Der neue Roman von John Boyne ist faszinierend, packend, erschreckend, überraschend, lustig und tragisch! Allem voran ist Johne Boyne ein sprachlicher Genuss. Boyne schreibt scharfsinnige und kluge Geschichten, und so sind seine Sätze in „Die Geschichte eines Lügners“ wie geschliffenes Glas,
gefährlich scharf und gleichzeitig wunderschön. Jede Formulierung sitzt wie ein maßgeschneiderter Anzug.…mehrDer neue Roman von John Boyne ist faszinierend, packend, erschreckend, überraschend, lustig und tragisch! Allem voran ist Johne Boyne ein sprachlicher Genuss. Boyne schreibt scharfsinnige und kluge Geschichten, und so sind seine Sätze in „Die Geschichte eines Lügners“ wie geschliffenes Glas, gefährlich scharf und gleichzeitig wunderschön. Jede Formulierung sitzt wie ein maßgeschneiderter Anzug. Dem dadurch entstehenden Sog konnte ich mich frühzeitig nicht mehr entziehen und jegliche Zweifel, ob das Buch wohl meinen Geschmack treffen würde, waren vom Tisch gefegt. Ich lernte also Maurice Swift, diesen Gauner, kennen. Im Laufe der Geschichte wurden meine Umschreibungen seines Charakter nicht freundlicher. Sie reichen von durchtriebener Widerling, zerstörerischer Egoist, berechnender Heuchler bis hin zu überhebliches, verblendetes Ungeheuer – um nur eine Auswahl zu nennen. Der Protagonist ist wahrhaftig unsympathisch und unangenehm. Möchte man über so jemanden ein ganzes Buch lesen? Im Grunde nicht, wäre meine Antwort, doch Boyne garniert seine Geschichte mit genau der richtigen Prise beißendem Humor, um sie verträglich(er) zu machen.
Und schlussendlich geht es ja nicht um Maurice Swift allein. Tatsächlich lässt John Boyne ihn erst im letzten Drittel selbst zu Wort kommen. Zuvor lernen wir Erich Ackermann kennen, einen gutmütigen älteren Mann, der sich unverhofft und Hals über Kopf in den jungen und extrem gutaussehenden Maurice verliebt. Er nimmt ihn unter seine Fittiche, öffnet ihm die Türen in die Welt der Schriftsteller und Verlage und vertraut sich ihm an. Doch wie der Klappentext bereits verrät, nimmt diese Freundschaft kein gutes Ende für Erich.
Es stellt sich heraus, dass Erichs Geschichte nur der Auftakt für „Die Geschichte eines Lügners“ ist. Die Figuren abseits von Swift sind eine große Bereicherung für den Roman. Was sie antreibt, was sie verbergen, was sie fühlen und denken ist ungemein packend. Boyne hat mit ihnen äußerst vielschichtige und verschiedenartige Figuren ausgearbeitet. Dadurch ist jede Episode für sich interessant, alle in Kombination ergeben ein komplexes und clever konzipiertes Gesamtbild, das sich im letzten Teil – erzählt aus der Perspektive von Maurice – noch vertieft.
Die dabei entstehenden zeitlichen und örtlichen Sprünge irritieren absolut nicht, denn es gibt den einen roten Faden, der alle Teile miteinander verbindet. Im Zentrum steht die Suche nach DER Romanidee. Wie finden Autor:innen ihre Geschichten? Was inspiriert sie? Und noch viel wichtiger: Wann spricht man von Ideenklau? Wann wird es moralisch verwerflich, sich von Menschen im persönlichen Umfeld inspirieren zu lassen? Das Thema regt zum Denken an und lädt dazu ein, die Figur von Maurice bzw. seine Ansichten und Handlungen immer wieder aufs Neue zu hinterfragen. Was ich John Boyne hoch anrechne ist, dass er seine Geschichte mit einer unnachgiebigen Konsequenz zum Ende bringt, er lässt sich dabei nicht davon abbringen, das Unangenehme und Furchtbare auszuleuchten. Am Ende schafft er es nichtsdestotrotz, die Bedürfnisse des Lesers zu befriedigen, ruft allerdings (zumindest bei mir) zugleich ein gewisses Zähneknirschen hervor. Eine großartige Mischung!
„Die Geschichte eines Lügners“ von John Boyne ist ein kluges und psychologisch faszinierendes Meisterwerk, dessen Handlung der Autor präzise und eloquent auf den Punkt bringt. Spannend und höchst emotional wird es durch die Schicksale der verschiedenen Figuren, die um das Zentrum „Maurice Swift“ kreisen, einem Mann, der den persönlichen Erfolg über alles stellt. Ich kann nur von Glück sagen, dass mir dieses Buch zugeschickt wurde, andernfalls hätte ich eine hervorragende Lektüre verpasst.