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Tamara sitzt im Zug nach Mannheim: Sie soll endlich mehr über ihre leibliche Mutter erfahren. Kurz dämmert sie ein und als sie die Augen wieder öffnet, steht der Zug und alle anderen Passagiere sind weg. Alissa war auf der kleinen Insel nur kurz eingenickt, aber als sie aufwacht, ist alles anders. Ihre Freunde sind spurlos verschwunden, die Vögel zwitschern nicht mehr. Und als sie 110 wählt, ist die Leitung tot. Tamara. Alissa. Leon. Hannes. Kora. Sie alle haben einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit und erleben nun, was es heißt, allein zu sein. Denn am 17. August um 15.07 Uhr passiert…mehr

Produktbeschreibung
Tamara sitzt im Zug nach Mannheim: Sie soll endlich mehr über ihre leibliche Mutter erfahren. Kurz dämmert sie ein und als sie die Augen wieder öffnet, steht der Zug und alle anderen Passagiere sind weg. Alissa war auf der kleinen Insel nur kurz eingenickt, aber als sie aufwacht, ist alles anders. Ihre Freunde sind spurlos verschwunden, die Vögel zwitschern nicht mehr. Und als sie 110 wählt, ist die Leitung tot. Tamara. Alissa. Leon. Hannes. Kora. Sie alle haben einen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit und erleben nun, was es heißt, allein zu sein. Denn am 17. August um 15.07 Uhr passiert das Undenkbare: Die Zeit bleibt stehen, und alle Menschen um sie herum sind plötzlich verschwunden. In diesem beängstigenden Vakuum finden die fünf Jugendlichen nach und nach heraus, dass sie auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden sind.
Autorenporträt
Antje Wagner, geboren 1974 in Wittenberg, studierte deutsche und amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften. Sie schreibt Romane und Erzählungen und übersetzt aus dem Englischen. Für Unland (Bloomsbury K&J 2009) hat sie den ver.di Literaturpreis erhalten, ihr Buch war auf der Kinder- und Jugendbuchliste von SR und Radio Bremen, unter den besten 7 Büchern für junge Leser und Jugendbuchfavorit der Stiftung Lesen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2012

Beim Legen von Liebesspuren

So muss Werthers schreibende Weiblichkeit klingen - eine Verbeugung vor Antje Wagner

Erschöpft notierte Thomas Mann in eines seiner allerspätesten Tagebücher, er glaube kaum an die Poesie ums Wort "Herz", aber das, was das Wort dabei meine, gebe es wohl doch. Antje Wagner sagt dasselbe anschaulicher, wenn sie Medizinerwissen und Liebeserfahrung brüsk ineinanderschiebt, zum sprühenden kleinen sprachlichen Auffahrunfall: "Ein Herz, denkt Lena, besteht aus zartem Muskelfleisch. Marla steht und trinkt und schaut, der Abstand zwischen ihnen dünnwandig wie das Porzellan an ihrem Mund."

So fühlt sich Körpersprache, vermittelt und gebrochen durch Dinge und Begriffe, wohl an. Aber in was für Räumen und Zeiten spricht man sie?

Auch darauf weiß die 1974 geborene Schriftstellerin Antwort: "Es hätte mir schon vor Jahrhunderten auffallen müssen. Es war mehr. Mehr als ein losgelöstes Herzzittern. Mehr als das bloße Enthüllen von Haut. Mehr als nur das Eintauchen in einen fremden Körper. Jahrhunderte, die ich schweigend hinter ihr hergegangen bin."

Jahrhunderte: Das ist dreist hingeschrieben wie einer dieser eiskalten Übergänge bei Flaubert, bei denen man merkt, der Verfasser hat Erzählzeit und erzählte Zeit so sicher und fest bei der Hand wie wir Normalsterblichen bloß die Armbanduhr um den Knöchel.

Ich lese und schreibe zu viel; ein Berufsschaden.

In dem, was ich lese und schreibe, ist viel zu oft von Liebe die Rede. Diese Deformation mal zugegeben, darf ich bekennen: Kaum eine Autorin, kaum ein Autor unter denen, die jetzt deutsch schreiben, spricht mich häufiger als Antje Wagner mit Sätzen an, bei denen ich denke, ja, doch, wenn ich das geschrieben hätte, könnte ich mal Pause machen mit dem Lesen und Legen von Liebesspuren.

Denn so wie hier ist es, so stimmt es, so will es heißen. So lebt es - und so stirbt es auch. Eine unvermeidliche Trennung zum Beispiel beschreibt die Dichterin nicht als wehmütig-jenseitigen Seelenriss, sondern als leiblich fasslichen Misston: "Als wir uns küssten, so tief und feucht und doch erregungslos", da war die Sache gegessen, nicht mehr zu retten, adieu.

Sehr direkt, sieht man da, kann das angeblich stets die kunstnotwendige Distanz stiftende Imperfekt also weh tun - und ist, als konventionelles episches Gefäß des Herkommens von Figuren und Situationen, auch der unkonventionell mutabilen Behandlung zugänglich, etwa als unmerkliche, geschickte Verengung eines mythisch breiten Zeitstroms bis auf einen Punkt, an dem zwei Leute einander ansehen lernen:

",Wir beide, du und ich, stammen von einem Volk ab, dessen Existenz so vollständig verschwiegen wird, dass die Gefahr besteht, dass es bald völlig in Vergessenheit gerät.'

,Ein Volk?' Ich war ganz Ohr.

,Ja, ein sehr altes Volk. Und ein sehr kleines. Es ist das erste Volk, das hier auf der Erde gelebt hat.'

,Wo lebt es denn jetzt?'

,In alle Winde zerstreut. Und hier. In diesem Bett.'"

Richtig, wo sonst?

Antje Wagner ist sehr fleißig.

Ich glaube, das gehört dazu, wenn man aufs Treffende hinauswill: Das kann man nämlich nicht planen, das muss man sich herbeischaffen; bestimmte Qualitäten setzen klaglos erarbeitete Quantitäten voraus.

Antje Wagner schreibt Romane und Erzählungen für Erwachsene und andere für noch nicht ganz Erwachsene; sie lässt weit ausgreifende Epik, aber auch Skizzen und Schnappschüsse publizieren, um unter gänzlich öffentlicher Beobachtung das Allersubjektivste zu objektivieren. Sie schreibt sehr schön, aber es ist nie Schönschrift, dazu stiftet es zu viel Unruhe, führt es zu viele Ausreißereinfälle mit.

Oft genug scheint sie nicht recht Maß mit den eigenen Talenten zu halten; es geht dabei wohl darum, die Kraft, die Jugend heißt, nicht als Vorschuss aufs restliche Leben zu verstehen, sondern gleich zu verbrauchen - vielleicht erwartet sie, wenn sie den Proviant früh verbrennt, dass dabei auch die handwerklichen Beschränkungen in Rauch aufgehen, an denen man anfangs krankt. So weit, so klassisch: Klar, den "Werther" schreibt man, um den Werther, der man ist, loszuwerden und dabei doch zu ehren.

Die Zerstreuung häufiger Verlagswechsel kann eine Begabung, die so wenig mit sich haushalten will, zerknittern; das Ansprüche anmeldende Lob diverser Stipendien und Auszeichnungen kann es zermalmen. Aber Antje Wagner, der beides begegnet ist, hat dafür zum Glück keine Zeit, denn sie muss sich allerlei aneignen: Die Unzuverlässigkeit des Erzählens zum Beispiel, die eine gute Freundin sein kann, wenn man sie beim Wort nimmt ("Lüge mich" heißt ihr Roman darüber, aus dem Jahr 2001), ebenso wie die einander überkreuzenden Geschwindigkeiten von Überraschungen durch andere und Entdeckungen bei sich selbst (auch das ist ein Roman geworden, "Hinter dem Schlaf" von 2005), oder die Mosaikarbeit der Epiphanien, Nuancen, Tupfen, die Wagners Erzählbände trägt, und schließlich die Exerzitien in Transparenz, aus denen sie Bücher für ein heranwachsendes Publikum macht (eben ist wieder eins erschienen, "Vakuum", und wie bei den Vorläufern "Unland" von 2009 und "Schattengesicht" von 2010 gelingt es ihr spielend, eine Tonlage zu finden und zu halten, die zu jeder Zeit den gleichseitigen Abstand wahrt zwischen einer Sprache, die auch Vierzehnjährige verstehen, und einem Stoff, mit dem auch lebens- und lektüreerfahrene Leute nicht übertrieben rasch fertig werden).

Flüchtiges, geisterhaftes Material sind ihr die Menschenbeziehungen. Eine Vorstellung von durchgeformter, immer griffbereit auseinanderzufaltender Totalität der Welt auf dem Theater, in der Novelle oder im Roman, die sich etwa an dem gebildet hat, was Goethe aus sich machen konnte, sobald der Werther erst einmal abgestreift war, scheint ihr fremd.

"Weiblich" könnte man diesen Verzicht auf gewisse Gesten der Weltbezwingung nennen, aber das darf man nur, wenn man dabei nicht vergisst, dass das Wort, wir sind ja bei der Literatur, nichts Biologisches, ja nicht einmal die soziale Arbeitsteilung meint, sondern etwas Erzästhetisches. Schreibende Frauen haben dem Patriarchat seit ein paar Tausend Jahren teils schlau, teils zäh ein Spektrum von Stimmen abgerungen, das schreibende Männer selten erlernen.

Die Psychoanalyse darf ihren ganzen Penisneid gerne behalten, wenn mir dafür jemand erklärt, wie man die Besserwisserkonventionen, das elend hüftsteife und genickstarre Gehabe der ununterbrochenen Verfügung übers Material, das uns Jungs die Meister unseres Geschlechts und unserer Zunft beigebracht haben, auf eine Weise aufbricht, die uns endlich auch mal erlaubt, den Hauch so zu ehren wie Sappho, den Schmerz so auszuhalten wie die heilige Perpetua, das Jenseits so praktisch anzugehen wie Hildegard von Bingen, die moderne Nervosität so elegant zu umarmen wie Djuna Barnes, die Luft aus der ängstlichen Aufgeblasenheit der Aufgeklärten herauszulassen wie Virginia Woolf, die Komik des Historischen zu verschaukeln wie Irmtraud Morgner und den Tod so freundlich bei der Hand zu nehmen wie Joanna Russ.

Bedient haben wir uns bei dem, was die Mädchen und Frauen konnten und können, heimlich ohnehin oft genug - manchmal hilft der Blick in die Bände der maskulinen Ahnen nämlich nicht, wenn man den richtigen Sound sucht, und dann muss man als Kerl hoffen, dass einem die Vertraute ihre Urlaubsaufzeichnungen fotokopiert und dass sie den Diebstahl, der dann zwingend folgt, so sportlich nimmt wie Zelda, als ihr Mann F. Scott Fitzgerald, der als stilsensibles Genie wusste, was er an ihr hatte, sie gleich absatzweise beklaute - "Plagiarism begins at home", brachte sie die schäbige Wahrheit großherzig auf den Punkt.

In ihrem bis jetzt wohl besten Buch, "Lüge mich", zeigt Antje Wagner, dass man mit der unökonomischen Stimmungsabhängigkeit des stürmischen jungen Talents auch anders umgehen kann als Goethe, der sie erledigen, und F. Scott, der sie sich bei Zelda holen musste. Schwärmerisch, oft kitschnah, tränenfeucht und überschwänglich, so schreibt in diesem hinter- und falltürenreichen Roman jene "Helen", die uns im ersten Buchdrittel mit ihrem überbordenden "Ich" Ereignissen zuführt, von denen wir nie sicher sein dürfen, dass sie nicht ganz und gar erlogen sind.

Antje Wagner lässt sie ausreden. Aber sie ruft neben Helen immer wieder ein anderes Textgesicht auf, das uns mitten im Sprachfluss zuzwinkert: "Sie möchten endlich mehr Handlung? Ja, ich weiß. Aber was soll ich denn machen? Helen mag es nun mal pathetisch."

Die Schwächen und Mängel des Tons, den man gewählt hat, nicht künstlich zu verstecken, nicht zu dressieren, nicht zu denunzieren macht den Ton bald stark, erwachsen, wahr.

Wie, wenn nicht mit dieser Lauterkeit des Stils, die sich ihre eigene Unzulänglichkeit verzeihen kann, soll man sich an die Unmöglichkeit trauen, von Liebe zu schreiben?

DIETMAR DATH

Antje Wagner: "Vakuum". Roman. Bloomsbury K & J 2012, 304 Seiten, 14,99 Euro

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