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Riva ist Hochhausspringerin - ein perfekt funktionierender Mensch mit Millionen Fans. Doch plötzlich weigert sie sich zu trainieren. Kameras sind allgegenwärtig in ihrer Welt, aber sie weiß nicht, dass sie gezielt beobachtet wird: Hitomi, eine andere junge Frau, soll Riva wieder gefügig machen. Wenn sie ihren Auftrag nicht erfüllt, droht die Ausweisung in die Peripherien, wo die Menschen im Schmutz leben, ohne Möglichkeit, der Gesellschaft zu dienen. Was macht den Menschen menschlich, wenn er perfekt funktioniert? "Die Hochhausspringerin" führt in eine brillante neue Welt, die so plausi...
Riva ist Hochhausspringerin - ein perfekt funktionierender Mensch mit Millionen Fans. Doch plötzlich weigert sie sich zu trainieren. Kameras sind allgegenwärtig in ihrer Welt, aber sie weiß nicht, dass sie gezielt beobachtet wird: Hitomi, eine andere junge Frau, soll Riva wieder gefügig machen. Wenn sie ihren Auftrag nicht erfüllt, droht die Ausweisung in die Peripherien, wo die Menschen im Schmutz leben, ohne Möglichkeit, der Gesellschaft zu dienen. Was macht den Menschen menschlich, wenn er perfekt funktioniert? "Die Hochhausspringerin" führt in eine brillante neue Welt, die so plausibel ist wie bitterkalt. Julia von Lucadou erzählt von ihr mit der Meisterschaft der großen Erzählungen über unsere Zukunft.
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Julia von Lucadou wurde 1982 in Heidelberg geboren und ist promovierte Filmwissenschaftlerin. Sie arbeitete als Regieassistentin, Redakteurin beim Fernsehen und als Simulationspatientin; sie lebt in Biel, New York und Köln. Ihr erster Roman Die Hochhausspringerin (2018) stand auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis und wurde mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet.
Produktdetails
- Verlag: Hanser Berlin
- Seitenzahl: 288
- Erscheinungstermin: 23. Juli 2018
- Deutsch
- ISBN-13: 9783446261525
- Artikelnr.: 53261690
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Science Fiction Dystopien liegen derzeit im Trend, weiß Rezensent Tomasz Kurianowicz, fragt sich jedoch, ob ein anderes Genre nicht inzwischen sehr viel nachhaltiger und tiefgreifender schockieren und alarmieren könnte: Das der "eiskalten Gegenwartsanalyse". Das Problem der meisten zeitgenössischen dystopischen Romane sei nämlich, so der Rezensent, dass kaum eine Fiktion es schafft, die Gegenwart und ihre Phänomene an Perversität zu übertreffen. Auch Julia von Lucadous Roman orientiert sich an den dunkel dräuenden Seiten der Wirklichkeit. Was sie beschreibt ist eine vom Effizienzdenken bis in jede letzte Ecke durchdrungene, eine durchorganisierte und vom Neoliberalismus durchstrukturierte Klassengesellschaft, in der Reichtum, Bequemlichkeit und Sicherheit mit extremer Überwachung und Kontrolle bezahlt werden. Die Sterilität und Kälte dieser Welt spiegelt sich in Lucadous Sprache wider, in ihren wohl gestalteten, perfekt konstruierten Sätzen, mit denen sie die seltsame Beziehung der zwei Protagonistinnen schildert, die einander retten sollen, jedoch nur noch weiter hinein in den Zweifel an der Perfektion und die Sehnsucht nach einer abhanden gekommenen Echtheit treiben. Das alles ist wirklich gut gemacht, findet Kurianowiscz. "Überraschend" ist es jedoch nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Jeder ist seines Glückes Programmierer
Das Chaos kennt keine Algorithmen: In Julia von Lucadous Debütroman steigt "Die Hochhausspringerin" aus allen sozialen Netzwerken aus.
Die sozialen Netzwerke der digitalen Nomaden sind auch in der Literatur längst kein Ort von Frieden, Freude und humanem Eierkuchen mehr. Überall lauern russische Trolls, Bots und böse Facebook-Algorithmen, um Wahlkämpfe zu entscheiden und den Konsum anzuschieben. Neuere Romane wie Dave Eggers "Circle" beschwören die totalitäre Machtübernahme künstlicher Intelligenzen in allen Bereichen: Arbeit, Freizeit, Politik, Gesundheit, Sexualität. Die jüngste und vielleicht beklemmendste dieser digitalen Dystopien kommt von Julia von Lucadou.
In
Das Chaos kennt keine Algorithmen: In Julia von Lucadous Debütroman steigt "Die Hochhausspringerin" aus allen sozialen Netzwerken aus.
Die sozialen Netzwerke der digitalen Nomaden sind auch in der Literatur längst kein Ort von Frieden, Freude und humanem Eierkuchen mehr. Überall lauern russische Trolls, Bots und böse Facebook-Algorithmen, um Wahlkämpfe zu entscheiden und den Konsum anzuschieben. Neuere Romane wie Dave Eggers "Circle" beschwören die totalitäre Machtübernahme künstlicher Intelligenzen in allen Bereichen: Arbeit, Freizeit, Politik, Gesundheit, Sexualität. Die jüngste und vielleicht beklemmendste dieser digitalen Dystopien kommt von Julia von Lucadou.
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"Die Hochhausspringerin" erzählt die Heidelberger Filmwissenschaftlerin und Fernsehredakteurin von den Leerstellen und Schaltfehlern im großen Projekt der Aufklärung, der permanenten Verbesserung des Menschengeschlechts durch Überwachung, Kontrolle und Selbstoptimierung. Der Roman beginnt mit einem Zoom aus dem All. Aber Lucadou erklärt die Zukunft nicht von oben herab, mit bedenklichem Stirnrunzeln, ironischem Blinzeln oder gar dem moralischen Zeigefinger. Sie beschreibt sie von innen heraus, ungemütlich nah an unseren Erfahrungen, Ängsten und Vorstellungen.
Die Konturen der digitalen Transformation zeichnen sich ja heute schon ab. Die Hierarchien in der Arbeitswelt werden flacher, Homeoffice und Firmenkita sind Standard, Meditation, Sport und Mindfulness-Übungen am Arbeitspflicht beinahe Pflicht. Das macht das Leben nicht unbedingt leichter, aber jeder ist seines Glückes Programmierer und: "Daten lügen nicht", wie der Mentalcoach weiß. Wer in den luxuriösen Wohnungen im Zentrum wohnen will, muss perfekt funktionieren und sich ständig neu evaluieren lassen. Die weniger Glücklichen oder weniger Ehrgeizigen hausen draußen, offline, arm und rechtlos in den schmutzigen, gefährlichen "Peripherien". Die Leistungen des Individuums werden von Fitness- und Activity-Trackern lückenlos erfasst, in Echtzeit analysiert und mit Performance Reviews, Vitality-Score-Index und Rankings objektiv bewertet. Es gibt keine Geheimnisse, keine Privatsphäre, kein Recht auf Versagen oder Wegducken mehr. Was nicht von Überwachungskameras und smarten Apps aufgezeichnet wird, postet die Generation Instagram freiwillig in ihren Profilen.
Selbstdisziplin, Einsicht in die Notwendigkeit, Sterilisation und humorloses Abnicken sind auch im Privaten vornehmste Bürgerpflichten. Partnerschaften werden von Algorithmen arrangiert, Matches münden im Idealfall in Credit Unions. Kinder werden nicht von schlampigen Bioeltern aufgezogen, sondern in Genlaboren, Childcare-Instituten und Castingshows professionell für den Wettbewerb abgerichtet. Signale von Krankheit, Widerwillen oder gar Widerstand werden frühzeitig geortet und mit Hilfe von Pillen und Psychocoaches proaktiv beseitigt. Die Megacity der Zukunft, wie Julia von Lucadou sie entwirft, ist weder geographisch noch zeitlich lokalisierbar und namenlos. Dafür tragen ihre Einwohner so bizarre Namen wie Beluga Gans, Royce Hung und Hugo M. Master.
Publikum und Risikokapitalgeber lieben den Trendsport Hochhausspringen, weil es hier noch um Leben und Tod geht. Star der Skydiving-Szene und aller sozialen Netzwerke ist Riva, die mit ihrem silbernen FlysuitTM schwerelos wie ein Vogel durch die Hochhausschluchten fliegt. Bis sie eines Tages ohne Grund die Lust an ihrer Todesakrobatik verliert. Keine Sponsorenverträge, keine Fotoshootings, keine Selfies mehr: eine Katastrophe für Rivas Berater, Investoren und Fans. Hitomi Yoshida, Datenanalystin und Tablet-Seelsorgerin bei PsySolutions, soll herausfinden, wie es zu dem bedauerlichen Funktionsversagen kommen konnte. Der Routineauftrag bringt Hitomi an die Grenzen ihres maschinenlesbaren "Produktivitätspotenzials". Aber wenn sie Riva nicht wieder in die Spur bringt, verliert die Wirtschaftspsychologin alle ihre Privilegien von der Designerwohnung bis zum Zugriffsrecht auf die einzig wahre digitale Realität.
Das vereinsamte, entrechtete Subjekt, das sich einer total kontrollierten Gesellschaft verweigert oder ganz in den Untergrund abtaucht: Man kennt das aus Romanen und Filmen wie "1984", "The Circle", "Matrix" oder "Die Tribute von Panem". Julia von Lucadou spielt in ihrem Romandebüt die bekannten Muster mit großer Konsequenz, Präzision und Radikalität durch. Ihre Dystopie der neoliberalen Leistungsgesellschaft 4.0 ist nicht ganz frei von Sentimentalität und Klischees, aber Lucadou neigt weder zum Kuschelsex noch zum "Nostalgia Porn". Nüchtern, kühl, in kurzen, schmucklosen Sätzen erzählt sie, wie mit den Heilsversprechen von mehr Effizienz, Wachstum und personalisiertem Glück alles verdrängt, gedämpft, zerstört wird, was Leben ausmacht: Spontaneität, Schmerz, Dreck, Emotion, Poesie.
Aus phantasielosem Abnicken und geräuschlos erzwungener Anpassung bricht irgendwann wieder die Sehnsucht nach dem anderen hervor: Innehalten statt globaler Beschleunigung, direkte Begegnung statt Gesichtserkennung und Online-Chat, Sprachfehler und Dichtung statt "genderneutrale" Computerstimmen, absichtslos schenken statt immer mehr kaufen. Es gibt viel mehr als "Glamour und Credits und Fame". Der Hacker Zeus Schmidt rät Hitomi: "Lassen Sie das Chaos zu." Aber ihr Leben ist schon von zu vielen Viren, Malware und falschen Erinnerungsdaten infiziert, als dass sie sich noch einmal updaten oder ausloggen könnte.
Die Story tritt manchmal auf der Stelle, die Figuren bleiben ein wenig hohl, die Atmosphäre ist programmatisch steril. Das steckt, wie der exzessiv gebrauchte Marketing- und Motivationssprech, in der Natur der Sache. Man fordert bei Call-a-Coach die Implementierung von rigiden Mindfulness-Programmen und "Inspirational Pictures", Kündigungen firmieren als Reassignment-Maßnahme, Life-Changing-Moment oder Exit Package, und selbst Kalenderweisheiten wie "Everything's gonna be okay TM" tragen das Trademark-Zeichen. Die eigentliche Hauptfigur des Romans ist nicht die "sakrale Superheldin" Riva, sondern Hitomi, ihre mausgraue Beobachterin, die selbst in einem kafkaesken Netzwerk aus Beobachtung und wohlmeinender Supervision gefangen ist.
Dieser Kunstgriff gibt der Beobachterin Julia von Lucadou Gelegenheit, Widersprüche zur Sprache zu bringen, von denen sich die binäre Logik der Roboter und Rechner nichts träumen lässt. Hitomis Chef verteilt ungerührt Kopfnoten und Exit Packages, aber er ist auch mindestens so aufmerksam und echt wie die Mutteroption von Hitomis "Parentbot", die auf Knopfdruck Mamas Trostworte und Wiegenlieder summt. Zardoo, der Junge von Familiy Services, der mit seinen Blogs aus dem Leben einer authentischen Biofamilie Hitomi zu Tränen rührt und Riva wieder zum Springen "reanimiert", ist vielleicht gar kein romantisch-analoger Rebell, sondern ein zynischer Guru. Hitomi ist die überangepasste Sklavin des Systems, aber auch: Schutzengel, bedauernswerte Low-Performerin, reuige Verräterin. Julia von Lucadou lässt in ihrem bemerkenswertem Erstling offen, wer Täter oder Opfer, Sieger oder Verlierer, was noch schwereloser Flug und was schon Absturz ist. Am Ende steht jedenfalls ein Exit Package, das Hitomi nicht nur aus ihrer kleinen Welt der Bonuspunkte, Pixelschatten und Mindful-Übungen hinauskatapultiert.
MARTIN HALTER
Julia von Lucadou: "Die Hochhausspringerin".
Roman.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2018. 288 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Konturen der digitalen Transformation zeichnen sich ja heute schon ab. Die Hierarchien in der Arbeitswelt werden flacher, Homeoffice und Firmenkita sind Standard, Meditation, Sport und Mindfulness-Übungen am Arbeitspflicht beinahe Pflicht. Das macht das Leben nicht unbedingt leichter, aber jeder ist seines Glückes Programmierer und: "Daten lügen nicht", wie der Mentalcoach weiß. Wer in den luxuriösen Wohnungen im Zentrum wohnen will, muss perfekt funktionieren und sich ständig neu evaluieren lassen. Die weniger Glücklichen oder weniger Ehrgeizigen hausen draußen, offline, arm und rechtlos in den schmutzigen, gefährlichen "Peripherien". Die Leistungen des Individuums werden von Fitness- und Activity-Trackern lückenlos erfasst, in Echtzeit analysiert und mit Performance Reviews, Vitality-Score-Index und Rankings objektiv bewertet. Es gibt keine Geheimnisse, keine Privatsphäre, kein Recht auf Versagen oder Wegducken mehr. Was nicht von Überwachungskameras und smarten Apps aufgezeichnet wird, postet die Generation Instagram freiwillig in ihren Profilen.
Selbstdisziplin, Einsicht in die Notwendigkeit, Sterilisation und humorloses Abnicken sind auch im Privaten vornehmste Bürgerpflichten. Partnerschaften werden von Algorithmen arrangiert, Matches münden im Idealfall in Credit Unions. Kinder werden nicht von schlampigen Bioeltern aufgezogen, sondern in Genlaboren, Childcare-Instituten und Castingshows professionell für den Wettbewerb abgerichtet. Signale von Krankheit, Widerwillen oder gar Widerstand werden frühzeitig geortet und mit Hilfe von Pillen und Psychocoaches proaktiv beseitigt. Die Megacity der Zukunft, wie Julia von Lucadou sie entwirft, ist weder geographisch noch zeitlich lokalisierbar und namenlos. Dafür tragen ihre Einwohner so bizarre Namen wie Beluga Gans, Royce Hung und Hugo M. Master.
Publikum und Risikokapitalgeber lieben den Trendsport Hochhausspringen, weil es hier noch um Leben und Tod geht. Star der Skydiving-Szene und aller sozialen Netzwerke ist Riva, die mit ihrem silbernen FlysuitTM schwerelos wie ein Vogel durch die Hochhausschluchten fliegt. Bis sie eines Tages ohne Grund die Lust an ihrer Todesakrobatik verliert. Keine Sponsorenverträge, keine Fotoshootings, keine Selfies mehr: eine Katastrophe für Rivas Berater, Investoren und Fans. Hitomi Yoshida, Datenanalystin und Tablet-Seelsorgerin bei PsySolutions, soll herausfinden, wie es zu dem bedauerlichen Funktionsversagen kommen konnte. Der Routineauftrag bringt Hitomi an die Grenzen ihres maschinenlesbaren "Produktivitätspotenzials". Aber wenn sie Riva nicht wieder in die Spur bringt, verliert die Wirtschaftspsychologin alle ihre Privilegien von der Designerwohnung bis zum Zugriffsrecht auf die einzig wahre digitale Realität.
Das vereinsamte, entrechtete Subjekt, das sich einer total kontrollierten Gesellschaft verweigert oder ganz in den Untergrund abtaucht: Man kennt das aus Romanen und Filmen wie "1984", "The Circle", "Matrix" oder "Die Tribute von Panem". Julia von Lucadou spielt in ihrem Romandebüt die bekannten Muster mit großer Konsequenz, Präzision und Radikalität durch. Ihre Dystopie der neoliberalen Leistungsgesellschaft 4.0 ist nicht ganz frei von Sentimentalität und Klischees, aber Lucadou neigt weder zum Kuschelsex noch zum "Nostalgia Porn". Nüchtern, kühl, in kurzen, schmucklosen Sätzen erzählt sie, wie mit den Heilsversprechen von mehr Effizienz, Wachstum und personalisiertem Glück alles verdrängt, gedämpft, zerstört wird, was Leben ausmacht: Spontaneität, Schmerz, Dreck, Emotion, Poesie.
Aus phantasielosem Abnicken und geräuschlos erzwungener Anpassung bricht irgendwann wieder die Sehnsucht nach dem anderen hervor: Innehalten statt globaler Beschleunigung, direkte Begegnung statt Gesichtserkennung und Online-Chat, Sprachfehler und Dichtung statt "genderneutrale" Computerstimmen, absichtslos schenken statt immer mehr kaufen. Es gibt viel mehr als "Glamour und Credits und Fame". Der Hacker Zeus Schmidt rät Hitomi: "Lassen Sie das Chaos zu." Aber ihr Leben ist schon von zu vielen Viren, Malware und falschen Erinnerungsdaten infiziert, als dass sie sich noch einmal updaten oder ausloggen könnte.
Die Story tritt manchmal auf der Stelle, die Figuren bleiben ein wenig hohl, die Atmosphäre ist programmatisch steril. Das steckt, wie der exzessiv gebrauchte Marketing- und Motivationssprech, in der Natur der Sache. Man fordert bei Call-a-Coach die Implementierung von rigiden Mindfulness-Programmen und "Inspirational Pictures", Kündigungen firmieren als Reassignment-Maßnahme, Life-Changing-Moment oder Exit Package, und selbst Kalenderweisheiten wie "Everything's gonna be okay TM" tragen das Trademark-Zeichen. Die eigentliche Hauptfigur des Romans ist nicht die "sakrale Superheldin" Riva, sondern Hitomi, ihre mausgraue Beobachterin, die selbst in einem kafkaesken Netzwerk aus Beobachtung und wohlmeinender Supervision gefangen ist.
Dieser Kunstgriff gibt der Beobachterin Julia von Lucadou Gelegenheit, Widersprüche zur Sprache zu bringen, von denen sich die binäre Logik der Roboter und Rechner nichts träumen lässt. Hitomis Chef verteilt ungerührt Kopfnoten und Exit Packages, aber er ist auch mindestens so aufmerksam und echt wie die Mutteroption von Hitomis "Parentbot", die auf Knopfdruck Mamas Trostworte und Wiegenlieder summt. Zardoo, der Junge von Familiy Services, der mit seinen Blogs aus dem Leben einer authentischen Biofamilie Hitomi zu Tränen rührt und Riva wieder zum Springen "reanimiert", ist vielleicht gar kein romantisch-analoger Rebell, sondern ein zynischer Guru. Hitomi ist die überangepasste Sklavin des Systems, aber auch: Schutzengel, bedauernswerte Low-Performerin, reuige Verräterin. Julia von Lucadou lässt in ihrem bemerkenswertem Erstling offen, wer Täter oder Opfer, Sieger oder Verlierer, was noch schwereloser Flug und was schon Absturz ist. Am Ende steht jedenfalls ein Exit Package, das Hitomi nicht nur aus ihrer kleinen Welt der Bonuspunkte, Pixelschatten und Mindful-Übungen hinauskatapultiert.
MARTIN HALTER
Julia von Lucadou: "Die Hochhausspringerin".
Roman.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2018. 288 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Michel Foucault hätte den Roman mit Spannung gelesen ... Von Lucadou beschreibt den Terror der totalen Transparenz, die geheimnislose Offenheit dieses Albtraums in klirrend kalter Prosa. Kaum zu glauben, dass 'Die Hochhausspringerin' ihr Debütroman ist." Dominika Meindl, Falter, 19.10.18 "Eine gruselige Dystopie ... Julia von Lucadou hat eigene Erfahrungen aus der Fernsehbranche überzeichnet und auf die Spitze getrieben und daraus eine, keineswegs humorfreie, Satire gemacht. Ein äußerst gelungenes Debüt." Ulrike Sarkany, NDR Kultur, 08.11.18 "Dieser Roman geht uns nah, weil er uns nicht nur zeigt, wohin wir in unserer digitalisierten Welt geraten könnten, sondern weil er uns erzählt, wo wir bereits sind." Manfred Papst, NZZ am Sonntag,
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30.09.2018 "Die Sprache ist hochpoetisch und sensibel, die Sätze sind kunstvoll strukturiert ... Erschreckend und wunderbar zu lesen." Tomasz Kurianowicz, Die Zeit, 16.08.18 "Lucadous Sätze sind so transparent wie die gläserne Architektur, dieihre Figuren umschließt, ihre Worte so präzise gewählt, als würde jemand permanent aus dem Off das Achtsamkeitslevel checken." Anja Kümmel, Zeit Online, 08.09.18 "Nüchtern, kühl, in kurzen schmucklosen Sätzen erzählt Julia von Lucadou, wie mit dem Heilsversprechen von mehr Effizienz, Wachstum und personalisiertem Glück alles verdrängt, gedämpft, zerstört wird, was Leben ausmacht: Spontaneität, Schmerz, Dreck, Emotion, Poesie." Martin Halter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.08.18 "Ein intelligenter, hellsichtiger und kurzweiliger Roman über unsere schöne neue Welt der freiwilligen Selbstüberwachung. Ein herausragendes Debüt!" Barbara Geschwinde, WDR 5, 04.08.18 "Soghaft spannend erzählt." Anja Ruf, Frankfurter Rundschau, 03.08.18 "Was Julia von Lucadous Roman so beeindruckend macht, ist die Genauigkeit, mit der sie diese hochglänzende, neue, aber keineswegs komplett fiktive Welt beschreibt ... Jedes Detail sitzt so genau, dass hinter der Makellosigkeit des Textes immer dieselbe Perfidie der Selbstoptimierung zu lauern scheint, um die es ihm geht." Kathleen Hildebrand, Süddeutsche Zeitung, 23.07.18
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Gebundenes Buch
Julia von Lucadou entwirft in ihrem ersten Roman eine Welt, in der Alles und Jedes dem ökonomischen Prinzip unterworfen ist, ganz im Sinne der herrschenden Unternehmen. Die Menschen verpflichten sich (scheinbar freiwillig!), ihr Dasein in Gänze den Unternehmen zu widmen, mit denen sie …
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Julia von Lucadou entwirft in ihrem ersten Roman eine Welt, in der Alles und Jedes dem ökonomischen Prinzip unterworfen ist, ganz im Sinne der herrschenden Unternehmen. Die Menschen verpflichten sich (scheinbar freiwillig!), ihr Dasein in Gänze den Unternehmen zu widmen, mit denen sie einen Vertrag schließen. Dazu stehen sie unter permanenter Überwachung, ob sie auch alles dafür tun, gesund und leistungsfähig zu bleiben. Also Sport, Entspannung, gesundes Essen usw. Verstöße werden umgehend in Form von Vermerken und medizinischen Pflichtterminen geahndet, schlimmstenfalls erfolgt eine Degradierung. Da sich selbst die 'Aufzucht' der Menschen nach ökonomischen Kriterien richtet (Brutmaschinen, Internate - natürliche Familien vermindern die Leistungsfähigkeit durch Schwangerschaft, Pflege der Kinder usw.), vermissen die Leistungsträger jedoch nichts und genießen ihre scheinbaren Privilegien wie saubere Umgebung, schöne Wohnung, Ausstattung usw., leben jedoch ständig unter Druck, nicht mehr zu genügen und vielleicht absteigen zu müssen; in die Peripherien, wo die Unterschicht lebt.
Riva ist eine dieser Leistungsträgerinnen und scheint alles zu haben, wovon der Rest nur träumt. Doch eines Tages verweigert sie ohne Angaben von Gründen ihre Arbeit, das Hochhausspringen. Hitomi, eine junge, karriereorientierte Psychologin, soll Riva wieder motivieren, doch das gestaltet sich wesentlich komplizierter als erwartet. Statt Verbesserungen bei ihrer Patientin zu erreichen, geht es Hitomi immer schlechter, je mehr sie sich mit diesem Fall befasst.
Es ist eine grauenvolle Welt, die hier entworfen wird, ohne Gefühle und soziale Bindungen, denn diese haben keinen ökonomischen Nutzen. Doch sind wir tatsächlich noch so weit davon entfernt? Riva erinnert mit ihrer ständigen Verfügbarkeit auf sämtlichen Mediakanälen, sehr manchen (Pseudo-)Celebrities, die rund um die Uhr online zu sein scheinen. Und die permanente gesundheitliche Überwachung unter dem Deckmantel einer mütterlichen/väterlichen Fürsorge (Ich meine es doch nur gut mit Dir - damit Du ganz schnell auch wieder ganz viel arbeiten kannst) existiert doch heute bereits, wenn auch (noch) nicht in dieser übertriebenen Form. Noch erfolgt die Bekanntgabe der eigenen Leistungs- und Gesundheitsdaten freiwillig; man muss sich nur in den diversen Sportforen umschauen. Doch schon längst sind sie auch zu Kriterien bei der Beurteilung potentieller BewerberInnen geworden.
Julia von Lucadous Buch ist ein Warnsignal vor einer Zukunft, deren erste Anzeichen sich bereits bei uns entdecken lassen. Wehret den Anfängen!
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Gebundenes Buch
Julia von Lucadou führt die Leser ihres Debüts in eine düstere, kalte dystopische Welt. Die titelgebende Hochausspringerin Riva wird – ohne ihr Wissen – von der Psychologin Hitomi betreut. Riva befindet sich in einer Krise – sie springt nicht mehr, funktioniert nicht …
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Julia von Lucadou führt die Leser ihres Debüts in eine düstere, kalte dystopische Welt. Die titelgebende Hochausspringerin Riva wird – ohne ihr Wissen – von der Psychologin Hitomi betreut. Riva befindet sich in einer Krise – sie springt nicht mehr, funktioniert nicht mehr und das ist in der im Buch beschriebenen Welt weder vorgesehen noch akzeptabel. Aus dem Hintergrund versucht Hitomi Riva wieder auf die Spur zu bringen, wobei sie immer mehr in Riva Welt versinkt.
Die Handlung des Buches ist übersichtlich – aus Hitomis Sicht wird die Zeit ihrer Betreuung (Überwachung?) Rivas berichtet. In einigen Rückblicken erfährt man auch mehr über die Person Hitomi, die (anders als der Klappentext vielleicht vermuten lässt) in diesem Buch noch vor Riva im Mittelpunkt steht.
Der Fokus des Romans liegt meiner Meinung nach eher auf der dystopischen Welt und dem psychologischen Aspekt, wenn Hitomi sich immer mehr in Rivas Leben reinsteigert. Eine actiongeladene Handlung, die der eine oder die andere bei dem Titel erwarten mag, sucht man vergebens. Die Welt, in der Riva und Hitomi leben, wird nicht detailreich beschrieben, sondern eher subtil. Am Ende werden nicht alle Details aufgeklärt. Ich bin nicht wirklich ein Fan von einer solch offenen Beschreibung, fand sie hier aber passend, obwohl ich gerne noch mehr handfestes über diese fremde Welt erfahren hätte.
"Die Hochausspringerin" regt auch zum Nachdenken an über unserer Technik- und Mediennutzung und wohin diese sich noch entwickeln kann. Ist die hier beschriebene Realität in dieser Hinsicht wirklich so überspitzt oder Zukunftsmusik, wie man zunächst glauben mag?
Ein gelungenes Debüt, das den Leser zum Nachdenken anregt.
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Gebundenes Buch
Dystopie - oder unsere Zukunft ?
„Die Hochhausspringern“ ist ein beeindruckender, fesselnder und beängstigender Roman von Julia von Lucadous.
Riva ist Hochhausspringerin und lebt in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft. Sie ist perfekt, springt mit größter …
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Dystopie - oder unsere Zukunft ?
„Die Hochhausspringern“ ist ein beeindruckender, fesselnder und beängstigender Roman von Julia von Lucadous.
Riva ist Hochhausspringerin und lebt in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft. Sie ist perfekt, springt mit größter Präzision elegant von den höchsten Gebäuden und funktioniert wie eine Maschine. Aber nun ist ihr alles zu viel geworden, sie will nicht mehr springen und weigert sich zu trainieren. Da ihre Sponsoren Einbußen ihrer Einnahmen befürchten, soll Hitomi – eine andere junge Frau und Angestellte einer Überwachungsfirma – Riva ohne ihr Wissen wieder zu ihrer alten Form zurückbringen. Sollte ihr dies nicht gelingen, droht ihr die Ausweisung in die Peripherie, in der die Menschen abgeschoben werden, die der optimierten Gesellschaft zu nichts mehr nütze sind. Hitomi ist sehr zielstrebig und erhält durch unzählige Kameras intimste Einblicke in Rivas Leben.
Der Schreibstil von Julia von Lucadous ist sehr detailliert, so dass man sich alles gut vorstellen kann, aber auch sehr nüchtern. Das passt hervorragend zu der kalten und trostlosen Welt, in der die Menschen kein Recht auf Privatsphäre haben und permanent überwacht werden.
Hitomis Überwachung über Riva wird stetig überprüft. Jeder Fehler wird bestraft und jeder Erfolg belohnt und sie wird genau wie Riva 24 Stunden am Tag überwacht. Auch der Austausch der Menschen ist stark reduziert, es werden nur noch Informationen weitergegeben, es ist kein Platz für Emotionen oder Empathie.
Es war weniger die Spannung der Geschichte, die mich an das Buch gefesselt hat, sondern viel mehr das Entsetzen, dass die geschilderte Welt keine reine Fantasie der Autorin ist, sondern unsere Gesellschaft durch ihr leistungsbezogenes Denken und ihren permanenten Drang zur Perfektion genau auf dieses Szenario zusteuert – alles wirkt erschreckend realistisch.
Das dargestellte Szenario ist eine Dystopie, die auf einer aktuellen Thematik basiert und das die Autorin großartig umgesetzt hat – ein wirklich gelungenes und absolut lesenswertes Debüt.
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Gebundenes Buch
Schöne neue Welt???
Inhalt:
Riva ist Hochhausspringerin – ein perfekt funktionierender Mensch mit Millionen Fans. Doch plötzlich weigert sie sich zu trainieren. Kameras sind allgegenwärtig in ihrer Welt, aber sie weiß nicht, dass sie gezielt beobachtet wird: Hitomi, …
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Schöne neue Welt???
Inhalt:
Riva ist Hochhausspringerin – ein perfekt funktionierender Mensch mit Millionen Fans. Doch plötzlich weigert sie sich zu trainieren. Kameras sind allgegenwärtig in ihrer Welt, aber sie weiß nicht, dass sie gezielt beobachtet wird: Hitomi, eine andere junge Frau, soll Riva wieder gefügig machen. Wenn sie ihren Auftrag nicht erfüllt, droht die Ausweisung in die Peripherien, wo die Menschen im Schmutz leben, ohne Möglichkeit, der Gesellschaft zu dienen. Was macht den Menschen menschlich, wenn er perfekt funktioniert?
„Die Hochhausspringerin“ führt in eine brillante neue Welt, die so plausibel ist wie bitterkalt. Julia von Lucadou erzählt von ihr mit der Meisterschaft der großen Erzählungen über unsere Zukunft.
Meine Meinung:
Es fiel mit anfangs schwer in die Welt von Riva und Hitomi einzutauchen. Aber nach und nach fand ich es immer spannender, das Bedrohlich zog mich an und hat mich bis zum Schluss nicht mehr losgelassen. In dieser Welt der Rundumüberwachung, in der du gezwungen bist, ständig an deinem Leistungs- und Fitnesslevel zu arbeiten, sonst wirst du abgestuft und bist quasi ein NICHTS, möchte ich wohl niemand leben. Aber leider steuern wir volle Kraft darauf zu.
Die Sprache und der Erfindungsreichtum der Autorin haben mich beeindruckt.
Die Protagonisten taten mir von Herzen leid. Alle sind dem System hilflos ausgeliefert. Entweder man passt sich an und funktioniert oder man wird ausgesondert. Ich fühlte mit ihnen. Was für eine beklemmende Welt. So musste sich Hitomi mit einer künstlichen Mutter unterhalten um Trost zu finden. HILFE!!!
Die Frage: Was macht den Menschen menschlich, wenn er perfekt funktioniert? beantworte ich mit einem klaren NICHTS. In einer Leistungsgesellschaft, in der der Mensch perfekt funktionieren muss und Schwächen sofort geahndet werden, bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke. Diese Welt ist gefühllos und nüchtern und ohne jegliche Wärme und Charme, wie soll da Menschlichkeit entstehen?
Ein Satz ist bei mir besonders hängengeblieben: „Je näher man dem Tod kommt, desto lebendiger wird man.“
Fazit: „Die Hochhausspringerin“ hat mich gut unterhalten und meine Gedanken beschäftigt, auch nach dem Lesen. Es war keine leichte Kost, aber die Lektüre hat sich gelohnt. Ein außergewöhnliches Buch. Daumen hoch!
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Gebundenes Buch
Fitness-Tracker, Echtzeit-Kommunikation mit der ganzen Welt, maßgeschneiderte Unterstützungen zur Selbstoptimierung – was heute schon ansatzweise zum Alltag gehört, wird in naher Zukunft perfektioniert sein, um die Menschen zu optimieren und ihnen zu ermöglichen, …
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Fitness-Tracker, Echtzeit-Kommunikation mit der ganzen Welt, maßgeschneiderte Unterstützungen zur Selbstoptimierung – was heute schon ansatzweise zum Alltag gehört, wird in naher Zukunft perfektioniert sein, um die Menschen zu optimieren und ihnen zu ermöglichen, Höchstleistungen zu zeigen. So auch Riva, ein Internetstar, als Hochhausspringerin ist sie berühmt geworden, Millionen von Follower begleiten gebannt ihren Alltag, der virtuos abgestimmt wird auf die Bedürfnisse der Zielgruppe der Fans. Riva ist eine Marke mit perfektem Marketing und rundum-Betreuung, die ihre körperliche und mentale Fitness überwacht und für optimale Leistungen sorgt. Doch plötzlich will Riva nicht mehr, apathisch zieht sie sich in ihre Wohnung zurück, verweigert Nahrung und vor allem das Hochhausspringen. Eine finanzielle Katastrophe, weshalb die Psychologin Hitomi Yoshida sie coachen soll und zurück in die Spur bringen muss. Kein leichtes Unterfangen, denn auch für Hitomi steht einiges auf dem Spiel.
Julia Lucadous Roman versetzt einem in eine nicht allzu ferne Zukunft, die einem auf den ersten Seiten auch eher fremd vorkommt. Das durchgetaktete und durchgeplante Leben der Figuren, das vor allem die monetären Bedürfnisse von Investoren zu befriedigen hat und nur in zweiter Linie zur Erfüllung der Figuren selbst dient, erscheint doch eher sehr utopisch – genaugenommen wohl dystopisch. Doch je weiter die Handlung voranschreitet, desto deutlicher werden die Bezüge zu unserer heutigen Realität und der Kluft zwischen beiden verringert sich zusehend auf erschreckende Weise.
Man erfährt nicht viel über die Gesellschaft, in der Riva und Hitomi leben, die klassische Familie wurde ersetzt durch eine zielgerichtete Reproduktion und Erziehung, die einer gewissen Planwirtschaft zu folgen scheint und vor allen Dingen durch die Abwesenheit von Zuneigung und Geborgenheit geprägt ist. Hinzu kommen offenkundige Klassenzugehörigkeiten, die über Lebenschancen entscheiden. Dies ist ein relativ typisches Setting für dystopische Romane. Allerdings bleibt die Gesamtbevölkerung stets in der Peripherie, die beiden jungen Frauen und ihr ganz persönliches Schicksal stehen im Vordergrund.
Riva kommt wohl dem, was man heute als Influencer und Internet-Berühmtheit kennt am nächsten. Ihr ganzes Leben wird unmittelbar sichtbar übers Netz veröffentlicht und ihre Anhänger nehmen so an ihrem Leben teil. Dies geht auf Kosten gewisser Freiheiten, Branding und Werbung diktieren das Verhalten und die persönliche Freiheit wird durch den Marktwert bestimmt. Dass Riva eine Art Burnout erlebt und sich völlig in sich zurückzieht, ist eine verständliche Folge. Die permanente Öffentlichkeit des Daseins strengt nicht nur an, es lässt sie auch sich selbst verlieren.
Hitomi wiederum war schon als Kind angepasst und konnte den vorgefertigten Normen, dem festen Rahmen positive Seiten abgewinnen. Das System und ihr Charakter waren wie für einander gemacht, ihre Fähigkeit Menschen zu lesen scheint sie ideal für den Beruf der Psychologin zu machen. Ihr Arbeitsalltag unterscheidet sich nur in einem Punkt deutlich von unserem: jeder Handgriff wird unmittelbar mit Credits bewertet, Fehler sind nicht verzeihlich, sondern können zum Verlust von Ansehen und Wohnung führen. Sie wird ebenso wie Riva 24/7 überwacht und erfüllt sie die Vorgaben des Arbeitgebers nicht, die sich nebenbei auf Schlafpensum, Ernährung und sportliche Aktivität ausdehnen, riskiert sie wegen Vertragsbruches die Kündigung. Der Druck wirkt zunächst motivierend und spornt sie an, doch zunehmend lastet er auf ihr und sie beginnt zu straucheln.
Der moderne Mensch, der nicht mehr lebt, sondern performt, seine Freizeit auf den Social Media Kanälen teilt und Likes oder Herzchen als neue Währung versteht, den gibt es schon. Julia von Lucadou hat ihn eine Stufe weitergedacht. Was kommt nach der Optimierung, wenn perfekt das neue Normmaß ist? Ein erschreckendes Gedankenexperiment, das zum Nachdenken bringt.
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In dieser Dystopie geht es um die existentiellen Probleme, die ein extrem fremdbestimmtes Leben mit sich bringen kann.
Julia von Lucadou macht uns bekannt mit Riva Karnovsky, einer Hochhausspringerin, sehr beliebt und perfekt in ihrer attraktiven Rolle, die sich aber plötzlich aus diesem …
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In dieser Dystopie geht es um die existentiellen Probleme, die ein extrem fremdbestimmtes Leben mit sich bringen kann.
Julia von Lucadou macht uns bekannt mit Riva Karnovsky, einer Hochhausspringerin, sehr beliebt und perfekt in ihrer attraktiven Rolle, die sich aber plötzlich aus diesem glamourösen Leben zurückzieht und in Lethargie verfällt. Dann ist da noch Hitomi Yoshida, die für Psy-Solutions arbeitet und durch geeignete Maßnahmen Riva reanimieren soll, damit sie sich wieder dem Highrise Diving zuwendet. Diese Maßnahmen bestehen in erster Linie aus minutiöser Überwachung, die Gründe für den Rückzug herausfinden und geeignete Therapiemöglichkeiten bieten soll.
Schnell wird deutlich, dass in dieser neuen Welt jeder permanent überwacht wird, bis in die Intimsphäre hinein, um die bestmögliche Optimierung der einzelnen Individuen zu gewährleisten, denn nur dann kann die Gesellschaft funktionieren. So wird auch Hitomi immer mehr bewußt, dass auch ihr Leben komplett fremdbestimmt ist, und wenn sie nicht funktioniert wie gewünscht, erfolgt der gesellschaftliche Abstieg, bis hinaus in die Peripherien, wo die Menschen bei ihren Biofamilien selbstbestimmt leben, aber eben nicht vollkommen sind.
Mir scheint es, als gehe es darum, sich zu entscheiden. Was möchte ich, Ruhm und Anerkennung, wobei ich mich dann aber in totale Fremdbestimmung begebe und mich anpasse, quasi meine eigene Persönlichkeit aufgebe. Oder möchte ich ein Individuum bleiben, selbstbestimmt, aber ohne Rückendeckung durch die Gesellschaft?
Offensichtlich ist Riva es leid, vom System vermarktet zu werden und im goldenen Käfig zu leben. Hitomi hingegen schätzt ein solches Leben, merkt aber sehr schnell, wie schwierig es ist, den gesellschaftlichen Ansprüchen dieser neuen Welt zu genügen.
Ein Sympathieträger ist keiner der Protagonisten, denn Hitomi missfällt mir durch ihren Ja-Sager Status, während ich über Rivas Beweggründe wenig erfahre, da der Roman aus Hitomis Sicht geschrieben ist. Ich denke aber, dass Rivas Aufbegehren ihr Wesen aufwertet.
Die Grundidee der Autorin ist lobenswert und in der heutigen Zeit keine reine Utopie mehr. Allerdings muss ich sagen, dass sich in der Umsetzung eine gewisse Langatmigkeit deutlich macht, denn es passiert einfach seitenweise nichts wirklich Neues, auf der einen Seite ständige Lethargie und auf der anderen permanente Überwachung. Besonders im Mittelteil war die Motivation zum Weiterlesen sehr niedrig. Zum Ende hin kam dann wieder deutlich mehr Spannung auf, denn Rivas und Hitomis weiterer Lebensweg wurde aufgezeigt.
Auf jeden Fall bringt einen die Geschichte um Riva und Hitomi zum Nachdenken. Wie ist unsere Rolle in der Gesellschaft und möchten wir daran etwas ändern?
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Über eine gläserne Zukunft, dem Optimum nacheifernd.
Ein Roman, so utopisch und dennoch so plausibel möglich. Ich schätze Julia von Lucadou für diese Zukunftsversion sehr, zumal wir auch schon heute recht fragwürdige 'Fortschritte' in diesen Bereichen gemacht haben …
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Über eine gläserne Zukunft, dem Optimum nacheifernd.
Ein Roman, so utopisch und dennoch so plausibel möglich. Ich schätze Julia von Lucadou für diese Zukunftsversion sehr, zumal wir auch schon heute recht fragwürdige 'Fortschritte' in diesen Bereichen gemacht haben und alles auf Optimierung ausgelegt ist. Der gläserne Bürger ist nicht mehr allzu weit entfernt und wo es möglicherweise hinführen könnte, stellt sie mehr als beeindruckend in ihrem Roman "Die Hochhausspringerin" dar.
"Ein Blick in die Zukunft, wenn wir Glück hatten. Ein Motivation Trip TM, der uns zu großen Zielen inspirieren sollte. Was willst du werden? Hochhausspringerin."
Riva ist eine berühmte Hochhausspringerin, die scheinbar aus ihrer Rolle ausbrechen möchte bzw. mit der Last des Drucks und der Transparenz nicht mehr leben möchte. Sie weigert sich und verweigert auch nahezu jeden Kontakt zur Außenwelt.
Hitomi soll nun in ihr neue Begeisterung entfachen, fernab, observierend, am Monitor sitzend. Doch jegliche Annäherung ihrerseits lehnt Riva ab und nach und nach gerät dadurch auch Hitomis Leben ins Wanken. Obwohl sie sich nie begegnen, wird Hitomi nahezu in Rivas Leben gesogen, sodass sie ihren eigenen Verpflichtungen in Sachen Gesundheit und Optimierung kaum noch nachgehen kann. Auch dies fällt ihrem Master auf und bringt sie an den Rand des Scheiterns. Einen Ausweg gibt es nicht, entweder bringt sie Riva wieder zurück oder ihr droht die Ausweisung in die Peripherien, dort wo die Menschen scheinbar unvollkommen, sich selbst überlassen sind.
"Riva, wie sie jetzt existiert, ist eins geworden mit ihrer Wohnung: eine weiße, bewegungslose Gestalt. Mehr Umriss als Person. Riva, die Hochhausspringerin, erscheint mir wie eine Fiktion."
Ein Buch, dass sich einer Gesellschaft im Optimierungswahn widmet und irgendwie am Ende komplett an der Menschlichkeit scheitert. Erschreckender finde ich jedoch, dass die erwähnte Technologie bereits heute in dieser Form vorhanden ist und auch der Mensch dank Fitnesstracker und Co stets darauf bedacht ist ausreichend Schritte am Tag zu gehen oder entsprechend optimiert zu schlafen. Es ist das Leben als solches und die Frage in wie weit es so kontrolliert und aufs Optimum berechnete noch lebenswert ist. Es ist die tolle Scheinwelt oder gar Gesellschaft, die sich als so fantastisch fortschrittlich definiert, während außerhalb Menschen um ihre Existenz bangen und auch innerhalb ihres Einzugsraums Menschen darunter leiden. "Die Hochhausspringerin" - die Für und Kehrseite einer Zukunft, die heute beinahe angestrebt wird. Und ganz ehrlich? Nein, soweit möchte ich es niemals kommen lassen und hoffe, dass es auch nie soweit kommen wird. Es ist ein Roman der mich oftmals 'aufschreien' ließ und gedanklich forderte und gerade solche Gedanken'spiele' liebe ich doch sehr. Die Welt zu hinterfragen und doch 'nur' eine Geschichte zu lesen.
Sprachlich hingegen blieb es dennoch recht kühl, klar und irgendwie auch berechnend, was vielleicht auch zu der beschriebenen Scheinwelt passt, dennoch hätte ich gerne eine unerwartete Wendung kommen sehen. Ich fürchte mehr kann ich an diese Stelle dann auch noch nicht sagen, ohne zu viel vorweg zu nehmen.
"Es tut mir wirklich sehr leid, Herr Master. Gehen Sie schlafen. Ihr Schlafverhalten ist viel zu unregelmäßig. Und ihr Bewegungsminimum haben Sie auch schon wieder nicht erfüllt. Es tut mir leid, Herr Master. Gehen Sie schlafen."
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