Vier junge Frauen, geboren im Jahr 1900
Als Henny Godhusen im Jahr 1919 gemeinsam mit ihrer Freundin Käthe die Ausbildung als Hebamme in der Hamburger Frauenklinik Finkenau beginnt, steht ihre Generation noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Die jungen Frauen sind so alt wie das 20.
Jahrhundert. Als Leser im 21. Jahrhundert ahnt man im Gegensatz zu ihnen selbst, was ihrer Generation in…mehrVier junge Frauen, geboren im Jahr 1900
Als Henny Godhusen im Jahr 1919 gemeinsam mit ihrer Freundin Käthe die Ausbildung als Hebamme in der Hamburger Frauenklinik Finkenau beginnt, steht ihre Generation noch unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Die jungen Frauen sind so alt wie das 20. Jahrhundert. Als Leser im 21. Jahrhundert ahnt man im Gegensatz zu ihnen selbst, was ihrer Generation in den folgenden 25 Jahren bevorsteht. Beide Mädchen sind in einfachen Familien aufgewachsen. Das echte, duftende Stück Seife im ersten Kapitel symbolisiert sehr treffend die Lebensverhältnisse in Mietshäusern zu der Zeit, als die Küche oft der einzige beheizte Raum war, in dem sich deshalb alle Familienmitglieder gewaschen haben. Käthe und Henny werden durch ihren Beruf mit allen Facetten eines Frauenlebens konfrontiert, unterernährten Frauen die nach zu vielen Geburten im Kindbett sterben, ungewollter Kinderlosigkeit und ungeplanten Kindern, die zu Verwandten aufs Land gegeben werden, wo niemand nach dem Vater fragt.
Weitere handelnde Figuren aus Hennys Generation sind die Kaufmannstochter Ida Bunge aus wohlhabenden Verhältnissen, die elternlosen Geschwister Lina und Lud, sowie Käthes spätere Mann Rudi, der zu Beginn des Romans noch in der Lehre als Schriftsetzer ist. Ida soll möglichst bald einen wohlhabenden Bankier heiraten, um ihrem Vater den geschäftlichen Kontakt zu sichern; Lina wird Lehrerin. Vier junge Frauen, ihre Partner, Kinder, Schwiegerfamilien und Kollegen, das klingt nach einer unübersehbaren Zahl von Personen. Einige lässt Carmen Korn bereits so früh über die Klinge springen, dass ich mich fragte, ob nicht die Erinnerung an diese Figuren im Gespräch genügt hätte. Henny, die ursprünglich Lehrhebamme werden und keine eigenen Kinder haben wollte, landet als berufstätige Mutter in der Zwickmühle, dass sie ihre Kinder von ihrer Mutter betreuen lassen muss, obwohl sie ein kompliziertes Verhältnis zu ihr hat. Henny steht ebenfalls für all die Menschen, die im beginnenden Nationalsozialismus mit dem eigenen Überleben zu stark belastet waren, um sich für Politik zu interessieren. Käthe und Rudi landen als Kommunisten schon früh auf der Fahndungsliste der Gestapo. Nicht nur in der Klinik kann die Frage überlebenswichtig sein, ob man Jude ist, einen jüdischen Elternteil hat oder unter einem Chef arbeitet, der Jude ist.
Die Figuren sind geschickt gewählt und glaubwürdig angelegt, als Hebammen, Lehrerin, Buchhändler, Importkaufmann oder Pensionsbesitzerin kommen sie mit vielen Menschen in Kontakt, die ihnen – und damit auch den Lesern – den Blick öffnen für die Entstehung des Nationalsozialismus. Beinahe zu viele authentische und wichtige Figuren tauchen auf (Juwelier Jaffe mit dem Eisernen Kreuz z. B.). Mehrere Handlungsfäden verweisen auf private und geschäftliche Kontakte, die evtl. im Folgeband noch ausgebaut werden könnten. Da ich noch nicht weiß, ob mich der Folgeband interessieren wird, führten diese Fäden für mich zu weit vom Jetzt und Hier weg. Die Lebensbedingungen von Hennys Generation wirken sehr authentisch und sorgfältig recherchiert, weit glaubwürdiger, als in vielen anderen Romanen über den Beginn des vorigen Jahrhunderts. Für die einfachen Verhältnisse, aus denen die meisten Figuren stammen, klang die Erzählerstimme stellenweise zu gewählt und das Straßennamen-Dropping wäre nicht nötig gewesen. Neben dem vorhandenen Stadtplanausschnitt hätte ich gern ein Diagramm der Familienbeziehungen gehabt und eine optisch klarere Trennung der Handlungsabschnitte. Einige Male habe ich den Faden verloren und mich z. B. gefragt, wer Fritz ist und ob Claas nun der Bruder oder der Neffe ist.
Für Hamburger Leser hat Carmen Korns Trilogie sicher einen besonderen Reiz. Mich lässt die Lektüre des ersten von drei Bänden leicht atemlos zurück nach der Fülle verschiedener Personen.