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Lebenslinien - Liebeslinien - LiebesmusterEine Frau wird von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten beide denselben Vater. Die überraschende Begegnung bleibt flüchtig, löst in ihr aber eine Welle von Emotionen aus. Fragen drängen sich auf, über Ehe und Mutterschaft, über Adoption und andere Familiengeheimnisse, über Wahrheit überhaupt. In 'Das Vorkommnis' erzählt Julia Schoch - eine der eindrücklichsten Stimmen autofiktionalen Erzählens in der deutschen Literatur - von einem Leben, das urplötzlich eine andere Richtung bekommt. Fesselnd und klarsichtig, so zieht sie ...
Lebenslinien - Liebeslinien - Liebesmuster
Eine Frau wird von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten beide denselben Vater. Die überraschende Begegnung bleibt flüchtig, löst in ihr aber eine Welle von Emotionen aus. Fragen drängen sich auf, über Ehe und Mutterschaft, über Adoption und andere Familiengeheimnisse, über Wahrheit überhaupt. In 'Das Vorkommnis' erzählt Julia Schoch - eine der eindrücklichsten Stimmen autofiktionalen Erzählens in der deutschen Literatur - von einem Leben, das urplötzlich eine andere Richtung bekommt. Fesselnd und klarsichtig, so zieht sie hinein in den Strudel der ungeheuerlichen Dinge, die gleichzeitig auch alltäglich sind. Ein Roman von großer literarischer Tiefe und Schönheit, im Werk von Julia Schoch ein neuer Höhepunkt.
Eine Frau wird von einer Fremden angesprochen, die behauptet, sie hätten beide denselben Vater. Die überraschende Begegnung bleibt flüchtig, löst in ihr aber eine Welle von Emotionen aus. Fragen drängen sich auf, über Ehe und Mutterschaft, über Adoption und andere Familiengeheimnisse, über Wahrheit überhaupt. In 'Das Vorkommnis' erzählt Julia Schoch - eine der eindrücklichsten Stimmen autofiktionalen Erzählens in der deutschen Literatur - von einem Leben, das urplötzlich eine andere Richtung bekommt. Fesselnd und klarsichtig, so zieht sie hinein in den Strudel der ungeheuerlichen Dinge, die gleichzeitig auch alltäglich sind. Ein Roman von großer literarischer Tiefe und Schönheit, im Werk von Julia Schoch ein neuer Höhepunkt.
Julia Schoch, 1974 in Bad Saarow geboren, aufgewachsen in Mecklenburg, lebt als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, auch für ihre Übersetzungen französischer Literatur. Zuletzt erschien ihr Roman >Schöne Seelen und Komplizen<, mit dem sie - wie schon mit ihrem für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Roman >Mit der Geschwindigkeit des Sommers< - auf Platz 1 der SWR-Bestenliste stand. Für ihr schriftstellerisches Gesamtwerk wird ihr 2022 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung verliehen.
Produktdetails
- Biographie einer Frau 1
- Verlag: DTV
- 4. Aufl.
- Seitenzahl: 191
- Erscheinungstermin: 16. Februar 2022
- Deutsch
- Abmessung: 209mm x 127mm x 24mm
- Gewicht: 313g
- ISBN-13: 9783423290210
- ISBN-10: 3423290218
- Artikelnr.: 62772360
Herstellerkennzeichnung
dtv Verlagsgesellschaft
Tumblingerstraße 21
80337 München
produktsicherheit@dtv.de
Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
Rezensentin Daniel Strigl wirkt etwas unentschlossen gegenüber Julia Schochs Roman, dem ersten Teil einer Trilogie; anfangs auch etwas skeptisch wegen des autofiktional klingenden Titels. Dann verfolgt sie aber doch interessiert die Geschichte, scheint es, die von einer Autorin und Mutter erzählt, deren Leben durch das Auftauchen einer Halbschwester aus den Fugen gerät. Wie Schoch davon erzählt, wie der Glauben der Icherzählerin an das Konzept Familie bröckelt und nach und nach zu einer regelrechten Ablehnung und Paranoia gegenüber ihrem Ehemann wird, scheint sie zumindest überzeugend zu finden, auch wenn sie Probleme mit der Umsetzung des Worts "Vorkommnis" hat - so wird sie den Eindruck einer "künstlich erzeugten Bedeutsamkeit" nicht recht los. Auch dass bei Schoch nichts unausgesprochen bleibt, gefällt ihr nicht besonders - immerhin das "Verwirrspiel" um Fiktion und Realität bleibe ungeklärt. Woraus die Folgebände ihre "Dynamik" ziehen werden, erwartet Strigl gespannt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Familie ist Fiktion
Und deshalb wird sie es auch so häufig: Das jüngste literarische Beispiel liefert Julia Schochs "Das Vorkommnis" als Auftakt zu einer Romantrilogie
Ziemlich genau in der Mitte des Buches, in Kapitel 35 von deren 72, stehen programmatische Sätze: "Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Da ist nur die Geschichte einer Verwirrung."
Die Leserin ist gut beraten, diese Behauptung ernst zu nehmen, auch wenn sie der aktuelle Boom "autofiktionaler" Lebensbeichten zu einer indiskreten Zuordnung verleiten mag. Denn "Das Vorkommnis" trägt zum einen den Untertitel "Biographie einer Frau" und zum anderen die Gattungsbezeichnung "Roman". Dass
Und deshalb wird sie es auch so häufig: Das jüngste literarische Beispiel liefert Julia Schochs "Das Vorkommnis" als Auftakt zu einer Romantrilogie
Ziemlich genau in der Mitte des Buches, in Kapitel 35 von deren 72, stehen programmatische Sätze: "Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Da ist nur die Geschichte einer Verwirrung."
Die Leserin ist gut beraten, diese Behauptung ernst zu nehmen, auch wenn sie der aktuelle Boom "autofiktionaler" Lebensbeichten zu einer indiskreten Zuordnung verleiten mag. Denn "Das Vorkommnis" trägt zum einen den Untertitel "Biographie einer Frau" und zum anderen die Gattungsbezeichnung "Roman". Dass
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einiges vom hier Erzählten auf eigenes Erleben zurückgeht, wird man trotzdem annehmen dürfen. Immerhin ist die namenlose Icherzählerin Schriftstellerin von Beruf. "Das Vorkommnis", das in ihr Leben tritt und den Angelpunkt der Erzählung bildet, ereilt sie bei einer Lesung in einer norddeutschen Stadt. Eine Zuhörerin legt ihr danach ein Romanexemplar zum Signieren vor und sagt: "Wir haben übrigens denselben Vater." Worauf die Autorin der fremden Frau unter Tränen um den Hals fällt. Diese Reaktion ist ihr zunächst selbst rätselhaft, bald stellt sich jedoch heraus, dass das väterliche Geheimnis der vorehelichen Tochter schon längst kein Geheimnis mehr war. Es gab freilich keinerlei familiäre Beziehung zu ihr, die gezeugt wurde, als der Vater als Offizier bei der Nationalen Volksarmee der DDR diente.
Die späte Begegnung mit der lange unbekannten, dann gründlich verdrängten Halbschwester wird für die Icherzählerin zum Auslöser einer veritablen Lebenskrise, die dem doch eher unspektakulären Wort "Vorkommnis" ein gehöriges Bedeutungsgewicht auflädt. Die Leibhaftigkeit einer bisher nur vage vermuteten Parallelexistenz erschüttert die Fundamente des Familiengefüges und lässt alle Gewissheiten fragwürdig erscheinen. Die abhandengekommene Schwester hat ihren Vater nie kennengelernt und wurde von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben. Man könnte sagen, allein durch ihr Auf-der-Welt-Sein ist die Erzählerin schuldlos schuldig geworden. Inzwischen sind die Eltern geschieden, der Vater ist an Krebs erkrankt. Interessanterweise ist es aber nicht so sehr das Schicksal der weniger glücklichen Anverwandten, das sie beschäftigt, als das Täuschungsmanöver des Vaters. Sie muss erkennen: "Familie ist Fiktion."
Die Geschichte verfolgt die Protagonistin über den Ozean nach Bowling Green, Kentucky, wo sie an der Universität Literaturseminare hält. Bowling Green hat als Ursprungsort einer speziellen Residency-Prosa, in der eben gerade keine besonderen Vorkommnisse zu erwarten sind, im deutschen Sprachraum Spuren hinterlassen. Schochs Autorin logiert dort mit ihren beiden kleinen Kindern. Mit dem Glauben an die väterliche Zuverlässigkeit erodiert auch jener an die eigene Unentbehrlichkeit: "Wäre ich an diesem Abend nicht zurückgekehrt, hätte das Baby vielleicht nie etwas vermisst, nie einen Schmerz verspürt oder höchstens einen diffusen . . . Wie ein winziger, beständiger Fleck auf der Seele."
Den Wunsch, quasi aus dem eigenen Leben abzuhauen und sich der Mutterpflichten zu entledigen - wie Marlen Haushofer ihn bereits in den Fünfzigerjahren gestaltet hat -, gesteht sich die Erzählerin nicht ein, ihre Zerrüttung zeigt sich aber auch in der zwanghaften Suche nach Verknüpfungen: Die Wirklichkeit präsentiert sich als ein Geflecht von Verweisen, alles scheint mit allem zusammenzuhängen, bekanntlich ein Symptom psychotischer Störungen - aber auch der Berufskrankheit übermotivierter Biographen.
Als der Ehemann zu Besuch nach Bowling Green kommt, hat der Weltzweifel seiner Frau bereits auf das Modell Familie an sich übergegriffen: "Was für eine komische Erfindung. Wie von Geisterhand geführt, finden sich jeden Morgen und Abend in derselben Wohnung dieselben Menschen ein. Man trifft sich zu verschiedenen Mahlzeiten, jeder in seine Träume und Gedanken vertieft, morgens verschwinden alle in irgend einer Art von Anstalt oder Institution, abends tauscht man sich über die Erlebnisse des Tages aus und sucht seine zugewiesenen Schlafplätze auf, man sieht sich gelegentlich nackt, in den Ferien steigen alle in ein Auto . . . und reisen gemeinsam an einen vorher festgelegten Ort."
Was mit einer leichten Irritation begann, hat sich zu einer bizarren Befremdung ausgewachsen, die das Zusammenleben der jungen Familie nach und nach vergiftet. Weil der Vater einst durch eine Alimentequittung überführt wurde, begegnet nun die Tochter ihrem Ehemann mit unbegründetem, nichtsdestoweniger unstillbarem Argwohn: "Die Jacken- und Manteltaschen der Männer: das Materiallager für den Groll der Frauen. Die Schatzkammern ihrer geheimen Indiziensammlungen." Der wahrhaftige Mensch ist für sie nur noch einer, der ganz für sich ist, der Mensch ohne Zeugen.
Julia Schochs Erzählung bewegt sich hin und her zwischen den Zeitebenen, geht tastend zurück bis in die Jugend der Großeltern im Krieg. Das "Vorkommnis" bringt eine grundlegende Revision der Vergangenheit mit sich, bisweilen auch buchstäblich und konkret: Der Holzschnitt im Elternhaus zeigte nicht etwa Karl Marx, wie die Erzählerin immer geglaubt hatte, sondern Ernest Hemingway, für den ihre Mutter schwärmte. Die Tochter hält es offenkundig eher mit Rachel Cusk als mit Hemingway. Statt schnörkelloser Darstellung äußerer Ereignisse bietet die Erzählstimme viel Introspektion, Räsonnement und Grübelei, ein etwaiger Erkenntnisgewinn wird nicht dem Leser anheimgestellt, sondern ausformuliert, kaum etwas bleibt im Ungefähren. So ist es einerseits reizvoll, dem Schoch'schen Familienkomplex in all seine Verästelungen zu folgen, andererseits beschleicht einen das Gefühl einer irgendwie künstlich erzeugten Bedeutsamkeit, weil das titelgebende Vorkommnis sich, allen Bemühungen zum Trotz, nicht wirklich in seiner Wucht erschließt. Man darf gespannt sein, woher Teil zwei und drei der angekündigten Trilogie ihre Dynamik beziehen werden.
Offen bleibt am Ende immerhin das Verwirrspiel um Fakten und Fiktion: Die Protagonistin trifft eine Schulfreundin, die sie wegen des Todes "ihrer" Schwester in einem früheren Roman bemitleidet. "Aber das war doch nur Fiktion!", sagt die Erzählerin in einem Text, der seinerseits als Fiktion ausgewiesen ist. Und die Freundin quittiert das mit Kopfschütteln. DANIELA STRIGL
Julia Schoch: "Das Vorkommnis". Biographie einer Frau. Roman.
Dtv, München 2022. 192 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die späte Begegnung mit der lange unbekannten, dann gründlich verdrängten Halbschwester wird für die Icherzählerin zum Auslöser einer veritablen Lebenskrise, die dem doch eher unspektakulären Wort "Vorkommnis" ein gehöriges Bedeutungsgewicht auflädt. Die Leibhaftigkeit einer bisher nur vage vermuteten Parallelexistenz erschüttert die Fundamente des Familiengefüges und lässt alle Gewissheiten fragwürdig erscheinen. Die abhandengekommene Schwester hat ihren Vater nie kennengelernt und wurde von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben. Man könnte sagen, allein durch ihr Auf-der-Welt-Sein ist die Erzählerin schuldlos schuldig geworden. Inzwischen sind die Eltern geschieden, der Vater ist an Krebs erkrankt. Interessanterweise ist es aber nicht so sehr das Schicksal der weniger glücklichen Anverwandten, das sie beschäftigt, als das Täuschungsmanöver des Vaters. Sie muss erkennen: "Familie ist Fiktion."
Die Geschichte verfolgt die Protagonistin über den Ozean nach Bowling Green, Kentucky, wo sie an der Universität Literaturseminare hält. Bowling Green hat als Ursprungsort einer speziellen Residency-Prosa, in der eben gerade keine besonderen Vorkommnisse zu erwarten sind, im deutschen Sprachraum Spuren hinterlassen. Schochs Autorin logiert dort mit ihren beiden kleinen Kindern. Mit dem Glauben an die väterliche Zuverlässigkeit erodiert auch jener an die eigene Unentbehrlichkeit: "Wäre ich an diesem Abend nicht zurückgekehrt, hätte das Baby vielleicht nie etwas vermisst, nie einen Schmerz verspürt oder höchstens einen diffusen . . . Wie ein winziger, beständiger Fleck auf der Seele."
Den Wunsch, quasi aus dem eigenen Leben abzuhauen und sich der Mutterpflichten zu entledigen - wie Marlen Haushofer ihn bereits in den Fünfzigerjahren gestaltet hat -, gesteht sich die Erzählerin nicht ein, ihre Zerrüttung zeigt sich aber auch in der zwanghaften Suche nach Verknüpfungen: Die Wirklichkeit präsentiert sich als ein Geflecht von Verweisen, alles scheint mit allem zusammenzuhängen, bekanntlich ein Symptom psychotischer Störungen - aber auch der Berufskrankheit übermotivierter Biographen.
Als der Ehemann zu Besuch nach Bowling Green kommt, hat der Weltzweifel seiner Frau bereits auf das Modell Familie an sich übergegriffen: "Was für eine komische Erfindung. Wie von Geisterhand geführt, finden sich jeden Morgen und Abend in derselben Wohnung dieselben Menschen ein. Man trifft sich zu verschiedenen Mahlzeiten, jeder in seine Träume und Gedanken vertieft, morgens verschwinden alle in irgend einer Art von Anstalt oder Institution, abends tauscht man sich über die Erlebnisse des Tages aus und sucht seine zugewiesenen Schlafplätze auf, man sieht sich gelegentlich nackt, in den Ferien steigen alle in ein Auto . . . und reisen gemeinsam an einen vorher festgelegten Ort."
Was mit einer leichten Irritation begann, hat sich zu einer bizarren Befremdung ausgewachsen, die das Zusammenleben der jungen Familie nach und nach vergiftet. Weil der Vater einst durch eine Alimentequittung überführt wurde, begegnet nun die Tochter ihrem Ehemann mit unbegründetem, nichtsdestoweniger unstillbarem Argwohn: "Die Jacken- und Manteltaschen der Männer: das Materiallager für den Groll der Frauen. Die Schatzkammern ihrer geheimen Indiziensammlungen." Der wahrhaftige Mensch ist für sie nur noch einer, der ganz für sich ist, der Mensch ohne Zeugen.
Julia Schochs Erzählung bewegt sich hin und her zwischen den Zeitebenen, geht tastend zurück bis in die Jugend der Großeltern im Krieg. Das "Vorkommnis" bringt eine grundlegende Revision der Vergangenheit mit sich, bisweilen auch buchstäblich und konkret: Der Holzschnitt im Elternhaus zeigte nicht etwa Karl Marx, wie die Erzählerin immer geglaubt hatte, sondern Ernest Hemingway, für den ihre Mutter schwärmte. Die Tochter hält es offenkundig eher mit Rachel Cusk als mit Hemingway. Statt schnörkelloser Darstellung äußerer Ereignisse bietet die Erzählstimme viel Introspektion, Räsonnement und Grübelei, ein etwaiger Erkenntnisgewinn wird nicht dem Leser anheimgestellt, sondern ausformuliert, kaum etwas bleibt im Ungefähren. So ist es einerseits reizvoll, dem Schoch'schen Familienkomplex in all seine Verästelungen zu folgen, andererseits beschleicht einen das Gefühl einer irgendwie künstlich erzeugten Bedeutsamkeit, weil das titelgebende Vorkommnis sich, allen Bemühungen zum Trotz, nicht wirklich in seiner Wucht erschließt. Man darf gespannt sein, woher Teil zwei und drei der angekündigten Trilogie ihre Dynamik beziehen werden.
Offen bleibt am Ende immerhin das Verwirrspiel um Fakten und Fiktion: Die Protagonistin trifft eine Schulfreundin, die sie wegen des Todes "ihrer" Schwester in einem früheren Roman bemitleidet. "Aber das war doch nur Fiktion!", sagt die Erzählerin in einem Text, der seinerseits als Fiktion ausgewiesen ist. Und die Freundin quittiert das mit Kopfschütteln. DANIELA STRIGL
Julia Schoch: "Das Vorkommnis". Biographie einer Frau. Roman.
Dtv, München 2022. 192 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Die ungeheure Dichte der Korrespondenzen zwischen allen Ebenen des Romans erzeugt ein so reiches 3-DPuzzle, dass man am Abglanz des Lebens darin seine Freude hat, auch wenn es ein entgleisendes Leben ist. Julia Schoch hat einen neuen Weg eingeschlagen. Wir folgen gespannt. Hubert Winkels Süddeutsche Zeitung 20220331
Familienaufstellung
„Das Vorkommnis“ von Julia Schoch beschäftigt sich mit der Wirkung, die das plötzliche Auftauchen einer Halbschwester im Leben einer Frau haben kann. Der Roman beginnt direkt mit eben diesem Vorkommnis: nach einer Lesung tritt eine Frau auf die …
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Familienaufstellung
„Das Vorkommnis“ von Julia Schoch beschäftigt sich mit der Wirkung, die das plötzliche Auftauchen einer Halbschwester im Leben einer Frau haben kann. Der Roman beginnt direkt mit eben diesem Vorkommnis: nach einer Lesung tritt eine Frau auf die Protagonistin zu und erklärt, sie hätten beide denselben Vater. Die Protagonistin umarmt die Frau kurz und setzt dann ihre Lesereise fort. Zunächst scheint sie die Begegnung mit der angeblichen Halbschwester eher als Randereignis zu sehen, das nicht weiter ernst zu nehmen ist. Doch langsam aber sicher beginnt die Protagonistin ihre Beziehungen und ihre Erinnerungen zu hinterfragen und in neuem Licht zu sehen.
Mir hat der Aufbau des Romans sehr gut gefallen: der direkte Einstieg in die überraschende Begegnung und daran anschließend die verschiedenen Stadien, die die Protagonistin in der Auseinandersetzung mit sich und ihrem Umfeld nach der Begegnung durchläuft. Auch sprachlich hat mich der Roman gepackt mit seiner klaren und präzisen Schreibweise. Nur in manchen Kapiteln hat mich die Autorin etwas verloren, da Einzelheiten so detailliert beleuchtet wurden, dass ich fast nicht folgen konnte. Alles in allem aber ein toller Roman, der mir beim Lesen viel Spaß gemacht hat.
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Als die autofiktional schreibende Schriftstellerin auf einer Lesung einer Frau begegnet, die ihr mitteilt, sie hätten denselben Vater, ist das der Beginn einer Selbstreflexion, die die eigenen Familienverhältnisse, die Kindheit, die Ehe, den Beruf in Frage stellt. Während eines …
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Als die autofiktional schreibende Schriftstellerin auf einer Lesung einer Frau begegnet, die ihr mitteilt, sie hätten denselben Vater, ist das der Beginn einer Selbstreflexion, die die eigenen Familienverhältnisse, die Kindheit, die Ehe, den Beruf in Frage stellt. Während eines Studienaufenthalts in den USA mit den Kindern und der Mutter stellt sie sich den Erinnerungen an den Vater und der eigenen Kindheit in der sich auflösenden DDR. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach der Bedeutung der eigenen Beziehung zum Vater ihrer Kinder. In diesem fast essayistischen Roman werden eindringliche Fragen gestellt nach der Wahrheit der Wahrnehmung, nach der Bedeutung von Literatur als Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Was ist Fiktion, was ist Wahrheit? Es handelt sich um den ersten von drei geplanten Bänden der "Biographie einer Frau". Man kann auf die Fortsetzung gespannt sein.
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Eine Frau, vielleicht Julia Schoch, vielleicht eine andere, wird auf einer Lesung angesprochen. Und zwar mit der Aussage, sie und die Ansprechende hätten denselben Vater. Was die Protagonistin nicht verwundert, denn der Umstand, dass es irgendwo eine weitere mögliche Schwester gibt, ist …
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Eine Frau, vielleicht Julia Schoch, vielleicht eine andere, wird auf einer Lesung angesprochen. Und zwar mit der Aussage, sie und die Ansprechende hätten denselben Vater. Was die Protagonistin nicht verwundert, denn der Umstand, dass es irgendwo eine weitere mögliche Schwester gibt, ist ihr bekannt - schon seit Ewigkeiten, sie weiß gar nicht, wie lange schon.
Diese Begebenheit wird der Protagonistin zum Anlass, sich selbst, ihr Verhältnis zu ihren Verwandten und zu ihrem Umfeld zu hinterfragen und zu beleuchten. Ja, es ist etwas von alledem und weil die Autorin Julia Schoch wundervoll zu schreiben vermag, habe ich ihren Text, den sie als Roman bezeichnet, durchaus genossen. Auch wenn er mich sehr verwirrt hat, aber das haben ihre Bücher so an sich, bei der Lektüre von "Schöne Seelen und Komplizen" war meine Verwirrung noch viel größer.
Es sind nicht die Geschehnisse, auf denen das Hauptaugenmerk der Autorin liegt, nein, es sind die Gedanken der Hauptfigur, der geistige, innere Umgang mit ihrem eigenen Hier und Jetzt, mit ihrer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft, die im Fokus stehen.
Es scheint, als würde die Protagonistin sich oft selbst nicht verstehen, ihr Handeln in Frage stellen - vieles aber auch zu entschuldigen. Ich wundere mich beispielsweise über die vielen Freiheiten, die sie sich während ihres Arbeitsaufenthaltes in den Vereinigten Staaten nimmt, wo sie sich in Begleitung ihrer Kinder und ihrer Mutter aufhält. Eine Art ständige Bereitschaft zur Toleranz mit sich selbst kommt da bei mir an, die mir fremd ist.
Auf der anderen Seite gab es immer wieder auch Momente, in denen ich die Erzählerin nur zu gut verstehe, weil ich ähnliches durchlebt habe. Zum Beispiel in Bezug auf das unangenehme "Erwischt-Werden" durch andere Menschen, auch durch die nächsten Verwandten: "Ich glaube, die Wahrheit, um die es den meisten von uns geht, ist am ehesten dort zu finden, in jenen Momenten und Situationen, in denen unsere Existenz keine Zeugen hat." (S. 115)
Diese Passage bietet zugleich einen Einblick in die besondere Sprache der Autorin: ein ungewöhnlicher, sehr reicher Stil, sowohl was den Wortschatz als auch was die Bezugnahme auf andere Texte angeht.
Willkommen im Universum der Julia Schoch! Der Leser wird nicht wenig gefordert, was seine Aufmerksamkeit, seine Bereitschaft, in die Gedankenwelt der Protagonistin einzusteigen, angeht. Er bekommt aber - so meine Meinung - auch viel zurück: einen eleganten, facettenreichen literarischen Text, der mit nichts anderem zu vergleichen ist.
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In dem Roman "Das Vorkommnis" berichtet die Protagonistin, eine Schriftstellerin, in der Ich-Form wie sie auf einer Lesung von einer Fremden angesprochen wird, die vorgibt ihre Halbschwester zu sein. Nach dieser Begegnung kommt es zunächst zu keinem weiteren Treffen. Trotzdem wirft …
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In dem Roman "Das Vorkommnis" berichtet die Protagonistin, eine Schriftstellerin, in der Ich-Form wie sie auf einer Lesung von einer Fremden angesprochen wird, die vorgibt ihre Halbschwester zu sein. Nach dieser Begegnung kommt es zunächst zu keinem weiteren Treffen. Trotzdem wirft dieses Vorkommnis eine ganze Reihe von Fragen auf, trügerische Erinnerungen werden geschildert, genauso die Beziehungen zur leiblichen Schwester, die Geschichte der Eltern und Großeltern. Auch die verlebte Kindheit in der DDR wird angerissen. Die meisten Kapitel spielen jedoch in Bowling Green, einer Kleinstadt in den USA, in der die Protagonistin als Dozentin arbeitet.Ihre Mutter und ihre Kinder sind dabei, ihr Mann bleibt in Deutschland zurück und spielt nur eine Nebenrolle.
Die Kapitel sind episodenhaft. Viele Gedanken sind absolut nachvollziehbar, viele aber auch unerklärlich - wie das Misstrauen ihrem Mann gegenüber. Es bleibt so vieles "in der Luft hängen", es wird in der Zeit mehrfach hin- und her gesprungen. Es fehlt dem Buch eine nochvollziehbare Handlung. Die Gefühle der Ich-Erzählerin, sind sie auch noch so irritierend, werden dafür absolut eindrücklich geschildert.
Die weiteren Personen werden nur "Mutter" "Mann" "älteres Kind" "Schwester" genannt, deshalb bleibt man distanziert als Zuschauerin und kann keinerlei emotionale Bindung aufbauen. Das ist sicher so gewollt, aber für meinen Geschmack bleibt man irgendwie außen vor. Für mich war das eher ermüdend. Die Gedanken der Protagonistin sind beeindruckend in Worte gefasst, aber es wird keine runde Geschichte daraus. Es ist nicht fertig erzählt und das lässt mich irgendwie unzufrieden zurück.
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Zum Nachdenken
Zum Anfang finde ich das Cover des Buches sehr schön gestaltet es passt gut zur Handlung.
In der Geschichte geht es um eine Autorin welche wiederum eine andere Frau trifft, die behauptet sie hätten denselben Vater. Dies löst in der Hauptperson etwas aus. Sie …
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Zum Nachdenken
Zum Anfang finde ich das Cover des Buches sehr schön gestaltet es passt gut zur Handlung.
In der Geschichte geht es um eine Autorin welche wiederum eine andere Frau trifft, die behauptet sie hätten denselben Vater. Dies löst in der Hauptperson etwas aus. Sie denkt über vieles aus ihrem Leben nach.
Es werden viele verschiedene Themen, wie uneranderm Familienprobleme oder Beziehungen. Außerdem wurde die Zeit der DDR erwähnt.
Das Ganze wird von der Frau erzählt, welche rückblickend auf die Geschehnisse sieht. Ihre Gedankengänge sind nachvollziehbar und mitreißend geschrieben. Man kann außerdem noch lange darüber nachdenken.
Eine Begegnug kann sehr viel auslösen und vieles Verändern. Das Buch beschreibt die sehr gut. Alles ist sehr realistisch. Man kann sich sofort in die Protagonistin hineinversetzen und die Atmosphäre ist sehr fesselnd.
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Das Buch hat mich gleichermaßen gepackt wie auch mit einem großen Fragezeichen zurück gelassen. Wirklich sehr erfrischend finde ich, dass es nur 191 Seiten hat und damit für einen Schnellleser wie mich ein kleiner Happen zwischendurch ist. Vor allem war ich ab der ersten Minute …
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Das Buch hat mich gleichermaßen gepackt wie auch mit einem großen Fragezeichen zurück gelassen. Wirklich sehr erfrischend finde ich, dass es nur 191 Seiten hat und damit für einen Schnellleser wie mich ein kleiner Happen zwischendurch ist. Vor allem war ich ab der ersten Minute in einem absoluten Leseflow und inhaltlich komplett drin. Es ist zugleich einfach geschrieben, als auch total gehoben. Wie auch das Cover des Buches es vermuten lässt, ist es eben kein Teenieroman, sondern Literatur. Es wird von alten Zeiten in der DDR erzählt, aber gleichermaßen wird eine Serie wie Dexter zitiert. Ein Buch, dass gleichzeitig über sehr Vieles schreibt, aber inhaltlich keine richtige Geschichte hat.
Im Fazit hat mich das Buch trotz einer gewissen Barriere des Covers und der inhaltlichen Schwere mit der leichten Erzählung und der packenden Schreibweise zumindest auf den 191 Seiten unterhalten. Für eine kleine Geschichte zwischendurch kann ich es empfehlen. Wer eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik „Halbgeschwister“ erwartet, findet sich hier eher in einer Biografie wieder.
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Auf einer Lesung wird die Autorin von einer Frau angesprochen: sie hätten denselben Vater. Später schreibt sie ihr, sie antwortet. Die ganze Situation bleibt stehen wie ein schwacher Abdruck eines doch so monumentalen Ereignisses. Dabei ist die unerwartete Begegnung der Startschuss …
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Auf einer Lesung wird die Autorin von einer Frau angesprochen: sie hätten denselben Vater. Später schreibt sie ihr, sie antwortet. Die ganze Situation bleibt stehen wie ein schwacher Abdruck eines doch so monumentalen Ereignisses. Dabei ist die unerwartete Begegnung der Startschuss für die Infragestellung eines ganzen Lebens.
Die feine Raffinesse des Romans liegt darin, dass er sich inhaltlich primär gar nicht mit dem „Vorkommnis“ beschäftigt. Als sei es nur eine Randnotiz. Die "Handlung" ist das emotionale Chaos, in das die Protagonstin gestürzt wird. Trotzdem wird es auf keiner Seite langweilig.
Erst im Laufe der Rückblicke der Ich-Erzählerin schält sich heraus, welch radikalen Einschnitt allein dieses neue Wissen auf ihr Leben hat. Der Blick auf ihre Beziehungen zu Eltern, Schwester, Ehemann und eigenen Kindern bekommt einen völlig neuen Winkel. Und was ¬sagt ihre so veränderte Vergangenheit eigentlich über sie selbst aus? Kann das Wissen darum ihre Gegenwart und Zukunft grundlegend verändern, obwohl es faktisch für sie keine Auswirkungen nach sich zieht?
Die Geschichte dieser Frau ist auch die der deutsch-deutschen Trennung, von Generationen- und Geschlechterkonflikten, Elternschaft und der Sehnsucht nach Macht über die eigene Geschichte.
Beeindruckend, wie Schoch es schafft, so viel auf so wenigen Seiten unterzubringen. Dabei zeigt sie Stilsicherheit und eine berührende Kombination aus Rohheit und schonungsloser Empfindsamkeit, die ich sehr mutig und ansprechend zu lesen fand. Die Geschichte hätte auch genau hier so stehen bleiben können, ein wenig unvollendet wie eben vieles im Leben. Da dies nur der Auftakt einer Trilogie ist, werden wir aber sicher bald mehr erfahren. Ich freu mich drauf.
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„Das Vorkommnis“ Biographie einer Frau von Julia Schoch
Auf einer Lesung wird die Autorin von einer fremden Frau angesprochen, die sich ihr als ihre Halbschwester vorstellt. Dieses Ereignis verändert alles. Was gewesen ist erscheint als Lüge, was die Zukunft bringt macht …
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„Das Vorkommnis“ Biographie einer Frau von Julia Schoch
Auf einer Lesung wird die Autorin von einer fremden Frau angesprochen, die sich ihr als ihre Halbschwester vorstellt. Dieses Ereignis verändert alles. Was gewesen ist erscheint als Lüge, was die Zukunft bringt macht misstrauisch. Wir tauchen tief ein in die Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonistin. Und dennoch erfahren wir durch die sprachliche Eleganz der Autorin eine kühle Distanz. Die Schlagkraft dieses Vorkommnisses ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, sondern halt nach und bewegt sich wie eine verschlingende Lavamasse durch ihr das Leben. Plötzlich wird alles was feststand in Frage gestellt. Die liebsten Menschen sind plötzlich fremd und fern vom eigenen Selbst. Die Gedanken verstricken sich in Kreisen und nehmen immer absurdere, teils paranoide Züge an. Julia Schoch hat hier in Worte verpackt was einem selbst in den eigenen Gedanken wirr vorkommt. Sie beherrscht das Wort wie ein Instrument und komponiert aus dem Ereignis ein Gebilde von allumfassender Klarheit.
Dies ist der erste Band einer Trilogie. Dennoch empfinde ich das Werk als vollkommen und bin wirklich neugierig auf welche Art und Weise Julia Schoch diese Reihe fortführen wird.
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„Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Da ist nur die Geschichte einer Verwirrung. (...) Ich bilde mir ein, über eine Geschichte zu schreiben, die nicht meine eigene ist. Zu schreiben, damit ich herausfinde, warum sie mich …
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„Das hier ist nicht die Geschichte meiner Familie. Die Geschichte meiner Familie gibt es nicht. Da ist nur die Geschichte einer Verwirrung. (...) Ich bilde mir ein, über eine Geschichte zu schreiben, die nicht meine eigene ist. Zu schreiben, damit ich herausfinde, warum sie mich berührt.“ (S. 89f)
Als sie nach einer Lesung von einer Fremden angesprochen wird, die behauptet, ihre Schwester zu sein, wird die Frau von Emotionen überrollt: Zunächst ist da eine unbekannte Freude ob des „neuen“ Familienmitglieds, aber auch große Irritation über plötzliches, unvermitteltes Auftauchen, später sogar Angst, Unsicherheit, ja, Ärger. Die Begegnung, so flüchtig sie auch war, lässt sie ihr Leben, alles, was sie über ihre Familie und das Leben an sich zu wissen glaubte, hinterfragen: die matriarchalen Entwicklungen im Kontext der deutschen Geschichte, die Beständigkeit ihrer Ehe, die Wahrheit.
"Nie weiß man genau, in welcher Gegenwart man lebt. Manchmal sind wir lange Zeit in Gedanken woanders, bei Menschen und Geschehnissen aus einer anderen Zeit, anderen Räumen." (S. 187)
In „Das Vorkommnis“, dem ersten Band des autofiktionalen Erzählzyklus‘ „Biographie einer Frau“, beschreibt Julia Schoch mitreißend und sehr persönlich, welche Auswirkungen das unvermittelte Aufeinandertreffen mit ihrer Halbschwester auf ihr Leben hat, wie sie ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart, ihre Zukunft in Frage zu stellen beginnt. Zunächst versucht sie, die Begegnung zu verdrängen, ist froh darüber, wegen ihres halbjährigen Lehrauftrags in die USA zumindest räumliche Distanz zu schaffen – doch die Gedanken bleiben und wecken immer wieder die Geister der Vergangenheit. Sie ist getrieben von der Frage, was eine Mutter dazu bewegt, ihr Kind – im Speziellen: ihre Halbschwester – zur Adoption freizugeben, ersucht sich Rat bei ihrer „richtigen“, älteren Schwester, doch ihre Beziehung ist seit einem Vorfall distanziert und kühl, nicht einmal diese schicksalhafte Fügung bringt sie einander näher.
Doch das ist nicht das Einzige, was sie beschäftigt. Insbesondere die Rollen der Frauen ihrer Familie geben ihr keine Ruhe: So reflektiert sie ihre eigene Mutterschaft, die Phasen des Abstillens, der neuen Unabhängigkeit und die Leere, die es hinterlässt, ihre Beziehung zu ihren Kindern, aber auch das Leben ihrer Mutter, die sie in die USA begleitet hat. Sie scheint ihr Leben lang immer zurückgesteckt, keine Pause gehabt zu haben, und blüht mit dem Alter und seinen neuen Freiheiten – vielleicht auch der Distanz zu ihrem Mann – endlich auf. Geht es ihr selbst denn nicht genauso? Denkt sie nicht schon seit langem darüber nach, sich von ihrem Mann zu trennen; hatte sie nicht schon einen Zettel in ihrem Portemonnaie mit eben diesen Zeilen? Und was macht eine Familie eigentlich aus, was hält zusammen? Und immer wieder die Gedanken an ihre Halbschwester und deren Herkunft, die sie nicht loslassen.
Die Art und Weise, wie Julia Schoch sich den Fragen nach ihrem Leben, der Rolle der Frau und der alles umfassenden Wahrheit nähert, ist bemerkenswert: Ihre kurzen Anekdoten und Sinneseindrücke geben Raum und fordern dazu auf, über das Gelesene zu reflektieren, Parallelen oder Gegensätze zum eigenen Leben und Erleben zu finden. Sie wechselt immer wieder von einer sehr intimen, nachdenklichen Perspektive auf eine erhabenere Metaebene, distanziert sich, sucht Schutz hinter „geschlossenen Türen“, wie sie es öfters beschreibt – sowohl in der Sprache als auch in ihren Handlungen. Ein Gedanke baut auf den nächsten auf, und so folgt die Erzählung keiner starren Linie, es ist vielmehr ein intuitives, natürliches Spiel der Gedanken. Doch wie verlässlich unsere Erinnerungen sind, wie viel daran Wahrheit oder Fantasie, lässt sich im Rückblick oft nicht sagen. Was ich aber sicher weiß: Dieses Buch hat etwas mit mir gemacht, das ich nicht in Worte fassen kann. Es ist nicht einmal so, dass ich ihr in all ihren Gedanken und Fragen, die sie in den Raum stellt, zustimme, nein, vielmehr ist es di
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Als eine besondere Stärke des autofiktionalen Erzählens erlebe ich es häufig, dass man als Leserin besonders intensiv in die Gefühlswelt der Erzählperspektive hineingezogen wird. So auch hier. Das titelgebende "Vorkommnis" geschieht bereits auf der ersten Seite: …
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Als eine besondere Stärke des autofiktionalen Erzählens erlebe ich es häufig, dass man als Leserin besonders intensiv in die Gefühlswelt der Erzählperspektive hineingezogen wird. So auch hier. Das titelgebende "Vorkommnis" geschieht bereits auf der ersten Seite: Die Erzählerin begegnet auf einer Lesung zu ihrem eigenen Buch einer Frau, die behauptet, denselben Vater wie die Protagonistin zu haben. Erst rückblickend erkennt die Erzählerin, wie dieser Moment sie geprägt hat: längst verschüttet geglaubte Familienthemen kommen zum Vorschein, Fragen nach Ehe und Mutterschaft drängen sich auf, Beziehungen werden beleuchtet und hinterfragt, die Kindheit in der DDR wird plötzlich wieder präsent.
Julia Schoch verbindet mit Leichtigkeit die Gegenwart der Erzählung mit den zurückliegenden Erinnerungen. Dabei hätte sie als Aufhänger für ihre Geschichte sicher auch ein anderes Ereignis wählen können - es geht nicht so sehr um Handlung und Spannungsbogen, das wirklich beeindruckende sind die vielen feinfühligen Beobachtungen menschlichen Verhaltens, die Art und Weise, wie es der Autorin gelingt, Gefühle in Worte zu fassen, die klugen Gedanken zur eigenen Positionierung in der Welt, in der Familie. Man bekommt ein starkes Gefühl dafür, wie die als stabil und harmonisch wahrgenommene Sicht auf das eigene Leben fast unmerklich ins Wanken gerät, wie sich eine Unsicherheit in ihre Wahrnehmung einschleicht, die sie erst mit etwas Abstand überhaupt reflektieren kann. An der ein oder anderen Stelle verliert sich der Fokus etwas, insgesamt aber sprachlich hervorragend und mit einem großen Output an klugen Gedanken. Auf die angekündigten zwei weiteren Teile dieser "Biographie einer Frau" bin ich sehr gespannt.
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