LIEBESBEWEIS
„Die beiden Götze“ war 1938 eine Karikatur in der Berliner Illustrierten überschrieben. Sie zeigte Heinrich George, der sein Riesentalent in den Dienst des Dritten Reiches stellte, als Ritter mit der eisernen Hand, neben seinem gerade geborenen Sohn, der vaterlos groß werden würde. Anschaulich erzählt Thomas Medicus von den beiden Schauspielern, von Vater und Sohn, deutscher Kultur im 20. Jahrhundert, von Körperbildern, Männerrollen.
Thomas Medicus: Heinrich und Götz George. Zwei Leben. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2020. 416 Seiten, 26 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Hollywood in den späten Vierzigerjahren, schöne Menschen werden kühn, attackieren mit List, Charme, Wut die Dreieinigkeit aus Rassismus, Sexismus, Homophobie. Eine Miniserie als kontrafaktische Emanzipationsoperette, in herrlichen Kostümen und atemberaubenden Dekorationen wunderbar gespielt.
Hollywood. Von Ryan Murphy und Ian Brennan, mit David Corenswet, Patty LuPone, Laura Harrier u. v. a. Netflix.
EINE HERAUSFORDERUNG
„Die Personen: Ivan, Malina, ich. Die Zeit: heute. Der Ort: Wien“. Nina Kunzendorf führt als Ich-Erzählerin durch Ingeborg Bachmanns Dreiecksgeschichte aus Briefen, Monologen, Telefongesprächen.
Malina. Hörspiel nach dem Roman von Ingeborg Bachmann. Mit Nina Kunzendorf, Edmund Telgenkämper, Christoph Luser. Der Audio Verlag, 2 CDs, ca. 150 Minuten, 16 Euro.
Kurt Kister
EINE WIEDERENTDECKUNG
Klingt prätentiös, ist aber voller Überraschungen: „Texte und Zeichen“ war eine Zeitschrift, die Alfred Andersch zwischen 1955 und 1957 herausgab. 16 Hefte erschienen, dann war Schluss, lohnte sich nicht ökonomisch. Literarisch lohnt es sich bis heute, Hunderte Texte von Arno Schmidt über Dylan Thomas bis zu Böll, Beckett und Joachim Kaiser. 1978 druckte Zweitausendeins die Jahresbände nach; gibt es noch antiquarisch so um die 20 Euro.
Texte und Zeichen, 3 Bände, ca. 1500 Seiten, Zweitausendeins Verlag, nur antiquarisch, ca. 20-30 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
Bob Dylan hat im Seuchenjahr eine neue Platte gemacht: „Rough and Rowdy Ways“. Der Meister lässt uns nicht allein. Auf der Platte klingt er manchmal, als wäre er erst 43. Bester Vintage Dylan mit einem großartigen Kennedy-Mordsong von 17 Minuten Dauer. You gotta love it.
Bob Dylan: Rough and Rowdy Ways. Als CD ab 9,99 Euro.
EINE HILFE
Bei Suhrkamp sind die „Reiseberichte“ von Siegfried Unseld erschienen. Es sind höchst subjektive Protokolle von verlegerischen Reisen zwischen 1959 und 1998. Unseld traf so ziemlich alle, die schrieben, vom Schreiben lebten oder das versuchten. Ein Blick in Welten, die dem Leser sonst verschlossen bleiben: Frisch ist sauer, Handke kann sich nicht benehmen, und die Japaner mögen Hesse, die auch.
Siegfried Unseld: Reiseberichte. Berlin, Suhrkamp 2020. 378 Seiten, 26 Euro.
Johan Schloemann
EIN VERMÖGEN
Eine steinreiche Bankiersfamilie stieg im 19. Jahrhundert zum letzten der großen römischen Adelshäuser auf, mit Palazzi, legendären Partys, repräsentativer Kunst und allem Drum und Dran. Ihre fantastische Sammlung von Antiken, die jahrzehntelang unzugänglich war, wäre jetzt gerade in Rom zu sehen, wenn nicht schon wieder alles zu wäre. Also muss man in diesem herrlichen Katalog schwelgen.
The Torlonia Marbles. Collecting Masterpieces. Herausgegeben von Salvatore Settis und Carlo Gasparri. Electa, Mailand 2020. 336 Seiten, 39 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Und Erwachsene ebenso. Neuer deutscher Kinderpop für uns alle, im fünften Jahr.
Unter meinem Bett 6. Oetinger Media, CD ca. 15 Euro oder Streaming.
EINE HERAUSFORDERUNG
Im Jahr der Pandemie packt dieses Buch besonders: Wie der Mensch durch die Erfindung der Jagd zum Raubtier wurde.
Roberto Calasso: Der Himmlische Jäger. Aus dem Italienischen von Reimar Klein und Marianne Schneider, Suhrkamp Verlag, 624 Seiten, 38 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
Spätestens seit „Jenseits von Afrika“ steht die Klarinette unter Kitschverdacht. Auch der „Allegro amabile“-Satz bei Brahms. Hier aber klingt sein scheinbar schlichtes Spätwerk wunderbar abgeklärt.
Johannes Brahms: Clarinet Sonatas. András Schiff, Jörg Widmann. ECM New Series, CD ca. 15 Euro oder Streaming.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2020

Sie wirken doch ganz intelligent

Fremdenfeindlichkeit kann es gar nicht sein: Deniz Ohde erzählt in ihrem für den Buchpreis nominierten Debüt von Ausgrenzung.

Die Schulkrankenschwester hatte es einen Unfall genannt. Sie sei ja auch etwas schmächtig, hatte die Lehrerin ergänzt. Sie könne gar nicht gemeint sein, entscheidet die Mutter, als sie ihre Tochter aus der Schule abholt: "Du bist Deutsche." Dabei ist das Mädchen, als es nach einem Probealarm wieder zurück ins Schulgebäude gehen sollte, von einem größeren Schüler nicht nur "Kellerkind" genannt worden, sondern es hat noch ein anderes Wort gehört, "das auch mit K begann, ein anderes", kurz vor dem Stoß in den Rücken, nach dem es auf dem Schulhof liegenblieb, allein, bis es gefunden wurde.

Das Spannungsfeld, in das Deniz Ohde ihre Erzählerin in "Streulicht" stellt, ist grausam, schmerzlich selbst beim Lesen. Es ist ein Leben in fortwährender Alarmbereitschaft: zu Hause, wo Wünsche keinen Platz haben und körperliche Warnzeichen missachtet werden, wo die Mutter das Kind in den Rücken kneift, damit es den Nachbarn gegenüber höflich ist, wo die Mutter eines Tages geht, ganz leise, ohne das Licht hinter sich zu löschen. Hier führt schon die kleinste falsche Bewegung ins Verderben. Dann erwacht der Vater aus seinem Schweigen und wird gewalttätig. "Ich schlage dich nicht", sagt er dann, "ich bin nicht so jemand", die flache, angespannte Hand knapp vor ihrem Gesicht. Stattdessen wirft er mit Glasaschenbechern. Aus der Wohnzimmervitrine ist längst ein Regal geworden.

"Sei still", heißt es zu Hause, "sprich lauter" in der Schule: Hier führt die Unauffälligkeit der Erzählerin, ihre Sprachlosigkeit, ihre Angst dazu, dass sie von den Lehrern übergangen und abgeurteilt wird. Selbst die beste Freundin hat keinen Blick für das, was die Erzählerin hindert und hemmt. Für Sophia besteht der Heimatort aus dem Reitstall, in dem sie voltigierte, und dem Turnverein, in dem sie Ballett tanzte, aus den schönen Straßen mit den Einfamilienhäusern und den "Willkommens"-Schildern an den Gartentoren, "die gewissenhaft ausgetauscht wurden, wenn die Sonne sie ausgeblichen hatte", während "die Landschaft" der Erzählerin der Himmelsausschnitt mit startenden Flugzeugen beim Blick aus ihrem Fenster ist, der nahe Industriepark, der dem Vater Arbeit gibt, seit er sechzehn war, dessen Kochsalzabluft sich auf die Autodächer legt und der den Ort, wenn es kalt ist, mit klebrigem Schnee bedeckt. Deniz Ohde lässt diese Kulisse des Künstlichen, in der sich der Frankfurter Industriepark Höchst mit angrenzendem Stadtteil Sindlingen erkennen lässt, immer wieder in die Geschichte ihres Debütromans hineinragen - bedrohlich für alle Anwohner, zugleich größter Arbeitgeber; eine ausweglose Maschine, die Menschen ernährt und zerstört.

Als sich die beiden einmal "in einen anderen Stadtteil" verirren, stellt Sophia fest, ihre Freundin, die Erzählerin, sehe allen Leuten dort ähnlich. Und drapiert ihr ihren Seidenschal ums Haar: "Jetzt siehst du noch mehr aus wie alle hier, wenn du jeden Tag so rumlaufen würdest, würden es alle sehen." Sie sei nicht so wie andere mit türkischem Elternteil, sagt die Erzählerin einmal, verbunden mit der stummen Bitte, auch nicht so behandelt zu werden. Sie weiß, wie sie sich anzuziehen, wie sie sich zu geben hat, sie weiß, welcher ihrer beiden Vornamen sie eher vor Vorverurteilungen schützt, und dass sie sich besser die Oberlippe und die Stelle über der Nase rasiert, an der die Augenbrauen zusammenwachsen. Es hilft nicht.

Mit feinen Beobachtungen zieht Deniz Ohde ihre Leser immer tiefer in die Gefühlswelt ihrer Erzählerin. Sie werden selbst zu Spurenlesern, die schon in den leisesten Anzeichen - einem Hörsturz der Mutter, ersten Anzeichen von häuslicher Gewalt, der beiläufigen Erwähnung eines Suizids mit Handgranate in einer gefüllten Kirche an Heiligabend, der sich Mitte der Neunziger tatsächlich in Sindlingen zugetragen hat - Warnsignale hören und flacher atmen.

Mit "Streulicht", auf der diesjährigen Longlist zum Deutschen Buchpreis zu finden, hat Deniz Ohde einen Roman der Unausweichlichkeit geschrieben. Selbst die besten Freunde der Erzählerin, Sophia und Pikka, mit ihren privilegierten Lebenswegen, schaffen es nicht aus dem Ort heraus. Sie kommen nicht einmal bis zum Bedürfnis zu gehen. Es ist ein bestürzender Bildungsroman, der, fein erzählt und unauffällig kunstvoll geknüpft, bis in kleinste Bewegungen sichtbar macht, wie Ausgrenzung und Abwertung funktionieren. Wie sich aus Hoffnungslosigkeit zu Hause und fortwährender Entmutigung draußen unerbittlich eine Falle formt.

Auf dem Gymnasium spricht der Lehrer früh vom "Aussieben". Sie betreffe das ja nicht, sagt der Vater seiner Tochter. Als der Lehrer ihr Jahre später ein Zeugnis mit dem Vermerk "Muss die Schulform verlassen" überreicht, gratuliert er ihr geistesabwesend - wie allen anderen in der Reihe, die er abschreitet. Der Lehrer habe überhaupt nicht gewusst, wer seine Tochter sei, erzählt der Vater einmal nach einer Elternsprechstunde, die der Lehrer mit allgemeiner Plauderei über die Klasse gefüllt hat: ein rarer Moment, in dem der Vater sich nicht hinter Allgemeinplätzen versteckt, in dem er sich dem eigenen Erleben stellt - und eine Gelegenheit für die Autorin, diese Figur selbst als Verlorenen zu zeigen, auf seine Weise zum Schweigen gebracht. Kein Monster.

Es ist Ratlosigkeit, die sie nach Abendschule, Gymnasium und Abitur, nach dem Studium fürs Erste eine Putzstelle annehmen lässt. Schnell finden sich in ihrem Gesicht Spuren der charakteristischen Erschöpfung. Auf ihre Bewerbungen kommt keine einzige Antwort. Unerklärlich auch für die Bewerbungshelferin: "Sie wirken doch ganz intelligent auf mich", sagt sie ihr.

"Ob man sich in die Luft sprengt, oder ob man geht, sehr leise geht, ohne das Licht hinter sich zu löschen - das schienen mir früher die beiden Möglichkeiten zu sein", heißt es einmal, bevor der Roman unmerklich enger um den Freitod damals mit der Handgranate zu kreisen beginnt.

FRIDTJOF KÜCHEMANN

Deniz Ohde: "Streulicht". Roman.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 284 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»[Streulicht] erinnert an französische Autoren wie Didier Eribon, Édouard Louis und Annie Ernaux, die sich allesamt aus dem sozialen Abseits herausgeschrieben haben. Nun liegt mit Deniz Ohdes Streulicht auch ein überzeugendes Gegenstück deutscher Literatur vor, das in seiner schnörkellosen Sprache mit dem Bildungsversprechen von Chancengleichheit abrechnet, ohne dabei plakative identitätspolitische Statements oder ein 'J'accuse' gebrauchen zu müssen.« Sinem Kilic DIE ZEIT 20201126