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»Einen Tag vor ihrem Tod rief Simone mich noch einmal an. Das weiß ich genau, denn ich hatte keine Zeit.«
Berlin, Mitte der achtziger Jahre. Zwei junge Frauen feiern, tanzen, reisen, verlieben sich - und werden im Osten der Stadt erwachsen. Dann fällt die Mauer, und das Leben der Freundinnen verändert sich in rasender Geschwindigkeit. Simone reist durch die Welt, Anja bekommt ein Kind, heiratet, beginnt zu arbeiten. Sie treiben auseinander und verlieren sich doch nicht. Bis zu dem Tag, an dem Simone für immer geht und Anja zurückbleibt. Wer war Simone? Und warum hat sie sich das Leben…mehr

Produktbeschreibung
»Einen Tag vor ihrem Tod rief Simone mich noch einmal an. Das weiß ich genau, denn ich hatte keine Zeit.«

Berlin, Mitte der achtziger Jahre. Zwei junge Frauen feiern, tanzen, reisen, verlieben sich - und werden im Osten der Stadt erwachsen. Dann fällt die Mauer, und das Leben der Freundinnen verändert sich in rasender Geschwindigkeit. Simone reist durch die Welt, Anja bekommt ein Kind, heiratet, beginnt zu arbeiten. Sie treiben auseinander und verlieren sich doch nicht. Bis zu dem Tag, an dem Simone für immer geht und Anja zurückbleibt.
Wer war Simone? Und warum hat sie sich das Leben genommen? Auf der Suche nach Antworten unternimmt die Autorin eine Reise zurück in das Leben der Freundin und in ihr eigenes. Sie spricht mit Angehörigen, Freunden und Experten, liest Briefe, Tagebücher und Dokumente - und fasst die Ergebnisse ihrer Spurensuche zu einem so bewegenden wie aufschlussreichen Buch zusammen.

»Ich hoffe sehr, dass Anja Reichs Buch von vielen gelesen wird. Denn es tut gut, wie dieses Buch nicht in Schwarz-Weiß, sondern komplex Lebensumstände, Geschichten und unsere Welt erzählt.« Corinna Harfouch

Autorenporträt
Anja Reich, geboren in Berlin, ist Autorin und Journalistin. Seit 1996 arbeitet sie für die 'Berliner Zeitung' und berichtete ab 2001 als Korrespondentin aus New York und von 2018 bis 2020 aus Tel Aviv. Für ihre Reportagen erhielt sie den Deutschen Reporterpreis und den Theodor-Wolff-Preis. Im Aufbau Verlag erschien zuletzt von ihr 'Getauschte Heimat. Ein Jahr zwischen Berlin und Tel Aviv' (zusammen mit Yael Nachshon Levin). Sie lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit ihrer Suche nach den Gründen für den Suizid ihrer besten Freundin, offenbart Anja Reich nicht nur das Porträt einer vielschichtigen Persönlichkeit, weiß Rezensentin Verena Mayer, sondern zeichnet auch ein realistisches Bild vom Aufwachsen in der DDR. Am Tag ihres Selbstmordes ruft Simone bei ihrer Freundin Anja an, doch diese ist im Stress, wimmelt sie ab, lesen wir. Bis heute lastet die Schuld auf der Autorin und so versucht sie zu verstehen, was damals in den Neunziger Jahren passierte, so Mayer. Dazu geht sie im Stil einer gewissenhaften, journalistischen Persönlichkeit vor: Sie wertet Tagebücher aus, interviewt Eltern und Bekannte, resümiert Mayer. Reich legt offen, dass Simone, früher das "coolste Mädchen aus Lichtenberg" depressive Phasen hatte, deren Ursprünge wohl auch in ihrer Kindheit liegen: die Eltern gehörten zur DDR-Elite, hatten einen hohen Anspruch an sich und ihre Tochter, die eine "Musterbiografie" vorweisen sollte, über ihre Erfahrungen im Krieg wurde wenig gesprochen. Mayer rechnet es der Autorin hoch an, dass sie den historischen Kontext in ihr Trauerbuch miteinbezieht und nicht nach "letztgültigen Antworten" sucht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Vor allem aber gelingt Reich eine tiefgründige Bestandsaufnahme des Systems, in dem sie und ihre Freundin groß wurden.« Süddeutsche Zeitung 20231129

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2023

Systemisches
Leid
Warum starb Simone? Anja Reich sucht nach Ursachen für
den Suizid ihrer besten Freundin in den Neunzigerjahren.
Eine Frau begeht Suizid. Sie heißt Simone und ist 27 Jahre alt. Wie viele Menschen, die sich umbringen, hinterlässt sie in ihrem Umfeld viele Rätsel. Warum hat sie das getan, was hat sie dazu gebracht? Hätte man etwas sehen können, ahnen müssen? War ihr Sturz aus großer Höhe vielleicht doch ein Unfall? Wie viele Menschen, deren Angehörige oder Freundinnen durch Suizid gestorben sind, macht sich Anja Reich Vorwürfe.
Sie war es, die Simone im Oktober 1996 wenige Stunden vor ihrem Tod anrief und fragte, ob sie nicht bei ihr vorbeikommen könne. Reich konnte an dem Tag aber nicht, sie musste arbeiten, hatte ein kleines Kind zu Hause. Und Reich wird von all den Gefühlen überwältigt, die Menschen nach Suiziden von Freunden oder Verwandten empfinden. Schmerz, Trauer, Schuld, aber auch Unverständnis und Wut. Weil Reich aber nicht nur eine Freundin, sondern auch Journalistin ist, begibt sie sich auf die Suche nach den Ursachen.
Reich geht dabei wie bei einer professionellen Recherche vor. Sie klappert Simones Familie und Freunde ab, besucht Orte, an denen sie zusammen waren, redet mit Expertinnen und Experten, sichtet Briefe und Tagebucheintragungen, die ihr Simones Eltern überlassen haben. Dabei setzt sie Stück für das Stück das Bild einer widersprüchlichen Persönlichkeit zusammen.
Simone wuchs in einem Ostberliner Plattenbau in behüteten Verhältnissen auf, die Eltern gehörten als Ärzte zur DDR-Elite. Die „schöne, verrückte Freundin“, wie Reich Simone nennt, hatte alle Chancen auf ein gelingendes Leben. Sie beherrschte mehrere Sprachen, galt als das „coolste Mädchen in Berlin-Lichtenberg“, und als die Mauer fiel, war sie 19, also genau in dem Alter, in dem man hinausgeht in die Welt.
Was Simone auch prompt tat. Während Reich eine feste bürgerliche Existenz mit Mann, Job und Kind hatte, reiste Simone durch Europa, lebte eine Zeit lang in Lateinamerika, studierte Sprachen. Simones Leben, stellt Reich mit einer Mischung aus Bewunderung und Wehmut fest, „machte mir Lust, selbst so ein Leben zu führen“.
Aber Simone hatte auch schwierige Phasen, die sich in der Rückschau als psychische Krisen deuten lassen. Sie fühlte sich oft einsam, litt an Ängsten, hatte sexuelle Vorlieben, für die sie sich schämte. Sie schaffte es nicht, sich von ihren dominanten Eltern zu lösen. Als sie dann auf Druck von zu Hause eine ungewollte Schwangerschaft beendet, habe es in ihrem Leben einen „Knick“ gegeben, wie ihr Bruder sagt.
„Simone“ ist ein Trauerbuch, wie es viele gibt, seit Joan Didion mit „Das Jahr magischen Denkens“ eine Blaupause für die autofiktionale Verarbeitung von Verlust und Schmerz schuf. Immer wieder thematisiert Reich ihren eigenen Umgang mit Simones Tod und das Erzählen darüber, fragt sich, ob ihr die Art der Verarbeitung gerecht wird. Das wird besonders in den letzten Kapiteln deutlich, als es darum geht, dass Reich nicht abschließen kann mit ihrem Text. Weil das Ende des Schreibens auch den Tod ihrer Freundin endgültig besiegeln würde. Solange sie über die Freundin schreibt, lebt sie.
Vor allem aber gelingt Reich eine tiefgründige Bestandsaufnahme des Systems, in dem sie und ihre Freundin groß wurden. Die DDR, die Reich beschreibt, setzt sich zusammen aus unzähligen alltäglichen Details. Reich nimmt sich viel Zeit, um das sogenannte normale Leben zu beschreiben, Straßen, Schulen, Läden, die Enge von Wohnungen, den Zusammenhalt von Familien, die Sehnsüchte von Jugendlichen. So schafft sie es nicht nur, die Lebensrealität der Siebziger- und Achtzigerjahre in Ost-Berlin einzufangen, unter der Oberfläche des Alltags wird auch der Druck des Systems spürbar. Die Folgen, die es etwa hatte, dass Frauen wie Simones Mutter eine Karriere haben konnten, wie das in Westdeutschland undenkbar gewesen wäre. Damit sie ihre Schichten als Ärztin schaffte, kam Simone als wenige Wochen altes Baby in eine sogenannte Wochenkrippe, eine Einrichtung, in der Berufstätige ihr Kind am Montag abgaben und am Freitag wieder abholten. Hauptsache, die Eltern konnten für den Sozialismus schuften. Reich zitiert Studien, dass sich diese Wochenkrippenkinder schlechter entwickelten, später Probleme hatten. Simones Mutter nennt das ihren größten Fehler bei der Erziehung von Simone, ihr „erstes Verbrechen“.
Simones Eltern gehören zu den interessantesten Figuren in der Recherche. Sie sind es, die abschließen wollen, Reich Tagebücher und Briefe ihrer toten Tochter übergeben. Und sie bringen eine Familiengeschichte mit, die ein wichtiger Puzzlestein in Reichs Recherche wird.
Die Mutter Dana stammte aus einem Dorf in der Tschecheslowakei, in das sie nach Kriegsende gekommen war, nachdem dort die deutsche Bevölkerung vertrieben worden war. In dem Haus waren noch zwei kleine deutsche Mädchen, die von ihrer Familie zurückgelassen worden waren, sie arbeiteten für Danas Familie als Dienstmädchen. Dana ging dann in die DDR, um als Ärztin zu arbeiten, heiratete einen ostdeutschen Arzt, der in Budapest studiert hatte, 1956, als die Russen den ungarischen Volksaufstand niederschlugen. Die Umbrüche und Zerrissenheit des 20. Jahrhunderts prägen diese Leben, bei Reich wird spürbar, wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinragt. In Simones Familie wird wenig gesprochen und viel verdrängt, Probleme werden durch noch mehr Arbeit wettgemacht, von der Tochter wird eine sozialistische Musterbiografie erwartet.
Ist Simone am System zerbrochen? Es gehört zu Reichs größter Leistung, dass sie sich eindeutigen Antworten verweigert. Sie lotet aus, dass eine Diktatur Menschen nicht nur unterdrückte, sondern ihnen durch das enge Korsett an Möglichkeiten auch eine gewisse Sicherheit verschaffte. Sicherheit, die eine psychisch labile Person wie Simone vielleicht gut gebrauchen konnte. Die beste Zeit ihres Lebens seien die Jahre zwischen 18 und 20 gewesen, glaubt Reich, die Zeit vor dem Mauerfall. „Im Rückblick scheint es fast so, als hätten die Aufbruchstimmung im Land und der Widerstand gegen Strukturen, die unveränderlich schienen, sie ermutigt, sich zu wehren, aufzulehnen, gegen die Strukturen in ihrem Umfeld, ihrer Familie, und ihr die Kraft gegeben, einen eigenen Weg zu suchen.“ Mit der Freiheit nach der Wende kam Simone dann nicht mehr so gut zurecht.
Warum also starb Simone? Auch darauf hat Reich keine letztgültige Antwort. Aber sie hat das Leben einer Person in all ihren Ambivalenzen zusammengesetzt. Und sie macht klar, dass man Menschen nie ohne die Zeit denken kann, in der sie leben.
VERENA MAYER
Über Selbsttötungen berichtet die Süddeutsche Zeitung nur in Ausnahmefällen. Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, sprechen Sie mit Freunden und Familie darüber. Hilfe bietet auch die Telefonseelsorge, anonym und kostenlos unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222, oder über www.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen bietet die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de.
Ihre Leistung: Reich
verweigert eindeutige
Antworten
Anja Reich: Simone.
Berlin, Aufbau 2023.
304 Seiten, 23 Euro.
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