Margaret Atwood
MP3-CD
Die Zeuginnen
788 Min.. Lesung.Ungekürzte Ausgabe
Übersetzung: Baark, Monika;Gesprochen: Malton, Leslie; Meckbach, Eva; Löwendorf, Inka
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Die packende Fortsetzung von Margaret Atwoods »Der Report der Magd« - ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2019»Und so steige ich hinauf, in die Dunkelheit dort drinnen oder ins Licht.« - Als am Ende vom Report der Magd die Tür des Lieferwagens und damit auch die Tür von Desfreds »Report« zuschlug, blieb ihr Schicksal für die Leser und Hörer ungewiss. Was erwartete sie: Freiheit? Gefängnis? Der Tod? Das Warten hat ein Ende! Mit Die Zeuginnen nimmt Margaret Atwood den Faden der Erzählung fünfzehn Jahre später wieder auf, in Form dreier explosiver Zeugenaussagen von drei Erzählerinn...
Die packende Fortsetzung von Margaret Atwoods »Der Report der Magd« - ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2019
»Und so steige ich hinauf, in die Dunkelheit dort drinnen oder ins Licht.« - Als am Ende vom Report der Magd die Tür des Lieferwagens und damit auch die Tür von Desfreds »Report« zuschlug, blieb ihr Schicksal für die Leser und Hörer ungewiss. Was erwartete sie: Freiheit? Gefängnis? Der Tod? Das Warten hat ein Ende! Mit Die Zeuginnen nimmt Margaret Atwood den Faden der Erzählung fünfzehn Jahre später wieder auf, in Form dreier explosiver Zeugenaussagen von drei Erzählerinnen aus dem totalitären Schreckensstaat Gilead.
Margaret Atwood haben vor allem zwei Dinge inspiriert, diesen Roman zu schreiben: Die Fragen des Publikums zum Staat Gilead und dessen Beschaffenheit sowie die Welt, in der wir leben.
»Und so steige ich hinauf, in die Dunkelheit dort drinnen oder ins Licht.« - Als am Ende vom Report der Magd die Tür des Lieferwagens und damit auch die Tür von Desfreds »Report« zuschlug, blieb ihr Schicksal für die Leser und Hörer ungewiss. Was erwartete sie: Freiheit? Gefängnis? Der Tod? Das Warten hat ein Ende! Mit Die Zeuginnen nimmt Margaret Atwood den Faden der Erzählung fünfzehn Jahre später wieder auf, in Form dreier explosiver Zeugenaussagen von drei Erzählerinnen aus dem totalitären Schreckensstaat Gilead.
Margaret Atwood haben vor allem zwei Dinge inspiriert, diesen Roman zu schreiben: Die Fragen des Publikums zum Staat Gilead und dessen Beschaffenheit sowie die Welt, in der wir leben.
Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr Report der Magd wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2017. 2019 wurde ihr Roman Die Zeuginnen mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet. Margaret Atwood lebt in Toronto. Leslie Malton, 1958 in Washington D.C. geboren, spielte an der Wiener Burg, den Hamburger Kammerspielen, in München und Zürich. Mit ihrer Rolle in »Der große Bellheim« an der Seite von Mario Adorf wurde sie einem großen Publikum bekannt. Die vielfach ausgezeichnete Schauspielerin ist dank ihrer markanten Stimme eine gefragte Hörbuchsprecherin. Sie ist zudem Buchautorin und Botschafterin der Elternhilfe für Kinder mit Rett-Syndrom / www.rett.de. Eva Meckbach war von 2006 bis 2019 an der Schaubühne Berlin engagiert. Darüber hinaus steht sie für TV- und Kinoproduktionen wie Tatort oder Was bleibt und Wunschkinder vor der Kamera. Als Hörbuchsprecherin war Eva Meckbach an verschiedenen Rundfunkproduktionen beteiligt und hat als »Beste Interpretin« den Deutschen Hörbuchpreis 2019 mit ihrer feinfühligen Lesung von Annette Hess' Deutsches Haus gewonnen. Inka Löwendorf war festes Ensemblemitglied der Volksbühne Berlin. Sie ist eine der Gründerinnen des Berliner Theaters Heimathafen Neukölln, wo sie nicht nur als künstlerische Leiterin tätig ist, sondern bei einigen Stücken auch selbst auf der Bühne steht. Ihre markante Stimme setzte sie bereits in vielen Hörbuchproduktionen ein. Vera Teltz ist Schauspielerin und Synchronsprecherin. Nach ihrer Schauspielausbildung folgten Engagements am Staatstheater Braunschweig und am Maxim Gorki Theater in Berlin. Seit 2004 arbeitet sie auch als Synchronsprecherin und lieh beispielsweise Naomie Harris alias Eve Moneypenny in den James-Bond-Filmen »Skyfall« und »Spectre« ihre Stimme. Auch als Hörbuchsprecherin überzeugt sie mit ihren ausdrucksstarken Interpretationen. Julian Mehne studierte an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. Neben zahlreichen Auftritten auf Schauspiel- und Opernbühnen in ganz Deutschland - u. a. an der Semperoper Dresden und am Maxim Gorki Theater in Berlin - ist der mehrfach ausgezeichnete Schauspieler auch als Sprecher für Rundfunk, Fernsehen, Hörbuch- und Hörspielproduktionen tätig.

© George Whiteside
Produktdetails
- Verlag: Osterwoldaudio
- Anzahl: 3 MP3-CDs
- Gesamtlaufzeit: 788 Min.
- Erscheinungstermin: 13. September 2019
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 9783869524337
- Artikelnr.: 56142533
Herstellerkennzeichnung
OSTERWOLDaudio
Paul- Nevermann-Platz 5
22765 Hamburg
040 897207800
Drei Frauen mit Rachemotiven
Inspiriert von der Welt, in der wir leben: Mit ihrem heute weltweit erscheinenden Roman "Die Zeuginnen" setzt Margaret Atwood den Stoff aus "Der Report der Magd" fort.
LONDON, 9. September
Vor 34 Jahren beendete Margaret Atwood ihren inzwischen zum Klassiker gewordenen Roman "Der Report der Magd" mit den aufreizenden Worten: "Gibt es irgendwelche Fragen?" Der ungewisse Ausgang und der mehrdeutige Charakter dieser Zukunftsfabel über ein puritanisches Schreckensregime in den Vereinigten Staaten, das gebärfähige Frauen ihrer Identität beraubt und sie als Leihmütter für unfruchtbare Paare der Herrscherkaste verknechtet, warfen ungezählte Fragen auf, auf die Margaret Atwood lange
Inspiriert von der Welt, in der wir leben: Mit ihrem heute weltweit erscheinenden Roman "Die Zeuginnen" setzt Margaret Atwood den Stoff aus "Der Report der Magd" fort.
LONDON, 9. September
Vor 34 Jahren beendete Margaret Atwood ihren inzwischen zum Klassiker gewordenen Roman "Der Report der Magd" mit den aufreizenden Worten: "Gibt es irgendwelche Fragen?" Der ungewisse Ausgang und der mehrdeutige Charakter dieser Zukunftsfabel über ein puritanisches Schreckensregime in den Vereinigten Staaten, das gebärfähige Frauen ihrer Identität beraubt und sie als Leihmütter für unfruchtbare Paare der Herrscherkaste verknechtet, warfen ungezählte Fragen auf, auf die Margaret Atwood lange
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keine Antworten geben wollte, zumindest nicht in literarischer Form. Nun hat sie sich doch erweichen lassen, eine Fortsetzung zu schreiben, die den Erzählstrang nach dem Cliffhanger von "Der Report der Magd" aufnimmt, fünfzehn Jahre nach dem früheren Geschehen.
"Die Zeuginnen", so teilte die kanadische Schriftstellerin bei der Ankündigung des neuen Romans mit, sei zum einen inspiriert von allem - oder beinahe allem, wie sie mit einer leicht hämischen Einschränkung hinzufügte -, was die Leser je von ihr erfahren wollten über den fiktiven Staat Gilead, zum anderen von der Welt, in der wir leben. Letzteres galt freilich auch für "Der Report der Magd". Atwood hat große Teile des fiktiven Lebensberichts von Desfred, einer jener als "zweibeinige Schöße" missbrauchten Nebenfrauen der Republik Gilead, im Westteil des damals noch geteilten Berlins verfasst, zu einer Zeit, in der niemandem klar war, dass die Sowjetunion kurz vor dem Zusammenbruch stand. Die Unterdrückungsherrschaft, die Margaret Atwood bei ihren Reisen jenseits der Mauer beobachtete, färbte ebenso ab auf ihre Schilderung der brutalen und brutalisierenden Diktatur in Gilead wie die Aids-Krise, Warnungen vor der Umweltverschmutzung, Berichte über sinkende Fruchtbarkeit, über Abtreibungsverbote und Kindesentführungen in Rumänien, über Steinigungen in islamischen Ländern und über fundamentalistische christliche Sekten in den Vereinigten Staaten. Margaret Atwood machte sich zur Regel, den Brüdern von Jakob, die das streng hierarchische Patriarchat von Gilead errichtet haben, nichts anzudichten, was in der Geschichte noch nicht vorgekommen war oder in der Gegenwart geschah.
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass sie ihren Roman im Jahr 1984 zu schreiben begann, in dem George Orwell seine gleichnamige Zukunftsdystopie ansiedelte, die kurz nach Erscheinen Ende der vierziger Jahre auf die junge Margaret Atwood Eindruck gemacht hatte. In einem Aufsatz über die Dreiecksbeziehung zwischen Autor, Leser und der vermittelnden Funktion von Büchern hat sie eine Passage aus Orwells Roman herausgegriffen, die für "Der Report der Magd" und "Die Zeuginnen" von besonderer Bedeutung ist. Sie betrifft das "unbeschriebene Buch im Quartformat mit rotem Rücken und marmornem Einband", das Orwells Hauptfigur Winston Smith im Fenster eines Trödelladens erspäht und das in ihm das "übermächtige Verlangen" weckt, dieses verbotene Objekt zu besitzen. Kaum dass er das Datum der ersten Tagebucheintragung aufs leere Papier geschrieben hat, drängt sich ihm die Frage auf, für wen er dieses Tagebuch schreibe: "Für die Zukunft, für die Ungeborenen . . . Wie konnte man mit der Zukunft in Verbindung treten? Das war ihrer Natur nach unmöglich, entweder die Zukunft ähnelte der Gegenwart, dann würde man ihm nicht zuhören, oder sie war anders beschaffen, und dann wäre seine fatale Situation nicht von Interesse."
Ähnliche Gedanken, die natürlich auch die Kernmotivation aller schriftstellerischen Tätigkeit berühren, gehen Tante Lydia durch den Kopf, einer der drei Zeuginnen, die nun in Margaret Atwoods neuem Roman Bericht erstatten über den Niedergang des heuchlerischen Überwachungsstaates Gilead. Als gefürchtete Oberin der euphemistisch "Tanten" genannten Aufseherinnen, die den Mägden die Ideologie des Staates gewaltsam einpauken, kontrolliert Lydia nach eigenem Bekunden die "weibliche Seite" dieses Unterfangens "mit eiserner Faust im Lederhandschuh im Wollfäustling". In "Der Report der Magd" war Tante Lydias Einfluss auf die versklavten Konkubinen der Kommandanten allgegenwärtig, ohne dass sie selbst groß in Erscheinung getreten wäre. "Ich halte die Dinge in Ordnung: Wie ein Haremseunuch bin ich genau dazu aufgestellt." Im Folgeroman legt sie vor dem Richterstuhl der Nachwelt Rechenschaft ab über ihre Verstrickung mit diesem tausendjährigen Reich, an dem die tückische Manipulatorin, wie sich jetzt herausstellt, seit Jahren kalte Rache übt.
"Die Zeuginnen" stattet Tante Lydia mit einer Vorgeschichte aus. Am Beispiel der ehemaligen Richterin veranschaulicht Margaret Atwood wie bereits bei der Charakterisierung der Magd Desfred im ersten Buch nicht nur, wie gefährlich es ist, wenn man sich "wie auf einen Zauber" darauf verlässt, dass Freiheit, Demokratie und individuelle Rechte ewige Werte seien, sondern auch, welche Kompromisse Menschen zur Selbsterhaltung in einem Gewaltregime schließen. "Was nutzt es, sich aus moralischen Gründen vor eine Dampfwalze zu werfen und plattwalzen zu lassen wie eine Socke ohne den Fuß darin. Dann lieber mit der Menge verschmelzen, der gottesfürchtigen, geschmeidigen, Hass schürenden Menge. Lieber Steine werfen, als mit Steinen beworfen werden. Auf jeden Fall sind da die Überlebenschancen höher", schreibt Tante Lydia in ihrem heimlichen Bericht, den sie in der nur den Tanten zugänglichen Bibliothek in einem ausgehöhlten Exemplar von Kardinal Newmans "Apologia Pro Vita Sua" versteckt - in der Gewissheit, dass niemand einen Blick in diesen Wälzer hineinwagen werde, "wo der Katholizismus hierzulande als ketzerisch gilt, kaum besser als Voodoo-Zauber".
Tante Lydias mitreißendes Bekenntnis wird verwoben mit den Aussagen von zwei jungen Zeuginnen, die den Zusammenbruch aus entgegengesetzten Perspektiven erleben. Agnes ist als Kommandantentochter aus der privilegierten Schicht von Gilead für die Ehe mit einem Oberen des Regimes bestimmt, ein Schicksal, dem sie entgeht, indem sie sich als Anwärterin im Tanten-Orden aufnehmen lässt. Daisy dagegen wächst in Kanada auf als Inbegriff eines aufsässigen Teenagers. Die beiden Mädchen verbindet mehr als die Entdeckung, dass man sie jeweils über ihre Herkunft belogen hat. Damit macht Atwood, deren Vorliebe für die Grauzonen des Daseins bekannt ist, deutlich, dass Kinder nicht nur in einer Diktatur hinters Licht geführt werden, und lässt umgekehrt Agnes dafür plädieren, den Kindern einer gestürzten Diktatur ein wenig Raum zu gönnen, "um das Gute zu betrauern, das uns verlorengehen wird".
Agnes ist Desfreds Tochter, die der Mutter in "Der Report der Magd" bei deren Fluchtversuch entrissen wurde, bevor sie als Magd versklavt wurde. Im Gegensatz zur Mutter kann Agnes nicht auf Erinnerungen an die Zeit vor Gilead zurückgreifen. In ihrem Bericht erkennt sie, dass sie und ihre Altersgenossinnen "die Nutznießer der Opfer unserer Vorläuferinnen" sind: "Uns hat man keine solche Prüfungen auferlegt." Daisy wiederum erfährt, dass sie Desfreds ins feindliche Ausland geschmuggeltes, von Gilead zur staatlichen Ikone erhobenes "Kind Nicole" ist, über das sie in ihrer kanadischen Schule sogar ein Referat schreiben musste.
"Die Zeuginnen" ist ein ganz anderes, weniger literarisches Buch geworden als "Der Report der Magd". Obwohl es sich der gleichen Form der Zeugnisablage bedient, die Margaret Atwood als Mittel der direkten Kommunikation zwischen Autor und Leser fasziniert, liest es sich mehr wie ein Spionageroman nach der Art von John Le Carré, durchsetzt mit Dickens'scher Satire und Atwoods typischen humoristischen Anstrichen, die mitunter laut auflachen lassen. Der Unterschied liegt zum einen im Wesen der Handlung: Die Sprache der jungen Mädchen ist naturgemäß unbedarfter als die ihrer Mutter. Während "Der Report der Magd" von Andeutungen und den Zwischenräumen, die der Leser selbst zu füllen hat, lebt, ist "Die Zeuginnen" explizit. Hinzu kommen die politischen, gesellschaftlichen und medialen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, die sich auch auf die Rezeption von "Der Report der Magd" ausgewirkt haben. Mitte der achtziger Jahre war Margaret Atwood noch nicht die Koryphäe, als die sie heute gefeiert wird. "Der Report der Magd" war ihr sechster Roman, kam aber zunächst nur in Kanada heraus. Deutsche Leser mussten zwei Jahre auf die Übersetzung warten. Heute ist das Buch längst Unterrichtsstoff. Es ist verfilmt, vertont, choreographiert und als feministisches Lehrbuch gefeiert worden. Akademiker verfassen Abhandlungen darüber und halten Symposien nach der Art ab, die Margaret Atwood in den Epilogen zu beiden Romanen witzig persifliert.
Der Wahlsieg von Donald Trump, unter dessen Präsidentschaft seine Kritiker ein neues Gilead aufkeimen sehen, und die preisgekrönte Fensehserien-Adaption, die Atwoods Dystopie mit Bezügen zur Gegenwart ausgeschmückt und durch allerlei Veränderungen die vom Zeitgeist gehuldigte "Relevanz" verliehen hat, haben dem "Report der Magd" frischen Aufwind verschafft. Daraus schlägt der Literaturbetrieb Kapital - mit der Folge, dass die Veröffentlichung der Fortsetzung inszeniert worden ist als internationales Buchereignis des Jahres. In Margaret Atwood hat man dabei eine willige Mitspielerin gefunden. Als Mitproduzentin der Fernsehserie hat sie nun den "Zeuginnen" etliche Elemente daraus einverleibt, woraus zu schließen ist, dass ihre eigene Kooperation mit den Drehbuchautoren noch enger ist als ohnehin schon vermutet. Insofern schlägt das Buch auch ein neues Kapitel der Literaturgeschichte ein. Das ändert jedoch nichts daran, dass Margaret Atwood ein weiteres Mal das Schlaglicht auf die Grausamkeit von Menschen gegenüber Menschen gerichtet hat. Aber auch auf ihr unveränderliches Wesen, im Guten wie im Bösen.
GINA THOMAS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Zeuginnen", so teilte die kanadische Schriftstellerin bei der Ankündigung des neuen Romans mit, sei zum einen inspiriert von allem - oder beinahe allem, wie sie mit einer leicht hämischen Einschränkung hinzufügte -, was die Leser je von ihr erfahren wollten über den fiktiven Staat Gilead, zum anderen von der Welt, in der wir leben. Letzteres galt freilich auch für "Der Report der Magd". Atwood hat große Teile des fiktiven Lebensberichts von Desfred, einer jener als "zweibeinige Schöße" missbrauchten Nebenfrauen der Republik Gilead, im Westteil des damals noch geteilten Berlins verfasst, zu einer Zeit, in der niemandem klar war, dass die Sowjetunion kurz vor dem Zusammenbruch stand. Die Unterdrückungsherrschaft, die Margaret Atwood bei ihren Reisen jenseits der Mauer beobachtete, färbte ebenso ab auf ihre Schilderung der brutalen und brutalisierenden Diktatur in Gilead wie die Aids-Krise, Warnungen vor der Umweltverschmutzung, Berichte über sinkende Fruchtbarkeit, über Abtreibungsverbote und Kindesentführungen in Rumänien, über Steinigungen in islamischen Ländern und über fundamentalistische christliche Sekten in den Vereinigten Staaten. Margaret Atwood machte sich zur Regel, den Brüdern von Jakob, die das streng hierarchische Patriarchat von Gilead errichtet haben, nichts anzudichten, was in der Geschichte noch nicht vorgekommen war oder in der Gegenwart geschah.
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass sie ihren Roman im Jahr 1984 zu schreiben begann, in dem George Orwell seine gleichnamige Zukunftsdystopie ansiedelte, die kurz nach Erscheinen Ende der vierziger Jahre auf die junge Margaret Atwood Eindruck gemacht hatte. In einem Aufsatz über die Dreiecksbeziehung zwischen Autor, Leser und der vermittelnden Funktion von Büchern hat sie eine Passage aus Orwells Roman herausgegriffen, die für "Der Report der Magd" und "Die Zeuginnen" von besonderer Bedeutung ist. Sie betrifft das "unbeschriebene Buch im Quartformat mit rotem Rücken und marmornem Einband", das Orwells Hauptfigur Winston Smith im Fenster eines Trödelladens erspäht und das in ihm das "übermächtige Verlangen" weckt, dieses verbotene Objekt zu besitzen. Kaum dass er das Datum der ersten Tagebucheintragung aufs leere Papier geschrieben hat, drängt sich ihm die Frage auf, für wen er dieses Tagebuch schreibe: "Für die Zukunft, für die Ungeborenen . . . Wie konnte man mit der Zukunft in Verbindung treten? Das war ihrer Natur nach unmöglich, entweder die Zukunft ähnelte der Gegenwart, dann würde man ihm nicht zuhören, oder sie war anders beschaffen, und dann wäre seine fatale Situation nicht von Interesse."
Ähnliche Gedanken, die natürlich auch die Kernmotivation aller schriftstellerischen Tätigkeit berühren, gehen Tante Lydia durch den Kopf, einer der drei Zeuginnen, die nun in Margaret Atwoods neuem Roman Bericht erstatten über den Niedergang des heuchlerischen Überwachungsstaates Gilead. Als gefürchtete Oberin der euphemistisch "Tanten" genannten Aufseherinnen, die den Mägden die Ideologie des Staates gewaltsam einpauken, kontrolliert Lydia nach eigenem Bekunden die "weibliche Seite" dieses Unterfangens "mit eiserner Faust im Lederhandschuh im Wollfäustling". In "Der Report der Magd" war Tante Lydias Einfluss auf die versklavten Konkubinen der Kommandanten allgegenwärtig, ohne dass sie selbst groß in Erscheinung getreten wäre. "Ich halte die Dinge in Ordnung: Wie ein Haremseunuch bin ich genau dazu aufgestellt." Im Folgeroman legt sie vor dem Richterstuhl der Nachwelt Rechenschaft ab über ihre Verstrickung mit diesem tausendjährigen Reich, an dem die tückische Manipulatorin, wie sich jetzt herausstellt, seit Jahren kalte Rache übt.
"Die Zeuginnen" stattet Tante Lydia mit einer Vorgeschichte aus. Am Beispiel der ehemaligen Richterin veranschaulicht Margaret Atwood wie bereits bei der Charakterisierung der Magd Desfred im ersten Buch nicht nur, wie gefährlich es ist, wenn man sich "wie auf einen Zauber" darauf verlässt, dass Freiheit, Demokratie und individuelle Rechte ewige Werte seien, sondern auch, welche Kompromisse Menschen zur Selbsterhaltung in einem Gewaltregime schließen. "Was nutzt es, sich aus moralischen Gründen vor eine Dampfwalze zu werfen und plattwalzen zu lassen wie eine Socke ohne den Fuß darin. Dann lieber mit der Menge verschmelzen, der gottesfürchtigen, geschmeidigen, Hass schürenden Menge. Lieber Steine werfen, als mit Steinen beworfen werden. Auf jeden Fall sind da die Überlebenschancen höher", schreibt Tante Lydia in ihrem heimlichen Bericht, den sie in der nur den Tanten zugänglichen Bibliothek in einem ausgehöhlten Exemplar von Kardinal Newmans "Apologia Pro Vita Sua" versteckt - in der Gewissheit, dass niemand einen Blick in diesen Wälzer hineinwagen werde, "wo der Katholizismus hierzulande als ketzerisch gilt, kaum besser als Voodoo-Zauber".
Tante Lydias mitreißendes Bekenntnis wird verwoben mit den Aussagen von zwei jungen Zeuginnen, die den Zusammenbruch aus entgegengesetzten Perspektiven erleben. Agnes ist als Kommandantentochter aus der privilegierten Schicht von Gilead für die Ehe mit einem Oberen des Regimes bestimmt, ein Schicksal, dem sie entgeht, indem sie sich als Anwärterin im Tanten-Orden aufnehmen lässt. Daisy dagegen wächst in Kanada auf als Inbegriff eines aufsässigen Teenagers. Die beiden Mädchen verbindet mehr als die Entdeckung, dass man sie jeweils über ihre Herkunft belogen hat. Damit macht Atwood, deren Vorliebe für die Grauzonen des Daseins bekannt ist, deutlich, dass Kinder nicht nur in einer Diktatur hinters Licht geführt werden, und lässt umgekehrt Agnes dafür plädieren, den Kindern einer gestürzten Diktatur ein wenig Raum zu gönnen, "um das Gute zu betrauern, das uns verlorengehen wird".
Agnes ist Desfreds Tochter, die der Mutter in "Der Report der Magd" bei deren Fluchtversuch entrissen wurde, bevor sie als Magd versklavt wurde. Im Gegensatz zur Mutter kann Agnes nicht auf Erinnerungen an die Zeit vor Gilead zurückgreifen. In ihrem Bericht erkennt sie, dass sie und ihre Altersgenossinnen "die Nutznießer der Opfer unserer Vorläuferinnen" sind: "Uns hat man keine solche Prüfungen auferlegt." Daisy wiederum erfährt, dass sie Desfreds ins feindliche Ausland geschmuggeltes, von Gilead zur staatlichen Ikone erhobenes "Kind Nicole" ist, über das sie in ihrer kanadischen Schule sogar ein Referat schreiben musste.
"Die Zeuginnen" ist ein ganz anderes, weniger literarisches Buch geworden als "Der Report der Magd". Obwohl es sich der gleichen Form der Zeugnisablage bedient, die Margaret Atwood als Mittel der direkten Kommunikation zwischen Autor und Leser fasziniert, liest es sich mehr wie ein Spionageroman nach der Art von John Le Carré, durchsetzt mit Dickens'scher Satire und Atwoods typischen humoristischen Anstrichen, die mitunter laut auflachen lassen. Der Unterschied liegt zum einen im Wesen der Handlung: Die Sprache der jungen Mädchen ist naturgemäß unbedarfter als die ihrer Mutter. Während "Der Report der Magd" von Andeutungen und den Zwischenräumen, die der Leser selbst zu füllen hat, lebt, ist "Die Zeuginnen" explizit. Hinzu kommen die politischen, gesellschaftlichen und medialen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, die sich auch auf die Rezeption von "Der Report der Magd" ausgewirkt haben. Mitte der achtziger Jahre war Margaret Atwood noch nicht die Koryphäe, als die sie heute gefeiert wird. "Der Report der Magd" war ihr sechster Roman, kam aber zunächst nur in Kanada heraus. Deutsche Leser mussten zwei Jahre auf die Übersetzung warten. Heute ist das Buch längst Unterrichtsstoff. Es ist verfilmt, vertont, choreographiert und als feministisches Lehrbuch gefeiert worden. Akademiker verfassen Abhandlungen darüber und halten Symposien nach der Art ab, die Margaret Atwood in den Epilogen zu beiden Romanen witzig persifliert.
Der Wahlsieg von Donald Trump, unter dessen Präsidentschaft seine Kritiker ein neues Gilead aufkeimen sehen, und die preisgekrönte Fensehserien-Adaption, die Atwoods Dystopie mit Bezügen zur Gegenwart ausgeschmückt und durch allerlei Veränderungen die vom Zeitgeist gehuldigte "Relevanz" verliehen hat, haben dem "Report der Magd" frischen Aufwind verschafft. Daraus schlägt der Literaturbetrieb Kapital - mit der Folge, dass die Veröffentlichung der Fortsetzung inszeniert worden ist als internationales Buchereignis des Jahres. In Margaret Atwood hat man dabei eine willige Mitspielerin gefunden. Als Mitproduzentin der Fernsehserie hat sie nun den "Zeuginnen" etliche Elemente daraus einverleibt, woraus zu schließen ist, dass ihre eigene Kooperation mit den Drehbuchautoren noch enger ist als ohnehin schon vermutet. Insofern schlägt das Buch auch ein neues Kapitel der Literaturgeschichte ein. Das ändert jedoch nichts daran, dass Margaret Atwood ein weiteres Mal das Schlaglicht auf die Grausamkeit von Menschen gegenüber Menschen gerichtet hat. Aber auch auf ihr unveränderliches Wesen, im Guten wie im Bösen.
GINA THOMAS
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»'Die Zeuginnen' ist rasanter, mehr auf Aktion aus als der Vorgänger.« Florian Welle Süddeutsche Zeitung 20201007
Ich kannte von Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ noch nicht und habe es daher noch vor diesem Buch gelesen – und das war gut so, denn sonst wäre es wohl sehr schwierig geworden. Am Ende des Vorgängerbandes sind sehr viele Fragen offengeblieben, die Atwood nun, nach …
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Ich kannte von Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ noch nicht und habe es daher noch vor diesem Buch gelesen – und das war gut so, denn sonst wäre es wohl sehr schwierig geworden. Am Ende des Vorgängerbandes sind sehr viele Fragen offengeblieben, die Atwood nun, nach 35 Jahren, beantworten wollte. Auch dieses Mal ist der Schreibstil flüssig zu lesen, die Atmosphäre aber bleibt bedrückend und düster.
Es sind eine Reihe von Jahren vergangen und nun berichten drei Erzählerinnen aus ihrer Sicht über den totalitären Schreckensstaat Gilead. Tante Lydia kennen wir ja schon aus dem Vorgängerband. Die beiden andere sind Agnes, die in besseren Kreisen in Gilead aufwächst und Daisy, die in Toronto aufwächst. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt in Gilead.
Diese unterschiedlichen Sichtweisen ermöglichen einen guten und tiefergehenden Einblick in die Verhältnisse von Gilead und es werden offene Fragen aus dem Vorgängerband beantwortet. Ich habe mich gefragt, wie gebildete Menschen sich einfach so in diesem Regime unterordnen konnten. Das ist mir bei Desfred im vorigen Buch so ergangen und auch jetzt wieder bei Lydias Sicht. Aber um am Leben zu bleiben, wird man wahrscheinlich vieles tun. Die nachfolgenden Generationen denken schon ganz anders, da sie ein anderes Leben nie kennen gelernt haben. Die Frauen finden Wege sich in dem System einzurichten, auch wenn ihnen ihre Rechte abgesprochen sind.
Alle sind in diesem System gefangen und müssen sich unterordnen, ganz gleich, in welcher Position sie sich befinden. Aber wenn man die Sicht der Protagonisten kennenlernt, betrachtet man das System nicht mehr ganz so schlecht. Das Leben bietet nicht nur schwarz und weiß, es gibt doch eine Menge Grautöne.
Obwohl sich in diesem Roman so vieles klärt, hat mir „Der Report der Magd“ dennoch besser gefallen.
Auch dieses Buch macht mich wieder wütend, denn ich finde die Geschichte auch weiterhin sehr bedrückend.
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Fünfzehn Jahre nach dem ungewissen Ende von Desfred ist in Gilead wieder Ordnung eingekehrt. Doch immer noch wirkt das Ereignis nach, denn die Suche nach der Tochter Desfreds ist aktiv wie eh und je. Man vermutet sie in Kanada, wo sie bei Mitgliedern der Geheimorganisation Mayday untergekommen …
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Fünfzehn Jahre nach dem ungewissen Ende von Desfred ist in Gilead wieder Ordnung eingekehrt. Doch immer noch wirkt das Ereignis nach, denn die Suche nach der Tochter Desfreds ist aktiv wie eh und je. Man vermutet sie in Kanada, wo sie bei Mitgliedern der Geheimorganisation Mayday untergekommen sein könnte. In Gilead folgen die Dinge derweil dem regulären Gang, junge Mädchen werden zu Ehefrauen oder Mägden, einige, wie Agnes und Becka stellen die nächste Generation der Tanten. Die Richterinnen, Ärztinnen und andere Frauen, die einst glaubten, sich ihrer natürlichen Pflicht entziehen zu können und dann erkennen mussten, dass die göttliche Ordnung Gileads nur zu ihrem Vorteil ist und dass sie es sind, die dafür sorgen müssen, dass der weibliche Teil der Bevölkerung dies auch versteht, führen die Mädchen und Frauen mit eiserner Hand. Doch es gibt einen Maulwurf, das System wird von innen heraus bedroht und wird dieses Mal einen herben Schlag erleben.
Fast 35 Jahre sind vergangen seit Margaret Atwood ihre feministische Dystopie „Der Report der Magd“/„The Handmaid’s Tale“ veröffentlichte und damit DAS Werk des Genres geschaffen hat. Vor allem das offene Ende hat viele Leser*innen etwas unzufrieden das Buch zuklappen lassen. Mit „Die Zeuginnen“/ „The Testaments“ wird diese Lücke nun geschlossen. Erzählt wird im Wechsel aus drei Perspektiven: Desfreds Tochter Agnes, die in Gilead adoptiert wurde und nun auf die Ehe vorbereitet werden soll; Daisy, die aus Gilead geschmuggelt wurde und in Kanada aufwuchs und Tante Lydia, die einst eine unabhängige Richterin war, sich dann aber ergeben hat und Gilead in seinen Grundzügen mit aufbaute.
Ist die Atmosphäre im Report der Magd geprägt von düsterner Aussichtslosigkeit, hat man bei den Zeuginnen viel mehr den Eindruck, dass es den Frauen gelingt, sich zu emanzipieren und das System für ihre Zwecke zu nutzen und zu unterwandern. Auch wenn es Figuren gibt, die den Glauben an die schlechte Natur der Frau verinnerlicht haben und sich durch und durch als Sünderinnen begreifen, wird nun ein Gegenpol aufgebaut, der Hoffnung gibt.
Die Stärke des ersten Bandes lag unter anderem darin, dass man die enge Perspektive Desfreds einnehmen musste als Leser, dass man unmittelbar ihre Erfahrungen teilte und keinen Überblick über das große Ganze hatte. Dies trug maßgeblich zu dem unbehaglichen Gefühl bei, das einem bei der Lektüre begleitete. Dieser Faktor fehlt nun, zwar wird vieles etwas klarer, aber dafür opfert Atwood ein Stück der Empathie, die man für die Figuren empfinden könnte. Durch die Aufteilung auf drei verschiedene Sichtweisen wird auch die Bindung nicht in dem Maße aufgebaut, wie es bei Desfred war und vieles an Gilead verliert seinen Schrecken. Es gibt zwar wieder furchtbare Vorkommnisse – Vergewaltigung, Missbrauch, Mord und deren Bestrafung ist nicht minder grausam – aber alles wird mit einem Schritt mehr Abstand betrachtet.
„Die Zeuginnen“ punktet auf einer anderen Ebene: man hat mehr Einblick in die Strukturen Gileads und auch wie diese unterwandert werden. Und trotz aller Fiktion sind wiederum auch Parallelen zu unserer Realität auszumachen. Wenn es für mich auch nicht an das große Werk Atwoods heranreicht, dennoch ein überzeugender und lesenswerter Roman, der keineswegs zu spät kam, sondern im Gegenteil heute bitter nötig war denn je.
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Vive la sororité!
Im Nachwort beschreibt Margaret Atwood, warum sie ihn geschrieben hat. Vielleicht spoilert dieses Zitat ein wenig, aber jeder, der „Der Report der Magd“ gelesen hat, vermutet dieses Tatsache ohnehin:
„Eine Frage zum Report der Magd wurde immer wieder …
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Vive la sororité!
Im Nachwort beschreibt Margaret Atwood, warum sie ihn geschrieben hat. Vielleicht spoilert dieses Zitat ein wenig, aber jeder, der „Der Report der Magd“ gelesen hat, vermutet dieses Tatsache ohnehin:
„Eine Frage zum Report der Magd wurde immer wieder gestellt: Wie kam es zum Sturz vom Gilead? Die Zeuginnen wurde als Antwort auf diese Frage geschrieben.“
Heimkehr nach Gilead
Tatsächlich fühlt sich das Buch ein Bisschen wie eine Heimkehr an Gilead an. Schwestern von Gilead, wir lassen euch nicht im Stich: Vive la sororité! (wie ich als Response auf meine Rezension zu „Der Report der Magd bekommen habe, die ihr hier findet.) Diesmal können wir sogar den Gedanken von gleich drei Gilead-Frauen folgen. Und auch hier ist wieder eine starke Identifikation da, die Atwood erzeugt: Während es aber bei „Der Report der Magd“ noch die mit der Magd war, die den Umschwung von der liberalen zur repressiven Gesellschaft zunächst nicht wahrhaben wollte, schafft Atwood nun bei „Die Zeuginnen“, dass ich mich mit einer sehr unkomfortablen Figur identifiziere: Mit einer derjenigen, die das System stützt, mit einer Tante.
Wie man von Opfer zur Täterin wird, das ist das Eindrucksvolle an „Die Zeuginnen“. Ich denke, die meisten von uns möchten in so einer Situation gerne Held*innen sein oder zumindest nicht zu Mitläufern verkommen. Täter*in, absolut unvorstellbar! Aber erst, wenn man das erlebt, zeigt sich, ob man zu seinen Werten steht oder einem das eigene kleine Bisschen leben nicht doch näher liegt. Oder das der Kinder, Enkel, Liebespartner.
Das ist die Stärke dieses Buches, wie wir an Tante Lydia herankommen und wir sie trotzdem noch immer verabscheuen können. Verständnis, nicht Vergebung, auch, wenn sie sich mit ihren Zeilen anderes erhoffen mag.
Drei Gilead-Frauen
Mir gefiel die klare Trennung der drei Erzählerinnenstimmen. Die Entscheidung für die klaren Embleme, die den jeweiligen Verfasserinnen vorangestellt werden. Diese Embleme sind so ikonografisch, dass sie sogar meinem 7,5-jährigen Sohn aufgefallen sind und er mich gefragt hat, was das Cover und die Icons bedeuten sollen.
Als dann alle Fäden zusammenlaufen, bekam das Ende eine Zwangsläufigkeit für mich, bei der schon fast alles zu glatt läuft. Und es wurde recht schnell abgehandelt.
Ein moralisches Dilemma wurde recht ausgeblendet, bewusst, um es drastischer zu machen, aber gleichzeitig fand ich das schade.
Vergleich zum „Report“
„Die Zeuginnen“ kann vielleicht nicht an „Der Report der Magd“ heranreichen. Aber das Buch gibt Hoffnung, wovon beim Report noch wenig zu spüren war. Hoffnung kann trügerisch sein und oftmals lassen wir uns von ihr viel zu schnell davon einlullen. Aber ganz ohne Hoffnung kann keine*r von uns gegen die Ungerechtigkeit und für eine bessere Welt kämpfen.
Daher finde ich, dass „Die Zeuginnen“ eine wichtige Aktualisierung und Ergänzung zu „Der Report der Magd“ darstellt. Leider werden Frauen sowie marginalisierte Gruppen leider immer noch mit höheren Maßstäben gemessen als Männer. Atwood wurde als Anwärterin auf den Literaturnobelpreis 2019 gehandelt, bekommen hat die Auszeichnung schließlich ein weißer alter Mann, der nicht nur eine Exfreundin misshandelt hat, sich lachend am Ort eines Massakers fotografieren ließ, sondern auch noch mit den rechtsradikalen Kräften Europas auf Du-und-Du steht. Da möchte ich dann einfach nicht mehr so einen Vorwurf hören, dass eine Autorin wie Atwood zu zahm sei, wie ich es im Feuilleton gelesen habe. Denn sie bleibt schmerzhaft, erst recht, wenn sie erzählt, dass Revolutionen auch gerne mal ihre Töchter fressen.
Fazit
Atwood gibt hier Hoffnung, wovon in „Der Report der Magd“ noch nichts zu spüren war. Wir brauchen Hoffnung, gerade, wenn die Zustände vielerorts beängstigender werden. Ich vergebe eine Leseempfehlung und runde meine 4,5 Sterne auf 5 auf.
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eBook, ePUB
Ich bin absolut begeistert! So hätte ich mir "Der Report der Magd" gewünscht!
Ich habe ja keinen Hehl daraus gemacht, dass ich von „Der Report der Magd“ enttäuscht war. Dennoch konnte ich jetzt Band 2 „Die Zeuginnen“ nicht widerstehen und ich bin …
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Ich bin absolut begeistert! So hätte ich mir "Der Report der Magd" gewünscht!
Ich habe ja keinen Hehl daraus gemacht, dass ich von „Der Report der Magd“ enttäuscht war. Dennoch konnte ich jetzt Band 2 „Die Zeuginnen“ nicht widerstehen und ich bin sehr froh darüber!
Im Buch erzählen drei Frauen ihre jeweilige Geschichte und inwiefern sie mit Gilead verbunden waren.
Tante Lydia, die vorher Richterin am Familiengericht war.
Agnes, die in Gilead aufgewachsen war und später erfuhr, dass sie nicht die Tochter ihrer Eltern war, sondern ihre leibliche Mutter bei der Flucht aus Gilead gefasst worden war und nun vermutlich eine Magd ist.
Daisy, die in Freiheit aufwuchs, aber ebenfalls nicht die Tochter ihrer Eltern ist, die obendrein noch zum Widerstandsnetzwerk Mayday gehörten.
Diese drei erzählen abwechseln über ihr Leben.
Ich war direkt von Beginn an gefesselt von diesem Buch. Ich konnte mich in alle drei Protagonistinnen und die Nebencharaktere hineinversetzen. Die Atmosphäre Gileads wurde sehr überzeugend eingefangen und durch die drei verschiedenen Erzählerinnen bekam man deutlich mehr zu sehen, als bei nur einer Sichtweise. Dieses Buch hat alles, was ich bei „Der Report der Magd“ vermisst habe. Man hat endlich mehr über Gilead erfahren, wie das Leben dort so ist, wie der Staat funktioniert, wie es überhaupt so weit kommen konnte und wie es nach „Der Report der Magd“ weiterging. Das Buch erinnert stark an die Serie, die auf dem ersten Buch basiert und das ist meiner Meinung nach genau das Richtige.
Was mir am besten gefiel kann ich nicht sagen, da ich sonst spoilern würde, aber ich denke meine Begeisterung reicht, um zu zeigen, wie gut dieses Buch ist, vor allem wenn man bedenkt, wie sehr ich mich über den Roman aus den 1980er Jahren aufgeregt habe. Denn das, was ich dort meisten kritisiert habe, findet sich hier eben nicht.
Ich habe das Buch verschlungen, ich bin wirklich begeistert und bin so froh, dass ich mich getraut habe es zu lesen. Es war total spannend, faszinierend und erschreckend, aber auf außergewöhnliche Weise. So habe ich mir damals „Der Report der Magd“ vorgestellt, als ich das Buch das erste Mal las.
Fazit: Ich kann das Buch nur loben. Es hat meine Erwartungen nicht nur um Welten übertroffen, sondern mir wirklich richtig gut gefallen. Ich wollte es nicht mehr aus der Hand legen und habe an den Seiten gehangen. Es wirkte auf mich glaubwürdig und die Charaktere waren mir sympathisch und wirkten „echt“ auf mich. Die Schilderungen Gileads fand ich richtig beeindruckend. Dieses Regime aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wirkt einschüchternder und bedrückender aber gleichzeitig so unglaublich gruselig, dass man sich wirklich wünscht, dass es niemals dazu kommen wird. Ich bin zutiefst beeindruckt und einfach nur glücklich, dass ich mich getraut habe dem Buch eine Chance zu geben.
An alle die von „Der Report der Magd“ wie ich enttäuscht waren: „Die Zeuginnen“ ist um Welten besser! Traut euch!
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In Margaret Atwoods Fortsetzung um den fiktiven Staat Gilead an der Grenze zu Kanada ist nicht mehr die Magd Desfred die alleinige Protagonistin.
Vielmehr kommt sie überhaupt nicht vor, nicht einmal ihr Name fällt in diesem neuen Szenario, das etliche Jahre später stattfindet. Es …
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In Margaret Atwoods Fortsetzung um den fiktiven Staat Gilead an der Grenze zu Kanada ist nicht mehr die Magd Desfred die alleinige Protagonistin.
Vielmehr kommt sie überhaupt nicht vor, nicht einmal ihr Name fällt in diesem neuen Szenario, das etliche Jahre später stattfindet. Es wird aus der Perspektive dreier Frauen berichtet, aus der einer älteren, nämlich von Tante Lydia, die in Gilead eine einflussreiche Position einnimmt und von zwei jüngeren, Agnes und Daisy, von denen die erstere ein düsteres, vorbestimmtes Leben in Gilead führt, die zweite privilegiert bei ihren Eltern in Kanada aufwuchs und erst nach deren Tod von ihrer Verbindung zu Gilead erfährt.
Beide Frauen geraten in den Fokus von Tante Lydia - ob in ihre Klauen oder unter ihren Schutz, das kann man unterschiedlich sehen.
Denn Margaret Atwood lässt ihren Leser nie in Ruhe in Bezug auf dessen Meinung zu den Protagonisten, er muss immer wachsam bleiben, denn - schwupps - kann sich durch einen winzigen Dreh in der Handlung die Wahrnehmung einer Figur komplett ändern.
Dadurch, dass hier die Perspektive wechselt, entsteht eine breitere Sicht aufs Szenario, die Betrachtung ist nicht einseitig und der Leser erhält einen breiten Blick. Und gleichzeitig profitiert er von den Gaben der großartigen Schriftstellerin, denn die Darstellung wechselt je nachdem, ob nun Agnes, Daisy oder Tante Lydia berichtet und ändert sich auch bei jedem Charakter im Erzählverlauf - denn bei Frau Atwood sind alle Figuren dynamisch, ebenso wie das Szenario.
Somit muss man sich nicht ängstigen, dass es düster bleibt - tatsächlich haben alle drei Protagonistinnen ebenso wie die weiteren Figuren ganz schön etwas durchzustehen, doch immer wieder - und besonders zum Ende hin - blinkt ein Fünkchen Hoffnung auf.
Das mir auch im Blick auf die Realität Stärke und Zuversicht gegeben hat. Denn Gilead kommt mir vor wie ein USA unter der Regierung von Michael Richard Pence, dem aktuellen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten - eine von religiösen Eiferern angeführte Regierung, wie sie nach einem erfolgreichen Impeachment-Verfahren gegen Trump zur Realität werden könnte. Dass nicht immer das Schlimmste eintreffen muss, das war eine der Botschaften, die ich aus diesem großartigen Roman mitgenommen habe!
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Misogyne Theokratie
Es passiert nicht oft, dass ein Fortsetzungs-Roman erst 34 Jahre nach dem ersten Band erscheint, die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hat nun nach dieser langen Zeitspanne mit «Die Zeuginnen» einen an ‹Der Report der Magd› …
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Misogyne Theokratie
Es passiert nicht oft, dass ein Fortsetzungs-Roman erst 34 Jahre nach dem ersten Band erscheint, die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hat nun nach dieser langen Zeitspanne mit «Die Zeuginnen» einen an ‹Der Report der Magd› anschließenden Roman veröffentlicht. Mancher heutige Leser war damals noch gar nicht auf der Welt, andere hatten wahrscheinlich auch Wichtigeres zu tun, als Bestseller-Romane zu lesen. Was insoweit aber kein Manko ist, denn das neue Buch ist völlig eigenständig zu lesen, seine Handlung beginnt erst 15 Jahre nach dem Ende des erfolgreichen Vorgängers. Die Inspiration zu diesem Roman habe sie aus den Fragen der Leser des ersten Bandes erhalten, hat die Autorin erklärt, «die andere Inspirationsquelle ist die Welt, in der wir leben». Damit spielt sie auf Trump an, auf die Klimakrise, auf den islamistischen Terror und anderes mehr.
Dieser dystopische Roman handelt vom Niedergang des fiktiven Staates Gilead, der als misogyne Theokratie aus den ehemaligen USA hervorgegangen ist. Atwood treibt mit diesem extrem frauenfeindlichen Staat als zentraler Thematik ihren Feminismus auf die Spitze. Sie erzählt ihre Geschichte abwechselnd aus der Perspektive dreier Frauen, die als Ich-Erzählerinnen zunächst nur lose miteinander verbunden sind, ehe sich die Handlungs-Stränge am Ende des Buches in einem spannenden Finale vereinen. Mächtigste Figur ist ‹Tante› Lydia, die als ehemalige Richterin dazu gezwungen wird, in Gilead ein klosterartig organisiertes System aufzubauen, in dem Sitten-Wächterinnen mit äußerster Härte die Frauen unterdrücken. Dabei stehen Ehefrauen hierarchisch höher als die unverheirateten ‹Mägde›, die als haremsartige Nebenfrauen für Kindersegen zu sorgen haben und zur Hausarbeit verpflichtet sind. Da Scheidungen verboten sind, muss ein Mann, will er seine Frau loswerden, auf die Praktiken von Heinrich VIII zurückgreifen. Überhaupt geht das System brutal mit Menschen um, Verurteilte werden öffentlich hingerichtet, in besonderen Fällen wie in einer römischen Arena von ‹Mägden› in Stücke zerrissen. Lydia, die eng mit der Führungselite verbunden ist, macht heimlich Aufzeichnungen und sammelt Dokumente über den verbrecherischen Unrechtsstaat, sie will mithelfen, ihn eines Tages zu stürzen.
Die junge Agnes, deren Bericht als ‹Zeugenaussage 369A› betitelt ist, will einer drohenden Zwangsheirat entgehen und lässt sich als ‹Tante› ausbilden, sie reflektiert diesen Staat aus einer system-konformen Innensicht. Unter ‹Zeugenaussage 369B› berichtet Nicole, die als Baby von der Widerstands-Bewegung MayDay nach Kanada entführt wurde, aus einer system-kritischen Außenperspektive. Als ‹Die kleine Nicole› nimmt sie einen fast jesusartigen Status im Propagandakrieg der beiden verfeindeten Nachbarstaaten ein, ihr Konterfei hängt in allen öffentlichen Gebäuden Kanadas. Aus Angst vor einem Anschlag muss sie, vom Geheimdienst beschützt, unter falschem Namen leben.
Dieser kunstvoll konstruierte Roman ist reichlich mit Spannungs-Elementen aufgeladen, die das Buch zu einem Pageturner machen und ihm wohl auch den Booker-Price 2019 eingebracht haben. Männer spielen darin kaum eine Rolle, sie sind nur negatives Beiwerk, quasi der Grund allen Übels. Zu den Leerstellen dieser Geschichte gehört die Frage, warum die Frauen sich dem allen klaglos unterwerfen, Hinweise dazu gibt es keine. Der kreative Plot wird flüssig lesbar erzählt und ist, besonders im Bericht von Lydia, stilistisch mit schwarzem Humor angereichert. Sie ist denn auch die markanteste Roman-Figur, bei der oft die Fäden zusammenlaufen. Auffallend ist der völlige Verzicht auf psychologische Deutung der Figuren, Margaret Atwood berichtet distanziert, fast lakonisch, so als ob sie von historisch Verbürgtem spricht. Sie fügt als Epilog sogar «Historische Anmerkungen» hinzu und nennt in ihrer Danksagung auch die vielen Leserbriefe als Ideengeber für das neue Buch. Dessen literarischer Wert ist allerdings ziemlich umstritten!
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