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schneespur

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2024
Kosakenberg
Rennefanz, Sabine

Kosakenberg


sehr gut

Rückkehr in die alte Heimat

In „Kosakenberg“ von Sabine Rennefanz verlässt eine junge Frau namens Kathleen ihr Heimatdorf im Osten und bricht nach England auf. Wie viele andere zieht es sie zu neuen Orten und Aufgaben, die ihr das Dorf nicht bieten kann. Dabei wechselt sie nicht nur den Ort, sondern auch das Milieu: vom praktisch denken, mit den Händen arbeitenden Milieu von Kosakenberg in das einer Art Direktorin mit Büroarbeit, Künstlerumgebungen und eleganten Parties. Aber lässt man seine Heimat und seine Vergangenheit einfach so hinter sich?

Hätte Kathleen Kosakenberg als Freund in ihrem Facebookaccount, so wäre der Beziehungsstatus wohl: es ist kompliziert. Einerseits ist sie froh, dem alten Haus ihrer Familie mit dem Kohleofen und der Außentoilette und dem Dorf, in dem nichts los ist, entkommen sein, und schenkt den Nachrichten ihrer Mutter, welche ihr die aktuellen Geschehnisse aus dem Dorf berichtet, wenig Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite hat sie eben doch noch ein paar, wenn auch eher schwache, Kontakte in ihre altes Dorf, die sie bei ihren sporadischen Besuchen im Dorf an ihr früheres Leben erinnern und sie dazu bringt, sich und ihren Weg aus Kosakenberg zu hinterfragen.

Sabine Rennefanz zeichnet das Bild einer Frau, die einerseits stark mit ihrem vergangenen Leben als Kind und Jugendliche im Dorf gebrochen hat, aber andererseits weiterhin davon beeinflusst ist. Sie zeigt, dass es sich zuänchst einfach anfühlen kann, seinen Ursprungsort hinter sich zu lassen, dass einen die Vergangenheit aber auch geprägt hat und die Rückkehr in die alte Heimat ein genaues Hinsehen erfordert, um weder nostalgisch zurückzublicken, noch um die Vergangenheit einseitig abzulehnen. Die Autorin zeichnet dabei einen scharfen Kontrast zwischem dem Leben von Kathleen in England und dem Leben ihrer ehemaligen Mitschüler und Verwandten in Kosakenberg. Gegliedert ist der Roman nach den Besuchen von Kathleen in Kosakenberg.

An manchen Stellen hätte ich mir gewünscht, dass die Entwicklung von Kathleen noch stärker herausgearbeitet wäre, auch die letzten Abschnitte des Buchs haben mich nicht ganz so mitgenommen. Mich hat das Buch jedoch zum Nachdenken angeregt und mir hat es sehr gefallen, Kathleen bei ihren Besuchen in die Heimat zu begleiten und mitzuerleben, wie sie mit dem Bruch zwischen ihrer neuen Identität und ihrer alten Identität umgeht.

Bewertung vom 22.07.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


gut

Schöne Sommerlektüre

In „Nachts erzähle ich dir alles“ von Anika Landsteiner versucht Léa ihren betriebsamen Job und ihre zerbrochene Beziehung in ihrem Urlaub an der südfranzösischen Küste hinter sich zu lassen. Stattdessen wird sie unmittelbar in eine schwere Familienkrise hineingezogen, als die junge Frau, die ihr am ersten Abend ihres Urlaubs begegnet, plötzlich tot aufgefunden wird und der erschütterte Bruder der jungen Frau, Èmile, mit Fragen zu ihrer Begegnung vor ihrer Tür steht. Èmile als aufsteigender, moderner junger Mann, der es gewohnt ist mit seinen Podcasts und in Fernsehshows im Rampenlicht zu stehen, ist in seiner Familie kein gern gesehener Gast. Spontan versucht Léa ihn dabei zu unterstützen, seine Fragen über seine Schwester und insbesondere ihrer Schwangerschaft zu klären. In intensiven Gesprächen über ihre Familien und ihre Vergangenheit kommen die beiden sich näher...

Der Roman wechselt zwischen der Perspektive von Léa und der von Claire, einer Freundin von Léas Mutter, welche deren altes Familienanwesen in Schuss hält, hin und her. Als Themen werden vor allem die Selbstbestimmung der Frau, Abtreibung und auch Homosexualität aufgearbeitet. Als Hintergrund dient meistens die Côte d'Azur mit ihren Buchten und kleinen Städten, was eine malerische Stimmung kreiert. Zusammen mit der regelmäßigen Beschreibung des Essens, das insbesondere von Claire und Léa geteilt wird, versprüht der Roman in Teilen eine angenehme, urlaubsmäßige Stimmung, die sich mit den ernsten und schwierigen Themen abwechselt. Die Personen im Roman waren für mich grundsätzlich nachvollziehbar und überzeugend, waren aber teilweise zu einseitig positiv dargestellt, so dass sie bisweilen etwas klischeehaft auf mich wirkten.

Für mich war der Roman insgesamt eine schöne Sommerlektüre mit interessanten Themen und nicht ganz so ausgereiften Charakteren.

Bewertung vom 31.03.2023
Das Ende der Ehe
Roig, Emilia

Das Ende der Ehe


gut

Leidenschaftliches Sachbuch

Emilia Roig hat „Das Ende der Ehe“ ausgerufen, zugunsten einer Revolution der Liebe. Roig untersucht die strukturelle Rolle des Patriarchats im vermeintlich privaten Glück, der Ehe aus Liebe. Sie geht dabei auf historische Hintergründe, die Stellung und Rolle der Frau in der Ehe und den Machtverhältnissen zwischen Ehefrau und Ehemann ein. Nach einer ausführlichen Analyse der Ist-Situation versucht die Autorin Auswege zu skizzieren und nach alternativen Lösungen für ein Miteinander zu suchen. Das Sachbuch weist eine umfassende Quellenangabe auf und wurde offensichtlich gut recherchiert.

Roig schreibt mit viel Leidenschaft über ihre Themen und bringt ab und an auch persönliche Anekdoten unter, um ihren Punkt zu unterstreichen, so dass das Buch nie langweilig wird. Dennoch ging es mir an manchen Punkte einfach zu schnell: so wurden Begrifflichkeiten oder Meinungen häufig recht kurz eingeführt und erklärt, ggf. mit Bezug auf einen andere/n Autor/in etc., wobei die Analyse dieser Begrifflichkeit oder Meinung für mich zu kurz griff und mich daher nicht immer überzeugen konnte. Vielleicht ist das Buch an manchen Stellen eher als Anregung zu lesen, sich noch näher mit den Themen zu beschäftigen. Dennoch konnte ich, obschon ich mich nicht zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftige, wieder einiges dazulernen und für mich mitnehmen.

Ich betrachte das Buch als einen guten Einstieg und Rundumblick in die Thematik. Es ist viel hineingepackt, so dass es an manchen Stellen etwas viel werden kann, aber für interessierte Leser*innen steht jederzeit die Quellenangabe bereit.

Bewertung vom 03.03.2023
Wovon wir leben
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


ausgezeichnet

Dorf, Arbeit, Zukunft?

In Birgit Birnbarchers Roman „Wovon wir leben“ kehrt eine Frau zurück in ihr Heimatdorf, zurück ins Elternhaus. Aufgrund ihrer Krankheit, die ihr kein Weiterarbeiten als Krankenschwester erlaubt, steht sie plötzlich als Arbeitslose da, ohne einen Plan zu haben, wie es weitergehen soll. Die Rückkehr nach Hause geschieht nicht aus Nostalgie oder der Hoffnung, zuhause vom Kreis der Familie aufgefangen zu werden, sondern vor allem aus fehlenden finanziellen Mitteln. Zuhause angekommen muss sie feststellen, dass sowohl der Ort als auch die familiäre Situation schlechter geworden sind als erwartet.

Als Leser wird man früh in die schwierige Familiensituation der Ich-Erzählerin eingeführt, die vor allem aufgrund des Vaters aus den Fugen lief und in welcher die Familienmitglieder nur schwer frei miteinander reden können. Trotz einiger beachtlicher Szenen, die in anderen Roman wohl sehr emotional dargestellt gewesen wären, bleibt der Roman sprachlich stets ruhig und nüchtern, ohne jedoch unempathisch zu werden.

Dabei behandelt der Roman Themen wie die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, geht der Frage nach, wie man mit Schuld innerhalb einer Familie umgeht und auch, was Arbeit für einen Arbeiter bedeutet. Das Leben im Dorf ist geprägt von den Arbeitern und damit auch von der engen Beziehung von den Arbeitern von ihrer Arbeit. Tatsächlich scheint es in dem Roman so, dass Arbeit für den Arbeiter sinnstiftend ist und ein Arbeiter ohne Arbeit zu verkommen droht. Vor allem der letztere Aspekt nimmt einen starken Einfluss auf die Familien und das Geschehen im Dorf. Und dann taucht noch ein Mann aus der Stadt auf, der stets nur als Städter bezeichnet wird, dem diese Haltung zur Arbeit völlig fremd ist und der mit einem ganz anderen Blick aufs Dorf schaut.

Dieser Kontrast zwischen dem Städter und den Arbeitern ist es dann auch, der die Entwicklung der Handlung stark vorantreibt. Ich kann den Roman wärmstens empfehlen, die Romanfiguren, die Sprache, die Zusammenhänge im Dorf und dessen Entwicklung haben mir viel Freude bereitet

Bewertung vom 09.10.2022
Die Kriegerin
Bukowski, Helene

Die Kriegerin


ausgezeichnet

Roman über die Verwundbarkeit

Im Zentrum von Helene Bukowski's „Die Kriegerin“ stehen zwei Frauen, Lisbeth und die Kriegerin, die sich bei der Bundeswehr kennenlernten und die sich seitdem nahe stehen. Die Handlung beginnt eine ganze Weile, nachdem Lisbeth aus dem Dienst ausgeschieden ist und in einem Blumenladen arbeitet. Sie lebt zusammen mit ihrem Freund und ihrem gemeinsamen Kind, als sie es plötzlich eines Tages nicht mehr aushält und ohne Ankündigung oder Erklärung alleine an die Ostsee fährt. Dort trifft sie die Kriegerin wieder, die dort aufgewachsen ist.

Auch für den Leser kommt der plötzliche Aufbruch Lisbeths an die Ostsee überraschend. Es gibt keinen inneren Monolog, der die Situation erklärt. Nach und nach werden das weitere Leben Lisbeths sowie ihre Vergangenheit beschrieben, so dass man Leser langsam versteht, welche Wendungen Lisbeths Leben genommen hat und wieso ihr das scheinbar typische Zusammenleben plötzlich so schwer gefallen ist. Der Austausch mit der Kriegerin spielt dabei eine entscheidende Rolle, da sie Lisbeth am besten zu kennen scheint und Lisbeth sonst fast keine anderen Menschen in ihr Leben lässt, sondern sich recht stark nach außen hin abschottet. Beide Frauen versuchen sich nicht verwundbar zu machen.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Der Aufbau des Romans fand ich sehr gelungen, wie man als Leser zunächst nur Bruchstücke erhält und Stück für Stück Lisbeth immer greifbarer wird und man sich umso mehr in sie hineinversetzen kann, als man ihre Geschichte kennenlernt und versteht, wie ihre Neurodermitis, ihre Sensitivität und ihre Gewalterfahrung ihr Leben beeinflusst haben. Der Verzicht auf inneren Monolog und der eher nüchterne Stil lassen Situation, die sonst sehr emotional sein könnten, eher zurückgenommen wirken. Tatsächlich fand ich das bei diesem eher schwierigen Thema sehr passend und es hat auch sehr gut zu den beiden Frauen gepasst, die ihre Gefühle auch lieber für sich behalten als sie mit anderen zu teilen.

Bewertung vom 02.10.2022
Bullauge
Ani, Friedrich

Bullauge


gut

Verunsicherung

In Friedrich Ani's „Bullauge“ verliert ein Polizist durch den Wurf einer Bierflasche sein linkes Augenlicht und wird vorerst vom Dienst freigestellt. Der Polizist, Kay Oleander, weiß seine freie Zeit nicht so recht zu nutzen, ist er es doch gewohnt, viel Zeit mit Arbeit und seinen Kollegen zu verbringen. Er erfährt, dass eine Frau aufgegriffen wurde, die eine Bierflasche von der Sorte in der Hand hielt, die auf ihn geworfen wurde. Er weiß selbst nicht so recht, weshalb er schließlich vor der Tür dieser Frau auftaucht. Doch anschließend sucht sie seinen Kontakt, da sie seine Hilfe beim Vereiteln eines geplanten Anschlags benötigt...

Kay Oleander ist eine interessante Figur: zunächst scheint er sein verlorenes Augenlicht auf die leichte Schulter zu nehmen, macht sogar Witze darüber und kann die Irritation seiner Kollegen und Bekannten nicht verstehen. Erst langsam erkennt er, wie sehr diese Verletzung ihn aus seiner gewohnten Bahn geworfen hat. Die Begegnungen mit der Frau, der vermeintlichen Bierflaschenwerferin, sind geprägt von Unsicherheit: kann er der Frau wirklich trauen? Sagt sie die Wahrheit, wenn sie behauptet, die Bierflasche nicht geworfen zu haben? Ist wirklich ein Anschlag geplant? Wieso scheint sie seine Nähe zu suchen? Friedrich Ani verwebt die persönliche Verunsicherung von Oleander mit der beruflichen Vorsicht des Polizisten hinsichtlich der wenigen Informationen über den geplanten Anschlag.

Die Hauptfiguren fand ich interessant und glaubwürdig. Auch die vorsichtige Annäherung zwischen Oleander und der Frau ist sehr gut beschrieben. Besonders gefallen hat mir auch die Entwicklung von Oleander, die er nach dem Verlust des Auges durchmacht. Nur im mittleren Teil des Buches wurde mir das Hin- und Herüberlegen von Oleander bezüglich der Frau etwas zu viel und ich habe ein wenig mehr Handlung vermisst. Anfang und Ende hingegen waren sehr gut und auch sehr spannend geschrieben. Ein durchaus interessantes Buch.

Bewertung vom 26.09.2022
Verbrenn all meine Briefe
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe


sehr gut

Familienaufstellung

In Alex Schulman's „Verbrenn all meine Briefe“ muss Alex nach einem Streit mit seiner Frau langsam erkennen, dass er eine Wut in sich trägt, die Spuren in seiner Familie hinterlässt. Um einen besseren Umgang mit seiner Wut zu finden, beginnt er eine Therapie. In einer Familienaufstellung erhält er plötzlich den Schlüssel zur Herkunft seiner Wut: sie stammt aus seiner Familie mütterlicherseits. Er beginnt seine Familiengeschichte zu recherchieren, um zu erfahren, woher diese Wut in seiner Familie eigentlich stammt, und taucht dabei in eine komplizierte Liebesgeschichte ab, die lange vor seiner Geburt stattfand...

Der Roman war an den meisten Stellen wie ein Sog: mit leidenschaftlichen Charakteren, einer spannend erzählten Handlung und einer Geschichte mit einem gutem Tempo, bei der es stetig vorangeht und die Neugierde schürt, hatte ich den Roman sehr schnell durchgelesen. Einziges Manko war, dass die weibliche Hauptfigur an manchen Stellen zu wenig ausgearbeitet war. Ich hätte gerne noch mehr über sie erfahren, um sie noch besser verstehen zu können.

Auch thematisch hat mir der Roman sehr gefallen, mit seinem Ausgangspunkt, dass wir durch unsere Familien eben kein unbeschriebenes Blatt sind und dass wir manchmal Probleme mit in die Wiege gelegt bekommen, die wir uns nicht heraussuchen können, mit denen wir aber einen Umgang finden müssen. Ich fand es sehr spannend, wie Alex eben dem nachforscht und langsam herausfindet, was zur Zeit seiner Großeltern passiert ist. Sicher wird es nicht in jeder Familie so einfach sein wie in diesem Roman, in der eigenen Familienvergangenheit zu forschen, dennoch hat mich die Handlung überzeugt und wirkte sehr glaubwürdig auf mich. Ich kann dem Roman nur weiterempfehlen.

Bewertung vom 30.03.2022
Schallplattensommer
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


sehr gut

Sommer und Geheimnisse

In Alina Bronsky's „Schallplattensommer“ steht die 17-jährige Maserati im Mittelpunkt. Maserati schuftet bei ihrer Oma in der Dorfkneipe anstatt zur Schule zu gehen und verbringt ihre Zeit lieber damit alleine schwimmen zu gehen als Menschen zu begegnen. Die Ruhe vor den Sommerferien wird allerdings jäh durchbrochen, als eine fremde Familie in der Dorfkneipe auftaucht, die neu in das Dorf einzieht. Insbesondere den beiden jungen Männern aus der Gruppe der Neuankömmlinge fällt Maserati schnell auf und sie stellen mehr Fragen über Maserati als ihr lieb ist. Schnell gelangt Maserati in einen Strudel verwirrender Gefühle, während ihr Geheimnis offengelegt zu werden droht...

„Schallplattensommer“ ist ein Jugendroman, in dem ganz klar Maserati und die anderen Jugendlichen die Helden sind. Die Erwachsenen, die zuweilen auftauchen, spielen eher untergeordnete Rollen, sind teilweise eher schutz- und hilfsbedürftig oder haben ihr Leben nicht so recht im Griff. Maserati hingegen bestimmt ihr Leben weitestgehend selbst, wenn auch zunächst eher isoliert. Das ändert sich allerdings mit dem Auftauchen der Neuankömmlinge, denen Maserati nicht vollständig aus dem Weg gehen kann. Durch die Nachfragen und den Begegnungen mit den zwei jungen Männern wird Maseratis Geschichte nach und nach offen gelegt.

Mir hat der Roman viel Spaß gemacht beim Lesen. Maserati ist eine starke junge Frau, die ihr Leben auf erfrischend offene Weise anpackt und bereit ist, sich angstfrei auf neue Erfahrungen einzulassen. Ich finde, Maserati ist gut dargestellt, sie ist stets glaubwürdig und nachvollziehbar. Bei manchen Nebenfiguren trifft das leider nicht immer zu, aber das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch.

Bewertung vom 20.03.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


ausgezeichnet

Beckett, Feuer und Mutterschaft

In Claire Thomas' „Die Feuer“ sehen sich drei Frauen ein Stück von Beckett an: Margot, Ivy und Summer. Margot ist eine erfolgreiche Professorin, Ivy eine ehemalige Studentin von Margot, die unverhofft zu Reichtum gelangte, und Summer ist eine junge Studentin, die ebenfalls ein Seminar von Margot besucht hat. Sie sitzen im kühlen Theaterraum und versuchen dem Stück zu folgen, während draußen Buschfeuer wüten, die Landschaften zerstören und Menschenleben bedrohen. Die Auseinandersetzung mit der Aufführung und dem Feuer beeinflussen die Frauen stark, so dass sie ihr Leben auf neue Weise reflektieren.

Margot als erfolgreiche Professorin reflektiert ihre Mutterschaft, die ihr nicht leicht gefallen ist, die Distanz zu ihrem Sohn und die beginnende Demenz ihres Ehemanns. Auch bei Ivy dreht es sich ums Muttersein: sie hat vor kurzem ihr zweites Kind entbunden, nachdem ihr erstes auf tragische Weise ums Leben kam. Summer hingegen beschäftigt sich stark mit ihrer Herkunft, ihrer Beziehung zu April und ihren Ängsten, die ihr ständig begegnen, wie aktuell die Sorge um April und ihre Familie, deren Haus von den Flammen bedroht ist. Während der Pause der Aufführung begegnen sich die drei Frauen. Im anschließenden Akt gelangt jede Frau zu neuen Einsichten oder zu einer wichtigen Entscheidung.

Claire Thomas verwebt die Aufführung und die Feuer geschickt mit den Erfahrungen der drei Frauen, so dass ein dichter Teppich an Eindrücken entsteht. Jeder Frau wird abwechselnd ein Kapitel gewidmet. Als Leser begegnet man drei Schicksalen, die sicher auch für sich jeweils einen Roman hätten füllen können. Dank der direkten, unbeschönigten Art, in der jede Frau über sich nachdenkt, lernt man die Charaktere und ihre Herausforderungen schnell kennen. Die Frauen begegnen sich zunächst nicht, sondern es wird im Wesentlichen ihr innerer Monolog geschildert, der sich vor allem mit ihrer unmittelbaren Situation im Theater und vergangenen Lebensphasen beschäftigt. Obwohl es kaum Handlung gibt, außer auf der Bühne, wird der Roman an keiner Stelle langweilig, da von außen stets neue Reize eingegeben werden, die die Frauen erneut zum Nachdenken, Erinnern und Reflektieren anregen. Ein sehr gelungener Roman!

Bewertung vom 31.01.2022
Das Vorkommnis
Schoch, Julia

Das Vorkommnis


sehr gut

Familienaufstellung

„Das Vorkommnis“ von Julia Schoch beschäftigt sich mit der Wirkung, die das plötzliche Auftauchen einer Halbschwester im Leben einer Frau haben kann. Der Roman beginnt direkt mit eben diesem Vorkommnis: nach einer Lesung tritt eine Frau auf die Protagonistin zu und erklärt, sie hätten beide denselben Vater. Die Protagonistin umarmt die Frau kurz und setzt dann ihre Lesereise fort. Zunächst scheint sie die Begegnung mit der angeblichen Halbschwester eher als Randereignis zu sehen, das nicht weiter ernst zu nehmen ist. Doch langsam aber sicher beginnt die Protagonistin ihre Beziehungen und ihre Erinnerungen zu hinterfragen und in neuem Licht zu sehen.

Mir hat der Aufbau des Romans sehr gut gefallen: der direkte Einstieg in die überraschende Begegnung und daran anschließend die verschiedenen Stadien, die die Protagonistin in der Auseinandersetzung mit sich und ihrem Umfeld nach der Begegnung durchläuft. Auch sprachlich hat mich der Roman gepackt mit seiner klaren und präzisen Schreibweise. Nur in manchen Kapiteln hat mich die Autorin etwas verloren, da Einzelheiten so detailliert beleuchtet wurden, dass ich fast nicht folgen konnte. Alles in allem aber ein toller Roman, der mir beim Lesen viel Spaß gemacht hat.

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