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Rezensentin aus BW

Bewertungen

Insgesamt 217 Bewertungen
Bewertung vom 20.10.2022
Eine Liebe
Mesa, Sara

Eine Liebe


ausgezeichnet

Die Übersetzerin Nat hat sich ein kleines reparaturbedürftiges, düsteres und feuchtes Häuschen in Spanien auf dem Land gemietet. „La Escapa“ heißt der Ort, in dem sie sich niederlässt.

In dem kleinen Dorf gibt es einen Tante Emma Laden, dessen junge redselige Verkäuferin sich sehr für Nat und ihre Gründe, hier in dieser langweiligen Gemeinde zu leben, interessiert. Sie erzählt Nat im Gegenzug auch allerlei über den Ort und seine teils eigentümlichen Bewohner.

Ihren einschüchternden und wenig kooperativen Vermieter lernt Nat recht bald persönlich kennen. Er ist ein „unangenehmer Typ“, der keine Scheu hat, ohne Anzuklopfen ihr Haus zu betreten.(S. 16)
Ihm hat sie ihren neuen Gefährten zu verdanken: Einen scheuen Hund, den sie „Sieso“ nennt.

Es dauert nicht lange, bis ihr der langhaarige, rotbärtige „Hippie“ über den Weg läuft, der eigentlich Píter heißt. Er ist ein aufmerksamer, zuvorkommender Nachbar, der sich allerdings mit Ratschlägen und Kritik nicht zurückhält.

Nat macht sich daran, ihr neues Reich auf Vordermann zu bringen und Sieso zu erziehen. Sowohl Haus, als auch Garten und Hund entpuppen sich nämlich nicht als das, was Nat sich ursprünglich erhofft hat.

Eines Tages bekommt sie Besuch von der fröhlichen und hilfsbereiten Romafamilie sowie von der freundlichen und verwirrten alten Roberta aus dem gelben Haus, die von der Verkäuferin des Tante Emma Ladens als „Hexe“ bezeichnet wurde.

Den „Dicken“ lernt Nat in seiner Bar kennen und den Rest des Dorfes auf der Nachbarschaftsversammlung, die einberufen wird, um Neuerungen und Verbesserungen einzuführen.

Der freundliche und schüchterne „Deutsche“ gibt Nat Rätsel auf, denn er sieht so überhaupt nicht deutsch aus - „wenigstens gemäß dem Klischee“ - (S. 56) und soll ein unabhängiger Einzelgänger sein.
Er beliefert sie mit Gemüse und bietet ihr an, das undichte Dach zu reparieren. Eigentlich wäre das ja die Aufgabe ihres Vermieters, aber dieser verweigert geradewegs die Reparatur. Er habe kein Geld für einen Handwerker.
Der Preis, den „der Deutsche“ dafür verlangt ist, gelinde gesagt, seltsam, heikel und jenseits von allem, was Nat und der Leser erwarten.

An dieser Stelle, einem überraschenden und verblüffenden Wendepunkt, verändert sich das Leseerlebnis.

Die Geschichte nimmt Fahrt auf und gewinnt an Tiefe.
Ich wurde extrem neugierig, wie es weitergeht und worauf alles hinauslaufen wird.

Dass auf diese unerwartete Wende noch eine völlig unvorhergesehene, berührende und erschütternde Entwicklung folgt, macht den Roman zu einem Pageturner der besonderen Art.
Besonders auch deshalb, weil die psychische Befindlichkeit und Veränderung der Protagonistin Nat detailliert, nachvollziehbar und stimmig aufgegriffen und beleuchtet wird.
Was, wenn Geist und Psyche auf Irrwege geraten?
Was wenn eine fixe Idee paranoide Ausmaße hervorruft?
Was wenn Kontrolle und Mißtrauen Konsequenzen haben?
Wohin führt das alles?
Geht das alles gut?

Sara Mesa schreibt unverblümt, nüchtern und klar.
Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Kein Drumherumreden.
Sie lässt sich viel Zeit, um uns Nat, ihr neues Zuhause und die Bewohner von La Escapa nahezubringen und obwohl Tempo und Intensität in der zweiten Hälfte des Buches zunehmen, lässt sie sich nicht davon abhalten, die Innenwelt und die psychische Veränderung von Nat genau unter die Lupe zu nehmen.

Die Grundstimmungen der Geschichte sind Melancholie, Mißtrauen und Feindseligkeit. Eine Liebe, wie der Titel ankündigt, sucht man vergeblich. Es geht eher um eine Obsession, die paranoides Erleben zur Folge hat.

Die Autorin seziert sowohl das Innenleben der Protagonistin als auch das dörfliche Umfeld präzise und bildhaft.

Ich empfehle den Roman gerne all denjenigen, die sich für diese Art von Literatur begeistern können:
Literatur, die eine Protagonistin ins Zentrum stellt, die alles andere als sympathisch ist.
Literatur, deren Stimmung nicht gerade von Heiterkeit geprägt ist.
Literatur, die eine bestechend klare Sprache hat.
Literatur, die Innenleben und Außenwelt akribisch und gekonnt seziert und beschreibt.
Literatur, die psychologisch dicht ist.

Bewertung vom 25.09.2022
MEZCLA
Belfrage, Ixta

MEZCLA


ausgezeichnet

Mein Mann und ich, wir sind begeisterte Fans von Yotam Ottolenghi. Seit mindestens 3 Jahren kochen und backen wir seine Rezepte rauf und runter.

Als wir kürzlich davon gehört haben, dass eine ehemalige und langjährige Mitarbeiterin von ihm, Ixta Belfrage, ihr erstes eigenes Kochbuch auf den Markt gebracht hat, war es keine Frage für uns, auch dieses Werk zu testen.
Dass Yotam Ottolenghi sie als „Ausnahme-Köchin mit unerschöpflichen Ideen“ bezeichnet, hat diese Entscheidung untermauert.

Wir haben uns erstmal zusammen aufs Sofa gesetzt und das orange-pink-knallige Kochbuch „Mezcla“ neugierig geöffnet.

Schon auf der Innenseite des Buchdeckels blicken wir auf ein farbenfrohes Buffet und nach einer originellen, aber schlicht gehaltenen Inhaltsangabe und dem farbig- fröhlichen Hinweis, dass nun die Einleitung folgt, lernen wir Ixta Belfrage kennen.

Zuerst erklärt sie, was hinter dem spanischen Titel „Mezcla“ steckt und wir erfahren, dass uns nicht nur ein Mix an Aromen und Zutaten erwartet, sondern dass auch die äußerst sympathische Köchin und Autorin aufgrund ihrer gemischten Abstammung selbst ein „Mix“ ist.

Sie wuchs inmitten von Weingärten der Toskana bei ihrer brasilianischen Mutter und ihrem in Amerika geborenen Vater auf, dessen Eltern in Mexiko lebten.

Im Alltag und auf Reisen lernte die Köchin mit dem mexikanischen Vornamen diese drei Länder und ihre Küchen kennen, was sich in den vielfältigen Rezepten widerspiegelt.

Nachdem Ixta Befrage vielen ihrer v. a. weniger bekannten bzw. in Deutschland üblichen oder exotischen Zutaten wie Maniok, Ghee, Miso oder Kochbananen ein paar Seiten widmet, geht’s los mit den Rezepten.

Schon beim Durchblättern läuft einem das Wasser im Mund zusammen.
Ixta Belfrage sortiert nach vegetarischen Gerichten, sowie Rezepten mit Fisch oder Fleisch.
Die appetitanregenden Fotos führen schon nach kurzer Zeit dazu, dass man den Kochlöffel schwingen und sich eine der Köstlichkeiten zubereiten will.

Mit Süßspeisen im Kapitel „Zu Guter Letzt“ und einem Register, in dem man Rezepte nach Hauptzutaten findet, beendet sie ihr wunderbares Werk.

Wir haben inzwischen einige der Rezepte nachgekocht und ich möchte einige Lieblingsgerichte kurz erwähnen, die uns allesamt ins Schwärmen gebracht haben.

Die „Gratinierten Ofen-Auberginen mit Salsa roja“ schmecken sensationell. Käseliebhaber kommen hier voll auf ihre Kosten und wenn die Sauce fertig ist, dann geht der Rest ruckzuck.

Das „Kürbis-Salbei-Nudel-Gratin“ nennen wir „Friss Dich dumm - Lasagne“, was ja schon alles aussagt. Sie ist fix gemacht, weil alles nur in den Ofen geschoben, also nicht vorher gekocht werden muss.

Die „Garnelenklöse mit Maispüree“ gehören ebenfalls in die Meisterklasse. Dieses Gericht ist ein absolutes Wohlfühlessen und wir mussten erneut staunen, auf welch‘ kreative und schmackhafte Ideen diese tolle Köchin kommt.

Das „Crème brûlée mit Zimt“ war das i-Tüpfelchen an einem geselligen Abend mit Gästen und der „Bananenkuchen mit Sesam und Ahornsirup“ hat uns mit seiner Gleichzeitigkeit aus weich und knusprig begeistert. Ein Klecks Sahne oder eine Kugel Vanilleeis dazu und man kann nicht anders, als genießen und sich anschließend wohlig zurücklehnen.

Ich möchte dieses wunderbare Werk, das fröhlich und knallig daherkommt und jedes Kochbuchregal bereichert, unbedingt empfehlen!

Die Rezepte sind originell, vielseitig und lecker. Dass die Zutaten in jedem gut sortierten Supermarkt oder ggf. online leicht erhältlich und dass die meisten Gerichte relativ zügig zubereitet sind, spricht auch dafür, sich dieses tolle Buch zuzulegen.

Wir können und müssen Yotam Ottolenghi uneingeschränkt zustimmen:
Ixta Belfrage ist „Eine Ausnahmeköchin mit unerschöpflichen Ideen“.

Chapeau!

Bewertung vom 23.08.2022
Auf der Lauer liegen
Nugent, Liz

Auf der Lauer liegen


ausgezeichnet

Es ist November 1980, wir befinden uns in Irland.

Schon auf den ersten beiden Seiten wird der Mord an Annie Doyle geschildert.
Um die Täter wird kein Geheimnis gemacht: Andrew und Lydia Fitzsimons erwürgen und erschlagen die 22-jährige heroinabhängige Frau, die sich vermutlich an ihrem Geld bedient hat bzw. ihnen Geld schuldet.

Selbst dass die soeben Ermordete im riesigen Garten der Familie Fitzsimons begraben wird, erfahren wir schon im ersten Kapitel, das wie alle folgenden mit dem Vornamen eines der Protagonisten überschrieben ist und aus dessen Sicht erzählt wird.

Lydia und Andrew Fitzsimons sind schon ein seltsames Gespann, das mit seinem Sohn Laurence ein riesiges Anwesen im Süden von Dublin bewohnt.
Lydia, eine dominante, herrische, unterkühlte und verwöhnte Frau, die ihren Sohn Laurence ähnlich vergöttert, wie einst ihr Vater sie vergötterte, hat vor 22 Jahren auf Wunsch ihres Vaters den konfliktscheuen und unterwürfigen Andrew geheiratet.

Andrew war damals der Referendar ihres Vaters, der als Anwalt eine eigene Kanzlei führte.
Inzwischen ist Andrew ein angesehener und gut verdienender Richter am Strafgericht.
Trotz des üppigen Einkommens steckt das Paar seit einem Jahr in finanzieller Not.

Das zweite Kapitel wird von Karen erzählt. Sie ist die jüngere, unauffällige, fleißige und hübsche Schwester der seit den Teenagerjahren schwer erziehbaren, unangepassten und rebellischen Annie Doyle mit der Hasenscharte.
Karen berichtet von dem gemeinsamen Aufwachsen mit ihrer Schwester sowie von ihrer anfänglichen Verwirrung und späteren Sorge, nachdem Annie so plötzlich von der Bildfläche verschwunden ist.
Die beiden ungleichen Schwestern hatten nämlich trotz aller Unterschiede und Konflikte eine liebevolle und enge Verbindung zueinander.

Laurence, den übergewichtigen 17-jährigen Sohn der Täter, lernen wir im nächsten Abschnitt kennen. Aufgrund der finanziellen Probleme seiner Eltern ist er seit Kurzem auf einer öffentlichen Schule. Er wird dort von seinen Mitschülern gemobbt. Die sich entwickelnde Freundschaft mit der aufgeweckten Helen dämpft sein Unglücklichsein etwas.
Laurence belauscht eines Tages die Befragung seines Vaters durch einen Detective und ist regelrecht geschockt, als er die Lügen seines Vaters vernimmt.

Die folgenden Kapitel werden, wie oben bereits erwähnt, immer aus einer anderen Sicht erzählt. Mal berichtet Laurence, der Sohn der Täter, mal Karen, die Schwester der Getöteten und mal Lydia, eine der Mörder.

Wir erfahren u. a., dass Laurence mit seiner Neugierde, Ahnung und Zerrissenheit eine ganz zentrale Bedeutung hat, dass Andrew, sein Vater psychisch und Körper zerfällt und dass Lydia, seine neurotische Mutter eine überaus kühle, berechnende, intrigante und manipulative Seite hat.

Mehr verrate ich nicht.
Es wäre zu schade, auch nur einen Moment der Spannung vorwegzunehmen. Denn spannend und wendungsreich ist die Geschichte zweifellos. Ich flog nur so durch die Seiten und kurz vor Ende stockte mir doch tatsächlich der Atem aus Fassungslosigkeit vor so viel boshaftem, selbstsüchtigem und letztlich psychopathischem Verhalten.

Liz Nugent hat nicht nur einen unglaublich packenden Plot mit unzähligen Überraschungen entworfen.
Sie schreibt frisch und lebendig und schafft es, den Leser emotional zu fesseln. Detailgenau erfasst und beschreibt sie psychologische Aspekte, so dass der Sog in die Geschichte auch dadurch entsteht, dass alles so nachvollziehbar und glaubwürdig wirkt.

Dieser Psychothriller ist grandios! Abgründig, böse, makaber und schlüssig.

Bewertung vom 03.08.2022
In Zeiten des Tulpenwahns
Thomas, Susanne

In Zeiten des Tulpenwahns


ausgezeichnet

Der historische Roman „In Zeiten des Tulpenwahns“ spielt in Haarlem / Niederlande zu Beginn des 17. Jahrhunderts.

Mit Beginn der Lektüre beobachten wir den Gärtner Nicolaes, der mit seinem 6-jährigen geliebten Töchterlein Grietje im Schlepptau durch seinen Garten zum Tulpenbeet geht.
Der Tulpenliebhaber Nicolaes taucht dort in die Schönheit der Blüten ein und verspürt Schmerz und Liebe, als ihn sein geliebtes Kind aus seiner Versunkenheit herausreißt.
Schmerz um seine bei einem Brand verstorbene Frau und Liebe zu dem kleinen Mädchen, das ihm geblieben ist.

Dann machen wir einen Zeitsprung nach vorn und erleben mit, wie die inzwischen 16-jährige Margriet sich auf den Weg zu ihrer ersten Arbeitsstelle in einer Bleicherei macht.
Auf diesem Weg begegnet der zurückhaltenden und arglosen Margriet eine dreiköpfige Flüchtlingsfamilie aus Frankreich, die sich in ihrer Nachbarschaft niederlassen wird.
Jacques, der etwa gleichaltrige Sohn wird ihr schon bald ein unbehagliches Gefühl bereiten. Zurecht, wie wir miterleben werden!

Auch andere Männer werden das Gefühlsleben der zu einer schönen jungen Frau herangewachsenen Margriet auf den Kopf stellen.
Und Frans, der junge Graf, wird sich sogar heftig und erfolgreich um sie bemühen…

Nicolaes wird bewusst, dass er sich langsam aber sicher um die Mitgift seiner Tochter kümmern muss und so wird aus dem Gärtner und Hobbytulpenzüchter schließlich ein Tulpenhändler, der sich auf riskante Spekulationsgeschäfte einlässt und den tiefste Verzweiflung zu einer Tat treibt, die niemand von ihm vermutet hätte.

Susanne Thomas schreibt ausdrucksstark, poetisch und atmosphärisch über das Goldene Zeitalter in Holland, über eine berührende Vater-Tochter-Beziehung und über eine tragische Liebesgeschichte.

Sie erzählt lebendig und packend vom Handel mit
Tulpen, über gesellschaftliche Unterschiede aufgrund sozialer Herkunft und von Standesgrenzen und Standesdünkel.
Wir lesen von Machenschaften, Racheakten und Intrigen sowie über Hoffnungslosigkeit, die seltsame bzw. verhängnisvolle Blüten treibt.

Eigentlich ist es unfassbar, dass Menschen damals Unsummen ausgaben oder sogar alles aufs Spiel setzten, um bestimmte Tulpenzwiebeln zu ergattern.
Es ist mehr als Faszination, Ehrgeiz und Streben.
Es ist eine Gier, die wahnhafte Ausmaße annimmt.

Aber wie die Geschichte der Menschheit zeigt, bleibt und blieb es nicht bei Tulpen, die solch eine Bewegung - ein Aufblühen und einen Niedergang - auslösten bzw. auslösen.
Immer wieder gibt es Situationen, die dazu führen, dass der gesunde Menschenverstand aussetzt und Menschen bereit sind, ihr Schicksal herauszufordern.

Besonders gut gefiel mir, im Verlauf der Lektüre zu erfahren, in welcher Beziehung sämtliche Protagonisten zueinander stehen und einen Einblick ins Dorfgeschehen zu bekommen.

Am Ende betrachtet man ein farbenprächtiges Bild, das sich aus vielen Puzzleteilen zusammensetzt.
Die Metaphern und Vergleiche aus der Malerei passen dabei wunderbar zur Gesamtkomposition.

Ich musste immer wieder staunen, denn überraschende, ergreifende und tragische Wendungen verblüfften mich und führten zu einem fulminanten Ende, das ich zu Beginn niemals erwartet hätte.

Susanne Thomas erzählt eine außergewöhnliche Geschichte.
„In Zeiten des Tulpenwahns“ ist ein leise beginnender und immer spannender werdender Roman, den ich sehr gern weiterempfehle.

Bewertung vom 12.06.2022
Der Schiffskoch
Deen, Mathijs

Der Schiffskoch


ausgezeichnet

Mit Beginn der Lektüre befinden wir uns auf dem Feuerschiff Texel.
Da ich als Schwäbin und Landratte mit nautischen Begriffen nur wenig anfangen kann, musste ich erst mal recherchieren, um schließlich zu erfahren, dass es sich dabei um ein vor Anker liegendes, mit einem Leuchtfeuer ausgestattetes Schiff handelt, das ähnlich wie ein Leuchtturm der Navigation der Seeschifffahrt dient.
Prima, schon wieder was gelernt!

Wir befinden uns also auf dem Feuerschiff Texel, das in der Nordsee vor der niederländischen Gemeinde Den Helder vor Anker liegt.

Der knapp 35-jährige Schiffskoch Lammert hat die Matrosen und Maschinisten gerade mit Haschee versorgt.
Dann schwenkt die Kamera weiter. 2 Wochen Freitörn.
Der Schiffskoch Lammert verbringt die freie Zeit in seinem Häuschen in einem ruhigen Warftdorf in der Nähe des Meeres.

Eines Morgens holt Lammert das Kochbuch seiner Mutter vom Dachboden. Er sucht und findet darin das Rezept von „Gulai kambing“: „Ziegencurry, aber von einem Böckchen, das noch nicht entwöhnt ist. Wenn man das einmal gekostet hat, weiß man, wie zart Schmorfleisch sein kann. Das vergisst man nie wieder.“ (S. 13)

Kaum ist die Idee geboren, dieses Gericht auf dem Schiff zu kochen, besorgt er sich bei Beitske, der einzigen Bäuerin im Dorf, ein Ziegenböcklein.

Einige Zeit später sitzt der Koch mit genau diesem Ziegenböcklein in seiner Kombüse und schält Kartoffeln.
Und noch ein bisschen später öffnet er eine Zigarrenkiste, die er aus seinem Seesack hervorgekramt hat. „Schnell überdeckten ungewöhnliche Aromen den Tabakgeruch und füllten die Kombüse. Der Duft von Zimt und frischer Muskatnuss war weiter nichts Besonderes, aber Zitronengras, Kokos, Kardamom, Kemirinuss, Koriander, Kreuzkümmel, ja sogar Ingwer und Kurkuma waren noch nie auf dem Feuerschiff gewesen. Das Böckchen schnupperte neugierig.“ (S. 33)
Tja… wenn das Böckchen wüsste.

Wie die Geschichte weitergeht verrate ich natürlich nicht. Nur so viel: Das Zicklein beginnt bald, den Matrosen nachzulaufen, bringt den Alltag auf dem Feuerschiff gründlich durcheinander und letztlich endet alles anders als gedacht…

Thematisch spielen Fieberwahn und wahnhafte Psychose keine kleine Rolle und wir lernen den einsamen und öden, manchmal aufgrund des Wetters auch gefährlichen Alltag der Seemänner auf einem Feuerschiff kennen. Seemänner, die dem Gerede der Leute nach aber gar keine richtigen Seemänner sind: „Die Leute sagen, wir wären hier nicht auf See, weil wir nirgendwo hin fahren…Aber wir sind hier mehr auf See als alle Anderen zusammen. Wir leben auf See, die Anderen sind nur auf dem Wasser zu einem Hafen unterwegs, zu einem Ort, an dem es keine See mehr gibt. Für sie ist die See eine Unterbrechung, für uns ist die See eine Bestimmung.“ (S. 91)

Es werden schmerzhafte Kindheitserlebnisse angedeutet.
Der Schiffskoch Lammert war, so habe ich mir das zusammengereimt, im Krieg zwischen den Niederlanden und Indonesien (1945-1949) ein kleiner Junge. Aus dieser Zeit stammt wohl das Rezept des oben erwähnten indonesischen Gerichts.
Der Seemanns Snoek, der im Laufe der Geschichte wahnhaft wird ist wohl ein unerwünschter und ungeliebter Lehrerssohn.

Die Geschichte um Lammert und das Böcklein ist fesselnd und sehr unterhaltsam, manchmal fast witzig, letztlich dramatisch.

Die lebendigen Beschreibungen erwecken die Szenen zum Leben, die Bilder und Metaphern sind ausdrucksvoll und die Sprache ist schön und gediegen.

Das Feuerschiff Texel existiert übrigens wirklich. Es ist das älteste Feuerschiff der Niederlande und war von 1952 bis 1992 im Dienst. Seither ist es ein Museumsfeuerschiff, das im Museumshafen Willemsoord in Den Helder liegt.

Mir hat dieses schmale Bändchen nicht zuletzt wegen seinen überraschenden Wendungen äußerst gut gefallen. Es ist eine um die 100 Seiten kurze, intensive und packende Geschichte, die mich prima unterhielt und mich in eine mir ziemlich fremde Welt entführte.

Bewertung vom 01.05.2022
Nihon Kitchen - Das Japan-Kochbuch
Dusy, Tanja

Nihon Kitchen - Das Japan-Kochbuch


ausgezeichnet

Mit „Nihon Kitchen“ entführt uns Tanja Dusy nach Japan.
Die Autorin hat mir kürzlich mit „Buddha Bowls Levante“ und „Gemeinsam orientalisch genießen-Levante“ bereits die Küche des östlichen Mittelmeerraums auf höchst schmackhafte und unterhaltsame Weise näher gebracht.

Dieses stilvolle Kochbuch überraschte mich mit appetitanregenden Fotos, interessanten Erläuterungen, praktischen Tipps und über 80 Rezepten.

Angefangen von Sushi über Suppen, Ramen, Hotpots, Spezialitäten vom Grill, Snacks und Donburi, Gemüse, Salate und Pickles bis zu Süßem und Gebäck gibt Tanja Dusy einen guten und abwechslungsreichen Einblick in die japanische Küche.

Wir lernen Wissenswertes über Reis und Nudeln und erfahren, dass Ramen (japanische Nudelsuppe) „bestes und gesundes Fastfood und gleichzeitig eine traditionsreiche Küchenkunst mit Sterneniveau“ ist.

Dass Fleisch in Japan aus religiösen Gründen lange verpönt und sogar per kaiserlichem Dekret bis 1872 verboten war, wusste ich vor der Lektüre dieses Werkes, das mehr als ein Kochbuch ist, nicht.

Ich könnte noch viele interessante Informationen erwähnen, über die ich gestolpert bin, aber das würde hier den Rahmen sprengen.

Japanische Schriftzeichen fehlen natürlich auch nicht und geben dem Ganzen einen edlen Touch.

Ich habe schon ein paar Rezepte nachgekocht und möchte mit drei Favoriten nicht hinter dem Berg halten.

Als Nudelliebhaberin bin ich natürlich im Kapitel „Ramen“ hängengeblieben.
Das Shoyu-Ramen mit Huhn ist eine köstliche Nudelsuppe mit Shiitake-Pilzen, Pak-Choi, Mais, Frühlingszwiebeln und wie der Name schon sagt: Hähnchenbrustfilet.

Oyakodon ist eine Reisschüssel mit Huhn und Ei, die ich sicher nicht das letzte Mal zubereitet habe. Zwiebel, Dashibrühe, Sojasauce, Sake und Mirin geben dem Gericht den feinen und würzigen Geschmack.

Matchamisu ist Tiramisu mit Matcha. Dieses Dessert ist mit seiner grünen Oberfläche und den roten Himbeeren nicht nur ein Hingucker, es schmeckt auch noch zum Dahinschmelzen.

An Sushi habe ich mich noch nicht herangewagt, möchte das aber bald nachholen.
Ich denke, dass es nicht allzu schwierig sein wird, weil Tanja Dusy detaillierte Anleitungen für das Grundrezept von Sushireis und die Herstellung von Futo-Maki, Hoso-Maki, Ura-Maki, Onigiri und Sashimi gibt.

„Nihon Kitchen“ ist ein wunderbares Kochbuch, das den kulinarischen Horizont definitiv erweitert.
Die Gerichte sind zwar etwas zeitaufwändig und nicht ganz einfach zuzubereiten, aber wenn man genügend Muse, Neugierde und Geduld mitbringt, dann lohnt sich der Aufwand allemal.
Die Zutaten bekommt man problemlos in gut sortierten Supermärkten und beim Asiaten um die Ecke.
Ich möchte dieses Werk in meinem Kochbuchregal nicht missen und werde immer wieder gern darauf zurückgreifen.

Bewertung vom 30.04.2022
Levante - Gemeinsam orientalisch genießen
Dusy, Tanja

Levante - Gemeinsam orientalisch genießen


ausgezeichnet

Schon wieder ein Kochbuch von Tanja Dusy.
Schon wieder geht’s um die Levante-Küche.
Schon wieder bin ich begeistert!

Zuletzt habe ich ihr wunderbares Buch „Buddha Bowls Levante“ getestet und rezensiert.
Damals stolperte ich erstmals über den Begriff „Levante-Küche“ und erfuhr, dass es sich dabei um die Esstraditionen des östlichen Mittelmeerraums handelt.

Da ich eine begeisterte Anhängerin von Yotam Ottolenghis Kochkunst bin, der sich ja auch intensiv mit dieser Küche befasst, war schnell klar, dass ich „Gemeinsam orientalisch genießen-Levante“ ebenfalls testen muss.
Und es hat sich gelohnt!

Schon der Buchdeckel mit dem Schnappschuss vom Mezze-Buffet zieht das Augenmerk auf sich und wenn man die bunten und appetitlichen Fotos beim Durchblättern betrachtet, läuft einem das Wasser im Mund zusammen.

Nach und nach präsentiert uns Tanja Dusy zahlreiche köstliche Rezepte, die sie in einer originellen Gliederung unterbringt.
Den typischen orientalischen Delikatessen wie Hummus, Shawarma und Falafel widmet sie extra Kapitel und auch mit Ideen für die Gartenparty, das Lagerfeuer und ein israelisches Frühstück spart sie nicht.
Vegetarier kommen genauso wenig zu kurz wie Liebhaber von Street Food und Süßem.

Was mir neben den Rezepten und Fotos besonders gut gefällt, sind die Erläuterungen und Erklärungen, die sie zwischendurch immer wieder einstreut.
Sie geht auf die Levante-Küche, auf die Mezze-Tradition und auf so manche Gewohnheit des Nahen Ostens ein, so dass man durch das Buch nicht nur kulinarisch sondern auch mit Wissen bereichert wird.

Einiges habe ich schon nachgekocht. Auf alles einzugehen, würde den Rahmen sprengen.
Ich beschränke mich hier also auf drei Favoriten, wobei es mir schwer fällt, diese Auswahl zu treffen, weil ich von allem, was ich bisher ausprobiert habe, absolut angetan bin.

Der Hammer sind die „gefüllten Kibbeh“ aus Lammhackfleisch, Bulgur, Walnuss- und Pinienkernen. Gewürzt sind diese frittierten eiförmigen Bällchen mit typischen orientalischen Gewürzen wie Kreuzkümmel, Koriander und Zimt.

Das „grüne Bohnen-Hummus“ ist einfach nur lecker und schmeckt hervorragend zu Fladenbrot. Es ist faszinierend, was aus Bohnen, Avocado, Limette, Knoblauch, Tahin, Koriander… gezaubert werden kann.

„Shakshouka“ ist eine orientalische Spezialität, die man gekostet haben muss! Bei uns wird sie künftig regelmäßig auf dem Tisch stehen. Das Gericht, das aus pochierten Eiern und Schafskäse in einer Sauce aus Paprika, Tomaten, Zwiebeln und Knoblauch zubereitet wird, ist ein regelrechtes gute Laune- und Wohlfühlessen.

An die süßen Leckereien habe ich mich noch nicht herangewagt… sie stehen als Nächstes an. Was mich hier besonders reizt, sind die „Rugelach mit Feigenfüllung“. Das sind Hörnchen mit einer Füllung aus gehackten Feigen, Orangenmarmelade und Walnüssen. Schon der Teig klingt interessant: er wird mit Frischkäse zubereitet.

Ich empfehle dieses Buch allen, die offen sind für eine außergewöhnliche und besondere Küche mit alltagstauglichen, abwechslungsreichen, leckeren und gesunden Köstlichkeiten, die man zu wunderbaren Buffets kombinieren kann und die nicht nur schmecken, sondern noch dazu eine Augenweide sind.

Bewertung vom 29.04.2022
Buddha Bowls - Levante
Dusy, Tanja

Buddha Bowls - Levante


ausgezeichnet

Das Kochbuch „Buddha Bowls Levante“ von Tanja Dusy hat mich positiv überrascht.
Schon das Titelbild, eine Bowl mit Falafel auf Bulgur, regt den Appetit an und macht neugierig auf den Inhalt der Rezeptesammlung, in der sowohl Vegetarier und Veganer als auch Liebhaber von Fleisch und Fisch auf ihre Kosten kommen.

Bevor uns über 50 aromatische Rezepte mit gesunden und frischen Zutaten vorgestellt werden, geht Tanja Dusy kurz auf typische Vorräte, Gewürze und Kräuter der Levante-Küche ein.

Levante-Küche? Dieser Begriff, den ich zuvor noch nicht kannte, umfasst die Esstraditionen des östlichen Mittelmeerraums, also Syrien, Libanon, Jordanien, Israel und Palästina.
Typisch für diese Speisen des Nahen Ostens sind die Vielfalt an Gemüse und Gewürzen.
Tanja Dusy, die schon länger Bowl-Rezepte kreiert, kombiniert in diesem Werk ihre Vorliebe für Gerichte, die in einer Schale serviert werden mit orientalischen Geschmäckern, Gerüchen und Besonderheiten.

Ich habe schon einige Rezepte nachgekocht und wurde nie enttäuscht.
Meine bisherigen Favoriten möchte ich kurz erwähnen, um eine Vorstellung der im Buch enthaltenen Vielfalt zu ermöglichen.

Die Early-Summer-Bowl mit dem grünen Spargel, den Saubohnen, der Avocado und dem gekochten Ei ist nicht nur lecker, sondern auch gesund und raffiniert.

Die Pretty-In-Pink-Bowl ist was fürs Auge und den Gaumen. Die Rote-Bete-Creme ist der Hit und macht den Couscous zu einem kulinarischen Highlight.

Äußerst lecker und originell ist die Baba-Ganoush-Hähnchen-Bowl. Ganz typische orientalische Zutaten wie Tahin, Sumach und Schwarzkümmel machen das Gericht zu einem Wohlfühlessen.

Last but not least möchte ich noch die „Kofta-Bowl“ mit Auberginen und Bulgur erwähnen. Die Kofta aus Rinderhackfleich, griechischem Joghurt und Pul biber sind einfach köstlich.

Ich empfehle dieses Werk sehr gerne.
Wir werden hier mit ansprechenden Fotos bunter Speisen, sowie abwechslungsreichen, leckeren, recht schnell und nicht schwierig herzustellenden Gerichten, deren Zutaten in jedem gut sortierten Supermarkt problemlos zu bekommen sind, überrascht.

Bewertung vom 04.02.2022
Wo niemand uns sehen kann
Chancellor, Bryn

Wo niemand uns sehen kann


sehr gut

Die frisch geschiedene Maud und ihre 17- jährige Tochter Jess leben zusammen in dem abgeschiedenen und trostlosen Ort Sycamore, irgendwo in der Wüste Arizonas.
Jess, eigenbrötlerisch und unscheinbar, vertreibt sich einen Großteil ihrer Zeit mit Tagebuch schreiben und Spazierengehen. In Sycamore fühlt sie sich nicht wohl und zwischenmenschlich hat sie es nicht leicht.
Eines Abends im
Jahr 1990 kommt Jess nach ihrer Erkundungstour nicht mehr zurück.

18 Jahre lang fragt sich die Mutter, was mit ihrer Tochter passiert ist.
18 Jahre lang macht sich die Mutter Vorwürfe.
18 Jahre lang vermisst die Mutter ihre Tochter.
Nach 18 Jahren taucht Jess wieder auf: Ihre Leiche wird in einer Schlucht gefunden.

Maud und die anderen Dörfler versuchen sich an damals zu erinnern und sie fragen sich, was sich vor 18 Jahren wohl zugetragen hat.

Der rege und konzentrationsfordernde Wechsel von Perspektiven, Zeitebenen und Charakteren machten den Roman für mich interessant und kurzweilig.

Gleichzeitig wurde er völlig unaufgeregt erzählt, wodurch sich die Geschichte entwickeln und die Protagonisten entfalten konnten.

Die anfangs gedrückte Stimmung driftete trotz der Entwicklungen nicht ins bodenlose ab, sondern entwickelte sich langsam und stetig ins Hellere. Ich genoss es, mich in die Atmosphäre des Buches fallen zu lassen.

Mir gefiel die etwas skurrile Geschichte recht gut. Sie ist kein literarisches Highlight, aber allemal etwas, das man gut zwischendurch lesen kann.

Bewertung vom 17.12.2021
Die Verlorenen
Halls, Stacey

Die Verlorenen


ausgezeichnet

Mit Aufklappen des Buches wird der Leser in eine sehr bewegende Szene im Jahr 1747 hineingeworfen:
Die 18-jährige Bess bringt ihr Neugeborenes Ende November ins Londoner Findelhaus „Foundling Hospital“ (das es tatsächlich gab!) und hofft, dass es dort aufgenommen wird. Sicher ist das keineswegs, denn es gibt nicht Platz für alle Babies und wenn die nicht kerngesund sind, dürfen sie ohnehin nicht bleiben.
Bess hat Glück. Sie ergattert einen Platz für ihre Clara, die sie eigentlich am liebsten behalten würde, aber ihre Armut macht es schlicht unmöglich.
Stattdessen schwört Bess sich, dass sie ihr Mädchen eines Tages wieder abholen wird.

Bess lebt mit ihrem um drei Jahre älteren Bruder Ned, einem Straßenkehrer und mit ihrem Vater Abe, einem Krabbenhändler, in einer kärglichen Behausung.
Ihre Mutter verstarb, als sie 8 Jahre alt war.
Bess hilft ihrem Vater dabei, die Meeresfrüchte auf dem Londoner Fischmarkt und in der Stadt zu verkaufen. Sie ist das „Krabbenmädchen“.

Der Leser bekommt auf den nächsten Seiten einen wunderbaren Einblick in den Alltag der Protagonistin. Er spürt die Kälte über der Stadt, riecht denn Gestank auf dem Fischmarkt, hört die Marktschreier, sieht die Kutschen auf den matschigen oder steinigen Straßen vor seinem geistigen Auge und kann sich die jämmerliche Behausung vorstellen, in der Bess mit Vater und Bruder lebt.

Nach den ersten beiden Kapiteln, in denen man bereits durch die Eindrücklichkeit und Intensität der Beschreibungen gefesselt wird, machen wir einen Zeitsprung ins Jahr 1754.

Endlich ist es soweit:
Bess meint, genug gespart zu haben, um ihre Tochter Clara aus dem Findelhaus abzuholen und Platz gibt es in ihrer bescheidenen Unterkunft jetzt auch, weil ihr Bruder ausgezogen ist.

Bess ist voller Vorfreude, aber auch voller Angst.
Was, wenn Clara nicht mehr am Leben ist?
Ihre Freundin Keziah beruhigt sie: „Bess, sie wird dort sein, und du wirst wieder eine Mutter sein. Du hast so lange darauf gewartet, und sie ist jetzt außer Gefahr. Sie ist kein Baby mehr; sie ist bereit, nach Hause zu kommen, mit dir zu arbeiten und von Dir geliebt zu werden. Alles, was sie braucht, ist hier.“ (S. 48)

Im Findelhaus angekommen, erhält Bess eine schockierende Nachricht: „Das Kind mit der Nummer 627 wurde bereits vor vielen Jahren von seiner Mutter abgeholt.“ (S. 61)

Clara wurde anscheinend einen Tag nachdem sie damals abgegeben wurde, von einer Frau abgeholt, die sich als Bess ausgegeben hat… was für ein Schock!

In Rückblicken erfahren wir vom bereits verstorbenen Kindsvater Daniel, einem Walknochenhändler, in den sich das „Krabbenmädchen“ Bess unsterblich verliebt hatte.

Wir erleben mit, wie Bess sich als Eliza mit Hilfe von Dr. Mead, dem freundlichen Arzt des Findelhauses, auf die Suche nach ihrer Tochter macht und Erstaunliches entdeckt…

Nachdem wir im ersten Teil von Bess und ihrer Geschichte gelesen haben, lernen wir im zweiten Teil Alexandra kennen, die Frau, die sich als Mutter von Clara, inzwischen Charlotte genannt, bezeichnet.

Ich werde nun nichts mehr über den Inhalt verraten, um niemandem den Lesespaß zu verderben.
Nur so viel:
Wir tauchen in eine überraschende, originelle, packende, berührende und stimmige Geschichte ein, die nie kitschig, aber letztlich doch was fürs Herz ist.

Die bildliche und schöne Sprache hat neben der packenden Handlung die Lesefreude erhöht.

Einige Beispiele möchte ich erwähnen:
„Dann waren da noch die Ehefrauen mit ihren fleischigen roten Händen und ausladenden Brüsten, mit denen sie wie ein Schiffsbug durch das Gedränge pflügten und daher wie Möwen kreischten.“ (S. 36f.)

„Meine Welt war auf die Größe einer Nuss geschrumpft. Und dann kam Daniel … und knackte ihre Schale.“ (S. 168)

Ich habe den Eindruck, dass Stacey Halls gut recherchiert hat.
Sie hat eine glaubhafte Geschichte erfunden, die wunderbare Einblicke in die harten Lebensbedingungen, die verheerende Zustände der armen Leute der damaligen Zeit und die