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8 Kundenbewertungen

Ein Kunstdiebstahl aus Liebe - Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2022 Shortlist
»Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht.« Als zufriedener Kunstbanause offenbart sich der Erzähler zu Beginn und berichtet davon, wie Carl, bewunderter Freund, ihn mit seiner Spitzweg-Begeisterung vom Gegenteil überzeugt. In der Mitte des Geschehens: eine Dreiecksbeziehung, ein hochbegabtes Mädchen und der verräterische Diebstahl eines Gemäldes. Durch raffinierte Rachepläne wird die Schülerfreundschaft auf ihre schwerste Probe gestellt.
Eckhart Nickel erzählt wie in »Hysteria« die Geschichte einer
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Produktbeschreibung
Ein Kunstdiebstahl aus Liebe - Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2022 Shortlist

»Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht.« Als zufriedener Kunstbanause offenbart sich der Erzähler zu Beginn und berichtet davon, wie Carl, bewunderter Freund, ihn mit seiner Spitzweg-Begeisterung vom Gegenteil überzeugt. In der Mitte des Geschehens: eine Dreiecksbeziehung, ein hochbegabtes Mädchen und der verräterische Diebstahl eines Gemäldes. Durch raffinierte Rachepläne wird die Schülerfreundschaft auf ihre schwerste Probe gestellt.

Eckhart Nickel erzählt wie in »Hysteria« die Geschichte einer Obsession: War darin von der Natur nur noch künstliche Reproduktion übrig, wird nun die Kunst zur zweiten Natur des Menschen.

Eine raffinierte Kritik an der Bildvergötterung der sozial verwahrlosten Digitalgesellschaft und ihrer allmächtigen Instagrammatik.

»Drei Schüler fliehen aus der banalen Realität in die Welt der Kunst und drohen sich darin zu verlieren: 'Spitzweg' ist die Geschichte einer frühen Liebe, ein literarisches Vexierspiel und ein Bildungsroman, der das Zauberhaft-Verrückte der Romantik in unsere kontrollbesessene Gegenwart holt ... Eckhart Nickel ist ein fantastischer Erzähler! « Niklas Maak

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erika Thomalla hätte sich gewünscht, dass Eckhart Nickel auf seine Freundschaftsgeschichte zwischen drei Schülern vertraut und auf gegenwartspolemische "Lektionen" in Sachen Kunst und Kultur sowie auf eine etwas kitschige, altertümelnde Sprache verzichtet hätte. Dann hätte ihr der Roman noch mehr Freude bereitet. Wie Nickel nämlich die Kunst als Schule des Sehens darstellt, an der sich seine Protagonisten reiben, findet Thomalla lesenswert. Leider fühlt sie sich beim Lesen immer wieder an die Pauker- und Pennälerfilme der Sechziger erinnert, mit Nickel als Oberlehrer.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2022

Bitte folgen Sie mir
Was bedeutet die Kunst für das Leben?
Nun: alles. Zu Eckhart Nickels tollem Roman „Spitzweg“
Die erste Szene spielt im Klassenzimmer und sie ist zu grausam, um hier nicht wiedergegeben zu werden. Im Kunstunterricht von Frau Hügel sollen die Schüler sich selbst malen, so auch Kirsten, das einzige Talent im Raum. Auf ihrem Kontrollgang bleibt Frau Hügel an Kirstens Platz stehen, sie beugt sich über ihre Schulter und sagt etwas, das – einmal ausgesprochen – unmöglich für das gehalten werden kann, was es hätte werden sollen, nämlich ein Lob. Die Lehrerin Frau Hügel betrachtet also das Selbstporträt ihrer Schülerin Kirsten und urteilt, voller Anerkennung: „Ausgesprochen gelungen, Respekt: Mut zur Hässlichkeit!“
Kirsten schlägt die Hände vors Gesicht, dann ist nur noch das hallende Klicken ihrer Schuhe im steinernen Treppenhaus der Schule zu hören. Der Autor Eckhart Nickel aber bleibt im Raum und malt ungerührt weiter am ersten Bild seines Kunstromans „Spitzweg“. Es soll eine erste Skizze der Hauptfiguren werden und schon mal die Spielregeln andeuten, nach denen es im Folgenden sehr fein zur Sache gehen wird.
Der Banknachbar von Kirsten heißt Carl, und er sichert so geistesgegenwärtig wie meisterdiebisch das von Frau Hügel besprochene Porträt. Eckhart Nickel bezeichnet dies als den ersten Kunstraub in „Spitzweg“ und dieser Raub gelingt auch deswegen, weil zunächst völlig unklar bleibt, mit welcher Absicht Carl das Corpus Delicti sichert: zum Schutz der Mitschülerin? Oder doch als Kompromat zu deren weiterer, fortan vorsätzlicher Peinigung?
Als Dritter zu dem, was noch kein Bunde ist, kommt der namenlose Erzähler. Als Einziger aus dem Klassenverbund beobachtet er Carl bei dessen Tat, es ist der Beginn einer Komplizenschaft zwischen Erzähler und Figur, die nur vorübergehend unfreiwillig ist. Und es ist auch im kunsthandwerklichen Sinne ein weiterer feiner Strich des Autors, für dessen zweiten Roman ein Satz Carl Spitzwegs gilt, den Nickel seinem Buch selbst vorangestellt hat: „Jede Linie mit Verstand, alles durchdacht, das Uninteressante interessant“.
Die Kunst und das Künstliche auf allen Ebenen vom Geschehen über die Sprache bis zum handelnden Personal noch in den Nebenrollen nimmt einer Geschichte natürlich Möglichkeiten. Obschon Kirsten, Carl und der Erzähler vor dem Abitur stehen, ist „Spitzweg“ kein Coming-of-Age-Roman im Sinne wilder Herzen und aufregenden nächtlichen Nacktbadens im See. Und obschon das Buch in einer erweiterten Gegenwart zu spielen scheint, bleibt jeder konkrete Verweis darauf aus. „Spitzweg“ ist eine Fantasie, in der keine Smartphones aufleuchten, keine E-Autos um die Ecke biegen. Und trotzdem funktioniert „Spitzweg“ so ausgesprochen gelungen, Respekt: Mut zur Künstlichkeit!
Woran liegt’s? Es liegt zuerst an der Konstruktion von Personal und Handlung. Der initiale Fauxpas der armen Frau Hügel bringt die Mission Rache in Bewegung und unsere drei Helden zusammen. Sie entwickeln interessante Gefälle zueinander. Der Erzähler ist in Kirsten verliebt, weil sie talentiert ist und weil sie noch dazu ausschaut wie die hinreißende Kopfverdreherin auf einem Albumcover der Band Vampire Weekend, die bei Musikversteher Nickel „Vampirwochenende“ heißt und damit die lesbarste Chiffre der realen Gegenwart bleibt.
Über Carl wiederum sagt der Erzähler, er sei „wirklich jemand, der im vorteilhaftesten Sinn aus der Zeit gefallen war“, worauf sich beider Nähe insofern gründet, als Carl diese Gegenwart, „so war ich mir sicher, genauso verachtete wie ich“. Kirsten schließlich ist erst mal froh um jeden Anschluss, weil ihr Elternhaus nämlich keinen hat, weder für Strom noch für Wärme, alles ist off the grid wegen einer eigenartigen Allergie der Mutter gegen alles Künstliche.
Wenn Eltern einen solchen doch sehr grundsätzlichen Dachschaden entwickeln, können einem die Kinder in der Regel nur leidtun. Kirsten aber wird in einer Szene von Carl und dem Erzähler gerettet, die vieles von dem in sich vereinigt, das dieses Buch des Reisejournalisten und vormaligen Popliteraten Eckhart Nickel zu einem besonderen macht.
Der Erzähler hat sich mit Carl in dessen „Kunstversteck“ zurückgezogen, einen geheimen Raum irgendwo auf halber Treppe seines mindestens bürgerlichen Zuhauses. Ein wenig erinnert dieses Versteck an die Kammer von Spitzwegs armem Poeten, mehr noch ist es Bühne für Carls Lebensprinzip, den Eigensinn und die Kunst ohne jede höfliche Zurückhaltung fast schon klassizistisch in allem offensiv zu feiern, von der Wahl seiner Bonmots bis zum spontanen Vortrag über die Tonart As-Dur im Allgemeinen und konkret in den „Nocturnes von Chopin, der vielleicht wirklich allerschönsten Musik, die je geschrieben wurde. Nun ist der Erzähler zwar seinerseits durchaus kunstsinnig, aber doch immerhin etwas weniger weltvergessen als Carl. Als er vom Spähposten des Kunstverstecks die flüchtige Kirsten entdeckt, die gerade von einer Horde Raubeinen bedroht wird, greift der Erzähler zum Plattenspieler und schleudert Chopin als Diskus in Richtung des Mobs. Auch in diesem Sinne wirkt die Kunst nun lebensverändernd, noch dazu so unmittelbar wie selten.
Darum geht es letztlich in „Spitzweg“ auch in einem höheren Sinne. Nachdem Eckart Nickel schon sein spätes Debüt „Hysteria“ mit einem programmatisch andeutungsreichen Satz hatte beginnen lassen („Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.“), fängt „Spitzweg“ an mit der Feststellung des Erzählers: „Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht.“ Und „Spitzweg“ ist dann ein Roman über die Möglichkeit, sich eines Anderen und Besseren nicht belehren zu lassen, sondern sich selbst zu belehren.
Wer im Heranwachsen oder wann danach auch immer erst mal verstanden hat, dass es aus der alles Menschliche grundierenden Einsamkeit letztlich keinen Ausweg geben kann, der wäre schön blöd, auf die Kunst als Lebenshilfe, Gegengift und auch Zwiegesprächspartner zu verzichten. Auf dem Cover von „Spitzweg“ ist natürlich nicht zufällig dessen Hagestolz zu sehen, der doch schon als schieres Wort in der Wiedervorlage ein Ereignis ist, wie es überhaupt bei Nickel nur so wimmelt von „Treulieb“ und „Drangsal“ und Stockfleckigkeit.
Der Hagestolz jedenfalls beschreibt einen späten Junggesellen, der in unnötigem Distinktionsgehabe zuweilen als sonderbar von jenen beschrieben wird, die Lebensführung vor allem als Auftrag verstehen, sämtliche Normen der Gesellschaft zu erfüllen, statt diese individuell auf Tauglichkeit zu prüfen. Carl scheint in diesem Sinne ein frühreifender Hagestolz sozusagen in the making zu sein, wohingegen bei Kirsten wie dem Erzähler eher offen zu sein scheint, ob der Biedermeier nicht in ganz gewöhnlicher Weise noch zuschlagen könnte, nämlich im Sinne der Gewöhnlichkeit. Wie sehr die Kunst ein lehrreicher Spiegel sein kann bei der Suche nach dem Ich, und welche Wunder sie für jeden von uns bereithält, darüber lässt sich in „Spitzweg“ genauso lesen wie über das nicht geringe Risiko, in Dimensionen des Sozialen zu verkümmern, wenn man wie Carl in der Kunst und in der Künstlichkeit eine Heimat gefunden zu haben glaubt, gegen die im Vergleich keine Zwischenmenschlichkeit je Bestand haben könnte.
Eckhart Nickel ist ein tolles Buch über all diese Fragen gelungen. Über diese in seiner Obhut offen nachzudenken, bedeutet eine Gefahr, die man suchen sollte.
CORNELIUS POLLMER
Auf dem Spähposten
wird die Chopin-Schallplatte
zur Diskusscheibe
Das Modell des hier von Eckhart Nickel getragenen Anzugs heißt „The Thriller“, sein neues Buch dagegen heißt „Spitzweg“. Es ist streckenweise spannend, vor allem eine Liebeserklärung an die Kunst – und Künstlichkeit.
Foto: FAZ-Foto/Jana Mai
Eckhart Nickel:
Spitzweg.
256 Seiten.
Piper Verlag 2022.
22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2022

Vor dem Lehrer ein Knicks

Demonstrative Gegenwartsferne als Kommentar zur Gegenwart? Eckhart Nickels doppelbödiger Schul- und Kunstroman "Spitzweg" provoziert genaue Beobachtung und die Frage, ob ein

ästhetizistisches Dasein heute noch möglich ist.

Wenn ein Roman aus dem Jahr 2022, der laut Klappentext davon handelt, ob die "Kunst es vermag, bessere Menschen aus uns zu machen", den Titel "Spitzweg" trägt, dann kann man das nur als Signal verstehen: Offenbar geht es hier um ein Ideal von Kunst, das dezidiert nicht das unserer Gegenwart ist. Bedeutsam ist die Referenz aber nicht bloß deshalb, weil der Biedermeier-Maler Carl Spitzweg für eine Zeit steht, die mit der Abkehr von der Politik und der Hinwendung zum Privatleben assoziiert wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die scheinbar idyllischen Szenen auf seinen Bildern sich oft als vielschichtig und doppelbödig erweisen. Man muss mehrmals hinsehen, um das Ironische, Widersprüchliche oder Abgründige in ihnen zu entdecken.

Um dieses Potential der Kunst, in der genauen, immer wieder neuen Beobachtung zu schulen, geht es in Eckhart Nickels zweitem Roman. Er erzählt von drei Abiturienten, die durch eine "unerhörte Begebenheit" zusammengeführt werden. Die künstlerisch talentierte Kirsten, Mitschülerin und Angebetete des namenlosen Ich-Erzählers, erhält im Kunstunterricht für ihr Selbstporträt von der Lehrerin das ambivalente Lob, "Mut zur Hässlichkeit" bewiesen zu haben. Um diese "Beleidigung" zu bestrafen, heckt der neue Mitschüler Carl, ein meisterhafter Kenner der Kunstgeschichte, der in mehrfacher Hinsicht "aus der Zeit gefallen", ja ein "halbes Fabelwesen" ist, einen Racheplan aus: Kirsten soll zum Schein verschwinden, bis die Lehrerin ihr pädagogisches Fehlverhalten einsieht. Der Plan geht allerdings nur kurzzeitig auf, denn als Kirsten ihr Selbstporträt, das Carl nach dem Unterricht heimlich entwendet hatte, in dessen Kommode wiederentdeckt, ist sie auf einmal wirklich weg. Die vom Erzähler und Carl initiierte Suche nach der Verschollenen mündet nach bizarren Begegnungen mit Kirstens Mutter und einem rätselhaften Greis in einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd im Museum.

Doch diese Handlung bildet nur den äußeren Rahmen für die großen Themen, mit denen sich die Protagonisten beschäftigen. Auch wenn "Spitzweg" kein typischer Coming-of-Age-Roman ist, steht die Frage nach der eigenen Identität und Selbstvergewisserung durchweg im Zentrum der Geschichte. Die Kunst erweist sich als Vehikel der Identitätsstiftung insofern, als sie die Möglichkeit bietet, durch Interpretation und eklektizistische Aneignung etwas Neues zu produzieren. So zeichnet sich Kirsten, um einen Hinweis auf ihren vermeintlichen Suizid zu geben, als John Everett Millais' Ophelia - allerdings nicht ohne dem Original einige selbstgewählte Details hinzuzufügen. Und Carl interpretiert Spitzwegs Darstellung des Hagestolz, mit dem er im Roman mehrfach verglichen wird, nicht als einsame und unglückliche, sondern als souveräne, alles überblickende Figur.

So wie Millais und Spitzweg stammen viele der kunsthistorischen Vorbilder und Referenzen, auf die sich die drei Abiturienten beziehen, aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass der Roman im 21. Jahrhundert spielt, zeichnet er sich auf durch eine demonstrative Gegenwartsferne aus: Wenn der Erzähler etwa dem Deutschlehrer "Dr. Fant" einen Hausbesuch abstattet, dabei dessen Frau, die soeben der Braten verkohlen ließ, mit Blumen beschenkt und sich am Ende mit einer "tiefen Verbeugung" verabschiedet, fühlt man sich an die Pennälerfilme der Sechzigerjahre erinnert. Auch die Sprache ist an vielen Stellen atavistisch: Künstler sind durchweg "schöpferische Geister" oder "Malerfürsten", statt Freude empfinden die Figuren "Wonne", und die Beschreibung von Kirsten könnte unmittelbar aus Schneewittchen stammen: Aus ihrem "zarten Hals" erwächst ihr "ebenmäßiges Antlitz" wie "der Blumenstrauß aus einer alabasternen Porzellanvase". Die Sprache der Gegenwart kommt ausschließlich als Parodie vor, etwa wenn einer der verhassten Mitschüler sagt: "Alter Falter, der ranted ja stabil wie im Fülm." Vor allem aber gibt es an vielen Stellen Polemiken gegen eine Kultur, in der jeder nur den "eigenen Standpunkt" hinausschreie, das "Ego" dominiere, die Fähigkeit abhandengekommen sei, sich zurückzunehmen oder zuzuhören, und in der allem sofort ein "Stempel" aufgedrückt werde.

Obwohl oder gerade weil Sprache und Motivik des Romans alles andere als gegenwärtig sind, lässt sich der Roman als fortlaufender Kommentar zur Gegenwart lesen. "Spitzweg" ist ein Plädoyer für eine Kunst, die durch ihre Vieldeutigkeit zur genauen, wiederholten Betrachtung zwingt und zugleich die Lizenz erteilt, vorgefundenes Material eigenwillig anzueignen - so wie Nickel, der in dieser Hinsicht ganz Popliterat geblieben ist, in der Komposition seines Romans mit Zitaten aus der Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte verfährt. Möglicherweise erklärt die Sehnsucht nach diesem Kunstverständnis in Zeiten, in denen Romane mit Triggerwarnungen ausgestattet und literarische Texte zunehmend an ihrem politischen Aussagegehalt gemessen werden, auch die emphatischen Rezensionen der vergangenen Wochen. Der Roman wäre seinen eigenen Prämissen allerdings stärker gerecht geworden, wenn der dozierende Gestus in den Reflexionen über das Wesen der Kunst sowie die veraltete, mitunter zum Kitsch tendierende Sprache etwas zurückgenommen worden wären. Der Autor hätte getrost darauf vertrauen dürfen, dass die großartig erzählte Geschichte von der Freundschaft zwischen den drei ungleichen Schülern für sich selbst spricht. Auf die Lektionen über die "Autonomie" der Kunst, über "Poesie" und "Müßiggang" könnte man verzichten. ERIKA THOMALLA

Eckhart Nickel:

"Spitzweg". Roman.

Piper Verlag, München 2022. 256 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Wie sehr die Kunst ein lehrreicher Spiegel sein kann bei der Suche nach dem Ich, und welche Wunder sie für jeden von uns bereithält, darüber lässt sich in 'Spitzweg' lesen.« Süddeutsche Zeitung 20220506
Vor dem Lehrer ein Knicks

Demonstrative Gegenwartsferne als Kommentar zur Gegenwart? Eckhart Nickels doppelbödiger Schul- und Kunstroman "Spitzweg" provoziert genaue Beobachtung und die Frage, ob ein

ästhetizistisches Dasein heute noch möglich ist.

Wenn ein Roman aus dem Jahr 2022, der laut Klappentext davon handelt, ob die "Kunst es vermag, bessere Menschen aus uns zu machen", den Titel "Spitzweg" trägt, dann kann man das nur als Signal verstehen: Offenbar geht es hier um ein Ideal von Kunst, das dezidiert nicht das unserer Gegenwart ist. Bedeutsam ist die Referenz aber nicht bloß deshalb, weil der Biedermeier-Maler Carl Spitzweg für eine Zeit steht, die mit der Abkehr von der Politik und der Hinwendung zum Privatleben assoziiert wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die scheinbar idyllischen Szenen auf seinen Bildern sich oft als vielschichtig und doppelbödig erweisen. Man muss mehrmals hinsehen, um das Ironische, Widersprüchliche oder Abgründige in ihnen zu entdecken.

Um dieses Potential der Kunst, in der genauen, immer wieder neuen Beobachtung zu schulen, geht es in Eckhart Nickels zweitem Roman. Er erzählt von drei Abiturienten, die durch eine "unerhörte Begebenheit" zusammengeführt werden. Die künstlerisch talentierte Kirsten, Mitschülerin und Angebetete des namenlosen Ich-Erzählers, erhält im Kunstunterricht für ihr Selbstporträt von der Lehrerin das ambivalente Lob, "Mut zur Hässlichkeit" bewiesen zu haben. Um diese "Beleidigung" zu bestrafen, heckt der neue Mitschüler Carl, ein meisterhafter Kenner der Kunstgeschichte, der in mehrfacher Hinsicht "aus der Zeit gefallen", ja ein "halbes Fabelwesen" ist, einen Racheplan aus: Kirsten soll zum Schein verschwinden, bis die Lehrerin ihr pädagogisches Fehlverhalten einsieht. Der Plan geht allerdings nur kurzzeitig auf, denn als Kirsten ihr Selbstporträt, das Carl nach dem Unterricht heimlich entwendet hatte, in dessen Kommode wiederentdeckt, ist sie auf einmal wirklich weg. Die vom Erzähler und Carl initiierte Suche nach der Verschollenen mündet nach bizarren Begegnungen mit Kirstens Mutter und einem rätselhaften Greis in einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd im Museum.

Doch diese Handlung bildet nur den äußeren Rahmen für die großen Themen, mit denen sich die Protagonisten beschäftigen. Auch wenn "Spitzweg" kein typischer Coming-of-Age-Roman ist, steht die Frage nach der eigenen Identität und Selbstvergewisserung durchweg im Zentrum der Geschichte. Die Kunst erweist sich als Vehikel der Identitätsstiftung insofern, als sie die Möglichkeit bietet, durch Interpretation und eklektizistische Aneignung etwas Neues zu produzieren. So zeichnet sich Kirsten, um einen Hinweis auf ihren vermeintlichen Suizid zu geben, als John Everett Millais' Ophelia - allerdings nicht ohne dem Original einige selbstgewählte Details hinzuzufügen. Und Carl interpretiert Spitzwegs Darstellung des Hagestolz, mit dem er im Roman mehrfach verglichen wird, nicht als einsame und unglückliche, sondern als souveräne, alles überblickende Figur.

So wie Millais und Spitzweg stammen viele der kunsthistorischen Vorbilder und Referenzen, auf die sich die drei Abiturienten beziehen, aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass der Roman im 21. Jahrhundert spielt, zeichnet er sich auf durch eine demonstrative Gegenwartsferne aus: Wenn der Erzähler etwa dem Deutschlehrer "Dr. Fant" einen Hausbesuch abstattet, dabei dessen Frau, die soeben der Braten verkohlen ließ, mit Blumen beschenkt und sich am Ende mit einer "tiefen Verbeugung" verabschiedet, fühlt man sich an die Pennälerfilme der Sechzigerjahre erinnert. Auch die Sprache ist an vielen Stellen atavistisch: Künstler sind durchweg "schöpferische Geister" oder "Malerfürsten", statt Freude empfinden die Figuren "Wonne", und die Beschreibung von Kirsten könnte unmittelbar aus Schneewittchen stammen: Aus ihrem "zarten Hals" erwächst ihr "ebenmäßiges Antlitz" wie "der Blumenstrauß aus einer alabasternen Porzellanvase". Die Sprache der Gegenwart kommt ausschließlich als Parodie vor, etwa wenn einer der verhassten Mitschüler sagt: "Alter Falter, der ranted ja stabil wie im Fülm." Vor allem aber gibt es an vielen Stellen Polemiken gegen eine Kultur, in der jeder nur den "eigenen Standpunkt" hinausschreie, das "Ego" dominiere, die Fähigkeit abhandengekommen sei, sich zurückzunehmen oder zuzuhören, und in der allem sofort ein "Stempel" aufgedrückt werde.

Obwohl oder gerade weil Sprache und Motivik des Romans alles andere als gegenwärtig sind, lässt sich der Roman als fortlaufender Kommentar zur Gegenwart lesen. "Spitzweg" ist ein Plädoyer für eine Kunst, die durch ihre Vieldeutigkeit zur genauen, wiederholten Betrachtung zwingt und zugleich die Lizenz erteilt, vorgefundenes Material eigenwillig anzueignen - so wie Nickel, der in dieser Hinsicht ganz Popliterat geblieben ist, in der Komposition seines Romans mit Zitaten aus der Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte verfährt. Möglicherweise erklärt die Sehnsucht nach diesem Kunstverständnis in Zeiten, in denen Romane mit Triggerwarnungen ausgestattet und literarische Texte zunehmend an ihrem politischen Aussagegehalt gemessen werden, auch die emphatischen Rezensionen der vergangenen Wochen. Der Roman wäre seinen eigenen Prämissen allerdings stärker gerecht geworden, wenn der dozierende Gestus in den Reflexionen über das Wesen der Kunst sowie die veraltete, mitunter zum Kitsch tendierende Sprache etwas zurückgenommen worden wären. Der Autor hätte getrost darauf vertrauen dürfen, dass die großartig erzählte Geschichte von der Freundschaft zwischen den drei ungleichen Schülern für sich selbst spricht. Auf die Lektionen über die "Autonomie" der Kunst, über "Poesie" und "Müßiggang" könnte man verzichten. ERIKA THOMALLA

Eckhart Nickel:

"Spitzweg". Roman.

Piper Verlag, München 2022. 256 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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