Die Vermessung der Ewigkeit
Als der englische Uhrmacher und Automatenbauer Alister Cox und seine Gefährten im Oktober 1753 das chinesische Festland erreichen, werden sie Zeugen der Macht des chinesischen Kaisers Qiánlóng. Im Hafen werden 27 betrügerischen Steuerbeamten und Wertpapierhändlern die Nasen abgeschnitten. Der maßlose Kaiser selbst ist zwar in dieser Szene noch nicht sichtbar, doch ist er schon allgegenwärtig. Er ist "der mächtigste Mann der Welt", ein gottgleicher Herrscher mit einem riesigen Hofstaat und zahllosen Titeln, "Himmelssohn" und "Herrscher über die…mehr
Die Vermessung der Ewigkeit
Als der englische Uhrmacher und Automatenbauer Alister Cox und seine Gefährten im Oktober 1753 das chinesische Festland erreichen, werden sie Zeugen der Macht des chinesischen Kaisers Qiánlóng. Im Hafen werden 27 betrügerischen Steuerbeamten und Wertpapierhändlern die Nasen abgeschnitten. Der maßlose Kaiser selbst ist zwar in dieser Szene noch nicht sichtbar, doch ist er schon allgegenwärtig. Er ist "der mächtigste Mann der Welt", ein gottgleicher Herrscher mit einem riesigen Hofstaat und zahllosen Titeln, "Himmelssohn" und "Herrscher über die Zeit" seiner Untertanen. Und Qiánlóng ist ein leidenschaftlicher Liebhaber und Sammler von Uhren und Automaten.
Cox, der Meister aus England, Herr über 900 Feinmechaniker, Juweliere, Gold- und Silberschmiede in Manufakturen in Liverpool, London und Manchester, wurde an den Hof in Peking eingeladen, um dort "als erster Mensch der abendländischen Welt in der Verbotenen Stadt Quartier zu beziehen" und Uhren und Automaten für Qiánlóng nach dessen Wünschen zu fertigen. Um über den Tod seiner fünfjährigen Tochter Abigail hinwegzukommen, nimmt er die Einladung an. Und ist überrascht, als der Kaiser ihm seinen ersten Wunsch offenbart: Cox soll Uhren bauen, an denen die unterschiedlichen Geschwindigkeiten "der fliegenden, der kriechenden oder der erstarrten Zeiten", der Zeiten des Glücks, der Kindheit, der Liebe und des Todes abzulesen sind.
Nachdem Cox die Arbeit in der fremden Welt der Verbotenen Stadt aufgenommen hat, stellt sich bald heraus, dass dieser Auftrag nur eine erste Fingerübung sein sollte, um die Fähigkeiten des englischen Uhrenmachers zu prüfen. Denn nun erhält er einen weitaus gewichtigeren Auftrag: Qiánlóng will, dass Cox eine Uhr baut, welche "die Sekunden, die Augenblicke, die Jahrtausende der Welt, die Äonen der Ewigkeit messen kann." Er soll ein nie da gewesenes Uhrwerk schaffen, das über alle Zeit Bestand hat und nie stillsteht, kurzum: ein Perpetuum mobile. Cox fühlt sich dem Kaiser durch diesen Wunsch zwar sehr nahe, hat er doch sein Leben lang selbst von der Verwirklichung dieser alten Sehnsucht geträumt, doch befindet er sich in einer gefährlichen Lage: Lehnt er den Auftrag ab, droht ihm der Tod. Erfüllt er ihn und baut er ein solches Uhrwerk, begibt er sich ebenfalls in Gefahr, denn damit stellt er die Position des allmächtigen Herrschers infrage, schließlich ist der Kaiser der alleinige Herr über die Zeit. Trotzdem macht sich Cox, dieser "mecanicus, in dem sich Mensch und Uhrwerk verbinden" (FAZ), an die Arbeit.
Christoph Ransmayer greift in seinem neuen Roman auf eine historische Figur zurück: Der Uhrenmacher und Automatenbauer Cox lebte im 18. Jahrhundert; seine Werke sind heute in Museen in Europa und in den Pavillons der Verbotenen Stadt zu sehen. Allerdings hieß er nicht Alister, sondern James und er war auch nie in China, hat aber in London für die Ostindische Kompanie Uhren gebaut, die ihre Werke dem Kaiser von China schenkte. Ransmayr erfindet die Geschichte der Chinareise des berühmten Uhrenbauers neu und erzählt in eleganter Sprache und mit Einfühlungsvermögen in die Menschen dieser Epoche, was der Engländer Cox in der Konfrontation mit der Fremde auf seiner Reise erlebt.
Mit dem Roman "Cox oder Der Lauf der Zeit" behandelt Ransmayr das ewige Thema der Vergänglichkeit. Der Traum von dem Uhrwerk, das alle Zeit übersteht, den der Kaiser und der Uhrmacher teilen, ist der Traum der Literatur, die ihre Gültigkeit behält, der Traum, dass man mit dem Erzählen über die Zeit triumphieren kann.
Cox selbst erfährt in der Fremde ebensolche Momente der Zeitlosigkeit: "Er empfand, dass dieser eine Augenblick im Angesicht des Kaisers und seiner Geliebten keiner Zeit mehr angehörte, sondern ohne Anfang und Ende war, um vieles kürzer als das Aufleuchten eines Meteoriten und doch von der Überfülle der Ewigkeit: von keiner Uhr zu messen . . ."