Die 1972 geborene kolumbianische Schriftstellerin Pilar Quintana erzählt in „Hündin“ eine bewegende Geschichte über eine Hundeliebe und fokussiert dabei letztlich die verborgenen Tiefen und dunklen Seiten der menschlichen Natur.
Sie schreibt über eine deprimierte Frau, die ihre ganze Liebe auf
ein Tier projiziert und versucht, ihren unerfüllten Kinderwunsch durch einen Hund zu kompensieren.…mehrDie 1972 geborene kolumbianische Schriftstellerin Pilar Quintana erzählt in „Hündin“ eine bewegende Geschichte über eine Hundeliebe und fokussiert dabei letztlich die verborgenen Tiefen und dunklen Seiten der menschlichen Natur.
Sie schreibt über eine deprimierte Frau, die ihre ganze Liebe auf ein Tier projiziert und versucht, ihren unerfüllten Kinderwunsch durch einen Hund zu kompensieren.
Das klingt nach einem Klischee?
Ja, das tut es. Zunächst.
Aber weit gefehlt!
Die Autorin beleuchtet dabei nicht nur die symbiotische Beziehung zu der Hündin, sondern seziert und analysiert tiefgründig die Psyche der Protagonistin, beschreibt ihre inneren Entwicklungen und erzählt von dadurch resultierenden Veränderungen.
In diesem Rahmen befasst sie sich mit menschlichen Sehnsüchten und Abgründen.
Dabei scheut sie weder Offenheit noch Direktheit und en passant erfahren wir so Einiges über Land und Leute des Schauplatzes.
Wir lesen von den Härten des Alltags und von den unüberwindlichen sozialen Schranken und Klassenunterschieden zwischen der weißen, schwarzen und indigenen Bevölkerung.
Die Geschichte spielt in einem Dorf an der Pazifikküste ganz im Westen Kolumbiens.
Die 40-jährige Damaris und ihr Mann Rogelio, ein Fischer, leben dort in bescheidenen Verhältnissen und träumen von einer Kinderschar.
Aber Damaris wird trotz Kräutergebräu und Wunderheiler nicht schwanger, was sie als Minderwertigkeit erlebt und was auch von den Dörflern als Makel gesehen wird, denn es ist in diesem Landstrich üblich, viele Kinder zu haben.
Damaris wird zur Außenseiterin.
Schließlich „adoptiert“ sie einen schwächlichen Welpen aus der Nachbarschaft und kümmert sich aufopferungsvoll um ihn.
Sie bemuttert und umsorgt ihn und in ihrer Obhut wird er zu einer für Damaris immer bedeutungsvolleren Begleiterin. Schließlich sogar bedeutungsvoller als Rogelio, ihr Mann.
Aber es bleibt nicht aus, dass die Hündin unabhängiger und selbständiger wird. Sie begibt sich auf Streifzüge in den Dschungel, von denen sie erst nach Tagen oder Wochen wieder zurückkehrt.
Diese Entwicklung bewirkt eine Wende.
Damaris fühlt sich von der untreuen Hündin zurückgewiesen und verraten. Das Ersatzkind verlässt sie.
Damaris Inneres verhärtet und sie verbittert. Liebe und Zärtlichkeit schlagen um und werden zu Abneigung, Wut und Hass.
Die Geschichte konfrontiert den Leser mit den eigenen Schattenseiten und kann auch als Metapher gelesen werden, denn nicht nur „Hundemütter“ können klammern und die Abnabelung ihrer Schutzbefohlenen als Kränkung erleben, die sie in eine Krise stürzt oder verbittern lässt.
Die Autorin erzählt ihre Geschichte extrem nüchtern, trocken und distanziert, wodurch sie besonders eindrücklich wirkt.
Durch diesen sachlichen Stil springen dem Leser eine Rohheit und Gnadenlosigkeit entgegen, die dem harten Leben, um das es in diesem Roman geht, genau entspricht.
Pilar Quintana beschreibt anschaulich und lebendig, so dass man den Urwald, die steilen Klippen und das raue Meer an der Pazifikküste sowie die einfachen Hütten der armen Bevölkerung vor Augen hat.
Es ist ein Einfaches, das tropische Klima zu spüren und sich Mückenschwärme und Ameisenplagen sowie die kargen Lebensbedingungen der Leute vorzustellen, die in ihren Hütten kaum Schutz vor den sintflutartigen tropischen Regenmassen finden.
Bewundernswert, gekonnt und präzise seziert und beschreibt die Autorin die innere Entwicklung ihrer Protagonistin.
Dabei erzählt sie von erschütternden Dramen, Kindheitstraumata, kalter Gewalt, bitterer Armut, spitzigem Neid und giftiger Missgunst.
„Hündin“ ist ein außergewöhnlicher, packender und beeindruckender Roman, der 2018 mit dem Premio Biblioteca de Narrativa Colombiana ausgezeichnet und in der englischen Übersetzung für den National Book Award nominiert wurde.
Die nur rund 150-seitige düstere Lektüre ist intensiv, gnadenlos ehrlich, ungeschönt, hart und rau und nichts für schwache Nerven.
Ein Meisterwerk!