Bodo Kirchhoff
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Widerfahrnis
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Reither, bis vor kurzem Kleinverleger in einer Großstadt, nun in einem idyllischen Tal am Alpenrand, hat in der dortigen Bibliothek ein Buch ohne Titel entdeckt, auf dem Umschlag nur der Name der Autorin, und als ihn das noch beschäftigt, klingelt es abends bei ihm. Und bereits in derselben Nacht beginnt sein Widerfahrnis und führt ihn binnen drei Tagen bis nach Sizilien. Die, die ihn an die Hand nimmt, ist Leonie Palm, zuletzt Besitzerin eines Hutgeschäfts; sie hat ihren Laden geschlossen, weil es der Zeit an Hutgesichtern fehlt, und er seinen Verlag dichtgemacht, weil es zunehmend mehr S...
Reither, bis vor kurzem Kleinverleger in einer Großstadt, nun in einem idyllischen Tal am Alpenrand, hat in der dortigen Bibliothek ein Buch ohne Titel entdeckt, auf dem Umschlag nur der Name der Autorin, und als ihn das noch beschäftigt, klingelt es abends bei ihm. Und bereits in derselben Nacht beginnt sein Widerfahrnis und führt ihn binnen drei Tagen bis nach Sizilien. Die, die ihn an die Hand nimmt, ist Leonie Palm, zuletzt Besitzerin eines Hutgeschäfts; sie hat ihren Laden geschlossen, weil es der Zeit an Hutgesichtern fehlt, und er seinen Verlag dichtgemacht, weil es zunehmend mehr Schreibende als Lesende gibt. Aber noch stärker verbindet die beiden, dass sie nicht mehr auf die große Liebe vorbereitet zu sein scheinen. Als dann nach drei Tagen im Auto am Mittelmeer das Glück über sie hereinbricht, schließt sich ihnen ein Mädchen an, das kein Wort redet, nur da ist... Kirchhoff erzählt in seiner großartigen Novelle von der Möglichkeit einer Liebe sowie die Parabel von einemdoppelten Sturz: in die Liebe, ohne ausreichend lieben zu können, und in das Mitmenschliche, ohne ausreichend gut zu sein. »Aber wo wären wir ohne etwas Selbstüberschätzung«, sagt der Protagonist Reither, um sich Mut zu machen für den ersten Kuss mit Leonie Palm, »jeder wäre nur in seinem Gehäuse, ein Flüchtling vor dem Leben.«Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2016
Bodo Kirchhoff, geboren 1948, lebt in Frankfurt am Main und am Gardasee. Zuletzt erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt seine von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeierten Romane »Verlangen und Melancholie« (2014) sowie »Die Liebe in groben Zügen« (2012).
Produktdetails
- Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
- 6. Aufl.
- Seitenzahl: 223
- Erscheinungstermin: 1. September 2016
- Deutsch
- Abmessung: 223mm x 146mm x 27mm
- Gewicht: 400g
- ISBN-13: 9783627002282
- ISBN-10: 3627002288
- Artikelnr.: 44898336
Herstellerkennzeichnung
Frankfurter Verlags-Anst.
Arndtstraße 11
60325 Frankfurt
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ulrich Rüdenauer mag die Emphase, mit der Bodo Kirchhoff über die Liebe und die Freundschaft schreibt. Mitunter gerate Kirchhoff das Pathos zwar etwas zu selbstverliebt, aber das verzeiht Rüdenauer ihm gern. In "Widerfahrnis" wird die Liebe im Schnelldurchlauf verhandelt, freut sich Rüdenauer, zudem strotze diese Novelle vor unerhörten Begebenheiten: Ein Mann trifft eine Frau, sie fahren in den Süden, sie lesen ihre eigene Liebesgeschichte, und schließlich steht ein kleines verwahrlostes und stummes Kind in ihrem Leben. In der Beschwörung großer Momente erinnert das Buch den Rezensenten an die Vorgängerromane "Die Liebe in groben Zügen" und "Verlangen und Melancholie", doch findet Rüdenauer es zugleich konzentrierter und verspielter.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Vier Tage eines neuen Lebens
Bodo Kirchhoffs meisterhafte Novelle "Widerfahrnis"
Dieses Buch ist die Essenz des literarischen Schaffens von Bodo Kirchhoff. Und dabei ist es "nur" eine Novelle. So abschätzig wird heute oft von dieser Form gesprochen, nachdem die von den Verlagen postulierte Gier des Lesepublikums nach Romanen sie fast ausgerottet hätte. Und mit dem Deutschen Buchpreis, der Jahr für Jahr ausschließlich unter den deutschen Romanen verliehen werden soll, vermuteten wir gar den sicheren Todesstoß. Aber von Zeit zu Zeit setzt sich eine Jury über die Formfrage hinweg und mogelt eine Novelle in ihre Auswahlliste hinein. In diesem Jahr ist das wieder einmal geschehen: mit Bodo Kirchhoffs
Bodo Kirchhoffs meisterhafte Novelle "Widerfahrnis"
Dieses Buch ist die Essenz des literarischen Schaffens von Bodo Kirchhoff. Und dabei ist es "nur" eine Novelle. So abschätzig wird heute oft von dieser Form gesprochen, nachdem die von den Verlagen postulierte Gier des Lesepublikums nach Romanen sie fast ausgerottet hätte. Und mit dem Deutschen Buchpreis, der Jahr für Jahr ausschließlich unter den deutschen Romanen verliehen werden soll, vermuteten wir gar den sicheren Todesstoß. Aber von Zeit zu Zeit setzt sich eine Jury über die Formfrage hinweg und mogelt eine Novelle in ihre Auswahlliste hinein. In diesem Jahr ist das wieder einmal geschehen: mit Bodo Kirchhoffs
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"Widerfahrnis".
Allerdings hat sich dieses Buch nicht in die Longlist eingeschlichen - es kommt im Triumphzug daher. Präziser wird in diesem Herbst in Deutschland nicht erzählt, und wenn Kirchhoff sich entschieden hätte, seine immerhin 210 Seiten zählende Prosa als Roman zu bezeichnen, hätte das nicht verwundert. Doch die Konzentration, die er sich selbst abverlangt hat, legt die scheinbar kleine Form nahe, die hier - die Wortfeldverschiebung sei gestattet - zu ganz großer Form aufläuft.
Die beiden Themen, die sich Kirchhoff für "Widerfahrnis" ausgesucht hat, sind ohnehin schon groß genug: die Liebe und die gegenwärtige Flüchtlingskrise. Das Erste ist das größte literarische Thema überhaupt, zeitlos seit dem Gilgamesch-Epos als der ersten Literatur überhaupt. Das Zweite ist dagegen tagesaktuell, also für den Ewigkeitsanspruch von Kunst viel riskanter. Aber es wird von Kirchhoff auch nur am Rande eingeführt - buchstäblich, denn einmal huschen bei einer nächtlichen Fahrt über die Alpen jenseits des Brennerpasses am Autobahnrand campierende Flüchtlinge in die Wahrnehmung, und dann erlebt Julius Reither, Kirchhoffs männlicher Protagonist, ganz zum Schluss eine Katharsis, als er auf der Rückfahrt mit der Fähre von Sizilien nach Kalabrien einer afrikanischen Flüchtlingsfamilie Zuflucht in seinem Auto gewährt. Das geschieht in einem Moment, der für ihn der krisenhafteste des Ausflugs aus dem bayerischen Voralpenland ins sizilianische Catania ist, weil eigentlich auch auf der Rückfahrt Leonie Palm neben ihm hätte sitzen sollen.
Diese Dame in den besten Jahren steht eines Abends vor der Wohnungstür des ehemaligen Verlegers Reither, der sich nach der Abwicklung seines großstädtischen Klein-aber-fein-Verlags einen idyllischen Altersruhesitz gesucht hat. Mit schönen Frauen hatte er weniger Geschick als mit schöner Buchgestaltung, doch in Gegenwart der literaturbegeisterten Leonie Palm wird aus dem einsamen Ruheständler ein verliebter Spontanreisender, der eine nächtliche Spritztour über die österreichische Grenze zum Achensee zur Fahrt durch ganz Italien erweitert. In der Nacht auf Dienstag, den 21. April 2015, geht es los, am Donnerstag ist man schon wieder auf der Rückfahrt. Diese Novelle misst einen großen Raum aus, aber eine sehr begrenzte Zeit.
Die Bewegung in der ganzen Vieldeutigkeit dieses Begriffs ist ihr zentrales Motiv, bis hin zur letzten Seite, auf der eine winzige Bemerkung von Leonie Palm alles vorher Gelesene noch einmal in neues Licht rückt. Überhaupt: Licht - "Widerfahrnis" ist ein Fest der Licht- und Dunkelphänomene, Lektion in Beschreibungskunst von kalten Nächten und warmen Abenden und entsprechenden Gefühlen. Der traditionsreichste geographische Gegensatz unserer Literatur - Italien und Deutschland - wird zur Skalierung der schwankenden Temperamentstemperaturen beider Protagonisten nutzbar gemacht. So klassisch hat Bodo Kirchhoff nie erzählt.
Subtiler auch nicht, denn der ehemalige Verleger, von dem Kirchhoff in der dritten Person berichtet (aber mit dem Wissen eines Reither gegenüber auktorialen Erzählers, während der erzählerische Blick auf Leonie Palm ganz äußerlich bleibt), legt sich selbst immer wieder Rechenschaft über die Angemessenheit der Schilderung des Geschehens ab - und über die Frage, ob das Erleben den eigenen literarischen Ansprüchen standgehalten hätte. "Auf dem Platz schon reges Leben, Frauen mit Tüten und Körben, Männer unterwegs mit Ersatzteilen, einem Auspuff, einer Felge, mit Karren voll Waren, Töpfe, Matratzen, Obst - schön fürs Auge, nichts fürs Buch", heißt es etwa über Catania, und es ist wunderbar, wie Reithers permanentes Ringen mit sich selbst in solchen Überlegungen vom Autor parallel geführt wird mit der Schwierigkeit, eine "unerhörte Begebenheit" (so Goethes inhaltliches Kriterium für die Novelle) zu erzählen und gleichzeitig dadurch das Unerhörte nicht sofort zu Verschwinden zu bringen.
Bodo Kirchhoff ist es geglückt - bis hin zur rätselhaft anmutenden Titelwahl seiner Novelle, die erst aus einem Gespräch zwischen seinen beiden Reisenden erklärt wird - "ein Titel, den er wohl hätte gelten lassen", wie Reither sich sagt. Kirchhoffs Buch darf in der Tat Gültigkeit für sich in Anspruch nehmen, weit über Aktualitäten wie Buchpreislisten und Flüchtlingsfragen hinaus.
ANDREAS PLATTHAUS
Bodo Kirchhoff: "Widerfahrnis". Eine Novelle.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2016. 224 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Allerdings hat sich dieses Buch nicht in die Longlist eingeschlichen - es kommt im Triumphzug daher. Präziser wird in diesem Herbst in Deutschland nicht erzählt, und wenn Kirchhoff sich entschieden hätte, seine immerhin 210 Seiten zählende Prosa als Roman zu bezeichnen, hätte das nicht verwundert. Doch die Konzentration, die er sich selbst abverlangt hat, legt die scheinbar kleine Form nahe, die hier - die Wortfeldverschiebung sei gestattet - zu ganz großer Form aufläuft.
Die beiden Themen, die sich Kirchhoff für "Widerfahrnis" ausgesucht hat, sind ohnehin schon groß genug: die Liebe und die gegenwärtige Flüchtlingskrise. Das Erste ist das größte literarische Thema überhaupt, zeitlos seit dem Gilgamesch-Epos als der ersten Literatur überhaupt. Das Zweite ist dagegen tagesaktuell, also für den Ewigkeitsanspruch von Kunst viel riskanter. Aber es wird von Kirchhoff auch nur am Rande eingeführt - buchstäblich, denn einmal huschen bei einer nächtlichen Fahrt über die Alpen jenseits des Brennerpasses am Autobahnrand campierende Flüchtlinge in die Wahrnehmung, und dann erlebt Julius Reither, Kirchhoffs männlicher Protagonist, ganz zum Schluss eine Katharsis, als er auf der Rückfahrt mit der Fähre von Sizilien nach Kalabrien einer afrikanischen Flüchtlingsfamilie Zuflucht in seinem Auto gewährt. Das geschieht in einem Moment, der für ihn der krisenhafteste des Ausflugs aus dem bayerischen Voralpenland ins sizilianische Catania ist, weil eigentlich auch auf der Rückfahrt Leonie Palm neben ihm hätte sitzen sollen.
Diese Dame in den besten Jahren steht eines Abends vor der Wohnungstür des ehemaligen Verlegers Reither, der sich nach der Abwicklung seines großstädtischen Klein-aber-fein-Verlags einen idyllischen Altersruhesitz gesucht hat. Mit schönen Frauen hatte er weniger Geschick als mit schöner Buchgestaltung, doch in Gegenwart der literaturbegeisterten Leonie Palm wird aus dem einsamen Ruheständler ein verliebter Spontanreisender, der eine nächtliche Spritztour über die österreichische Grenze zum Achensee zur Fahrt durch ganz Italien erweitert. In der Nacht auf Dienstag, den 21. April 2015, geht es los, am Donnerstag ist man schon wieder auf der Rückfahrt. Diese Novelle misst einen großen Raum aus, aber eine sehr begrenzte Zeit.
Die Bewegung in der ganzen Vieldeutigkeit dieses Begriffs ist ihr zentrales Motiv, bis hin zur letzten Seite, auf der eine winzige Bemerkung von Leonie Palm alles vorher Gelesene noch einmal in neues Licht rückt. Überhaupt: Licht - "Widerfahrnis" ist ein Fest der Licht- und Dunkelphänomene, Lektion in Beschreibungskunst von kalten Nächten und warmen Abenden und entsprechenden Gefühlen. Der traditionsreichste geographische Gegensatz unserer Literatur - Italien und Deutschland - wird zur Skalierung der schwankenden Temperamentstemperaturen beider Protagonisten nutzbar gemacht. So klassisch hat Bodo Kirchhoff nie erzählt.
Subtiler auch nicht, denn der ehemalige Verleger, von dem Kirchhoff in der dritten Person berichtet (aber mit dem Wissen eines Reither gegenüber auktorialen Erzählers, während der erzählerische Blick auf Leonie Palm ganz äußerlich bleibt), legt sich selbst immer wieder Rechenschaft über die Angemessenheit der Schilderung des Geschehens ab - und über die Frage, ob das Erleben den eigenen literarischen Ansprüchen standgehalten hätte. "Auf dem Platz schon reges Leben, Frauen mit Tüten und Körben, Männer unterwegs mit Ersatzteilen, einem Auspuff, einer Felge, mit Karren voll Waren, Töpfe, Matratzen, Obst - schön fürs Auge, nichts fürs Buch", heißt es etwa über Catania, und es ist wunderbar, wie Reithers permanentes Ringen mit sich selbst in solchen Überlegungen vom Autor parallel geführt wird mit der Schwierigkeit, eine "unerhörte Begebenheit" (so Goethes inhaltliches Kriterium für die Novelle) zu erzählen und gleichzeitig dadurch das Unerhörte nicht sofort zu Verschwinden zu bringen.
Bodo Kirchhoff ist es geglückt - bis hin zur rätselhaft anmutenden Titelwahl seiner Novelle, die erst aus einem Gespräch zwischen seinen beiden Reisenden erklärt wird - "ein Titel, den er wohl hätte gelten lassen", wie Reither sich sagt. Kirchhoffs Buch darf in der Tat Gültigkeit für sich in Anspruch nehmen, weit über Aktualitäten wie Buchpreislisten und Flüchtlingsfragen hinaus.
ANDREAS PLATTHAUS
Bodo Kirchhoff: "Widerfahrnis". Eine Novelle.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2016. 224 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Eine meisterhaft erzählte Geschichte um das Menschliche und die Mitmenschlichkeit, Begebenheiten des Augenblicks und die Schritte aufeinander zu. Brigitte Hütter Oberösterreichische Nachrichten 20201128
Da treffen sich zwei Menschen, die widerwillig im Alter angekommen scheinen: er, Reither, der seinen Verlag aufgeben musste, weil es immer mehr Schreibende und immer weniger Lesende gibt, und sie, Leonie Palm, die ihr Leben lang Hüte verkauft hat, bis auch das am Mangel an Hutgesichtern …
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Da treffen sich zwei Menschen, die widerwillig im Alter angekommen scheinen: er, Reither, der seinen Verlag aufgeben musste, weil es immer mehr Schreibende und immer weniger Lesende gibt, und sie, Leonie Palm, die ihr Leben lang Hüte verkauft hat, bis auch das am Mangel an Hutgesichtern scheiterte. Sie haben diesen Wendepunkt im Leben erreicht, wo aus all den vagen Wunschträumen für eine endlos erscheinende Zukunft auf einmal verpasste Chancen werden. Vergangene Enttäuschungen und Verluste, die man längst vergessen glaubt, schmerzen wie alte Narben.
Gemeinsam fliehen diese beiden Menschen, die keinen Halt mehr finden in ihrem Leben, Richtung Sonne und ihrer Verheißung von Glück. In Sizilien begegnen sie einem Kind, das nicht spricht und gerade dadurch zur Projektionsfläche für etwas wird, das beide Protagonisten vermissen - er, weil er es nie hatte, sie, weil sie es verlor.
Aber zunächst beginnt ihre Reise im späten Winter einer deutschen Großstadt, und auch das Buch erschien mir erst seltsam unterkühlt. Es wird aus Reithers Sicht erzählt, der nicht umhin kann, seine Erlebnisse aus einer gewissen Distanz zu sehen. So wie er als Lektor früher aus den Büchern alles Weiche und Sentimentale strich, lässt er es auch in seiner persönlichen Geschichte nur ungern zu. Gefiltertes Leben: Erleben und Erzählen gehen immer Hand in Hand - spröde, kalkuliert, und dennoch oder gerade deswegen mit glasklaren Momenten sprachlicher Schönheit.
Umso erstaunlicher ist, wie plötzlich und ungebremst die Ereignisse auf einmal über ihn hereinbrechen. Leben, Lieben, Hoffen und Scheitern im Zeitraffer. Wider Willen lässt Reither seine Emotionen immer mehr zu, bis aus einem Gedankenspiel mit interessanten Motiven am Schluss doch noch ein Buch wird, das ins Herz trifft.
In seiner Dankesrede sprach Bodo Kirchhoff unter anderem von der "Gratwanderung zwischen einem Erzählen, das wehtut und einem Erzählen, das guttut". Genau das ist es, was "Widerfahrnis" für mich ausmacht: Hoffnung, die dem Leser erst die Schwermut bewusst macht, und doch unausweichlich wieder in dieser mündet. Hilfsbereitschaft, die sich als egoistischer Selbstbetrug herausstellt. Aber umgekehrt auch Schmerz und Verlust, die einen Weg zu etwas Neuem bahnen.
Kirchhoff bricht elementare Themen wie Schuld, Verlust oder Liebe herunter auf das Grundlegendste und setzt sie wieder zusammen zu einer Geschichte der leisen Töne, die dennoch eine starke Sogwirkung entfaltet und es dem Leser dadurch schwer macht, das Buch wegzulegen. Auch wenn diese Themen archaisch sind, vielfach in der Literatur aufgegriffen, ist "Widerfahrnis" doch alles andere als abgedroschen.
Der Autor verzichtet gänzlich auf Pathos oder Kitsch. Sein Schreibstil hat etwas Klares, Schwereloses, und zeichnet sich dennoch durch messerscharfe Prägnanz aus. Das Wort, das mir spontan einfällt, ist "meisterhaft", und dennoch hat das Geschriebene etwas Zurückhaltendes.
Die Geschichte ist fast schon ein Kammerspiel, denn Reither und Leonie verbringen den größten Teil des Buches in ihrem Auto. Dabei kommt man ihm als Leser schnell näher, während man sie zunächst nur dadurch kennenlernt, wie sie auf Reither reagiert - ein Schattenspiel, sozusagen. Aber gerade das ist spannend zu verfolgen, und am Ende versteckt sich im Ungesagten ihr Motiv für die Reise.
Die Liebesgeschichte hat etwas bittersüß Anrührendes, gerade weil sie zu gleichen Teilen unmöglich und unaufhaltsam erscheint.
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... ausgesprochen originell, unterhaltsam, interessant, die Personen und Situationen; man mag es gar nicht beiseite legen und liest das Buch in amüsierter, guter Stimmung von vorne bis hinten durch ...
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Nachdem Kirchhoff einen ehrlicherweise so genannten "Schundroman" geschrieben hat, legt er nun einen getarnten vor. Diese Geschichte nennt sich Novelle- ich wartete vergeblich auf die klassischerweise integrierte "unerhörte Begebenheit". Der Text ist eine krude Mischung aus …
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Nachdem Kirchhoff einen ehrlicherweise so genannten "Schundroman" geschrieben hat, legt er nun einen getarnten vor. Diese Geschichte nennt sich Novelle- ich wartete vergeblich auf die klassischerweise integrierte "unerhörte Begebenheit". Der Text ist eine krude Mischung aus ein bisschen Flüchtlingsproblematik- man muss als Autor ja auf der Höhe der Zeit sein-, Alltagsausbruchsmotiven, wie schon unzählige Male erzählt, zart-kitschiger Liebesgeschichte, epigonalen postmodernen Textreflexionen und -bewusst?- altväterlichen Sprachmustern- der ideale Kandidat für Buchpreise: leicht zu konsumieren, scheinbar "anspruchsvoll", ohne Provokationen..... unerhört ist hier gar nichts.
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Überambitioniert erzählter Kitsch
Den Deutschen Buchpreis 2016 hat Bodo Kirchhoff mit «Widerfahrnis» gewonnen, einer Novelle um das Thema Liebe, für das der Autor als Experte gilt. Man sah ihn als solcher schon in einer Talkshow sitzen, wofür damals vermutlich der …
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Überambitioniert erzählter Kitsch
Den Deutschen Buchpreis 2016 hat Bodo Kirchhoff mit «Widerfahrnis» gewonnen, einer Novelle um das Thema Liebe, für das der Autor als Experte gilt. Man sah ihn als solcher schon in einer Talkshow sitzen, wofür damals vermutlich der Roman «Die Liebe in groben Zügen» Anlass war. Es handelt sich um eine Roadnovel, ein dem Roadmovie entsprechendes literarisches Genre. Der insoweit typische Plot handelt von einer spontanen Autoreise an ein zunächst nicht näher bestimmtes Ziel, wobei auf dem Weg allerlei Unvorhergesehenes passiert.
Diese dreitägige Fahrt ins Blaue widerfährt dem ehemaligen Kleinverleger Reither und Leoni Palm, vordem Besitzerin eines Hutladens, beide im Pensionsalter, Bewohner eines Seniorenheims in Oberbayern, die Beiden kennen sich nicht. Der Zufall, ein von ihr anonym geschriebenes Buch, bringt sie unvermutet zusammen, sie möchte seine Meinung wissen. Man trinkt Rotwein miteinander, und Leoni schlägt ihm übermütig eine mitternächtliche Spritztour mit ihrem BMW Cabrio vor, das eingeschneit auf dem Parkplatz steht. Der spontane nächtliche Ausflug endet drei Tage später auf Sizilien, wo sie auf ein verwahrlostes kleines Mädchen treffen, das sich vermutlich illegal dort aufhält. Sie kümmern sich um die Kleine, lassen sie in ihrem Appartement übernachten. Auf der Fähre bei der Rückfahrt aber flüchtet sie in panischer Angst aus dem Auto, Leoni läuft ihr nach. Reither, der bei dieser Flucht verletzt wurde, bleibt allein zurück und verlässt auch allein die Fähre. Er wird von einem Nigerianer verarztet, der mit Frau und Säugling auf der Flucht nach Deutschland ist. Reither will die Familie dorthin mitnehmen, durch Zufall trifft er Leoni wieder, und sie gibt ihm die Schlüssel für ihre Wohnung, die Nigerianer könnten bei ihr wohnen, sie will allein weiterreisen durch Italien.
Die beiden Protagonisten eint ihr Scheitern, sie sind aus der Zeit gefallen wirtschaftlich, ihr Ruhestand ist unfreiwillig. Natürlich kommen sich die munteren Frührentner allmählich näher, ohne allerdings allzu viel von sich preiszugeben. Sie sind sich sympathisch, eine späte Liebe keimt auf zwischen ihnen, in Sizilien, wo sie nach zwei Übernachtungen im Auto erstmals ein festes Quartier nehmen, landen sie dann auch prompt im Bett miteinander. Kirchhoffs Geschichte wirkt wie am Reißbrett konstruiert, allzu forsch und selbstverliebt werden da offensichtliche Altmännerphantasien, traumatische Verlusterfahrungen, bedrückende Flüchtlingsschicksale und arrogante Überlegenheitsgefühle des wie ein Alter Ego erscheinenden Helden unmotiviert miteinander verwoben. Vieles ist an den Haaren herbeigezogen, nicht nur die Geschichte als solche. Der Nigerianer aus Lagos zum Beispiel, ein Fischer, näht Reithers tiefe Wunde an der Hand mit nicht weniger als zehn Stichen, auf offener Straße, die Utensilien dafür hat er im Fluchtgepäck, in einer Blechbüchse. Gefühlte hundert Mal zünden Reither und die bis dato nicht rauchende Leonie sich eine Zigarette an, ein kultische Handlung geradezu, die ich seit Hemingway so extensiv nicht mehr beschrieben fand, und auch der Rotwein gehört immer dazu.
Kirchhoff erzählt seine pathetische Geschichte vom verpassten Lebensglück überambitioniert, wie ein - zur Verdeutlichung übertreibendes - Lehrstück für kreatives Schreiben, in das allzu viel hineingepackt ist. Darauf deuten auch seine häufigen Anmerkungen zum Schreibprozess selbst hin, als auktorialer Erzähler lässt er den Leser an der Suche nach der richtigen Formulierung teilnehmen, was ebenfalls peinlich aufgesetzt wirkt, man fühlt sich in einen seiner Schreibkurse am Gardasee versetzt. Der Plot selbst aber ist hanebüchen, gut erzählter Kitsch, der sich schamlos der Flüchtlingsproblematik bedient. Wenn man nicht wüsste, dass Kirchhoff es besser kann, würde man diese überladene, geradezu gespreizt erzählte Geschichte kopfschüttelnd zur Seite legen und den Autor vergessen. So aber fragt man sich, wie er zu dem Preis gekommen ist.
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Julius Reither, Ende 60, alleinstehend, hat seinen kleinen, eher erfolglosen Verlag und die dazugehörende Buchhandlung verkauft und sich in ein ruhiges schönes Tal nahe Österreich zurückgezogen. Eines Abends klopft es an seiner Tür - Leonie Palm steht davor, die ebenfalls in …
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Julius Reither, Ende 60, alleinstehend, hat seinen kleinen, eher erfolglosen Verlag und die dazugehörende Buchhandlung verkauft und sich in ein ruhiges schönes Tal nahe Österreich zurückgezogen. Eines Abends klopft es an seiner Tür - Leonie Palm steht davor, die ebenfalls in der Appartementanlage wohnt und um seine Mithilfe bei einem Literaturkreis bittet. Spontan aus dem Gespräch heraus entschließen sie sich mitten in der Nacht zu einem Ausflug, der sich zu einer Reise nach Sizilien entwickelt. Und zu einer Liebesgeschichte.
Doch das sind leider so ziemlich die einzigen Entwicklungen, die es in diesem Buch gibt. Der Protagonist ist ein überaus selbstmitleidiger Mensch mit pessimistischer Weltsicht und überheblichen Zügen. Auch seine Empathiefähigkeit ist sehr begrenzt: Oh ja, er setzt sich für Flüchtlinge ein, wenn diese drangsaliert werden und steckt ihnen Lebensmittel und Münzen zu. Doch sollen sie ihm bloß nicht zu nahe kommen und sein Leben stören. Selbst am Ende hatte ich den Eindruck, seine Handlungen resultieren mehr aus Pflichtgefühl als aus innnerer Überzeugung.
Natürlich kann auch eine unsympathische Hauptfigur das Thema eines guten Romanes sein, keine Frage. Doch die Sprache dieser 'Novelle' ist stellenweise so gekünstelt und gedrechselt, dass ich mich nur noch fragte: 'Was will der Autor mir damit sagen?' Inhaltlich vermutlich nichts, nur einen Beweis seiner grandiosen Ausdrucksfähigkeit vorlegen. Einige Beispiele: '... Liebesromanen, jeder Umschlag nur ein Leugnen, wie sehr das Begehren das Sein verbraucht ...'; ihm war auch das recht, alles, um von der Schneide des Augenblicks herunterzukommen ...'; Worte waren das wie herausgestemmt aus einem ganzen Packen ähnlicher Worte, einem Packen, der verklumpt, ...'. Es gibt auch wunderbare Sätze, die das Herausschreiben lohnen: 'Die Leute haben gespürt, dass ihre Gesichter zu leer waren für Hüte.'; '... das wahre Gebrechen, es sitzt in den Gedanken, nicht in den Knochen.'; Aber leider sind sie in der Unterzahl.
Es gibt einen Satz, der nicht nur das Wesen des Protagonisten darstellt, sondern auch sinnbildlich für das Buch steht: 'Das Lieben, das Vergehen darin, alles Schmelzen, er hatte es immer vermieden und dafür Bücher gemacht, die davon erzählten, jedes durch seinen Stift so verschlankt, so ausgedünnt, bis nichts mehr darin weich war, faulig, süß, nur noch Sätze wie gemeißelt, ohne die Klebrigkeiten, die Widerhaken der Liebe, all ihr Unsägliches.' Dumm nur, dass genau diese Eigenschaften das Wunderbare der Liebe ausmachen. Und auch ein gutes Buch ;-)
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Erzählsog
Souverän und routiniert geschrieben. Ein interessanter und spontaner Road-Trip in den Süden. Der Autor zeigt sich auf der Höhe des literarischen Schreibens und schafft einen angenehm fesselnden Erzählsog. Er beherrscht die Mittel. Wenig Längen im Text: Da …
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Erzählsog
Souverän und routiniert geschrieben. Ein interessanter und spontaner Road-Trip in den Süden. Der Autor zeigt sich auf der Höhe des literarischen Schreibens und schafft einen angenehm fesselnden Erzählsog. Er beherrscht die Mittel. Wenig Längen im Text: Da machte mal wieder Übung den Meister...
Lohnt sich!
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Deutscher Buchpreis, was bist wert?
Es gibt so viele Bücher, die besser sind als dieses. Joachim Meyerhoff hätte ihn verdient.
Nur weil in diesem Flüchtlinge am Rande thematisiert werden. Oder was war die Begründung?
Eine unsäglich lange Reise nach Sizilien, dabei …
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Deutscher Buchpreis, was bist wert?
Es gibt so viele Bücher, die besser sind als dieses. Joachim Meyerhoff hätte ihn verdient.
Nur weil in diesem Flüchtlinge am Rande thematisiert werden. Oder was war die Begründung?
Eine unsäglich lange Reise nach Sizilien, dabei interessiert die Reiseroute, und ob man die Küste sieht oder nicht, doch niemanden.
Immerhin lässt sich dieses Buch schnell lesen und schnell wieder vergessen. Und gegen Ende mit dem Mädchen aus Catania wird es mitunter spannend, das echte Ende ist kitschig und misslungen.
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Wie stark eine zufällige Begegnung zweier Menschen das Leben ebenjener verändern und beeinflussen kann, erfahren Reither und Leonie als sie unvermittelt gen Süden aufbrechen. Nie zuvor hatten sie miteinander zu tun und doch gibt es diese Anziehungskraft zwischen ihnen, ähnliche …
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Wie stark eine zufällige Begegnung zweier Menschen das Leben ebenjener verändern und beeinflussen kann, erfahren Reither und Leonie als sie unvermittelt gen Süden aufbrechen. Nie zuvor hatten sie miteinander zu tun und doch gibt es diese Anziehungskraft zwischen ihnen, ähnliche Träume und Wünsche eingeschlossen. Während ihrer Fahrt treffen sie auf ein junges Märchen, das, wie es scheint, weder ihre Sprache spricht noch ein Dach über dem Kopf besitzt. Die Reisenden bringen es nicht übers Herz sie sich selbst zu überlassen und so fahren sie zu dritt weiter. Was, wenn das alles vielleicht doch kein Zufall ist?
Diese Menschen, die sich aufmachen, einfach aus gewohnten Mustern auszubrechen versuchen, und die der Hörer im Verlauf des Geschehens immer besser kennenlernt, könnten auch ganz andere sein. In einigen Ansichten und Eigenschaften wird man vermutlich sogar sich selbst erkennen, warum als nicht gleich ebenfalls auf Reisen gehen, nach Italien oder wo immer das Herz sich hin sehnt.
Melancholisch, wortgewandt und extrem nah an der Wirklichkeit hat Bodo Kirchhoff ein Werk erschaffen, das den Hörer gefangen nimmt und nachdenklich stimmt. Fragen werden laut, das eigene Leben, Denken, Handeln betreffend, aber auch weitgreifender, tiefgründiger und existentieller. Interessanterweise sind es dabei vielmehr die kleinen Anstöße, die die Erzählung alleine durch ihren Klang ausübt als der Inhalt selbst. Dieser ist natürlich keineswegs unwichtig oder gar gänzlich austauschbar, und doch erwischt man sich immer wieder dabei den eigenen Gedanken nachzuhängen als den Verlauf der Reise konzentriert zu verfolgen.
Frank Arnold gibt dem Ganzen eine Stimme und spürt der gegebenen Atmosphäre auf seine ganz eigene Art nach. Gleichzeitig überträgt er die Stimmung auf den Hörer, der sich einbettet in zwarte Töne ebenso wie harte Aussagen, die nicht wieder zurückgenommen werden können. Eine absolute Topleistung des Sprechers, dessen Interpretation des Geschehens keinen Grund zum Klagen gibt.
Im Nachhinein hat man das Gefühl, dass es gar nicht so sehr auf das 'Was' in der Geschichte ankommt, sondern eher auf das 'Wie'. Und ganz besonders darauf was man selbst beim Hören spürt.
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eBook, ePUB
Bei „Widerfahrnis“ von Bodo Kirchhoff handelt es sich um ein Stück gehobener Literatur. Das bedeutet u.a., dass die Bewertungskriterien hier andere sind, als diejenigen, die bei den reinen Unterhaltungsstücken Anwendung finden.
Es gibt wenig Personal. Der äußere …
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Bei „Widerfahrnis“ von Bodo Kirchhoff handelt es sich um ein Stück gehobener Literatur. Das bedeutet u.a., dass die Bewertungskriterien hier andere sind, als diejenigen, die bei den reinen Unterhaltungsstücken Anwendung finden.
Es gibt wenig Personal. Der äußere Plot spielt eine untergeordnete Rolle. Vielmehr beschäftigt sich die Novelle mit zwei Protagonisten: ihrem Innenleben, der Entwicklung der Beziehung zwischen Reither, Mitte sechzig, ehem. Kleinverleger, und Leonie Palm, paar Jahre jünger, ehem. Hutladenbesitzerin, die im idyllischen Tal am Alpenrand ihren Ruhestand verbringen.
Leoni kommt eines Sonntagsabends zu Reither, um ihn zur nächsten Sitzung des örtlichen Lesekreises einzuladen. Sie reden miteinander, rauchen, trinken Wein und verspüren plötzlich die Lust loszufahren, etwas Schönes zu sehen und Neues zu erleben. Erst wollen sie bloß zum Sonnenaufgang bis zum nächsten See, dann aber geht es einfach weiter bis nach Sizilien.
Drei Tage dauert die Reise. Vielmehr geht es aber um eine innere Reise, bei der die beiden Protagonisten auf ihr Leben zurückblicken und einander nach und nach besser kennenlernen. Einiges eint sie: Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Weder Reither noch Leoni Palm war vom Leben verwöhnt, sowohl beruflich als auch privat. Verluste säumen die Lebenswege der beiden und fordern Lebensmut und die Kunstfertigkeit, mit der gegebenen Lebenssituation umzugehen. Die beiden leben schon eine Weile allein, also müssen sie erneut lernen, sich auf eine andere Person einzulassen, zu vertrauen und die Grenzen ihrer jüngst entstandenen Beziehung auszuloten.
Spannend zu sehen, insb. zum Schluss, wie unterschiedlich die beiden dennoch sind. Auch in dieser neuen Situation bleibt Reither der Mensch, der er immer gewesen war und kann seine Grenzen nicht überschreiten. Er erntet das, was er verdient. Im Klappentext heißt es: „Kirchhoff erzählt … die Parabel von einem doppelten Sturz: in die Liebe, ohne ausreichend lieben zu können, und in das Mitmenschliche, ohne ausreichend gut zu sein. ‚Aber wo wären wir ohne etwas Selbstüberschätzung“, sagt der Protagonist Reither, um sich Mut zu machen für den nächsten Kuss mit Leonie Palm, ‚jeder wäre nur in seinem Gehäuse, ein Flüchtling vor dem Leben.‘“. Das passt sehr gut.
Das Thema Flüchtlinge ist in „Widerfahrnis“ auch gut präsent. Anfangs wird über die Flucht einer jungen Frau aus Eritrea erzählt. Zum Schluss spielen die Flüchtlinge eine noch größere Rolle und lassen die beiden Protagonisten ihre Schlüsse ziehen.
Die Novelle bietet auch einige Sätze, die jedes Zitatenheft schmücken können, z.B.
„…auch böse Erinnerungen haben ihren Sinn, sie schärfen den Blick für das Gute in der Gegenwart…“ liest man Kapitel 4.
„… als wäre er ein Idiot der Liebe, glaubte, je größer das eigene Verlangen sie, desto größer sei auch das Recht auf Erlösung, was es aber nicht.“ Kapitel 3.
„...Erinnerungen sind keine Abschnitte in Handbüchern, es sind auch nicht nur Einflüsterungen. Viel eher sind es Splitter, auf die man barfuß im Dunklen tritt, weil man vergessen hat, dass etwas zu Bruch gegangen ist…“ Kapitel 7.
Fazit: Leseerlebnis besonderer Art: zum Nachdenken anregend und bereichernd. Mit der Art der Stoffdarbietung muss man allerdings klarkommen, bzw. Durchhaltevermögen mitbringen. Schachtelsätze und ausschweifende Erklärungen sind nicht so meins. Daher vier Sterne und eine Leseempfehlung für diejenigen, die mal ein Stück anspruchsvoller Literatur kennenlernen möchten.
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