• Gebundenes Buch

17 Kundenbewertungen

«Absolut genial.» (The New Yorker) Harper Lee beschwört den Zauber und die versponnene Poesie einer Kindheit im tiefen Süden der Vereinigten Staaten. Die Geschwister Scout und Jem wachsen in einer Welt von Konflikten zu tolerant denkenden Menschen heran. Menschliche Güte und stiller Humor zeichnen diesen Roman aus, der in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde und die Herzen von Millionen Lesern im Sturm eroberte. Die Verfilmung mit Gregory Peck in der Hauptrolle wurde mit drei Oscars ausgezeichnet.

Produktbeschreibung
«Absolut genial.» (The New Yorker)
Harper Lee beschwört den Zauber und die versponnene Poesie einer Kindheit im tiefen Süden der Vereinigten Staaten. Die Geschwister Scout und Jem wachsen in einer Welt von Konflikten zu tolerant denkenden Menschen heran. Menschliche Güte und stiller Humor zeichnen diesen Roman aus, der in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde und die Herzen von Millionen Lesern im Sturm eroberte. Die Verfilmung mit Gregory Peck in der Hauptrolle wurde mit drei Oscars ausgezeichnet.

Autorenporträt
Lee, HarperHarper Lee, geboren 1926 in Monroeville, studierte Jura an der University of Alabama, zog nach New York und begann zu schreiben. Sie war befreundet mit Truman Capote, der ihr Kindheitsfreund war und dem sie bei den Recherchen für «Kaltblütig» half. Nach dem Welterfolg ihres in 40 Sprachen übersetzten Romans «Wer die Nachtigall stört...», für den sie 1961 den Pulitzerpreis erhielt, zog sie sich aus dem literarischen Leben und weitgehend auch aus der Öffentlichkeit zurück. 2015 wurde eine frühe Manuskriptfassung von «Wer die Nachtigall stört ...» gefunden und publiziert, die 50 Jahre lang als verschollen galt. Harper Lee starb 2016 in ihrer Heimatstadt Monroeville in Alabama.

Stingl, NikolausNikolaus Stingl, geb. 1952 in B.-Baden, übersetzte unter anderem William Gaddis, William Gass, Graham Greene, Cormac McCarthy und Thomas Pynchon. Er wurde mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis, dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Paul- Celan-Preis und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2010

Es war einmal in Alabama
Kaum ein Buch wird so heiß geliebt und oft gelesen wie "Wer die Nachtigall stört". Seit fünfzig Jahren schon. Genau so lang hat Harper Lee nichts mehr veröffentlicht. Und ist damit genau so legendär geworden

Natürlich, es war Sommer, als dieses Buch erschien, am 11. Juli 1960, wie hätte es anders sein können. Denn das Buch befeuert seine Leser ja schon auf den ersten Seiten mit Sätzen über den Sommer, genau wie die Sonne den staubigen Boden von Alabama, wo die Geschichte spielt. "Bestimmt war es damals heißer als heutzutage, und ein schwarzer Hund hatte an einem Sommertag viel auszustehen", heißt einer dieser Sätze, und bestimmt glaubt man das heute auch von jenem Sommer, in dem Harper Lees einziges Buch erschienen war, und von dem Sommer, in dem man es zum ersten Mal las. Je länger sie her sind, desto heißer werden sie.

"Der Sommer brachte alles, was gut schmeckte, er brachte Tausende von Farben in einer sonnenversengten Landschaft, und vor allem brachte er uns Dill." Man steckt immer noch am Anfang des Romans, als dieser Satz fällt, als Dill zum ersten Mal auftaucht bei Jem und seiner Schwester Scout - der Erzählerin, die keine neun Jahre alt, aber trotzdem erwachsen sein wird, wenn ihre Geschichte wieder vorbei ist. "Ich bin Charles Baker Harris", sagt dieser Dill zur Begrüßung. "Ich kann lesen." Und damit sind alle Zutaten für den Sommer zusammen: Hitze. Ferien. Und ein Freund auf Besuch, der so viel Quatsch im Kopf hat, dass keinem langweilig wird, nicht den Kindern, nicht der Verwandtschaft, nicht den Nachbarn.

"Wer die Nachtigall stört" von Harper Lee wird heute fünfzig Jahre alt. In diesen fünfzig Jahren, seit es der amerikanische Verlag Lippincott herausbrachte, hat das Buch eine Karriere gemacht wie kaum ein anderes in der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Es bekam den Pulitzer-Preis. Es wurde sofort verfilmt. Und Schullektüre. Es ist Lieblingsbuch, millionenfach verkauft auf der ganzen Welt. Es wird bis heute Jahr für Jahr nachgespielt in Monroeville, der Heimatstadt von Harper Lee in Alabama. An diesem Wochenende wird dort das Jubiläum schwer gefeiert, mit Lesungen, Ausstellungen, Vorführungen des Films, für den Gregory Peck einen Oscar erhielt - aber wohl ohne Harper Lee.

Ihr Rückzug aus der Öffentlichkeit und vom Schreiben gehört zu den großen Rätseln der amerikanischen Literatur im 20. Jahrhundert. Wie sieht Thomas Pynchon aus? Was hat Salinger all die Jahre seines Schweigens in Cornish gemacht, außer sich vor Reportern zu verstecken? Der ist inzwischen gestorben, aber wie vorher nach Salinger, so suchen bis heute Journalisten aus aller Welt nach Harper Lee, die inzwischen 84 Jahre alt ist, um mit ihr über das eine Buch zu reden. Und warum nichts mehr danach kam. Immer wieder und immer vergeblich, neulich hätte es eine englische Reporterin fast geschafft, aber am Ende fütterten sie nur Enten zusammen.

Capote, ihr Freund

Das sind die Geschichten, die um den Roman herum immer wieder erzählt werden. Das und die unwahrscheinliche Freundschaft Harper Lees zu Truman Capote, ihrem Kindheitsgefährten, den sie, als Dill kostümiert, kleiner Junge mit komischen Haaren, in "Wer die Nachtigall stört" mitspielen ließ - so wie Capote andersherum kostümierte, welche entscheidende Rolle Harper Lee bei der Recherche seiner Reportage "Kaltblütig" spielte. Nie bekam er für dieses Buch einen Pulitzer, anders als seine Freundin und "assistant researchist". Was er ihr wohl nie verzieh.

Er wehrte sich auch nicht gegen die Gerüchte, er habe an Harper Lees Buch mitgeschrieben. Beide Hollywoodfilme über den genialischen Capote, die vor ein paar Jahren fast zeitgleich ins Kino kamen, setzen das komplexe Verhältnis von Truman und Harper in Szene. "Glanz und Schatten" also, wie die Schriftstellerin Alexandra Lavizzari ihr kurzes Buch über die Freundschaft der beiden Schriftsteller genannt hat, die in derselben Straße, im selben Baumhaus, mit derselben Schreibmaschine zu schreiben begannen. In Monroeville, das Harper Lee für "Wer die Nachtigall stört" zu Maycomb umtaufte.

Und auch über die Politik dieses Buchs wird bis heute diskutiert. Malcolm Gladwell vom "New Yorker" hat vor ein paar Monaten noch einmal streng geprüft, wie fortschrittlich sie wirklich ist, diese Geschichte vom Rechtsanwalt Atticus Finch und seinen Kindern Jem und Scout, vom gerechten Mann, der einen Schwarzen vor Gericht verteidigt, der zu Unrecht angeklagt wird, eine junge Weiße vergewaltigt zu haben, in der Todeszelle landet, obwohl jedem klar ist, wie es wirklich war, und am Ende auf der Flucht erschossen wird. Das Buch, sagt Gladwell, bleibe letztlich doch im Standesdenken des alten amerikanischen Südens verhaftet. Die Leute sollten sich halt anständig benehmen, das sei die Moral, die Struktur der Dinge aber bleibe, wie sie ist. Und das, obwohl lange vor dem heißen 11. Juli 1960 die amerikanische Bürgerrechtsbewegung genauso heiß entbrannt war, um die Rassentrennung endlich zu beseitigen. Gerade in Alabama.

Andererseits spielt das Buch Anfang der dreißiger Jahre - und Harper Lee macht ihre Figuren nicht revolutionärer, als sie sein konnten. Vielleicht muss man sich, um diese Welt und ihre Grenzen besser zu verstehen, wie die kleine Scout barfuß auf die staubigen Straßen von Maycomb stellen. "Man kann einen anderen nur richtig verstehen, wenn man die Dinge von seinem Gesichtspunkt aus betrachtet", hatte Atticus seiner Tochter früh im Roman gesagt. "Wenn man in seine Haut steigt und darin herumläuft."

Es hilft jedenfalls, barfuß zu lesen. Man muss keine Latzhosen tragen, wie Scout es tut, die sich weigert, eine Lady zu werden, was ihre Tante Alexandra in Rage bringt. Aber barfuß spürt man die Wärme und Größe und sogar die Farben dieses Buchs viel besser. Komisch, dass man amerikanische Romane immer schon so gut nach Jahreszeiten sortieren konnte. Bei John Irving ist ständig Herbst, aber der schreibt ja auch über Neuengland, wo am besten auch ständig Herbst ist. Bei Faulkner macht die Hitze jeden Satz schläfrig und schwer, wie Augenlider an einem späten Nachmittag im long, hot summer.

Harper Lees Buch singt andere Melodien vom Süden, es ist oft wirklich sehr lustig, und hellsichtig, was gegen schwere Lider spricht. Wie Harper Lee den kleinen Dill beschreibt, als Angeber und Geschichtenausdenker, der andere vorschickt, weil er selbst nicht mutig genug ist, ein cleverer Träumer, das erspart einem eigentlich alle Analysen: "Ich werde Clown, wenn ich groß bin", lässt sie Dill sagen. "Ich kann mit den Menschen nichts anderes anfangen, als über sie lachen." Und als Jem und Scout ihn korrigieren, Clowns seien doch traurig, sagt er: "Dann werde ich ein neuartiger Clown. Ich stelle mich mitten in die Manege und lache über die Leute." Vielleicht ist er doch mutiger, als man denkt. Truman Capote jedenfalls war ein so neuartiger Clown, dass es bisher keinen zweiten wie ihn gab.

Boo Radley, mein Held

Und dann ist da noch Boo Radley, das Phantom von nebenan, der Mann, der nie ans Licht kam, eingesperrt vom eigenen Vater, seit er ein Teenager war. Wie für die meisten Figuren im Roman, so gibt es auch für Boo Radley ein reales Vorbild aus Harper Lees Heimatstadt, einen Nachbarsjungen, der im ewigen Hausarrest vegetierte, weil er die Fenster seiner Schule eingeschlagen hatte und in ein Geschäft eingebrochen war. Jem und Scout täten alles dafür, Boo einmal zu Gesicht zu bekommen, sie beobachten ihn, ohne zu merken, dass er sie beobachtet, es dämmert ihnen irgendwann, als er ihnen kleine Geschenke in ein Astloch legt, eine kaputte Uhr, Glückspfennige. Sie wollen sein ödes Leben retten, am Ende rettet er ihres: in einem Showdown, der zeigt, dass dieses Buch alles andere als harmlos oder naiv ist, denn hier geht ein Erwachsener mit einem Messer auf Kinder los: Bob Ewell, der eigentliche Bösewicht des Prozesses, den Atticus verloren hat, ein Scheißkerl, der sich für die öffentliche Demütigung rächen will, denn Atticus hatte ihn vor Gericht vorgeführt.

Aber jemand fällt Ewell in den Arm, ein Phantom, der Unsichtbare, und als Scout das klar wird, als ihr klar wird, wer ihren Bruder und sie verteidigt hat, geschieht das in einer Szene, die ich so oft gelesen habe, dass ich sie auswendig kann: "Über die Gestalt unseres Nachbarn legte sich der Schleier meiner plötzlich aufsteigenden Tränen. ,Hallo, Boo', sagte ich." Mir geht es genauso, jedes Mal.

Boo Radley ist das größte Geschenk, das Harper Lee ihren Lesern machen konnte, größer als Atticus Finch, der gerechte Vater, der ja ein entfernter Verwandter von Erich Kästners Lehrer Justus Bökh aus dem "Fliegenden Klassenzimmer" ist (ein Winterbuch, nur nebenbei), größer als der Sommer. Boo ist das Rätsel, das dem Sommer noch fehlt, um perfekt zu sein, weil Hitze und Ferien und ein Freund zu Besuch nicht reichen. Ein Rätsel, das die Phantasie und die Furcht anregt, dem man unbedingt auf die Spur kommen will. Die andere Seite. Da steckt was hinter der Fassade und bleibt versteckt, wieder und wieder versucht man es zu ergründen und nimmt es sich von neuem vor, und jedes Mal entdeckt man etwas anderes dabei. Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast. Du hast Harper Lee gelesen.

TOBIAS RÜTHER

Bei Rowohlt ist jetzt eine Jubiläumsausgabe erschienen (528 Seiten, zehn Euro).

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
Der ewige Bestseller. FAZ.NET